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Eiskalte Batterie: Kühlhäuser sollen überschüssige Windenergie bunkern. WZ vom 02.04.2009

Eiskalte Batterie: Kühlhäuser sollen überschüssige Windenergie bunkern. WZ vom 02.04.2009

Aus der Reihe "Tolle Ideen und was wurde daraus?" präsentiert die Wilstersche Zeitung heute, wie große Tiefkühllager als Speicher für Strom aus Windkraftanlagen dienen können.


Eiskalte Batterie: Kühlhäuser sollen überschüssige Windenergie bunkern


Apeldoorn/sh:z

– Kartoffeln und Fleisch, Äpfel und Erdbeeren: In den Regalen
riesiger Kühlhallen lagern heute ausschließlich Lebensmittel. Doch wenn
es nach Sietze van der Sluis geht, könnte bald ein weiteres Produkt
hinzu kommen, das bei Verbrauchern kaum weniger gefragt ist:
Elektrische Energie.


Anfang 2007 machte der Forscher von der niederländischen
Organisation für angewandte Wissenschaft in Appeldorn mit der pfiffigen
Idee Schlagzeilen, in Kühlhäusern künftig Strom zu bunkern. Zum
Beispiel jenen, den die großen Windparks an der holländischen Küste bei
einer steifen Meeresbrise erzeugen. „Wenn man mit überschüssigem Strom
Kälte erzeugt und diese Kälte eine Zeit lang speichert, könnte man die
störenden Spannungsspitzen von Windkraftwerken glätten“, erklärt der
Klimatechnikexperte.


Windräder liefern Strom, ohne das Klima zu belasten – nur leider
ziemlich unregelmäßig. Für die Netzbetreiber ist die schwankende
Einspeisung von Windparks eine Herausforderung, weil sich Elektrizitäts-Angebot
und -Nachfrage oft nicht decken. Abhilfe schaffen könnten effiziente
Energiespeicher, die überschüssigen Strom eine Weile bunkern. Sietze
van der Sluis’ Vorschlag für solch ein Strom-Vorratslager
klingt bestechend simpel. Wenn Windräder Strom liefern, den gerade
keiner braucht, soll dieser die Kältemaschinen großer Kühlhäuser auf
Touren bringen: „Dadurch senken wir die Temperatur der Waren in der
Kühlhalle, zum Beispiel von minus 18 auf minus 24 Grad Celsius.“ Wird
der Strom während der nächsten Flaute wieder knapper, fahren die
Kältemaschinen automatisch herunter und laufen so lange auf Sparflamme,
bis die Temperatur der Gefrierwaren wieder ihren ursprünglichen Wert
erreicht hat. Das spart Strom, der anderswo verwendet werden kann.


Unterm Strich wird die gebunkerte Kälte also in Strom zurück
verwandelt. Das Attraktive daran: Bestehende Kühlhäuser zu
Energiespeichern umzufunktionieren, ist erstaunlich simpel. Ein paar
Temperaturfühler und ein cleveres Steuerungsprogramm genügen. „Sie
brauchen lediglich eine Software, die regelt, wann die Kältemaschinen
auf Hochtouren laufen und wann besser nicht. Das ist alles“, betont
Sietze van der Sluis. Der Computer überwacht, dass die Temperatur der
Kühlwaren immer im grünen Bereich bleibt. Den günstigsten Zeitpunkt für
das Aufladen und Entladen des Kältespeichers ermittelt er unter
Berücksichtigung von Windvorhersagen und aktuellen Preisen an der
Strombörse.


Im 2006 gestarteten EU-Forschungsprojekt
„Nightwind“ wollten die holländischen Forscher demonstrieren, dass das
Konzept praxistauglich ist und sich wirtschaftlich rechnet. Der
Testlauf sollte in einem der größten Kühlhäuser Hollands in Bergen op
Zoom an der Küste erfolgen: Einer 30 Meter hohen und 100 mal 100 Meter
großen Kältekammer, in deren Hochregalen gefrorene Kartoffelprodukte
lagern. „In einer Kühlhalle dieser Größe könnte man die Energie eines
Windparks mit einigen Megawatt Leistung zwischenlagern“, sagt Sietze
van der Sluis.


Eigentlich sollte der Praxistest in der Mega-Kühlhalle
bereits im Sommer 2008 starten. Doch technische Probleme verzögerten
den Probelauf bis heute. Um am Ende des 2008 ausgelaufenen EU-Projektes
trotzdem Ergebnisse vorweisen zu können, hat van der Sluis die ersten
Versuche in einem kleineren Kühlhaus in Appeldorn gemacht. Die zeigten:
Im Prinzip funktioniert das Ganze, aber der Teufel steckt wie immer im
Detail.


Problem Nummer eins: Die Temperatur der Kühlwaren präzise zu regeln,
ist deutlich kniffliger als gedacht. Je nachdem wie voll das Lager ist
und welche Produkte sich darin befinden, reagieren sie mal schneller,
mal langsamer auf die veränderte Leistung der Kältemaschinen.


Problem Nummer zwei: Nicht alle Kühlprodukte vertragen ständige
Temperaturschwankungen um einige Grad ohne Qualitätsverlust. Bei
gefrorenen Lebensmitteln wie Pommes-Frites gebe
es in der Regel keine Probleme, bilanziert van der Sluis. Aber:
„Kühlprodukte wie Erdbeeren, Äpfel und Birnen reagieren viel
empfindlicher.“


Ein Befund, der den Einsatz von Kältekammern als Stromspeicher
begrenzen dürfte. Schließlich müssen Kühlhausbetreiber in erster Linie
sicherstellen, dass ihre Waren in tadellosem Zustand bleiben.
Zusätzliche Einkünfte als Stromlieferanten wären für sie nur ein Bonus.
4300 Megawatt beträgt die gesamte Kälteleistung aller Kühlhäuser in
Europa. Welcher Anteil davon sich tatsächlich als Stromspeicher nutzen
ließe, lässt sich derzeit noch nicht genau beziffern. Gelänge es bei
einem beträchtlichen Teil, könnten die coolen Batterien einen Großteil
der lästigen Windkraft-Spannungsspitzen
abfedern, hat Sietze van der Sluis berechnet. Den verschobenen
Großversuch in Bergen op Zoom will er in den nächsten Wochen nachholen.


Ralf Krauter


[] Internet: www.dradio.de