Carine Naramudi ® Coaching Scriptorium Publico - Kurzgeschichten

Kurzkrimi für Erwachsene von CARINE NARAMUDI

Kurzkrimi für Erwachsene von CARINE NARAMUDI

 

Gefährliche Gefühle

Copyright bei Carine Naramudi alias Karin Fuest

Butterbrot und Thermoskanne, Abschiedskuss, 8 Stunden Büro, Rückfahrt im Feierabendstau, Begrüßungskuss, Abendbrot zusammen mit den Kindern, Fernsehen, sonntags Sex, weil die Kinder dann bei den Großeltern sind, Schlafen.

Eduard fühlt sich wie lebendig begraben. „Ich bin ein Zombie“, stellt er fest, „ich bin ein Untoter und das seit mehr als 10 Jahren“. Er piekst sich mit dem Kugelschreiber in den Unterarm, um festzustellen, ob er noch den Schmerz spüren kann. Nichts. Kein Schmerz. Nichts. Sein Kollege bearbeitet Telefonanträge. Dabei sabbert er auf seinen Zeigefinger, um die Papiere besser umblättern zu können. Mit der anderen Hand bricht er sich ein Stück von der Vollmilchschokolade ab. „So werde ich auch enden“, denkt Eduard voller Panik. Dann geht er zur Toilette, weil er den Anblick seines Kollegen nicht länger ertragen kann.

Auf der Fahrt nach Hause überlegt er angestrengt, was er in seinem Leben verändern könnte und sein Blick fällt an der Ampel auf eine Litfass-Säulen-Reklame. „Das ist es! Ich brauche mehr Sex! Die Frage ist nur – mit wem? Sex mit Joan ist so aufregend wie eine zerquetschte Banane im Altersheim als Höhepunkt einer Mahlzeit. Ich brauche…ein richtiges Weib…eine, die weiß, was sie will, wie sie es will, wann sie es will und sich holt, was sie braucht…“ Seine geistige Erregung überträgt sich auf seinen Körper. Im Schritttempo lässt er den Wagen in die Einfahrt rollen und parkt vor der Garage. „Drei, zwei, eins!“. Die Haustür öffnet sich und die Kinder laufen ihm entgegen. Planmäßig, wie immer.

Nach dem Abendbrot nimmt er sein ausgedehntes Montagsbad bis zur Tagesschau, heute allerdings nur zum Schein. Er hört, wie Joan und die Kinder im Wohnzimmer Monopoly spielen, während er pro forma das Badewasser einlässt. Dann geht er in sein Arbeitszimmer und loggt sich im Dating-Chat ein. Sein Nickname ist „stutenbaendiger“. Er klickt verschiedene Profile an. Dabei stellt er fest, dass „suesses_maeuschen“ und „zartes_braunes_rehlein“ zusammen 220 kg wiegen, die „nymphomanin“ eine Professionelle ist und „sanfter_engel“ ihn mit den Worten „Hau ab, du Wichser!“ auf Igno setzt, nur weil er sie fragt, ob sie Kerzen mag.

Eduard schleicht durch den Flur zum Bad und stellt das Wasser ab. Unten klingelt das Telefon und bald darauf hört er Joan mit ihrer Mutter telefonieren. „Das kann dauern“ und so wendet er sich wieder dem Chat zu. „superhasi“ hat ihn angeklickt und ein Gespräch entwickelt sich. Eine angehende Jura-Stundentin mit einer Vorliebe für reifere Herren, die sofort zur Sache kommt. Das gefällt ihm. Genüsslich fährt seine Zunge über seine Lippen. „Das Hotelzimmer wird verdunkelt sein und ich werde bereits im Bett liegen, wenn du das Zimmer betrittst“. „Ich werde alles tun, was du verlangst“. Sein Puls fängt an zu rasen und die Spitze seines Bleistifts bricht zweimal ab, als er Ort und Zeit notiert. Nervös kramt er nach einem anderen Stift. Dabei fällt sein Schlüssel herunter. Er hält den Atem an und lauscht. Nichts. Keine Reaktion von unten. Eduard geht auf Zehenspitzen zur Treppe. Von dort aus hört er, dass die alte Dame herzkrank ist, aber nicht zum Arzt gehen will. Hastig meldet er sich aus dem Chat ab und steigt in das mittlerweile kühle Badewasser. In Gedanken reizt er den Nervenkitzel voll aus und fühlt sich jung und voller Energie.

 

 

 

 

 

 

 



Re: Kurzkrimi für Erwachsene von CARINE NARAMUDI

 

„Ich hab’s getan. Ich habe es wirklich getan“, sagt Eduard nicht ohne Stolz und schüttelt dabei unmerklich den Kopf. Er schaut seinem Kollegen beim Stempeln von Antragsformularen zu. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so einfach sein würde, seine Frau nach mehr als 10 Ehejahren zu betrügen“. Sein Kollege ist wortkarg wie immer. Das ist Eduard aber heute recht. Er hat Wichtigeres zu tun, als sich über den neuesten Büroklatsch, Fußball oder das miese Fernsehprogramm zu unterhalten. Denn von nun an vereinbart Eduard jede Woche ein Date mit einer anderen Chatterin. Doch bereits nach der vierten Woche holt ihn die Langeweile ein. „Ich brauche etwas ganz anderes: Den ultimativen Kick!“. Während der monotonen Bürotätigkeit malt Eduard sich in Gedanken aus, wie es wäre, wenn seine Hände, anstatt die Frauen zu streicheln, ihren Hals umschlingen würden. Dieser Gedanke lässt ihn bis zum Feierabend nicht mehr los. Nach dem Abendessen zieht er sich wegen angeblicher Kopfschmerzen in sein Heimbüro zurück und macht sich auf die virtuelle Suche. „bluemchen“ ist geradezu ein perfektes Opfer. Keine Familie, keine Arbeitsstelle, niemand, der sie vermissen würde. Er verabredet sich mit ihr für die kommende Woche an einem abgelegenen Parkplatz. Jeden Tag malt er sich seine Tat in allen Einzelheiten aus und kann es kaum erwarten, bis endlich Mittwoch ist.

„bluemchen“ sieht aus wie eine vertrocknete Distel und redet wie ein Wasserfall. Ununterbrochen erzählt sie von ihrer Einsamkeit, ihren Geld- und Männerproblemen. Doch die Worte dringen nicht an sein Ohr. Eduard hat nur Augen für ihren Hals. Ein schöner, schlanker Frauenhals. Faltenlos. Ohne Schmuck. Seine Hände massieren ihre Schultern, während sie redet und redet. Plötzlich durchzuckt es ihn. „Halt endlich die Klappe!“. Seine Hände drücken von alleine zu. Sie erinnert ihn an die Spielzeugpuppe seiner Schwester, deren Kopf er nach hinten gedreht hatte. Er fühlt sich wie damals: stark, mächtig und überlegen. Eduard ist stolz auf sich. Wer kann schon über seinen eigenen Schatten springen und all diese bösen Dinge tun? Ein Blick auf seine Uhr veranlasst ihn rasch den Ort zu verlassen. Er kann unmöglich zu spät zum Abendessen nach Hause kommen. Seine Familie erwartet dieses Ritual. Es ist alles perfekt inszeniert. Joan hat das Essen fertig, die Kinder warten auf ihn. Begrüßung. Gemeinsames Abendessen. Eduard fährt schneller, um die Zeit aufzuholen. Er liebt sein Doppelleben. Das eine mit der weißen Weste, das andere so aufregend wie eine Achterbahnfahrt ohne Sicherheitsgurt oder Bungee-Jumping ohne Seil. Doch er muss wachsamer werden und darf keine Fehler machen. Bei „chantal“ hatte er beinahe sein Portemonnaie liegen lassen, aus dem er das kleine, blaue Briefchen mit dem Rattenvernichtungsmittel geholt hatte. Es wirkte innerhalb von Sekunden. Sie hatte Bauchkrämpfe und Schaum vorm Mund. Der Rest ging ziemlich schnell. Bei „wirbelsturm-im-bierglas“ hatte er improvisiert, sich also vorher keine Gedanken gemacht, wie er es erledigen wollte. Sie bestand darauf vorher noch zu baden. Das erhöhte den Reiz ungemein. Währenddessen suchte er das Badezimmer ab. Sie war schlampig und er fand den Fön nicht im Bad, sondern unter dem Bett. In seiner Wut über die Unordnung übersah er, dass die Schnur zu kurz war. Der Fön polterte vor der Badewanne zu Boden und sie schrie, als sie seine Absicht erkannte. Da wurde ihm die Musik bewusst, die aus dem Radio erklang, welches auf dem Badhocker stand.

 

 



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„Meine Güte, schon wieder!“, ruft seine Frau beim Frühstück. „Schon wieder was?“, fragt er brummig zurück, „Sprich doch bitte in ganzen Sätzen. Die Kinder werden es sich abschauen und niemand wird sie verstehen“. Eduard schüttelt den Kopf. Sie sieht kurz von der Zeitung auf und fährt mit monotoner Stimme fort: „Schon wieder eine Tote in unserer Stadt. Sie hatte beim Baden ein Radio gehört, das ihr ins Wasser gefallen ist“. „Schade, dass du keine Musik magst“. Sie hasst Witze dieser Art, steht auf und fängt an den Tisch in eisigem Schweigen abzuräumen. Er küsst sie vorschriftsmäßig auf die linke Wange und macht sich ariensingend auf den Weg ins Büro. Als er die Bürotür öffnet, isst sein Kollege gerade sein zweites Frühstück und Erdbeermarmelade tropft an seinem Doppelkinn entlang. Eduard verschwindet zur Toilette, weil er diesen Anblick keine Sekunde länger erträgt. Dann meldet er sich krank. „Eine Magen-Darm-Geschichte“, murmelt er mit Leidensmiene. Sein Kollege nimmt es achselzuckend zur Kenntnis. Im Auto wählt Eduard die Nummer einer Chat-Bekannten, aber sie nimmt nicht ab. Nervös trommelt sein rechter Zeigefinger auf dem Lenkrad herum. Sein Handy piept. Eine SMS: 9:45 Uhr, Parkhaus Deck V, 3. Reihe, 1. Parkplatz, Buzzi, Rommy. Plötzlich ist er hellwach. Wer kennt seine Handy-Nummer? Er hatte extra die Rufnummer-Unterdrückung eingeschaltet. Im Chat ist er anonym. Für einige Minuten weiß er nicht, was er tun soll. Doch er will Gewissheit, also fährt er los. Wie eine träge Masse Brei zieht sich der Verkehr durch die Innenstadt. Maximal 2. Gang, dann wieder Bremsen. Er ist zu nervös, um einen klaren Gedanken fassen zu können. Fast pünktlich schaltet er den Motor seines Wagens aus und sieht sich auf dem Parkdeck um. In dieser Höhe parken nicht viele Autos. Ein Kleinwagen, ein Transporter, ein Cabrio. Die Beifahrertür wird aufgerissen und eine attraktive Frau mittleren Alters lässt sich ungebeten auf seinem Beifahrersitz fallen. Sie kreuzt die Beine und lächelt ihn an.

„Auf Empfehlung von Susanne“, sagt sie betont langsam und schiebt ihren Rock weiter über die Schenkel nach oben, sodass er den Spitzensaum ihrer Strümpfe sehen kann. „Ich kenne keine Susanne“, antwortet er ebenso langsam. „Sie sagt, du wärst gut“, grinst sie anzüglich und greift in ihre Jackentasche. Dann geht alles blitzschnell. Er sieht die lange Messerklinge aufblitzen und spürt einen heftigen Schmerz am Hals. Die Beifahrertür knallt zu, die Frau flüchtet im blauen Cabrio. Blut tropft auf sein Hemd. Seine Hand zittert, als er die Wunde abtupft. Sie zittert immer noch, als er den Wagen aus dem Parkhaus steuert. Wie sollte er Joan die Schnittwunde erklären? Welche Susanne? Was war das für eine Irre, die ihn angegriffen hatte? Wie eine Horde wildgewordener Affen rasen seine Gedanken durch sein Hirn und werfen mit Wörterbananen unkontrolliert um sich.

Er parkt vor dem City-Kaufhaus und betrachtet seine Wunde im Rückspiegel. Nicht tief, aber sichtbar. Eduard säubert die Schnittstelle und geht ein Halstuch kaufen. Die Verkäuferin schaut ihn irritiert an. „Ich hatte eine Schilddrüsen-Operation.“ Sie glaubt ihm die Lüge und kennt jemanden, der dreimal zum Nachnähen ins Krankenhaus gemusst hatte. Er erträgt ihr dummes Gequatsche nicht länger, reißt ihr das Halstuch aus der Hand, legt 20 Euro auf die Verkaufstheke und verlässt wortlos das Kaufhaus. Zügig fährt er nach Hause. Joan schneidet gerade die Rosen und sieht erstaunt auf, als Eduard den Wagen vor der Garage parkt. „Schlimme Halsschmerzen. Ich habe mich krank gemeldet“. Er kann ihr kaum in die Augen sehen und ist froh, dass sie nur nickt. „Im Medizinschrank steht etwas zum Gurgeln!“. Sein Handy klingelt. „Willst du nicht drangehen?“, fragt Joan, die Augenbrauen langsam hebend. Er macht es aus. „Nein, ich kann schlecht sprechen im Moment.“ Joan wendet sich wieder den Rosen zu und Eduard geht ins Haus.


 

 



Re: Kurzkrimi für Erwachsene von CARINE NARAMUDI

 

Er öffnet die Bürotür und sogleich stockt ihm der Atem…

SIE sitzt auf seinem Stuhl. Die Beine gekreuzt, eine Hand in der Jackentasche. „Was wollen Sie?“, seine Stimme versagt und ironischerweise verspürt er leichte Schmerzen beim Schlucken. „Dich“, sagt Rommy und steht langsam auf. Sie hat ein seltsames Lächeln. Dann greift sie sich ins Haar und zieht die Perücke herunter. Die Ähnlichkeit ist beängstigend. Die gleiche Frisur, die Augen, der Mund…Sein Herz setzt für einen Schlag lang aus. Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn und tropfen auf sein Halstuch. „Du hast meine Tochter getötet. Jetzt töte ich dich.“, und damit es nicht den geringsten Zweifel an der Echtheit ihres Vorhabens gibt, holt ihre rechte Hand die Pistole aus der Jackentasche und richtet sie auf seine Brust.

„Nein“, haucht er. Zu einem entsetzten Schrei ist er nicht mehr fähig. „Bitte…es war…ein Unfall…so glauben Sie mir doch…“Eduard fällt auf die Knie und bietet ein jämmerliches Bild. Er hat sich eingenässt und eine gelbe Lache bildet sich nun um seine Unterschenkel. Rommy drückt ihm die Waffe an die Stirn. Als es knallt, sackt er zusammen und fällt anschließend im Zeitlupentempo zur Seite. Seine Stirn schlägt auf die Fliesen. Filmriss.

Eduard atmet. Es riecht nach Urin. Angewidert öffnet er seine Augen und sieht Joan, wie sie sich abmüht, die Leiche der Frau in einen Teppich zu rollen. Ihre Blicke treffen sich. „Ich wusste es von Anfang an. Du hast dir noch nicht einmal die Mühe gemacht, die Daten von deinem Notebook zu löschen“, klagen ihre Worte an. Er setzt sich auf und lässt sein Kinn zur Brust sinken. Seine Händen zittern. Dann erbricht er sich. Seine Frau verdreht die Augen. „Auch das noch. Wir haben ja noch nicht genug Schweinereien am Hals!“. Sie wirft ihm einen Lappen zu und befiehlt: „Pack an! Wir begraben sie im Garten bevor die Kinder aus der Schule kommen“. Er hatte immer schon die Stärke seiner Frau bewundert. Das war der Grund, warum er sich in sie verliebt hatte. Auf einmal fühlt er, wie sehr er sie liebt. Die Frau, die schon so viele Jahre lang an seiner Seite lebt, diese schöne und kluge Frau, diese starke Frau. Er hatte vergessen, wie viel sie ihm bedeutete. „Joan…ich…ich liebe dich“, bricht es aus ihm heraus. Seine Wangen erröten. Es gibt sicherlich romantischere Momente für Liebesgeständnisse. „Sicher, Eduard. Ich liebe dich doch auch“. Ein sanftes Lächeln umspielt ihre Mundwinkel. Joan hat Mühe nicht laut aufzulachen über das Groteske der Situation. Sie lässt ihn das Loch im Garten graben und als es groß genug ist, will er aufhören. „Weitermachen!“, befiehlt sie. „Hier würden zwei meiner Kollegen reinpassen“, stellt Eduard fest, zieht es aber danach vor zu Schweigen. Die ungewohnte körperliche Arbeit bringt ihn zum Schwitzen. Im Gartenhäuschen lagern Weinflaschen. Joan greift nach einer und reicht sie ihrem Mann. „Trink etwas! Danach wird es dir besser gehen“. Dankbar nimmt er den guten Tropfen an, entkorkt die Flasche und nimmt einen großen Schluck und danach einen zweiten. Seine Kehle ist trocken und er verspürt großen Durst. „Rattengift wirkt innerhalb von Sekunden. Erst bekommst du Bauchkrämpfe, danach Schaum vorm Mund. Es geht sehr schnell.“ Seine Augen weiten sich vor Entsetzen. Eduard traut seinen Ohren nicht. Er will schreien, aber sein Mund ist voller Schaumbläschen und er kann nur noch röcheln. Dann verliert er die Kontrolle über seinen Körper.

Als die Kinder nach Hause kommen, bewundern sie zuerst die beiden Rhododendron-Sträucher, die ihre Mutter neu eingepflanzt hatte. „Euer Vater ist auf einer langen Reise“, sagt Joan und fordert die Kinder auf ins Haus zu gehen. „Zeit fürs Mittagessen“. Alles planmäßig, wie immer. Lächelnd steckt sich Joan eine Rhododendronblüte ans Revers. Sie war schon immer eine Frau, die weiß, was sie will, wie sie es will, wann sie es will und sich holt, was sie braucht.