Südkurier Angehörigen Gruppe
Jeder nahm einen Tipp mit heim
S. Przewolka Diplom-Psychologin Ursula von Pethes leitete die Selbsthilfegruppe für Borderline-Angehörige. Dieser unbeschreibliche Hass in den Augen. Ungebremste Wutausbrüche, Schimpfkanonaden untersten Niveaus, ständige Drohungen sich selbst oder den eigenen Kindern etwas anzutun und dann alles plötzlich wie weggeblasen, als wenn jemand den Schalter umgelegt hätte - die Anzeichen der psychischen Störung "Borderline" ließen sich in allen erzählten Lebensgeschichten wieder erkennen. Für die übrigen Familienmitglieder bedeutet das "ein Leben wie auf einem Vulkan." In der Bücherei der St. Martinskirche in Konstanz herrschte drangvolle Enge beim ersten Treffen der Selbsthilfegruppe für Angehörige von Borderlinern. 25 Menschen erhofften sich bei dieser von "typisch frau" initiierten Zusammenkunft eine Hilfe für das bessere Zusammenleben mit Kindern oder einem Partner. Fazit: Es nahm jeder einen Tipp mit nach Hause. Einige erfuhren wohl erst durch die Artikel auf "typisch frau", dass es eine psychische Krankheit mit Namen "Borderline" gibt, die zu 100 Prozent das Fehlverhalten eines ihrer Familienmitglieder beschreibt.
Erst ganz am Ende outete sich eine Borderline-Patientin und bestärkte damit den Gedankenaustausch, um wieder mehr Frieden in manchen Familien zu ermöglichen. Die junge Frau kam im Beisein ihrer Mutter, die das frühere Zusammenleben mit ihrer Tochter so beschrieb: "Draußen ein Engel, zu Hause ein Satan." Nach ihrer kleinen Rede über den tiefen Fall und Aufstieg in ein neues Leben bekam die Borderlinerin einen herzlichen Applaus von den anderen. Denn sie bestärkte nur die Bilanz an diesem ersten Treffen. Explosive Gefühlsausbrüche, vor denen auf Dauer die ganze Familie dem lieben Frieden zuliebe kuscht, lassen sich nur durch klare Grenzen eindämmen.
Diplom-Psychologin Ursula von Pethes zog mit äußerstem Geschick an diesem Abend die Fäden. Sie verstand es, die Lebensgeschichten mit Fragen zu begleiten, um ein "Rezept" gegen die unberechenbaren Wutausbrüche zu finden. Um es kurz zu machen: Es gibt kein Patent gegen diese explosiven Gefühle. Da erzählte eine Pflegemutter, sie habe immer gedacht, kein Kind würde sie an einen Punkt bringen, wo sie verzweifeln würde. Aber dieses eine Mädchen habe es geschafft. Durch die Nachfragen der Psychologin kristallisierte sich das einzige Mittel gegen die Wutausbrüchen dieses Kindes heraus. Da erzählte die Pflegemutter: "Wenn ich mit der Faust auf den Tisch schlage und sage, ich bin der Boss hier!" Gerade Gefühlsmenschen hassen aber genau diesen "Feldwebel-Ton" in der Familie. Diese Harmoniebedürftigen sind die perfekten Partner für Borderliner - oder auch ganz normale "Kolleriker". Die Grenzen zu einer psychischen Störung sind nämlich fließend. Das erste Treffen der Selbsthilfegruppe für Angehörige beschäftigte sich denn auch mit den Seelenleben dieser Art von Mensch, die oft ohne es zu wollen, eine ganze Familie in den Abgrund stürzen können. Diese Wutausbrüche vertuschen nur eine große Angst von Einsamkeit und innerer Leere, tarnen ein äußerst schwaches Selbstwertgefühl mit einem vorgeschobenen großen Ich. Nur mit dieser "Sucht nach Kränkungen", in diesem Wirbelwind der Emotionen, spürt sich der Borderliner in seiner Gefühlsarmut überhaupt. Es ist aber auch ein Machtkampf. Und er lässt sich nur mit festen Positionen gewinnen, mit Loslassen oder mit Fallenlassen. Die Borderline-Patientin berichtete, dass erst in die tiefsten Ängsten ihres Ichs fallen musste, um endlich therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Erst da habe sie eingesehen: "Ich musste an mir selbst etwas ändern." Vorher waren immer alle anderen Schuld an ihrem Unglück.
Ihr Bekenntnis machte den Betroffenen Mut, im Familienleben die Grenzen enger zu stecken und nicht des lieben Friedens zuliebe klein beizugeben. Borderliner umgeben sich gerne mit Schwächeren, weil sie dann in ihrem eigenen Selbstwert steigen, aber leider allzu oft in Drogenmilieus landen. Typisch sind Drohungen, sich selbst umzubringen oder sich und andere zu verletzen. Wenn dieses Räderwerk aus Psychoterror innerhalb der Familie in Gang kommt, ist der Umgang damit oft schwierig. Nachgeben ist der falsche Weg, aber nicht nachgeben kann den Tod eines Menschen zur Folge haben. Besonders schwierig wird es bei einem Schwiegertochter/ -mutterverhältnis in einer Familie, wenn der Sohn alles mitmacht und im Jugendamt zu lasche Beamten sitzen. Die Geschichte einer Großmutter in der Runde, die um ihre Enkel bei einer Borderline-Mutter bangt, machte dies deutlich.
Diplom-Psychologin Ursula von Pethes machte dennoch Mut, innerhalb einer Familie diese ständigen Störungen nicht zu erlauben, weil sich sonst die Beschwerden noch verstärken. "Ihr Sohn muss mit seiner Frau untergehen", hatte ein Psychologe in die Zukunft geschaut. Hier gab das Treffen auch einen faszinierenden Einblick, warum so ein Mensch die ganze Familie beherrscht. Borderliner verstehen es grandios, ihre Partner regelrecht zu glorifizieren und ihnen das Gefühl von Exklusivität zu geben: Ich bin der einzige, der das erträgt und deshalb bin ich wichtig. Manchmal merken es die Eltern und der Partner auch nicht, wenn sie ihre Borderliner so völlig abhängig von sich machen. Ein selbstständiges Leben ist dann kaum möglich. Die Einsicht, dass immer einer mitmacht, nahmen alle an diesem Abend mit nach Hause.
Sabine Przewolka