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Atomgutachten bringt keine Klarheit. WZ vom 31.08.2010

Atomgutachten bringt keine Klarheit. WZ vom 31.08.2010



Streit um Atomenergie – Gutachten bringt keine Klarheit

Berlin

Kaum liegt das von der Regierung angekündigte Atomgutachten auf dem Tisch, ist es mit der schwarz-gelben Gemeinsamkeit vorbei: Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) empfiehlt lange AKW-Laufzeiten,
Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) winkt ab. Und Kanzlerin Angela
Merkel (CDU) lässt ausrichten, dass sie sich – entgegen anders lautender
Berichte – doch noch nicht festgelegt hat.


Bei der zentralen Frage, wie lange in Deutschland noch Atomstrom
produziert werden soll, gehen die Ansichten unverändert weit
auseinander. Phasenweise drängte sich bei der Pressekonferenz gestern
der Eindruck auf, Röttgen und Brüderle hätten unterschiedliche Studien
gelesen. Wo der Wirtschaftsminister bis 2030 mit Einsparungen beim
Strompreis von bis zu acht Milliarden Euro kalkuliert, sieht Röttgen
durch längere Nutzung von Atomstrom nur einen marginalen Kostenvorteil.
Einig sind sich beide nur darüber, dass auf die Regierung noch viel
Arbeit wartet.


Die Wissenschaftler selbst schränkten ihre über 250 Seiten starke
Analyse mit entwaffnender Offenheit ein: Die Wahrscheinlichkeit, dass
jedes der beschriebenen Ereignisse - vom Strompreis über die
Häuserdämmung bis zum Elektroauto so eintrete wie kalkuliert, lasse sich
über einen Zeitraum von 40 Jahren nicht belastbar einschätzen.
Erstaunlich auch, dass die von der Regierung beauftragten Experten der
drei Institute Prognos, EWI und GWS mit einem um fünf Prozentpunkte
geringeren Ökostromanteil bis 2020 rechnen als die Koalition selbst.


Aus der Untersuchung geht also kein klares Atom-Votum
hervor, und auch die Kanzlerin schaffte es, nach ihrer vermeintlich
klaren Aussage vom Wochenende („Fachlich ist zehn bis 15 Jahre
vernünftig“) neuen Raum für Spekulationen zu öffnen. Merkel ließ
erklären, sie habe nur die Analyse der vorliegenden Szenarien und
Empfehlungen der Gutachter wiedergegeben – politisch sei alles offen.


An diesem Punkt hält der Atomkraft-Skeptiker
Röttgen einen Trumpf in der Hand. Er will den Atomkonzernen
vorschreiben, dass alle Kernkraftwerke gegen Flugzeugabstürze und
Terrorangriffe besser geschützt werden müssen. Das würde ins Geld gehen.
Und: Die Gutachter haben errechnet, dass bei einer zwölfjährigen
Laufzeitverlängerung die 17 deutschen Meiler für insgesamt 20,3
Milliarden Euro nachgerüstet werden müssten. Bei älteren Reaktoren
könnten die Konzerne demnach gezwungen sein, die Stecker zu ziehen –
weil sich der Betrieb nicht mehr lohnen würde.


Schwarz-Gelb hat jetzt noch vier Wochen Zeit,
um eine juristisch wasserdichte Laufzeitverlängerung hinzubekommen, die
den Klagen von SPD, Grünen und Ländern vor dem Bundesverfassungsgericht
standhält.


Zuvor soll schon morgen die umstrittene Brennelementesteuer im Kabinett auf den Weg gebracht werden.


Tim Braune / Georg Ismar





Erneuerbare Energien legen zu
Anteile an der Stromerzeugung in Deutschland in Prozent

Jahr 1991: 3,2
Jahr 2000: 6,6
Jahr 2009: 15,6
Jahr 2020: 38,6  (Ziel der Bundesregierung)

Quelle: Bundesministerium für Umwelt