Nach Medienberichten aus Kosovo und Äußerungen westlicher Diplomaten
steht die Einrichtung eines Sondergerichts für Verbrechen in den Jahren
1998 bis 2000 bevor.
Bei den Straftaten, für die das neue Gericht zuständig sein soll,
handelt es sich meist um Verbrechen von Mitgliedern der UÇK - der
»Befreiungsarmee Kosovos« - an Kosovo-Serben, aber auch an Roma und
Albanern, die als »Kollaborateure« galten. Die Gründung des Gerichts
wurde in Verhandlungen zwischen der Regierung Kosovos und der
Europäischen Union vereinbart, weil bisherige Versuche, diese Verbrechen
zu ahnden, meist gescheitert sind. An dem neuen »Tribunal« sollen
ausschließlich internationale Richter und Ankläger tätig werden. Sie
sollen auch die umstrittenen Vorwürfe untersuchen, die der
Sonderermittler des Europarats Dick Marty bereits vor Jahren in seinem
Report erhoben hatte. Danach waren hochrangige Funktionäre der UÇK -
einschließlich des derzeitigen Ministerpräsidenten Hashim Thaçi - in die
organisierte Kriminalität verwickelt. Dazu gehörte der Handel mit
Organen entführter und getöteter Serben, Roma und vermeintlicher
albanischer »Kollaborateure«.
Nach Angaben des Journalisten Arben Ahmeti von der Tageszeitung
»Tribuna« ist über den Gerichtsort noch nicht entschieden. Im Gespräch
sei Brüssel, Anhörungen könnten im niederländischen Den Haag
stattfinden. Es solle aber auch ein Büro in Pritina geben. Ahmeti
erwartet, dass die Verhandlungen bis Ende dieser Woche abgeschlossen
werden.
Angeblich suchen die EU-Vertreter die Regierung Kosovos davon zu
überzeugen, dass sie selbst einen Antrag auf Gründung des Gerichts
stellt. Bezweckt ist damit, dass das Tribunal als eine Institution
Kosovos betrachtet wird. Würde dagegen die EU die Gründung initiieren,
könnte der Eindruck entstehen, dass die Union als ganzes Kosovo
anerkennt, was jedoch für fünf ihrer Mitglieder nicht zutrifft.
Britische, deutsche und US-amerikanische Diplomaten haben bestätigt,
dass intensive Gespräche geführt werden und eine Vereinbarung nahe ist.
Allerdings sagte der britischer Botschafter Ian Cliff, er habe »nie
davon gehört«, dass die Strafkammer ihren Sitz außerhalb Kosovos haben
soll.
Ahmeti erwartet, dass das Parlament in Pritina die Schaffung des
Gerichts in der gleichen Resolution beantragt, in der es die
Verlängerung des Mandats für die »Rechtsstaatsmission« EULEX beschließt.
Das gültige Mandat läuft bis 14. Juni dieses Jahres. Die Notwendigkeit,
ein Sondertribunal zu bilden, spricht eindeutig für ein Versagen sowohl
der kosovarischen Justiz als auch der EULEX. »Von Anfang an die
unterlag die Untersuchung von Kriegsverbrechen der ausschließlichen
Kompetenz von EULEX«, betont der Journalist aus Prizren. Das neue
Gericht solle auch die bisher gefällten Urteile überprüfen.
Die serbische Menschenrechtsaktivistin Nataa Kandić, Gründerin des
Fonds für humanitäres Recht, hält es für wichtig, dass die
Gerichtsverfahren in Kosovo selbst stattfinden. Die Erfahrung mit
Urteilen des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige
Jugoslawien (ICTY) besagt ihrer Meinung nach, dass Prozesse im Ausland
von geringerer Wirkung sind. In Kosovo herrsche die Auffassung vor, dass
die UÇK in ihrem »Befreiungskrieg« keinerlei Verbrechen begangen habe.
Auch die UN-Mission in Kosovo (UNMIK), obwohl seit Juni 1999 anwesend,
als die Verbrechen gegen Serben »in einer Atmosphäre der Rachsucht nach
dem Krieg« begangen wurden, habe sich sehr wenig damit beschäftigt.
EULEX hatte zwar Prozesse gegen UCK-Täter in Angriff genommen, war
jedoch angesichts der Einschüchterung von Zeugen und der Bedrohung von
klagenden albanischen Opferangehörigen nicht weit gekommen. Die EU müsse
sich stärker um die Sicherheit und den Schutz der Zeugen bemühen, sagt
Nataa Kandić. Außerdem wäre es wichtig, Richter und Ankläger
albanischer Nationalität zu beteiligen, um sie zu ermutigen und zu
befähigen.
Nach den Angaben des Fonds für humanitäres Recht wurden zwischen Januar
1998 und Dezember 2000 mehr als 13 000 Menschen getötet, davon mehr als
10 000 Albaner und mindestens 2200 Serben. Das Schicksal weiterer fast
2000 Menschen ist unbekannt. Am Haager ICTY wurde ein bedeutender Teil
der jugoslawischen Armeeführung zu langjährigen Gefängnisstrafen
verurteilt. Von sieben angeklagten Kosovo-Albanern wurde dagegen nur
einer verurteilt, sechs - darunter der zeitweilige Kosovo-Premier Ramush
Haradinaj - wurden freigesprochen.
[Quelle: https://www.neues-deutschland.de/artikel/929080.eu-versagen-in-kosovo.html]