Kraftakt Offshore: Ein Windpark entsteht. WZ vom 11.08.2015
Aus der Vogelperspektive wirken die gelben Sockel, die in Reih und
Glied aus den Wellen ragen, wie die Felder auf einem Spielbrett. Etwa
die Hälfte von ihnen sind mit Spielfiguren besetzt: Windräder, die mit
ihren langen, schlanken Türmen etwas wackelig wirken. Dennoch halten sie
Sturm und Wellen stand, die rings herum toben. 35 Kilometer nördlich
von Helgoland und 55 Kilometer vom Festland entfernt, entsteht der
Windpark Amrumbank West, wie ihn die Betreiber-Firma Eon getauft hat. Mit 80 Offshore-Windrädern soll er knapp 300 Megawatt elektrischen Strom erzeugen; das ist genug, um rund 300 000 Haushalte zu versorgen.
Was von oben aus dem Flugzeug so spielerisch aussieht, ist in
Wirklichkeit eine Baustelle der Superlative: Allein der sichtbare Teil
der Fundamente ist mit 20 Metern so hoch wie ein Riesenrad, weitere 20
Meter befinden sich unter Wasser und schließlich sind die Pfeiler noch
einmal 40 Meter tief in den Meeresboden hineingerammt. Die Türme der
Windräder sind 90 Meter hoch.
Insgesamt 100 000 Tonnen Stahl werden verbaut, also 1250 Tonnen pro
Windrad. Solche Massen zu bewegen, ist auf dem Land schon eine
Herausforderung, auf den Nordseewellen umso mehr. Da der Park schon im
Herbst dieses Jahres eröffnet werden soll, gehen die Arbeiten jetzt in
den Endspurt. Doch aus der Luft ist in dem Baufeld kein einziger
Arbeiter, nicht mal ein Schiff oder ein Helikopter zu sehen. Weil sich
die Wellen heute bis zu vier Meter hoch türmen, sei das Arbeiten
unmöglich, erklärt Dominik Schwegmann, Leiter des Projekts Amrumbank
West. Das Wetter macht uns die meisten Schwierigkeiten. Wind und
Wellen sorgen immer wieder für Verzögerungen. Das haben wir am Anfang
unterschätzt. Manchmal ist das Baufeld tagelang für Menschen nicht
erreichbar.
Schwegmann selbst bekommt sein liebstes Projekt, wie er es nennt,
nur selten zu sehen. Von seinem Hamburger Büro aus zieht er wie in einem
großen Strategiespiel die Fäden im Hintergrund und sorgt dafür, dass
die 250 Firmen, die am Bau beteiligt sind, Hand in Hand arbeiten. Seit
sechs Jahren ist er mit den Planungen beschäftigt. Dass mittlerweile
alle 80 Fundamente an ihrem Platz stehen, 56 Windräder installiert sind
und 13 bereits laufen und Strom produzieren, stimmt ihn zufrieden: Das
fühlt sich schon sehr gut an.
Eine große Herausforderung neben dem Wetter war der Naturschutz: Wenn
die Fundamente mit 2000 bis 3000 Schlägen eines überdimensionalen
Hammers in den Boden gerammt werden, entstehen Lautstärken von bis zu
250 Dezibel. Zum Vergleich: Aus einer seitlichen Entfernung von 300
Metern bringt es ein Airbus 320 beim Start auf etwa 85 Dezibel.
Für Naturschützer ist das ein wesentlicher Kritikpunkt an den
Anlagen, die vermeintlich grünen Strom erzeugen sollen, aber schon beim
Bau die Tierwelt verschrecken. Eine große Gefahr sehen sie insbesondere
für die Schweinswale: Man weiß aus Untersuchungen, dass durch
intensiven Schall das Gehör dieser Tiere beeinträchtigt wird, sagt Ingo
Ludwichowski vom Naturschutzbund Schleswig-Holstein.
Die Schweinswale nutzen ihr Gehör, um sich zu orientieren. Bei
permanenten Schäden sind sie nicht mehr in der Lage Nahrung aufzunehmen
und sterben im schlimmsten Fall.
Die Windparkbetreiber sind behördlich gebunden, Schallschutz
einzusetzen. Vor dem Rammen jedes Fundaments muss unter anderem ein
Schlauch auf dem Meeresboden versenkt werden. Er ist mit kleinen Löchern
versehen, aus denen Luft aufsteigt, ein sogenannter Blasenschleier. Er
sorgt dafür, dass sich der Schall unter Wasser nicht so schnell
ausbreitet, und in 750 Metern Entfernung nicht mehr als 160 Dezibel
erreicht werden, so der offizielle Grenzwert. Aus Sicht von
Naturschützern unerlässlich für Eon zusätzliche Kosten von über 30
Millionen Euro.
Trotz der Herausforderungen ist der Standort vor Helgoland beliebt:
Wesentliche Vorteile sind die geringen Wassertiefen von nur 20 bis 25
Metern und der Boden aus dichten Sanden, der einerseits relativ haltbar
ist und in den andererseits relativ leicht die Fundamente gerammt werden
können.
So kommt es, dass sich in unmittelbarer Nachbarschaft auch der US-amerikanische
Energieriese Blackstone und RWE mit Windparks niedergelassen haben.
Beide sind bereits im vergangenen Jahr ans Netz gegangen. Sie sind mit
der Grund dafür, dass Eon im Gegensatz zu anderen Investoren in der
Vergangenheit kaum Probleme mit dem Anschluss seines Windparks an das
Stromnetz hatte: Ein zehntausend Tonnen schweres Umspannwerk des
Netzbetreibers Tennet steht acht Kilometer südlich der Windparks bereits
an seinem Platz. Dort wird die in allen drei Parks erzeugte Energie
gebündelt und per Seekabel 85 Kilometer weit nach Büsum aufs Festland
geleitet.
Ganz entscheidend für Amrumbank West und seine Nachbarn ist, dass
mit Helgoland ein Stück Land in unmittelbarer Nähe liegt. Nur 35
Kilometer sind es bis zur Küste von Deutschlands einziger Hochseeinsel.
Während die Versorgungsschiffe zu anderen Windparks vom Festland aus
mindestens 50 Kilometer weit fahren müssen, bietet sich bei Amrumbank
West und seinen Nachbarn eine Versorgung von Helgoland geradezu an.
Die Hafengesellschaft der Insel empfing die Windpark-Betreiber
mit offenen Armen, verpachtete ihnen 10 000 Quadratmeter Grund für ihre
Versorgungsstationen und baut gerade noch in einem 32 Millionen Euro
schweren Projekt ihren Hafen aus. In Zukunft sollen dort die
Versorgungsschiffe anlegen, die die Windparks mit Ersatzteilen
beliefern, allein Eon wird 50 Mitarbeiter für die Wartung der Anlagen
beschäftigen. Ich bin froh, dass die Windpark-Betreiber
hier sind. Die Insel profitiert davon, sagt Peter Singer,
Geschäftsführer der Hafengesellschaft. In Zeiten rückläufiger
Touristenzahlen könnten die Beschäftigten der Energieunternehmen zur
Belebung von Gastronomie und Einzelhandel auf der Insel beitragen.
Anfängliche Befürchtungen vieler Einheimischer, dass die Windparks
dem Tourismus schaden könnten, haben sich inzwischen zerstreut:
Windparks und Tourismus stören sich nicht gegenseitig, sondern
befruchten sich, sagt Helgolands Tourismus-Direktor,
Klaus Furtmeier. Viele unserer Gäste interessieren sich für das Thema
Offshore und wollen die Windparks anschauen und live erleben.
Inzwischen werden Schiffstouren in die Windparks und Überflüge
angeboten. Im Rathaus ist eine Dauerausstellung zum Thema zu
besichtigen.
Sind die Offshore-Windparks am Ende also ein
Gewinn für alle Beteiligten? Naturschützer bleiben skeptisch. Auf lange
Sicht sind vor allem die Vögel betroffen, sagt der Meeresschutz-Experte
des Nabu, Kim Detloff. Zugvögel würden ungebremst gegen die Türme
fliegen und der Schall der drehenden Rotoren vertreibe die Seetaucher
aus den Windpark-Gebieten. Insbesondere bei
Amrumbank West und den benachbarten Parks vor Sylt und Helgoland sieht
Detloff große Gefahren: Wir wissen inzwischen, dass dort die
Hauptfortpflanzungsgebiete der Schweinswale und der Seetaucher liegen.
Natürlich sei er als Naturschützer für den Ausbau regenerativer
Energien, aber es komme auf den Standort an. Im Fall von Amrumbank
West steht für Detloff fest: Die Genehmigung hätte unserer
Einschätzung nach nie erteilt werden dürfen.
Weitere Bilder im Video auf shz.de
Offshore-Energie auf Wachstumskurs
Windräder
im Meer zu errichten ist zwar einerseits aufwändig und teuer,
andererseits effizient im Hinblick auf die erzeugte Energie: Da der Wind
abseits der Küsten sehr kontinuierlich mit hohen Geschwindigkeiten
weht, erzielen die Anlagen hohe Auslastungen. Der erste deutsche
Offshore-Windpark Alpha Ventus ging 2010 ans
Netz und steht nordwestlich der Insel Borkum. Bis Ende 2014 drehten sich
in Deutschland bereits 260 Offshore-Windräder
mit einer Leistung von 1050 Megawatt, 422 neue Anlagen gingen im ersten
Halbjahr 2015 ans Netz. Bis Ende dieses Jahres sollen rund 800 Anlagen
in Betrieb sein und 3300 Megawatt elektrischen Strom erzeugen. Das
entspricht der doppelten Leistung des Atomkraftwerks Brokdorf.
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