China
Wie China den Westen das Fürchten lehrt
Asiens Wirtschaftsmacht diktiert die Regeln der Weltwirtschaft. Sie entwickelt sich vom Lehrling zum Lehrmeister der Globalisierung
von Britta Bode
Schöne Träume sehen anders aus. Deutschland ist in schon dreißig Jahren eine Mischung aus " Freilichtmuseum, Freizeitpark, Naturschutzgebiet und Club med" . In den Geschäften werden Menschen in Originalkostümen Produkte aus alten Zeiten verkaufen. " Die ehemaligen Arbeiter verdienen ihr Geld in nachgebauten Stadtlandschaften aus dem letzten Jahrhundert." Millionen gutbetuchter Chinesen kommen dann zu uns, fahren mit dem " alten Transrapid im Emsland im Kreis" , besuchen Berlin als " Gruselkabinett der Nazi-Vergangenheit" , erleben das Ruhrgebiet als einziges Industriemuseum, und wir sind als " pittoreske Exoten" in Dirndl und Sepplhosen mittendrin.
Denn Deutschland, so entwirft Frank Sieren in seinem am Donnerstag erscheinenden Buch " Der China Code" das Szenario, hat sich auch im Westen deindustrialisiert, der Sozialstaat ging bankrott, und der Kopf wurde frei für ebenjene touristischen Innovationen.
Sieren, seit zehn Jahren " Wirtschaftswoche" -Korrespondent in China, erwartet, daß Deutschland nur in einigen hochspezialisierten Nischen führend auf dem Weltmarkt bleiben wird. Die industrielle Produktion und Beschäftigung wird gänzlich nach Asien verlagert. China ist dann die neue Weltmacht Nummer eins.
Skeptiker warnt Sieren vor dem Trugschluß, einfach abzuwarten und China beim Scheitern zuzusehen. Menschenrechtsverletzungen, Umweltverschmutzung, Dualismus zwischen Stadt und Land, marodes Finanzsystem, Korruption und die Gratwanderung zwischen Demokratisierung und Diktatur, zwischen Planwirtschaft und Markt - Sieren kennt all ihre Argumente und ist dennoch gewiß, daß China den Herausforderungen gewachsen ist.
Denn China wächst seit über 25 Jahren mit Raten von rund neun Prozent. Bis zur Olympiade 2008 in Peking kann das Land die Deutschen als drittgrößte Industrienation bereits abgelöst haben.
Gewichen ist die China-Euphorie in der deutschen Wirtschaft. Wer sich heute dort engagiert, dem geht es vor allem um Markterschließung und Umsatz. Auf ordentliche Renditen hoffen nur wenige. " Die Planwirtschaftler schlagen die Marktwirtschaftler mit den eigenen Mitteln" , schreibt Sieren, " denn selbst wenn das Chinageschäft nur eine schwarze Null schreibt, wovon die meisten weit entfernt sind, werden die Unternehmen an den internationalen Börsen für ihren Umsatz und Weltmarktanteil mit steigenden Kursen belohnt." Meßlatte für den unternehmerischen Erfolg sind damit die Leistungen auf dem chinesischen Markt. Wer da nicht mitspielt, der hat verloren.
" Als Zukunftsmarkt hat China eine Art Monopol" , schreibt Sieren und zeigt auf, wie China diese Position weidlich für sich ausnutzt. Haben früher die Träume von 1,3 Milliarden potentieller Abnehmer westlicher Produkte die Phantasien der alten Industrieländer beflügelt, müssen sie heute einsehen, daß es inzwischen Chinas Regierung ist, die die Spielregeln ganz allein bestimmt.
Dabei habe das Land eine der wirkungsvollsten Methoden hervorgebracht, " mit fremdem Geld und dem Know-how der Global Player die eigene Position zu stärken" . Gemeint ist die " Konkubinenwirtschaft" , die derzeit vor allem westliche Automobilkonzerne beutelt, den Chinesen aber allgemein als Muster für den Übergang in die Marktwirtschaft dient.
Das System ist so einfach wie effizient. Ausländische Hersteller dürfen in China nur in Gemeinschaftsunternehmen produzieren, in denen die Chinesen die Mehrheit haben. Deren große Staatsunternehmen arbeiten allerdings mit gleich mehreren, zudem untereinander konkurrierenden Partnern aus dem Westen zusammen, die sie dann gegeneinander ausspielen. Sie schöpfen das technologische Wissen ab und kopieren, denn auch ohne Konkubinenstatus ist es um die Rechte ausländischer Investoren schlecht bestellt.
Die Eintrittsbarriere für den Markt sind enorme Investitionen im Land, Gewinne dürfen zudem nicht ausgeführt, sondern müssen im Land der Mitte reinvestiert werden. Den Unterschied zu einer leibhaftigen Konkubine schildert Frank Sieren so: " Die Wahrscheinlichkeit, dem Kaiser einen Sohn zu gebären und damit eventuell die Mutter des Herrschers zu werden, war deutlich höher als die Chance, heute einen bestimmenden Einfluß im chinesischen Automarkt zu bekommen."
Die Globalisierung zwingt Unternehmen nach China, und " der Kapitalismus versetzt Chinas Regierung in die Lage, den Reichtum der Welt gerechter zu verteilen - auf unsere Kosten" . Der beschränkte Marktzugang werde den Westen Arbeitsplätze kosten.
Sieren belegt seine These des chinesischen Jahrhunderts mit unzähligen Fakten. Er verbindet seine wirtschaftliche Analyse mit einer sozioökonomischen Beschreibung der Geschichte Deutschlands und Chinas, die in der Frage mündet, ob Deutschland mehr zentrale Führung, China dafür mehr demokratische Elemente benötigt. Eine gute Frage, ebenso wie die nach der Möglichkeit, China im Zuge der zunehmenden Internationalisierung auch an internationale Rechtsnormen heranzuführen. Leider bleibt der Autor die Antworten schuldig.
Um die Kopfkissen im Freizeitpark Deutschland für chinesische Besucher aufzuschlagen, ist es zu früh. Die Unternehmensberatung Boston Consulting rechnet im Gegensatz zu Sieren damit, daß in den kommenden 20 Jahren China eine große Krise erfassen wird, und warnen westliche Firmen, zu sehr auf diese Wachstumsregion zu setzen. Ein regionales Ereignis würde der Absturz der neuen Wirtschaftsmacht nicht bleiben.
Artikel erschienen am 13. Februar 2005 in der Welt