Schweizer Stromproduzenten mögen deutsche Kohle
Mehrere Schweizer Energieunternehmen haben Beteiligungen an
deutschen Kohlekraftwerken erworben, um die künftige Stromversorgung zu
sichern. Umweltschützer kritisieren diese Strategie wegen der hohen
CO2-Emissionen.
Das Tessiner Elektrizitätswerk Azienda
Elettrica Ticinese (AET) darf in ein deutsches Kohlekraftwerk
investieren. Einen entsprechenden Beschluss fasste dieser Tage das
Tessiner Kantonsparlament nach einer langen und intensiven Debatte.
Umweltschützer bekämpften die Vorlage vergeblich.
Sie erreichten
aber einen Teilerfolg: Statt angestrebter Investitionen von 56 Mio.
Euro in zwei Kraftwerken wird es nur 24 Mio. Euro für ein Kraftwerk in
Lünen im Ruhrgebiet geben. Für einen zweiten Block in Uerdingen zog man
die Bremse.
Somit werden Tessinerinnen und Tessiner ab 2012 aus
Kohle erzeugtem Strom aus Deutschland verbrauchen. Das Kraftwerk von
Lünen ist auf eine Jahresleistung von 750 MW ausgelegt. Die AET sichert
sich mit einem Anteil von knapp 16 Prozent am Aktienkapital 110 MW.
Nicht nur die AET
Die AET argumentiert, dass sie die Versorgung
mit Bandenergie (Grundlast) langfristig sichern muss. Heute wird ein
Teil dieser Energie von französischen Kernkraftwerken geliefert, doch
die dortigen Verträge laufen bald aus. Ihre Verlängerung ist fraglich.
Aus
dem gleichen Grund haben sich weitere Schweizer Kraftwerke
Beteiligungen an deutschen Kohlekraftwerken erworben. Die Regio Energie
Solothurn gehört ebenfalls zu den Miteigentümern in Lünen.
Andere
helvetische Produzenten setzen auf das neue Kohlekraftwerk von
Brunsbüttel in Norddeutschland. Die dortige, in Bau befindliche Anlage
mit einer Jahresleistung von 1800 MW (zwei Blöcke) sollte 2013 in
Betrieb gehen, ist aber höchst umstritten. Zahlreiche Einsprachen müssen
noch aus dem Weg geräumt werden.
An Brunsbüttel ist unter
anderen die "Groupe E" (mit den Kantonen Freiburg und Neuenburg als
Hauptaktionären) beteiligt sowie die Rätia Energie (Graubünden), Romande
Energie und die Ostschweizer SN Energie.
Diversifizierung
Auf Kohle setzt man auch in Bern. Die
Bernischen Kraftwerke BKW halten seit Dezember 2007 eine Beteiligung von
33% an einem Kohlekraftwerk, das in Wilhelmshaven an der deutschen
Nordseeküste erstellt wird. So sichern sie sich 240 MW der
Jahresleistung (700 MW).
"Mit Kohle können wir unsere
Energieträger sowie die geografische Herkunft des Stroms
diversifizieren", sagt BKW-Sprecher Antonio Sommavilla. Die neuen
Kohlekraftwerke seien wesentlich umweltfreundlicher als die bisherigen
Anlagen und wiesen auch einen höheren Wirkungsgrad auf.
Die
Diversifizierung wiederum wird als notwendig erachtet, weil die Schweiz
trotz entsprechender Pläne nicht in Kürze über ein neues
Atomkraftwerk verfügen wird. Auch Gaskraftwerke lassen sich nicht so
bald in Betrieb setzen.
Kohle als Klimakiller
Doch die Beteiligungen an den Kohlekraftwerken
sind Umweltschützern ein Dorn im Auge. Greenpeace und der WWF, aber auch
die Grünen, laufen Sturm dagegen. Die hohen Emissionen an CO2 seien
Klimakiller, lautet ihre Argumentation.
"Die hohen
CO2-Emissionen bleiben das Hauptproblem der Kohlekraftwerke, auch wenn
Deutschland über strenge Emissionsvorschriften verfügt", meint Bernard
Piller, Projektleiter Klima & Fossile bei der Schweizerischen
Energiestiftung in Zürich (SES). Zudem frage er sich, ob die
Kohlelieferungen wirklich langfristig gesichert seien.
Die
Stiftung empfiehlt ihrerseits, auf erneuerbare Energiequellen sowie
Energiesparprogramme zu setzen. Langfristig geht man davon aus, dass
elektrischer Strom auch in Photovoltaik-Kraftwerken in Südeuropa
hergestellt wird.
Leise Zweifel
Bei der BKW in Bern ist man hingegen überzeugt,
dass es im Moment keine Alternativen zur Kohle gibt. "Erneuerbare
Energiequellen wie Wind und Sonne reichen im Moment nicht aus, um
Bandlast zu liefern", erklärt Antonio Sommavilla. Er unterstreicht aber
gleichzeitig, dass sein Unternehmen langfristig CO2-Freiheit anstrebe.
Diesen
Schritt hat soeben das Energieunternehmen EBM im Kanton Basel-Land
gemacht. Es entschied, seine Beteiligung in Höhe von 20 Mio. Franken am
Kohlekraftwerk Brunsbüttel wieder veräussern zu wollen. "Die EBM kann
die bisherige Option Kohle mit Bandenergie aus Wasserkraft ersetzen" ,
teilte das Unternehmen im Februar mit.
Der Strom, den die EBM
ihren Kunden verkaufe, stamme somit aus nahezu 100% klimaneutraler,
CO2-freier Produktion. Trotzdem, warnt die EBM, liesse sich das Problem
von kommenden Stromlücken und Versorgungsengpässen nicht umfassend
lösen.
https://www.swissinfo.ch/ger/specials/klimawandel/aktualitaet/Schweizer_Stromproduzenten_moegen_deutsche_Kohle.html?cid=8560940