Noch mehr rostige Atomfässer in Brunsbüttel. WZ vom 21.08.2014
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Bei der Untersuchung der unterirdischen Lagerräume auf dem Gelände
des stillgelegten Kernkraftwerks Brunsbüttel haben Experten zehn weitere
beschädigte Atommüllfässer entdeckt. Die Behälter für schwach- und
mittelradioaktiven Abfall sind teilweise so stark angerostet, dass
Flüssigkeit ausgetreten ist. Auf einer Folie auf dem Kavernenboden sei
eine breiige Masse mit der radioaktiven Substanz Cäsium 137 festgestellt
worden. Gesundheitsgefahren für Mitarbeiter des Kraftwerks und für die
Bevölkerung bestünden nicht, versicherten die Kieler Atomaufsicht und
der Betreiber Vattenfall gestern. Die insgesamt sechs Kavernen seien
durch meterdicke Betonriegel abgeschirmt.
Energieminister Robert Habeck (Grüne) forderte Vattenfall auf, zügig
ein neues geeignetes Bergungskonzept vorzulegen, damit sich der Zustand
der Fässer nicht weiter verschlechtert. Frühere Pläne, die eingelagerten
Behälter in gusseiserne Container mit 16 Zentimeter dicken Stahlwänden
umzufüllen, reichten nicht mehr aus, weil sich einige Fässer wegen
verrosteter Deckel nicht mehr anheben ließen. Die Fässer müssen
schnellst möglich geborgen werden, damit sich ihr Zustand nicht noch
weiter verschlechtert, sagte Habeck. Mit der Bergung der Behälter soll
2015 begonnen werden.
Ein erstes angerostetes Fass war Anfang 2012 entdeckt worden. Die
Kieler Atomaufsicht ordnete daraufhin die Untersuchung aller sechs
Kellerräume an. In Kaverne IV waren zwischenzeitlich Beschädigungen an
18 von 70 eingelagerten Fässern festgestellt worden.
Die jetzt entdeckten Behälter liegen in der Kaverne II. Dort lagern teilweise seit den 80er-Jahren
insgesamt 118 Fässer, 40 davon sind bisher untersucht worden. Eine
systematische Kontrolle habe es bis zum Jahresbeginn nicht gegeben,
sagte Habeck. Das Konzept habe offenbar darin bestanden, auf die
Inbetriebnahme des Endlagers Konrad zu warten.
Das Lager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle bei Salzgitter
(Niedersachsen) sollte ursprünglich Ende der 90er Jahre fertiggestellt
sein. Es kam aber immer wieder zu Verzögerungen. Das
Bundesumweltministerium rechnet jetzt mit einer Inbetriebnahme zwischen
2021 und 2025.
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Geahnt hatten es die Kieler Atomaufseher schon länger. Bis zum Ende
der Inspektion der unterirdischen Depots für Atommüllfässer am
stillgelegten Kernkraftwerk Brunsbüttel, prophezeiten Experten von
Energieminister Robert Habeck, würden wohl noch mehr rostige
Überraschungen ans Licht kommen.
Das war im Januar dieses Jahres. Die systematische Untersuchung der
insgesamt sechs Kavernen am Atomkraftwerk war soeben angelaufen
angeordnet nach dem überraschenden Fund eines korrodierten Fasses für
schwach- und mittelradioaktiven Abfall im Januar 2012.
Kaum vier Wochen nach dem Start der Operation mit dafür eigens
entwickelten Kameras sollte sich die Ahnung der Atomaufseher bestätigen.
In einem der Betonkeller fanden die Inspekteure 18 Behälter mit
rostigem Befall. Und jetzt hat sich Zahl der Schrottfässer auf 29
erhöht. Dabei sind die Untersuchungen noch längst nicht abgeschlossen.
631 Fässer lagern auf dem Gelände des Kernkraftwerks versenkt
teilweise vor über 30 Jahren in insgesamt sechs Kavernen. Damals gehörte
das AKW Brunsbüttel noch den Hamburgischen Electricitätswerken (HEW).
Seit 2002 ist Vattenfall Betreiber. Kontrollen gab es, weil nicht
vorgesehen, praktisch nie. Auch nicht, als 2011 die bis dahin letzten
Fässer unter die Erde gebracht wurden. Die Abfälle wie Filterharze und
Verdampferkonzentrate, enthalten trotz Jahrzehnte langer Abklingzeit
noch Mengen von Cäsium 137 einem Abfallprodukt der Kernspaltung.
Und nass ist es in den Atomkellern: 75 Prozent Luftfeuchtigkeit
wiesen Experten nach ein Treibsatz für die Korrosion. Fazit der Habeck-Behörde:
Teile des Atommülls waren vor der Einlagerung nicht ausreichend
getrocknet worden. Zudem strahlt der Müll: Zwischen den eng neben- und
übereinander stehenden Fässern wurden Werte von bis zu 600 Millisievert
gemessen. Das ist zwar viel, gilt jedoch in der Atomaufsicht als nicht
ungewöhnlich.
Abgeschirmt sind die Kavernen zudem mit meterdicken Betonriegeln. Die
verringern die Strahlung so weit, das oberhalb der Kaverne gefahrlos
gearbeitet werden könne, versichern Vattenfall und Habeck.
Klar ist aber schon jetzt: Die bisher von Vattenfall entwickelten
Pläne zur Bergung der Behälter werden kaum mehr funktionieren. Manche
Fässer lassen sich nicht einmal mehr anheben, weil der Deckel defekt
ist. Habeck forderte Vattenfall deshalb auf, ein neues Konzept
vorzulegen, um die Behälter zu heben und umzuverpacken für die spätere
Endlagerung im Schacht Konrad. Die Anlage bei Salzgitter freilich wird
nach derzeitigen Prognosen nicht vor 2021/22 zur Verfügung stehen.
Energiepolitiker des Landtags reagierten erschrocken. Die Situation ist
mit gesundem Menschenverstand kaum noch zu begreifen, urteilte die
Piratin Angelika Beer. Die CDU forderte Atomaufsicht und Betreiber auf,
für Aufklärung zu sorgen. Die Sicherheit der Bevölkerung und der Umwelt
müsse gewährleistet bleiben, hieß es von der FDP. Olaf Schulze (SPD)
warf Vattenfall vor, nach dem Motto Aus den Augen, aus dem Sinn
gehandelt zu haben. Flemming Meyer (SSW) nannte die Atomleichen im
Keller des AKW das Vermächtnis einer größenwahnsinnigen
Energiepolitik.