Ultras - Selbstbestimmte Fankultur
Selbstbestimmte Fankultur
Antirassistische, aktive Fußballfreunde oder pöbelnde Horden rechter Machos Was sind eigentlich »Ultras«?
Gewalttätige Auseinandersetzungen, das Abbrennen von Pyrotechnik bei Fußballspielen, aber auch die von vielen geschätzte »herrliche Stimmung« im Stadion das ist es, womit jene Fußballfans, die man als »Ultras« bezeichnet, meistens in Verbindung gebracht werden. Die Fankultur der Ultras übt in Deutschland seit gut 15 Jahren einen stetig wachsenden Einfluß auf die lokalen Fanszenen aus. Sie hat damit die »Hooligans« zwar weitestgehend verdrängt. Trotzdem gelten Ultras wie diese in der öffentlichen Meinung häufig als rechtsradikal. Das liegt nicht zuletzt an Berichten über Ultras aus Italien, die häufig mit rassistischen und/oder faschistischen Äußerungen und Aktionen auf sich aufmerksam machen.
Jedoch lohnt es, sich dem Phänomen Ultra intensiver zu widmen, denn dahinter steckt ein sehr interessantes Fanmodell, das gerade auch in bezug auf die Frage nach dem Umgang mit Politik und mit Rassismus ein sehr differenziertes Bild abgibt. Zwar existieren in Deutschland einige wenige Beispiele rechter oder nach rechts offener Ultra-Gruppierungen, viel häufiger engagieren sich Ultras allerdings gegen Rassismus und Neonazismus.
Streben nach Autonomie
Die Ultra-Kultur entstand Ende der 1960er Jahren in Italien. Die damaligen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse dort insbesondere die Arbeiter- und Studentenproteste gegen Ende des Jahrzehnts prägten dabei auch die Ultras: Die ersten Gruppierungen bestanden aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die an den Protestaktionen beteiligt waren. Oftmals waren die Gründungsmitglieder zugleich auch in politischen Gruppen wie der »lotta continua« oder »autonomia operaia« organisiert oder hatten zumindest gemeinsame politische Erfahrungen. Dieser Ursprung läßt sich noch heute erkennen: Die Spruchbänder ähneln den Transparenten, die Gesänge basieren teilweise auf den Melodien politischer Lieder, und Megaphone, Trommeln und Fahnen gelangten auch von der Straße in die Stadien. Ähnliches gilt auch für die Art der Organisation. Ultra-Gruppierungen sollte man sich nicht wie eine lose Gruppe oder Clique vorstellen, die sich lediglich zum Spiel am Wochenende sieht. Da ihr erklärtes Ziel ein möglichst kreativer und abwechslungsreicher Support (Unterstützung der eigenen Mannschaft) sowohl akustisch als auch optisch, zum Beispiel in Form von Choreographien ist, müssen sie zur Vorbereitung des Spieltages viel Zeit in der Gruppe verbringen auch unter der Woche. Ultra-Gruppierungen haben dadurch einen ähnlichen organisatorischen Aufbau wie politische Gruppen oder andere Vereine. Es entwickeln sich Hierarchien und eine klare Aufgabenteilung, andererseits werden wegweisende Entscheidungen in den meisten Gruppen nach wie vor basisdemokratisch getroffen.
Vor allem das Streben nach Selbstbestimmung ist ein Vermächtnis aus der Anfangszeit der Ultras. Der italienische Soziologe Valerio Marchi schrieb darüber, daß es das Ziel der damaligen politischen Proteste war, »befreite Territorien« zu schaffen, in denen die Verhaltensregeln von der Gruppe selbst festgelegt werden. Ein fast unmöglich zu realisierendes Unterfangen, daß jedoch bei Rockkonzerten oder in den Kurven der Stadien greifbar schien. Anstatt also das ganze Land zu »befreien«, beschränkte man sich auf das eher zu realisierende Unternehmen, kleine Gebiete eben die Kurven zu solchen selbstbestimmten Zonen zu erklären.
Dieses Streben nach Freiheit und Autonomie ist bis heute fester Bestandteil der Ultra-Kultur erst recht, aber nicht nur in Italien. Das gleiche gilt für die kritische Haltung gegenüber Autoritäten. Generell läßt sich sagen, daß die Ultras sich nicht mehr wie die vorangegangenen Fankulturen in Deutschland jeder Entwicklung in ihrem Sport passiv hingeben, sondern durch ihren Anspruch auf freie Entfaltung ihrer Kreativität und auf Autonomie dazu angetrieben werden, aktiv ihre Interessen zu artikulieren. Sie sind dazu dank ihrer deutlich besseren Organisation auch viel eher in der Lage als frühere Fanzusammenschlüsse.
Aber was unterscheidet darüber hinaus Ultras von den übrigen Fans? Dazu muß einschränkend gesagt werden, daß es fast unmöglich ist, eine Definition von »Ultra« zu finden, die der Gesamtheit der Szene gerecht wird. Dafür sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen zu groß. Erst recht natürlich im internationalen Vergleich (mittlerweile bezeichnen sich Fußballfans in ganz Europa, aber auch auf anderen Kontinenten so), aber auch schon die deutsche Szene stellt sich als extrem heterogen dar.
Kreative Unterstützung
Dennoch lassen sich ein paar Merkmale nennen, die als kleinster gemeinsamer Nenner verstanden werden können, die also eine große Mehrheit von ihnen teilen. Neben den angesprochenen Merkmalen bei Organisation und Ausdrucksformen gehören dazu:
Erstens. Das Verhältnis zu ihrem Verein: Sie lieben zwar ihren Verein, meinen damit aber nicht zwangsläufig die Spieler und schon gar nicht das Management der Kapitalgesellschaft, in die die Profimannschaft ihres Vereins in aller Regel ausgegliedert worden ist. Mannschaft und Manager sind in heutigen Zeiten und das haben die Ultras verstanden beliebig austauschbar. Die Ultras fühlen sich statt dessen dem Verein als solchen verbunden. Dazu zählen seine Geschichte, seine Traditionen und seine Fankultur. Wenn also eine Vereinsführung einen Bruch mit den Traditionen wagt, z.B. das Wappen oder die Vereinsfarben ändert, werden sich die Ultras gegen das eigene Management wenden. Aber auch durch die Regelverstöße von Ultras einerseits und die Reaktionen des Vereins in Form von Strafmaßnahmen andererseits hat sich ein distanziertes Verhältnis zwischen Ultras und Funktionären etabliert. Und selbst die Spieler müssen sich die Zuneigung der Ultras erst durch Leistung oder Treue zum Verein bzw. die Suche des direkten Kontakts zu den Fans verdienen.
Zweitens. Fokussierung auf eine kreative und geschlossene Unterstützung: Vorrangiges Ziel des Handelns der Ultras ist ein möglichst kreativer und abwechslungsreicher Support. Dabei greifen die Ultras nicht nur auf die typischen Ausdrucksmittel der italienischen Protestbewegung der 1960er und 70er zurück, sondern lassen sich mittlerweile dem Internet sei Dank von Bildern aus der ganzen Welt inspirieren. Typisch für die Ultras ist der Vorsänger (ital. auch »capo«), der die Gesänge der Kurve koordiniert. Dies soll ein möglichst geschlossenen Support der ganzen Fankurve fördern.
Drittens. Regeln und Kodizes: Die relativ hohen Mitgliederzahlen der Gruppen sie reichen von mehreren Dutzend bis hin zu über 100 erfordern auch die Aufstellung und Einhaltung bestimmter Regeln, z.B. in bezug auf das Verhalten bei Auswärtsspielen. Das wichtigste Gebot ist aber das des Engagements: Nur wer regelmäßig Heim- und Auswärtsspiele besucht und sich an Gruppenaktivitäten beteiligt, ist dauerhaft Bestandteil der Gruppe. Andere ungeschriebene Regeln, die als eine Art »Kodex der Ultras« bezeichnet werden könnten und die von den meisten Gruppen geteilt werden, sind teils Eigenheiten, teils aber auch übernommene Traditionen der vergangenen Fankulturen: Dazu gehören u.a. die Pflege von Rivalitäten und gegebenenfalls auch Freundschaften zu anderen Fanvereinigungen, die zentrale Bedeutung des »Gruppenbanners« oder aber die Ablehnung der Zusammenarbeit mit der Polizei.
Gegen Kommerz und Repression
Zwei Trends der letzten 20 Jahre führen dazu, daß die Ultras sich in ihrer Freiheit und Entfaltung eingeengt fühlen: Zum einen die sich beschleunigende Kommerzialisierung des Fußballs und zum anderen die verschärfte staatliche Kontrolle im Rahmen von Fußballspielen, die nicht selten mit unverhältnismäßigem Polizeihandeln einhergeht. Die Ultras fügen sich nicht einfach diesen Entwicklungen, sondern formulieren ihren Protest. Auch auf anderen Gebieten zeigen sie häufig soziales und politisches Engagement: Sie organisieren Spendensammlungen und Benefiz-Veranstaltungen für soziale Zwecke, sie beteiligen sich an Demonstrationen, sie engagieren sich in- und außerhalb des Stadions gegen Rassismus und leider noch sehr selten gegen Sexismus und Homophobie.
Die ersten Fangruppen in Deutschland, die auf die für Ultras typischen Ausdrucksformen zurückgriffen, gründeten sich vor etwa 20 Jahren. Anfangs waren es nur einige wenige bei ausgewählten Vereinen, gegen Ende der 1990er Jahre erfaßte das Phänomen dann fast jede Kurve. Heute finden sich bei nahezu jedem Profiverein und bei etlichen Vereinen der unteren Ligen eine oder mehrere Ultra-Vereinigungen, die vielerorts das Bild der Fanszene dominieren. Anfangs war die Zielsetzung bei den Neugründungen die Verbesserung der Stimmung in den Stadien; die Hintergründe also die Organisation oder auch die Kodizes der Ultras aus Italien interessierten die erste Generation noch weniger. Das galt auch für die Haltung zur Politik: Während sie bei der italienischen Szene fast zu jeder Zeit eine zentrale Rolle spielte, distanzierten sich ihre deutschen Pendants explizit von politischer Symbolik im Stadion. Und das war bis in die 1990er Jahre keineswegs selbstverständlich.
Gerade die damals dominierenden »Hooligans« hatten nicht selten Verbindungen in die rechte Szene die Symbole des Nationalsozialismus und rassistische Beschimpfungen waren seinerzeit in vielen Stadien gang und gäbe. Zu dieser Zeit dominierten also rechts eingestellte Fanzusammenschlüsse. Jeder, der offen eine andere Meinung kundtat, riskierte, von den dominierenden Gruppen aus der Kurve gedrängt zu werden. Rechte Verhaltensweisen unterlagen folglich im Stadion durch die weitgehende Zurückhaltung der Polizei und der Vereine weder gesetzlicher noch irgendeiner anderen Kontrolle. Vielerorts kann man für die 1980er und 90er Jahre durchaus von einer Art rechter Hegemonie in den Fanszenen sprechen. Andersdenkende blieben dem Stadion entweder fern oder verbargen aus Angst ihre gegenteilige Gesinnung, was die Problematik nur verschärfte. Seit Beginn der 1990er Jahre versuchten Politik und DFB mit Kampagnen, angepaßten Musterstadionordnungen, Stadionverboten, aber auch mit sozialpädagogischer Jugendarbeit (in Form der Fanprojekte), dagegen vorzugehen. Aber erst durch das neue Fanmodell der Ultras entstand eine Dynamik, die dazu beitrug, daß ein antirassistischer Diskurs etabliert werden konnte.
Durch sie kam es zu einer Verschiebung des Fokus: Ziel der Ultras war eben, die Stimmung in den Stadien zu verbessern und dabei möglichst die ganze Fankurve zu einen. Politische Konflikte innerhalb der Gruppe oder der Fanszene standen diesem Ziel entgegen. Die Ultras meinten also, Politik dürfe im Stadion keine Rolle mehr spielen, und die einzelnen Mitglieder müßten ihre politische Gesinnung am Eingang zum Stadion »vergessen«. Diese »unpolitische« Haltung stellte sich teils als problematisch dar, da sie die Arbeit antirassistischer Faninitiativen erschwerte. »Unpolitisch« zu sein bedeutete nämlich nicht immer, auch (alltags-)rassistische Beschimpfungen zu unterbinden. Umgekehrt wurde den antirassistischen Faninitiativen vorgeworfen, sie würden mit ihrem Antirassismus linke Politik ins Stadion bringen. Bereits damals wiesen diese Initiativen und linke Ultra-Gruppen darauf hin, daß die Ablehnung von Rassismus und Neonazismus eine Selbstverständlichkeit ist. So problematisch dieser Aspekt der »unpolitischen« Haltung auch ist, muß aus heutiger Sicht festgestellt werden, daß dieser Umgang mit Politik einen Beitrag dazu leistete, daß Rassismus heute in den Stadien weit seltener offen sichtbar ist, als das noch vor 15 bis 20 Jahren der Fall war. Dies geschah durch eine Veränderung der Zusammensetzung des Publikums, denn die »politikablehnende« Haltung der Ultras fungierte als eine Art Brückenkopf für die Etablierung einer nicht-rechten Fankultur. Der oben beschriebene Negativkreislauf konnte durchbrochen werden, indem sich den schnell wachsenden Ultra-Gruppen nun auch Jugendliche anschlossen, die links und antirassistisch engagiert waren und die zuvor noch von den rechts dominierten Fanszenen abgeschreckt worden waren. Die Ultra-Gruppen entwickelten sich fortan zu den die Fanszene dominierenden Akteuren in den Kurven, und so gelang es vielerorts zunächst, offenen Neonazismus zu unterbinden. Der Rückgang (alltags-)rassistischer Äußerungen erfolgte im weiteren Verlauf einer teilweisen Politisierung der Ultra-Szene.
Links? Rechts? Unpolitisch?
Diese setzte zu Beginn der 2000er Jahre ein. Insbesondere im Vorlauf der Fußball Weltmeisterschaft von 2006 erweckten die zahlreichen Veränderungen in den Stadien immer mehr Aufmerksamkeit in der Szene: in bezug auf neue Sicherheitskonzepte, aber auch hinsichtlich der Kommerzialisierung, die nun drohte, die Freiräume der Fans weiter einzuschränken. Denn auch die Profivereine wollten von der Hysterie um die »WM im eigenen Land« profitieren und versuchten, den Stadionbesuch zu einem für breite Kundenschichten interessanten Spektakel umzugestalten. Die Ultras kritisieren diese Entwicklung als Eventisierung des Fußballs, die es ihnen unmöglich macht, ihren kreativen Support frei auszuleben.
Die Ultras begannen also, sich für »Fanpolitik« zu interessieren, distanzierten sich aber nach wie vor davon, »politisch« zu sein. De facto verhielten sie sich aber politisch, indem sie öffentlichen Protest übten. Dieser Widerspruch wurde schon frühzeitig von linken Ultras aufgezeigt. Sie mahnten zudem an, daß die Auseinandersetzung mit Problemen wie unverhältnismäßiger staatlicher Repression und Kommerzialisierung nicht nur auf den Fußball beschränkt bleiben kann. Diese Haltung hat sich mittlerweile in großen Teilen der Ultraszene durchgesetzt. Die Ultras bezeichnen sich heute zum größten Teil als politisch, ohne sich jedoch auf eine bestimmte Ideologie, Partei oder auch nur politische Richtung festzulegen. Sie verstehen sich als politisch im unmittelbaren Sinne: Sie streiten für ihre Interessen. In jüngster Zeit erweckten etwa Ultras aus Dortmund Aufmerksamkeit mit ihrem Protest gegen zu hohe Ticketpreise für Stehplätze insbesondere bei sogenannten Topspielen wie beispielsweise dem Derby zwischen ihrer Borussia und Schalke 04. Ihre Initiative »Kein Zwanni für nen Steher!« wird mittlerweile auch von anderen Ultra-Szenen unterstützt. Zwar sind die Gruppen durchaus untereinander vernetzt, wie die Organisation gemeinsamer Demonstrationen, wie zuletzt am 9. Oktober in Berlin, zeigten; vor allem engagieren sich die Ultragruppen jedoch vor Ort. Teils mittels Verhandlungen mit den Verantwortlichen, häufig aber auch in Form von Protest, der stets mit Aufklärungs- und Mobilisierungsarbeit in der Fanszene einhergeht. Dies geschieht beispielsweise in Form von Diskussionsveranstaltungen oder über mediale Kommunikation wie Weblogs oder Fanzines (selbstproduzierte Publikationen). Anlaß für Aktionen bieten konkrete Anliegen, die sehr unterschiedlich sein können: In Köln stehen die Ultras in Gesprächen mit dem Verein, um zu erreichen, daß Werbebanden abgebaut werden, damit sie dort ihre Zaunfahnen aufhängen können; kaum ein Spieltag vergeht, an dem nicht bei mindestens einem Spiel häufig zeitgleich von den Ultras beider Kontrahenten Spruchbänder entrollt werden, die fan- und familienfreundlichere Anstoßzeiten fordern; die Ultras verschiedener Mannschaften aus Bayern fordern angesichts immer wiederkehrender gewaltsamer Übergriffe der »Unterstützungskommandos« der bayerischen Polizei gegen Fußballfans oder Demonstranten die Abschaffung dieser Einheiten; Ultra-Szenen werben für die jüngste Kampagne von Amnesty International, in der auf die geringe Aufklärungs- und Verurteilungsquote bei Vergehen im Amt durch Polizisten aufmerksam gemacht wird. Es wird dabei deutlich, daß die Grenzen zwischen fanpolitischem und allgemeinpolitischem Engagement zusehends verschwimmen und oft in direktem Bezug zueinander stehen. Viele Ultras sehen die Notwendigkeit der Vernetzung mit anderen gesellschaftlichen Protestbewegungen und schauen deshalb sehr wohl auch über den Tellerrand hinaus. Dies sieht man, wenn sie im Stadion für die Teilnahme an Demonstrationen (z.B. gegen die Vorratsdatenspeicherung bzw. »Freiheit-statt-Angst«) mobilisieren oder wenn sie sich im Stadion oder in Fanzines beispielsweise zum Polizeieinsatz im Rahmen der Proteste gegen »Stuttgart 21« äußern. Gerade die linken und antirassistischen Szenen zeigen eine besonders große Bereitschaft, sich allgemeinpolitisch und gesellschaftlich zu engagieren. Dazu gehören die Organisation von Workshops zu politischen Themen, die Betreuung von Flüchtlingen, Geldsammlungen und Benefizaktionen für diskriminierte oder marginalisierte Bevölkerungsgruppen, Ausrichtung antirassistischer und interkultureller Fußballturniere und Festivals. Aber auch explizit unpolitische Gruppen initiieren mittlerweile immer öfter Spendenaktionen für soziale Zwecke.
Die Mehrheit der Ultra-Gruppen beziehen heute häufig Positionen, die man als linksliberal bezeichnen könnte. In bezug auf die kritische Haltung zur Kommerzialisierung hat sich zudem bei vielen Ultras eine konsum-, manchmal gar kapitalismuskritische Haltung etabliert.
Tatsächlich sprechen einige Beobachter in jüngerer Zeit schon von einem Linksruck. Fakt ist, daß sich mittlerweile gut zwei Dutzend Ultra-Gruppen offen und auf vielfältige Weise im und außerhalb des Stadions gegen Rassismus und Rechtsradikalismus engagieren. Etliche weitere dulden zumindest innerhalb ihrer Gruppe keine rassistischen Äußerungen und versuchen, so weit es geht, auch innerhalb ihrer Fanszene in dieser Richtung zu wirken.
Jedoch sollte das auch nicht überbewertet werden: Dieser emanzipatorische Anspruch, den einige Gruppen vertreten, steht im Widerspruch zu anderen ultra-typischen Verhaltensweisen. Denn auch für politisch linke Ultras stehen häufig der Fußball, die eigene Gruppe und damit auch Rivalitäten zu anderen Ultras, im Vordergrund. Diesen Dingen wird mehr Bedeutung beigemessen als dem politischen Engagement, es fällt ihnen folglich teilweise schwer, ihre Rivalitäten im Kontext politischer Aktionen hintanzustellen.
Und schließlich gibt es auch Gegenbeispiele von Ultra-Gruppen, die sich zwar ebenfalls als unpolitisch verstehen, die aber wohl de facto nach rechts offen sind. In diesen Gruppen existieren teilweise personelle Überschneidungen zur rechten Szene bzw. sie zeigen eine offensichtlich mangelnde Sensibilität im Umgang mit Rassismus und Rechtsradikalismus. Insbesondere besteht die Gefahr, daß bei einer weiteren Radikalisierung der Ultras gegenüber Staat und Gesellschaft, die durch den repressiven und isolierenden Umgang mit dieser Jugendkultur gefördert wird, auch Gruppen wie die »Autonomen Nationalisten« Schnittmengen zu den Feindbildern der Ultras verstärkt erkennen und nutzen. Bisher handelt es sich bei nach rechts offenen Ultra-Gruppen jedoch um Einzelfälle, die sich meist an Standorten finden, wo die lokale Jugendkultur ohnehin stärker rechts geprägt ist. Die große Mehrheit dürfte hingegen politisch sehr heterogen zusammengesetzt sein, weshalb sie auf eine öffentliche politische Positionierung gemäß einem Rechts-Links-Schema meist verzichten.
Richtung nicht vorbestimmt
Eine einfache politische Zuordnung »Ultras sind links« ist also ebenso unzulässig wie das weit verbreitete (Vor-)Urteil »Ultras sind rechts«. Bei den Ultras handelt es sich um eine Fankultur, die zwar eindeutig politische Elemente birgt, deren politische Richtung aber nicht vorbestimmt ist.
So finden sich in der Ultrakultur Elemente, die eine gewisse Nähe zu progressiven, egalitären und solidarischen Ideen vermuten lassen. Dazu gehören das Streben nach Autonomie; die basisdemokratischen Elemente in der Entscheidungsfindung; die kritische Haltung zur Konsumkultur; die Offenheit gegenüber jedem, der sich für die Gruppe und den eigenen Verein engagieren will; der solidarische Umgang innerhalb der Gruppe; die Bereitschaft für soziales Engagement abseits des Fußballs.
Andererseits finden sich auch andere typische Merkmale, die Anschlußpunkte an autoritäre, hierarchische und konservative Ideologien bieten. Beispiele dafür sind das Festhalten an Traditionen; der hierarchisch organisierte Support; der Lokalpatriotismus, der teils chauvinistische Züge annimmt; die Rivalitäten und die damit verbundene generelle Abwertung des Gegners; die Affinität zur Gewalt; die Affinität zu einem gewissen Militarismus im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen mit anderen Ultras; die Betonung vermeintlich typisch männlicher Ideale, wie Macht, Ehre, Dominanz und Stärke.
Jede Gruppe betont aber diese verschiedenen Elemente in jeweils unterschiedlichem Maße. Das Fanmodell Ultra an sich selbst gibt keine eindeutige politische Richtung vor.
Jonas Gabler
junge Welt, 03.12.2010, Seite 10
Zuletzt erschien von Jonas Gabler: Die Ultras. Fußballfans und Fußballkulturen in Deutschland, Papyrossa, Köln 2010, 222 Seiten, 14,90 Euro.