Varuendhele
Varuendheles Mutter war schon immer eine stolze, eigensinnige Frau. Als Jägerin streifte sie durch die Wälder, erkundete immer neue Gegenden und verabscheute Städte, selbst kleine Dörfer waren ihr zuwider. Sie zog es vor, alleine, nur in Begleitung ihrer treuen Katze Smarg, wochen- manchmal auch monatelang durch die Wälder zu ziehen. Eines Tages entdeckte sie auf einem ihrer Streifzüge eine wunderschöne Lichtung. Sie beschloss, die Nacht dort zu verbringen. Als sie in Gedanken versunken an einen Stein gelehnt dasass, nahmen ihre geschulten Sinne auf einmal wahr, wie sich Schritte näherten. Obwohl sie keine Gefahr spürte, zog sie sich in das dichte Gebüsch am Rande der Lichtung zurück. Sie beobachtete, wie eine kleine Gruppe von Druiden zwischen den Bäumen auftauchte und sich auf der Lichtung aufstellte. Neugierig blieb sie zwischen den Sträuchern sitzen und beobachtete das nicht für ihre Augen bestimmte Ritual, welches die Druiden im sanften Licht des Mondes vollzogen.
Es dauerte lange, so lange und sie war so schrecklich müde, doch konnte sie ihren Blick nicht vom Geschehen auf der Lichtung lösen. Als die Druiden ihr Ritual beendeten und weiterzogen, schlief sie an derselben Stelle ein, an der sie das nächtliche Geschehen beobachtet hatte. Am nächsten Morgen wurde sie von Smarg geweckt, der ihr aufgeregt über das Gesicht leckte. So etwas machte er äusserst selten. Verschlafen öffnete sie die Augen und blickte in das fremde Gesicht eines Elfen. Etwas verlegen erklärte ihr der Elf, dass er zu den Druiden gehörte, die letzte Nacht auf der Lichtung waren und dass er sie als einziger bemerkt hätte. Weshalb er, in der Hoffnung, sie noch einmal zu sehen, an diesen Ort zurückgekehrt war, wusste er nicht zu sagen.
Dies war die erste Begegnung zwischen Varuendheles Mutter und Vater. Nachdem sie wenige Tage gemeinsam in den Wäldern verbrachten, zog ihre Mutter weiter. Erst viel später sollte der Druide erfahren, dass aus diesen wenigen gemeinsamen Tagen eine Tochter hervorging.
Varuendhele wuchs bei ihrer Mutter in den Wäldern auf. Sie war ein temperamentvolles, eigensinniges Kind. Als sie von ihrer Mutter zu einem Lehrer geschickt wurde, um in der Kunst der Jagd ausgebildet zu werden, stürzte sie sich begierig auf diese neue Erfahrung. Es war das erste mal, dass sie für eine längere Zeit in einem Dorf lebte. Doch bald zog es sie zurück in die Wälder, zu ihrer Mutter und sie besuchte ihre Lehrer nur noch in regelmässigen Abständen, um ihre weiteren Lektionen zu erhalten.
Als sie alt genug dazu war, begann sie grössere Streifzüge ohne ihre Mutter zu unternehmen. Dabei lernte sie auch das Leben in Städten und Dörfern kennen. Dort hörte sie von den Sorgen und Nöten, unter welchen die Bewohnern litten und sie beschloss, ihnen zu helfen, so gut es nur ging. Als sie eines Tages in Duskwood, weit weg von ihrer Heimat, durch die Wälder zog, sah sie die Wölfin zum ersten mal. Es war kein sonderlich schönes Tier, mit seinem struppigen Fell und den grossen, gefährlich aussehenden Zähnen. Doch irgend etwas an ihr faszinierte Varuendhele. Sie beschloss, für einige Zeit in diesen Wäldern zu bleiben und die Wölfin zu beobachten. Langsam versuchte sie, ihr Vertrauen zu gewinnen, indem sie ihr täglich etwas von ihrem Fleisch an eine geschützte Stelle zwischen den Felsen legte. Sie sprach im Geist zu ihr, erzählte ihr von sich und ihren Abenteuern. Das Misstrauen der Wölfin legte sich erstaunlich schnell, doch Varuendhele war nicht bereit, zu versuchen, das Tier zu zähmen. Es sollte aus freien Stücken zu ihr kommen. Und das tat sie, völlig unerwartet.
Als Varuendhele einmal mehr gegen die Worgs kämpfte, die sich immer näher an das Dorf Darkshire heranwagten, stand sie auf einmal neben ihr. Sie rannte einem schwer verwundeten Worg hinterher, der zu flüchten versuchte, tötete ihn mit einem einzigen, gezielten Biss und war sofort wieder an Varuendheles Seite. Und da blieb sie.
Runja, wie sie die Wölfin nannte, lernte schnell und wurde zu einem unverzichtbaren Begleiter. Nur sehr selten trifft man Varuendhele alleine an. Sie befindet sich nun kurz vor dem Ende ihrer Ausbildung und hat noch so viele Pläne und Ziele, die es zu erreichen gilt. Aber oft lässt sie dies alles ausser acht und kehr zurück in die Wälder, dort, wo sie aufgewachsen ist und sich bis heute Zuhause fühlt.