27 Quadratmeter Deutschland - Ein Besuch im Übergangsheim
27 Quadratmeter Deutschland - Ein Besuch im Übergangsheim
24.11.2012 | 09:08 Uhr
Zuhause auf Zeit: Familie Redjepov aus Mazedonien in der Flüchtlingsunterkunft an der Worringstraße.Foto: Herbert Höltgen
Essen.
Ihr Zuhause im Übergangsheim in Essen-Burgaltendorf ist
klein und karg, doch für Familie Redjepov bedeutet es Glück. In
Mazedonien lebten sie in Armut und waren als Christen auch innerhalb der
Roma-Gemeinschaft isoliert. Viele Sinti und Roma kommen nach
Deutschland, um hier den Winter zu überstehen.
Muso Redjepov weiß, wie trügerisch Hoffnungen sein können. Der
36-Jährige ist nicht zum ersten Mal in Deutschland, als Junge war er
schon einmal da, mit seinem Vater. Er hat die Schule besucht, Deutsch
gelernt, Freunde gefunden: Als ich klein war, war ich in Deutschland
und mein Leben war groß. Nach fünf Jahren war sein Glück vorbei, die
Familie musste zurück ins heimische Mazedonien
.
Erst hat er geweint, dann hat er sich abgefunden. Fast zwei
Jahrzehnte lang. In Mazedonien konnte er keine Schule besuchen, keine
Pläne machen. Muso Redjepov arbeitete als Tagelöhner, half mal dort auf
dem Bau, mal da bei der Ernte, sammelte Flaschen, sortierte Müll. Das
Geld reichte nie, nicht für eine vernünftige Wohnung, nicht für den
regelmäßigen Schulbesuch seiner drei Kinder Menan (19), Meljani (16) und
Emanuel (8).
Der Kleine sammelte Flaschen
Wenn
man die Familie fragt, was sie im mazedonischen Gradsko zurückgelassen
haben, ist das nicht viel. Eine elende Wohnung, in der der Strom und das
Wasser meist abgestellt waren. Das Wasser holten wir bei den
Nachbarn, sagt Musos Frau Emine (34). Sie haben das hingenommen, haben
die Kinder in den Unterricht geschickt, wenn sie das Schulgeld hatten.
Dann wurden sie oft ausgeschimpft: ,Du weißt nichts. oder sie wurden
nach Hause geschickt, weil ihre Kleider schmutzig waren. Bald verließen
die Großen die Schule, der Sohn lernte Elektriker, die Tochter
Kosmetikerin. Wenn wir Brot brauchten, musste auch der Kleine arbeiten,
Flaschen sammeln, in den Müll.
Video
Berlin, 25.10.12: Die neue Gedenkstätte, die an die Verfolgung und
Ermordung der Sinti und Roma während der Nazizeit erinnert, ist am
Mittwoch im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel und
Bundespräsident Joachim Gauck eingeweiht worden.
Es war ein hartes Leben, doch sie ertrugen es, ertrugen auch die
Beschimpfungen: Zigeuner, ******-Zigeuner. Nur geriet die Familie dann
auch innerhalb der Roma-Gemeinschaft ins Abseits: Die Eltern begannen
in der Bibel zu lesen, ließen sich evangelisch taufen. In Gradsko sind
alle Roma Muslime, wir haben keine Arbeit mehr bei ihnen bekommen,
mussten heimlich zur Kirche gehen, die Kinder wurden bedroht, der große
Sohn traute sich nicht aus dem Haus, sagt Redjepov. Als es unerträglich
wurde, fuhren sie nach Deutschland.
Die Kinder haben nun keine Angst mehr
Nun
sitzen sie im Übergangsheim an der Worringstraße in Burgaltendorf: Eine
Wohnküche, ein Schlafzimmer, eine Nasszelle, 27 Quadratmeter für fünf
Personen. Jeden Sonntag geht die Familie zur Kirche, ansonsten füllen
Behördengänge ihre Tage. Am Montag beginnt die Schule für die Tochter,
der kleine Emanuel geht bereits zur Schule. Geht gern, auch wenn der Weg
weit ist, weil die Unterkunft im Nirgendwo liegt. Er ist glücklich,
lernt Mathematik und Deutsch, und die Lehrer schlagen nicht. Sie sind
nett und haben ihm einen Stift geschenkt.
Niemand beschimpft sie,
die Kinder haben nun keine Angst mehr. Nur Muso Redjepov hat Angst,
weil er weiß, wie endlich Glück sein kann: Ich schlafe schlecht, weil
ich denke, sie holen uns ab.
Foto: Herbert Höltgen
Dirk Berger ist Sozialarbeiter und seit bald 20 Jahren
Flüchtlingshelfer beim Diakoniewerk. Dort ist noch eine
Flüchtlingshelferin beschäftigt, eine weitere gibt es bei der Caritas;
zu dritt besetzen sie zwei Stellen. Zuständig sind sie für 715
Flüchtlinge, die derzeit in den zehn Übergangsheimen der Stadt wohnen.
Und für 2300 Menschen, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen
und in Privatwohnungen leben. Weil die Zahl der Flüchtlinge steigt,
sollen zwei neue Unterkünfte
geöffnet werden, sollen die Flüchtlingshelfer Verstärkung bekommen.
Es kommen vermehrt Roma
und Sinti aus Serbien und Mazedonien, seit es keine Visumspflicht mehr für sie gibt
. Dass sie kaum Chancen haben, als Asylbewerber
anerkannt zu werden, wüssten sie. Viele sind ja nicht zum ersten Mal
hier. Doch die Lebensumstände in ihrer Heimat sind halt katastrophal.
Dort habe sich wohl auch herumgesprochen, dass statt 220 seit diesem
Jahr 340 Euro an Sozialleistungen gezahlt werden. Die Gerüchte von
Schleppern hält Berger freilich für Unfug: Die zahlen 100 Euro für ein
Ticket und setzen sich in den Bus. In Skopje solle es Plakate geben:
Fahr zum Überwintern nach Deutschland.
Es ist ein Überwintern
in kargen Unterkünften, oft ist das Bad auf dem Flur. Doch die
Flüchtlinge richten sich ein, ihre Kinder müssen dürfen! zur Schule
gehen, der Unterhalt ist gesichert. Die Leute können in der Heimat
nicht arbeiten und hier nicht arbeiten. Nur: Hier sind sie
krankenversichert.
Mancher sammle nebenbei Altmetall, was die
deutschen Nachbarn ebenso störe wie der Lärm. Dafür hat Dirk Berger
Verständnis. Was mich jedoch stört, ist die Erwartung vieler Bürger,
dass da eine Horde Schwerverbrecher einreist. Er habe mit den
Flüchtlingen aus aller Welt, auch mit den Sinti und Roma, nur positive
Erfahrungen gemacht: Es ist schon mal laut geworden, aber ich bin noch
nie bedroht oder beklaut worden.
Die Chancen auf Anerkennung als Asylbewerber sind gering
Die
Forderung ist so plakativ wie populär, doch Flüchtlingshelfer Dirk
Berger vom Diakoniewerk kann sie nicht verstehen. Der Bund muss die
Asylverfahren beschleunigen, hat Sozialdezernent Peter Renzel dieser
Tage erklärt. Das gelte insbesondere für die Sinti und Roma, die derzeit
den Großteil der Bewohner in den Übergangsheimen der Stadt stellen und
praktisch keine Aussicht haben, einen dauerhaften Aufenthaltstitel zu
bekommen.
Gerade deswegen werden diese Verfahren in der Regel
sehr schnell abgeschlossen, sagt Berger. Er wundere sich, wie da noch
mehr Tempo gemacht werden solle. Bei den Sinti und Roma aus Serbien und
Mazedonien ist das in ein paar Wochen erledigt; und dann bekommen sie
gegen einen ablehnenden Bescheid nur eine Widerspruchsfrist von einer
Woche; weil ihr Anliegen hier zu bleiben, als ,offensichtlich
unbegründet gilt.
Wenn ihr Antrag auf Asyl abgelehnt wird,
machen einige der Flüchtlinge Abschiebehindernisse geltend. Das können
humanitäre oder gesundheitliche Gründe sein wie schwere Krankheiten oder
eine Schwangerschaft. Daher können tatsächlich einige Familien in Essen
überwintern. Außerdem gab es in einigen Jahren einen sogenannten
Wintererlass des Landes, der etwa Roma aus dem Kosovo während der
Frostperiode vor der Abschiebung in ihre Heimat bewahrte.
In
anderen Fällen vollzieht die Ausländerbehörde durchaus Abschiebungen.
Frühmorgens werden die Leute in den Unterkünften abgeholt und zum
Flughafen gebracht, sagt Berger. Danach würden sie mit einem
Einreiseverbot von fünf Jahren belegt und müssten die Kosten für die
Flüge tragen, sobald sie Einkünfte haben. Deswegen riskiert fast
niemand eine Abschiebung.
Stadt braucht neue Unterkünfte
Zehn Übergangsheime mit 700 Plätzen gibt es in Essen. Schon jetzt leben hier 715 Flüchtlinge, 2011 waren es im Schnitt 550.
In den 1990er Jahren lag
die Zahl der Flüchtlinge viel höher. Da waren hier nicht 700, sondern
5000 Menschen, so Flüchtlingshelfer Dirk Berger (Diakoniewerk). Als die
Zahl der Flüchtlinge abnahm, wurden einige Unterkünfte geschlossen.
Zwei neue Unterkünfte will
die Stadt nun öffnen, um den wiedder steigenden Flüchtlingszahlen
gerecht zu werden. Zudem soll Aufm Bögel in Haarzopf eine dritte
Einheit mit 40-50 Plätzen entstehen. Keine Unterkunft liegt so abgelegen
wie die Norwegerhäuser an der Worringstraße in Burgaltendorf, zwischen
Ruhr und Gewerbegebiet.
https://www.derwesten.de/staedte/essen/27-quadratmeter-deutschland-ein-besuch-im-uebergangsheim-id7318102.html
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~Joyce Meyer~