Werden Kohlekraftwerke unrentabel?
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Werden Kohlekraftwerke unrentabel?
Wolfgang Pomrehn 19.01.2011
Die Energie- und Klimawochenschau: Die Bundeskanzlerin mauschelt mal
wieder mit den Energiekonzernen und lässt Oettinger harmonisieren,
E.on-Chef will "ergebnisoffen" über eine der Förderung der Erneuerbaren
sprechen und in China boomen sowohl der Bau von Windanlagen als auch der
von Kohlekraftwerken
Am Mittwoch vergangener Woche hat Bundeskanzlerin Angela Merkel dem
Wahlvolk mal wieder demonstriert, was sie von der parlamentarischen
Demokratie hält. Ganz im Stile ihrer Vorgänger lud sie die Spitzen der
vier großen Energiekonzerne, des Bundesverbandes der Industrie sowie von
Siemens, Bosch und BASF zum Abendessen ein, um in intimer Runde
energiepolitische Richtungsentscheidungen für die nächsten Jahrzehnte zu
besprechen.
War da nicht irgendwas gewesen in den letzten Monaten? Ist im Südwesten
nicht eine ganze Region gegen diese Art von Politik aufgestanden, die
maßgeblich Entscheidungen über die Köpfe der Menschen hinweg trifft?
Hatte die Politik nicht in Berlin und im Wendland nach der von der
Mehrheit der Bevölkerung abgelehnten Verlängerung der AKW-Laufzeiten
zunächst in Berlin und dann im Wendland die größten Antiatom-Proteste
seit Jahrzehnten gesehen? Aber offensichtlich hält die Bundesregierung
die Wähler noch immer für reichlich: Gefragt, weshalb zu dem Treffen
keine Vertreter der Wind- oder Solarindustrie geladen wurden, antwortete
einem Bericht
der Nachrichtenagentur dpa zu Folge Regierungssprecher Steffen Seibert,
dass auch die großen Energieversorger stark im Bereich der erneuerbaren
Energien engagiert seien.
Über die Ergebnisse des Treffens wurde im Nachhinein zunächst wenig
verlautet. Angela Merkel ließ lediglich wissen, dass Befürchtungen
unbegründet seien, es könne kurzfristig tiefe Einschnitte bei der
Förderung erneuerbarer Energieträger geben. Das hatte allerdings auch
keiner befürchtet, abgesehen vielleicht von der Solarbranche. Alarmiert
sind die Windmüller und Solaranlagenhersteller vielmehr wegen der Pläne
des deutschen EU-Energiekommissars Günther Oettinger, die
EU-Energiepolitik zu "harmonisieren", das heißt, zu vereinheitlichen.
Herauskommen könnte eine Regelung, die die Zuwachsraten der "sauberen"
Stromlieferanten explizit begrenzt.
"Ergebnisoffen"
Dass die "Harmonisierung" ganz im Interesse der hiesigen Stromkonzerne wäre, ließ am Montag E.on-Chef Johannes Teyssen im Interview
mit dem Handelsblatt durchblicken. Er wünscht sich eine europäische
Energiepolitik "aus einem Guss" und möchte "zu gegebener Zeit" über das
EEG "ergebnisoffen sprechen".
Damit hat er vermutlich die Linie skizziert, auf die sich am Mittwoch
geeinigt wurde: Das EEG wird angesichts der vielen anstehenden Wahlen
zunächst frontal angegriffen, denn das wäre nur Wasser auf die Mühlen
der Opposition. Statt dessen wird Oettinger vorgeschickt, um auf der
EU-Ebene genehme Regelungen vorzubereiten, hinter denen man sich dann
wird verstecken können. Den Schwarzen Peter bekäme in der Öffentlichkeit
einmal mehr eine für den hiesigen Wähler nicht zu greifende anonyme
Brüsseler Bürokratie zugeschoben. Auch der Zeitplan ist übrigens längst
entworfen: In ihren Vorgaben für das bestellte Gefälligkeitsgutachten
(siehe Tricksereien mit den Laufzeiten und Alles Peanuts - Energieszenarien der Bundesregierung)
ging die Bundesregierung bereits im Sommer letzten Jahres davon aus,
dass es ab 2020 keine Förderung für Wind&Co. mehr geben wird.
Windenergie auf dem Vormarsch
Unterdessen hat China die USA in Sachen Windenergie überholt. Wie verschiedene Agenturen berichten,
wurden in der Volksrepublik 2010 Windräder mit einer potenziellen
Leistung von rund 16 Gigawatt (GW) aufgestellt. Ein Jahr zu vor waren es
13 GW gewesen. Damit hat China inzwischen nicht nur der weltweit
größten Markt für Windkraftanlagen, sondern ist auch knapp vor den USA
das Land mit der größten installierten Leistung. Ende 2010 waren es 41,8
GW gegenüber 40,2 GW in den USA. Zum Vergleich: In Deutschland, bis vor
kurzem noch Windland Nummer 1, dürften sich Ende Dezember 2010
Windkraftanlagen mit einer Leistung von 26 bis 27 GW gedreht haben.
Diese Kapazitäten aufzubauen, hatte über 20 Jahre gedauert.
In den USA geht es offensichtlich inzwischen im Windsektor deutlich
weniger rasant zu als in China. Für deutsche Verhältnisse sind die rund 5
GW an dort neu installierter Leistung zwar noch immer ziemlich viel,
für die USA bedeuten sie aber nach dem Boomjahr 2009 einen drastischen
Rückgang. Offenbar setzt sich das ewige Auf und Ab der Konjunktur für
Wind&Co. fort. Mit dem jüngsten Wahlerfolg der Republikaner, die
gegen alles zu Felde ziehen, was auch nur entfernt nach Klimaschutz
aussieht, sind die Aussichten zuletzt nicht gerade besser geworden.
General Electric, Amerikas größter Windkraftanlagenhersteller,
vermeldete laut New York Times jedenfalls für das dritte Quartal 2010 einen starken Rückgang der Verkäufe.
In China ist allerdings auch nicht unbedingt alles Gold, was glänzt.
Dort hat man mancherorts noch immer mit der Netzanbindung zu kämpfen.
Die Nachrichtenagentur Xinhua spricht
an anderer Stelle von 31 GW Wind-Leistung, die 2010 zur Verfügung
gestanden habe, wobei unklar bleibt, ob sich die Zahl wirklich auf die
neuesten Zahlen vom Jahresende beziehen. Vermutlich verbirgt sich hinter
der Diskrepanz die Tatsache, dass immer noch viele Anlagen lange warten
müssen, bis auch die Netzanbindung hergestellt ist. Andere können bei
weitem nicht immer die volle Leistung einspeisen, weil das örtliche Netz
unzulänglich ist.
Aber auch das wird sich ändern. Im neuen Fünfjahresplan der
Volksrepublik, der in den letzten Monaten diskutiert wurde und demnächst
vom jährlich tagenden Volkskongress verabschiedet werden wird, soll der
Energieversorgung eine hohe Prioritäte eingeräumt werden. Die Nationale
Energiebeörde hat angekündigt,
dass der Windenergie künftig erhöhte Unterstützung zu kommen solle.
Ende 2011 könnten bereits 55 GW an "Windleistung" installiert sein. Im
laufenden Jahr wird mit dem Bau diverser Großprojekte begonnen, darunter
ein Fünf-GW-Windpark in der Nähe von Jiuquan
in der zentralchinesischen Provinz Gansu, ein Zwei-GW-Projekt noch
weiter westlich in der autonomen Provinz Xinjiang, Großvorhaben in der
Inneren Mongolei sowie ein Ein-GW-Offshoreprojekt vor den Küsten Jiangsu
in der Nachbarschaft von Shanghai.
Neue Kohlekraftwerke
Das ist auch dringend nötig, denn das Land hat sich vorgenommen, die
Kohlenstoff-Intensität seiner Wirtschaft weiter zu reduzieren, und zwar
um 40 bis 45 Prozent pro Einheit der Wirtschaftsleistung gegenüber dem
Niveau von 2005 bis zum Jahre 2020. Mit anderen Worten: 2020 soll für
jeden Euro chinesischen Bruttosozialprodukts nur 55 noch bis 60 Prozent
der Menge an CO2 emittiert werden, wie
es 2005 der gewesen war. Eine erste Etappe, nämlich dir Reduktion um 20
Prozent wurde 2010 gerade noch auf den letzten Metern erfüllt. Nach
einem Bericht
von Xinhua wurden dafür noch einmal in einer Kampagne zahlreiche
Altanlagen wie kleine Kohlekraftwerke mit geringem Wirkungsgrad und
ineffeziente Stahlschmelzen stillgelegt.
Gleichzeitig werden jedoch auch jede Menge neue Kohlekraftwerke gebaut,
die jedoch immerhin deutlich effizienter sind. Insgesmat sollen bis 2015
Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 270 GW in Betrieb gehen. Das
dürfte 330 bis 340 großen Kraftwerksblöcken entsprechen. Offensichtlich
sind die neuen chinesischen Kohlekraftwerke so modern, dass ihr
durchschnittlicher Wirkungsgrad bereits über dem US-Niveau liegt und
sich auf die 40 Prozent zubewegt.
Die Frage ist allerdings, wie lange das gut gehen kann. China verfügt
nur etwa über 14 Prozent der Weltkohlereserven trägt aber mit 47 Prozent
zum weltweiten Verbrauch bei. Entsprechend gehen die Zeiten der
billigen Kohle langsam ihrem Ende entgegen. Nach einem Hintergrundbericht
der Nachrichtenagentur Reuters haben sich in China die
Produktionskosten in den letzten fünf Jahren auf 43 US-Dollar pro Tonne
verdoppelt. Das ist eine Folge der Erschöpfung der leicht zu
erreichenden Lagerstätten und der erhöhten Sicherheitsstandards. Lange
war China für seine zahlreichen tödlichen Grubenunglücke berüchtigt.
Erfreulicher Weise ist es in den letzten Jahren gelungen die Todesraten
zu halbieren, doch noch immer sterben in Chinas Kohlebergwerken Jahr für
Jahr mehrere tausend Kumpel.
Die Sicherheitsstandards müssen daher weiter erhöht werden, was den
Preis der Kohle nach oben treiben wird, genauso wie es die steigenden
Transportkosten tun, die aufgrund der weiten Entfernungen in dem
Riesenland bis zu 60 Prozent des Endpreises ausmachen können. Hinzu
kommt, dass die Suche nach neuen Flözen immer aufwändiger wird. Bis in
1.500 Meter Tiefe müsse inzwischen an einigen Stellen gegraben werden.
Derzeit werden in China etwa 3,2 Milliarden Tonnen Kohle im Jahr
gefördert. Die neuen Kraftwerke werden jährlich weitere 0,8 Milliarden
Tonnen benötigen. Um also die im Fünfjahresplan vorgesehen
Förderungshöchstmenge von 3,6 bis 3,8 Milliarden Tonnen nicht zu
überschreiten, müssten zahlreiche alte Kraftwerke stillgelegt und der
Verbrauch zu Heizzwecken reduziert werden.
Ob das gelingt, ist offen, aber klar scheint jetzt schon zu sein, dass
Importe für die chinesische Kohleversorgung eine zunehmende Rolle
spielen werden. Das wird mit Sicherheit den Weltmarktpreis für
Kraftwerks- und Kokskohle weiter in die Höhe treiben, was wiederum die
Wirtschaftlichkeit neuer Kohlekraftwerke in Deutschland in Frage stellen
wird. Den hierzulande geplanten Projekten liegt nämlich meist ein
relativ günstiger Kohlepreis zugrunde, wie er in den letzten Jahrzehnten
üblich gewesen ist, der aber nun durch den ökonomischen Aufstieg Chinas
obsolet wird.
Die zahlreichen Bürgerinitiativen, die hierzulande, wie auch in den USA, in den letzten drei Jahren bereits manch geplantes Kohlekraftwerk verhindern konnten - mit Krefeld
steht derzeit ein weiterer Standort auf der Kippe -, haben womöglich
die beteiligten Energiekonzerne und Stadtwerke vor milliardenschweren
Fehlinvestitionen bewahrt. Damit das in Zukunft nicht wieder vorkommen
kann, plant das Bundesinnenministerium die Einschränkung der Bürgerbeteiligung bei Großprojekten.
Schließlich haben ja Sauna-Züge, Berliner S-Bahn und Winterchaos bei
der deutschen Bahn gezeigt, dass Manager und Politiker immer noch am
besten wissen, was das Land wirklich braucht.