Ein Tag im Wellness-Urlaub
Endlich war es soweit. Eine ganze Woche Wellness-Urlaub im Vier-Sterne-Hotel! Haus sauber, Wäsche gewaschen und alles gebügelt, noch ein 50-kg-Sack Hundefutter als Reserve besorgt und eine strahlende Caro zurückgelassen, die nun eine Woche lang sturmfreie Bude hat man denke mal, was man da mit dem ganzen riesigen Freundeskreis an Partys und Festchen veranstalten kann! Welche Wonne!
Wir kommen am Hotel an; auf dem Parkplatz davor steht eine dicke Limousine neben der anderen Mercedes, BMW, noch mal Mercedes, Audi, Jaguar, BMW, BMW. Diskret parkieren wir meinen kleinen praktischen Opel schön am Rand und begeben uns zur Reception. Au weia, ist das ein vornehmes Haus! Eingecheckt und Zimmerschlüssel erhalten. Das Zimmer erweist sich dann als Appartement mit 2 Schlafzimmern, riesigem Wohnzimmer, Kochnische und grossem Bad. Ob man uns doppelt gesehen hatte? Na egal, genug Platz ist immer was schönes! Reisetaschen ausgepackt, Caro kurz mitgeteilt, dass wir nun weit vom Schuss sind, und nun? Abendessen ist erst um 20 Uhr, also bleibt noch etwas Zeit. Mist, es giesst in Strömen, da ist wohl nichts mit Umgebung erkunden. Warum hat keiner dran gedacht, Gummistiefel mitzunehmen? Obs schon die ersten Anzeichen von Altersdemenz sind? Egal, die Natur in dem Luftkurort mag warten, die Sessel sind bequem, dazu ein spannendes Buch, und die Zeit vergeht im Nu! Hoppla, jetzt wird es aber höchste Zeit, in den Speisesaal zu gehen. Dort angekommen, schauen wir uns erst mal betroffen an und einigermassen beschämt an unseren Pullis und Jeans herunter. Wo sind wir nur gelandet? Ausser uns sind alle Leutchen so um die 70 Jahre alt, aber aufgedonnert und mit Schmuck beladen, als ginge es zu einer Opernpremiere. Eieiei
Na, wir bekommen trotzdem was zu essen, gehen für den Espresso noch kurz in die Bar und dann ins Zimmer, nein, ins Appartement zurück, um gründlich auszuschlafen, um am nächsten Tag richtig fit für Whirlpool, Sauna, Dampfbad, Massage zu sein.
Nächster Tag. Es hört überhaupt nicht auf zu regnen. Ups, schon 9 Uhr vorbei, los frühstücken! Frühstücksbuffet gut und reichlich. Los, beeil dich, du kannst die Zeitung im Zimmer oder sonst wo auswendig lernen, ich will endlich wellnessen!
So zur Einstimmung ist wohl ein wenig Whirlpool angebracht; ich suche ihn, finde ihn nicht und erfahre dann, dass ich nicht etwa blind bin, sondern man in diesen heiligen Hallen über dergleichen nicht verfügt. Aha, na, dann muss es eben das Schwimmbecken tun. Ach je, wie soll man da nur schwimmen? Da watscheln die alten Leutchen durchs Wasser, machen mit den Ärmchen ein paar Vorwärtsbewegungen und achten darauf, nur ja kein Wasser ins Gesicht zu kriegen. Egal, warum soll ich nicht Slalom schwimmen? Geht doch sicher. Also rein und los! Mensch, bin ich versehentlich in einer Badewanne gelandet? Das Wasser ist ja scheusslich warm! Also nix wie raus und in die Nacktzone wenns schon warm sein soll, dann aber grad richtig! Zuerst mal Sauna. Ich komme rein, suche mir einen Platz, erfahre von meiner Nachbarin rechts, dass sie 2 Enkelkinder hat, und von der unter mir, dass die heutige Jugend nur laut, schlecht und auch nicht mehr das ist, was sie zu ihrer Zeit mal war. Komisch, ich komme und komme nicht zum Schwitzen; vielleicht sollte ich mal etwas Wasser auf die Steine nachgiessen. Gedacht, getan, schon beginnt ein lautes Gezeter von allen Seiten, ich dürfe nicht überhitzen, man müsse auf den Kreislauf achten. Ja, Entschuldigung, daran hatte ich wirklich nicht gedacht. Ich setze mich also zurück und warte auf triefenden Schweiss. Die Enkelkinder sind immer noch süss, die Jugend von heute immer noch verwahrlost, nichts ist mehr so, wie es mal war. Genug, auch wenn ich nicht wirklich schwitze, ich muss mich abkühlen; und wo geht das besser als im eiskalten Tauchbecken? Das existiert aber genauso wenig wie ein Whirlpool, und ich muss mit der kalten Dusche vorliebnehmen. In die Sauna mag ich nicht zurück, also mal das Dampfbad ausprobieren. Komisch, der Raum, da sind an den Wänden Schalenstühle aus Kunststoff montiert, aber wo bleibt der Dampf? Ich frage meinen Gegenüber, der mir erklärt, dass das alles wundervoll geregelt ist: Alle 15 Minuten dampft es ganze 3 Minuten, manchmal sogar 4! Whow! Während ich auf den Dampf warte, überlege ich mir, ob ich nicht zum Abkühlen raus in den Regen gehen sollte, verwerfe diese brillante Idee aber wieder, da ich als Nackedei ja wohl ein öffentliches Ärgernis darstellen würde. Einige Schwaden wie Nebel wehen durch den Raum, werden dichter und verschwinden wieder. Das ist also Dampfbad. Unter die Dusche und weiter! Rechts geht es zum Ruheraum, links zum Terpitarium. Was ist denn das? Kenne ich nicht, also rein und ausprobieren. Da stehen 2 Bänke, in der Mitte sind einige Wasserarmaturen, und vor den Bänken stehen 4 Eimer. Soll man sich da das Wasser über den Körper schütten? Nein, das Terpitarium ist ein simples Fussbad! Ah non! Na, dann eben massieren lassen! Hm, wo ist denn der Massagebereich? Ich kann ihn nicht finden, ziehe mich an und marschiere hoch zur Reception, wo ich erfahre, dass man zum Massieren in den 2. Stock hoch muss. Ok, voller Vorfreude auf eine kräftige Rückenmassage gehe ich hoch und lasse mir von einer überaus hübschen und freundlichen Dame einen freien Raum zuweisen. Bevor die Masseuse drinnen noch viel sagen kann, bin ich schon auf die Liege gehüpft hmmm, wieder mal daneben benommen. Um mich herum werden duftende Kerzen aufgestellt und angezündet es ist aber noch nicht Weihnachten? Dann ertönen seltsame Laute, ich darf erfahren, dass es sich dabei um tibetanische Klangschalen handelt. Aha. Die Masseuse erklärt mir, für mein Doshba sei es am besten, am ersten Tag Zitronenöl zu verwenden und bittet mich, den Duft völlig in mich aufzunehmen. Was ist bitte mein Doshba? Es ist meine individuelle Bioenergie. Ja, und was darf ich darunter bitte verstehen? Eben meine persönliche Bioenergie, die anscheinend in meinem Inneren haust, ohne dass ich sie kenne. Interessant. Die Klangschalen nerven mich, doch sie werden nicht abgestellt: Ich benötige sie zu meinem Wohlbefinden, auch wenn ich das nicht weiss. Das individuelle Doshba-Zitronenöl landet auf meinem Rücken und wird dort verteilt. Erwartungsvoll warte ich auf einige kräftige Massagebewegungen, habe aber schon wieder Pech. Hier werden nämlich nicht therapeutische Massagen durchgeführt, sondern reine Wohlfühlmassagen. Dass mich jemand anders besser streicheln kann und ich mich bei einer richtigen harten Massage wohl fühle, bilde ich mir nur ein. Mein Doshba sagt etwas anderes. Nach ungefähr einer Stunde scheint mein Doshba zufrieden zu sein, die Klangschalen verstummen, die Kerzen verlöschen und ich darf mich wieder anziehen.
Und nun? Zurück in den Nassbereich mag ich nicht, für den Nassbereich draussen fehlen mir die Gummistiefel. Da bin ich doch am besten in einem Sessel mit einem spannenden Buch aufgehoben.
Jetzt habe ich auch mal Wellness so richtig erlebt.
urania
Nichts auf der Welt ist so gerecht verteilt wie der Verstand. Denn jedermann ist überzeugt, daß er genug davon habe.
(René Descartes)