Dilla´s & Eva´s grenzwissenschaftl. & polit. Forum - Die Hartz-Gesetze und Soziales allg.

Drei Euro Brutto die Stunde

Drei Euro Brutto die Stunde

Erdbeerernte für drei Euro brutto die Stunde, Schichtdienst bei Opel für 650 Euro im Monat. Mitglied ohne Tarif nennen sich die Arbeitgeber, nach unten ist keine Grenze gesetzt. Deutschland braucht den Mindestlohn, doch reicht das längst nicht mehr aus.

Der Kollege aus Dänemark neben mir ist schockiert über die Schilderungen der Zustände auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Auf dem Podium der Veranstaltung von der Friedrich-Ebert-Stiftung „Mindestlöhne für Deutschland“ berichtet Journalist und Buchautor Markus Breitscheidel über seine Erlebnisse als Hartz IV-Empfänger und Arbeiter im Niedriglohnsektor.

18 Monate war er Undercover als Leiharbeiter bei namhaften Konzernen wie Opel und Bayer und in der Landwirtschaft tätig. Die Erdbeerernte in Brandenburg bringt ihm 3 Euro brutto die Stunde ein, der Job wird ihm von der Agentur für Arbeit vermittelt. Bei Ablehnung droht ihm die Kürzung seiner Bezüge um 30 Prozent.

Gnadenlose Ausbeutung im Niedriglohnbereich
Für die Dreifachschicht im Opelwerk Rüsselsheim bekommt er zwischen 650 und 700 Euro netto. Gleich drei Personalvermittlungsfirmen verdienen pro Stunde mit, am Ende der Kette die Firma Adecco, Weltmarktführer für Zeitarbeit. Möglich wird dies durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Ursprünglich zum Schutz der Leiharbeitnehmer vor Ausbeutung erlassen, wurde das Gesetz im Zuge der Hatzreformen in wesentlichen Punkten geändert. Das besondere Befristungsverbot, das Synchronisationsverbot, das Wiedereinstellungsverbot und die Beschränkung der Überlassungsdauer auf höchstens zwei Jahre wurden aufgehoben.

So ist es möglich, dass Markus Breitscheidel als Leiharbeiter die gleiche Arbeit wie der fest angestellte Opelaner für 30 Prozent weniger Gehalt und ohne Tarifschutz leistet und trotz Vollzeitbeschäftigung eine Aufstockung nach SGB II beantragen muss. Und der besser bezahlte Opelaner finanziert auf diese Weise mit den Steuerabgaben auf sein Gehalt den ausgeliehenen Kollegen an der Werkbank nebenan.

Eine inzwischen gängige Praxis auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Um das Einkommen von Leiharbeitern aufzustocken, hat die Bundesregierung allein zwischen Mai 2008 und Mai 2009 rund 531 Mio. Euro ausgegeben.

Die kalte Einführung des Kombilohns
Von der rasanten Zunahme der Beschäftigten im Niedriglohnbereich von ca. 15 Prozent im Jahr 1996 auf 21 Prozent in 2007 berichtet Claudia Weinkopf vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) an der Universität Duisburg-Essen. Allein von 2004 bis 2008 sei die Zahl um 650000 gestiegen, so ein Ergebnis ihrer Studie „Niedrig- und Mindestlöhne in Deutschland“. Beispiellos im OECD-Vergleich sei die Ausdehnung nach unten, sagt sie. 2007 lag der durchschnittliche Niedriglohn im Westen bei 5,77 Euro, im Osten bei 4,69 Euro. Inflationsbereinigt lag er 2007 in Westdeutschland sogar unter dem Niveau von 1995(!), während er in Ostdeutschland gerade einmal um 0,03 Euro gestiegen ist.

Ihre aktuellen Zahlen aus 2008 unterstreichen die alarmierende Entwicklung: 50 Prozent aller Beschäftigten unter 25 Jahren arbeiteten im Niedriglohnbereich und beinahe 70 Prozent aller Frauen.[/u]
Mit einem Vorurteil räumt Weinkopf auf: Es trifft schon längst nicht mehr die Geringqualifizierten, vier von fünf Niedriglohnbeschäftigten hatten eine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen akademischen Abschluss, ein auch im internationalen Vergleich extrem hoher Wert.

[b]Mindestlohn als Hilferuf

Der Arbeitsmarkt ist in Unordnung geraten, die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns überfällig. Doch es gibt auch Skepsis. Heribert Jöris, Geschäftsführer vom Handelsverband Deutschland (HDE) und Oliver Zander vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie warnen vor einem möglichen Sog nach unten. Ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro könnte Druck auf die Tariflöhne ausüben. Sie wollen den Staat aus den Tarifverhandlungen heraushalten. Franz-Josef Möllenberg, Chef der Gewerkschaften Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), widerspricht. „Der Mindestlohn sei ein Hilferuf der Gewerkschaften“, sagt er. Die Arbeitgeber hätten sich aus dem Tarifrecht verabschiedet. Auch ihm sei jeder Tarifvertrag am liebsten, aber in einigen Branchen nicht mehr realisierbar. Inzwischen arbeite jeder dritte Arbeitnehmer ohne Schutz des Tarifs. Arbeitgeber rühmen sich Mitglied ohne Tarif zu sein.

Zur Erklärung: In einigen Branchen gibt es auch in Deutschland eine Lohnuntergrenze, im Baugewerbe liegen Mindestlöhne zwischen 9,25 und 12,75 Euro die Stunde. In Ländern mit hoher Tarifbindung, beispielsweise in Dänemark, haben die Sozialpartner einen branchenübergreifenden Mindestlohn von 13,80 Euro vereinbart. In Frankreich erhalten Leiharbeiter 10 Prozent mehr Gehalt als die fest angestellten Kollegen, weil sie flexibler sein müssen.

Ein gesetzlicher Mindestlohn verhindert Leiharbeit nicht
Anette Kramme, arbeitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, räumt Fehler ihrer Partei ein. Die SGB II Regelungen hätten zu einer Verschärfung der Arbeitsbedingungen beigetragen, ist sie überzeugt. Jetzt gelte es über Minijobs zu diskutieren, sagt sie, und über einen Schutz bei Betriebsauslagerungen. Leiharbeit sei ein Riesenproblem. Die SPD wolle daher den Grundsatz „gleiches Geld für gleiche Arbeit“ ohne Ausnahme wieder einführen.

Alle Beteiligten rechnen mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns über kurz oder lang. Auf die katastrophalen volkswirtschaftlichen Folgen von Niedriglöhnen hatte die ehemalige DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer bereits in ihrer Begrüßung hingewiesen. Wenn die Unternehmen aus der Pflicht entlassen werden, Existenz sichernde Löhne zu lassen, gehen die Kassen der gesetzlichen Sicherungssysteme leer aus. So macht die kalte Einführung von Kombilöhnen die Sozialsysteme kaputt.

Quelle: https://www.vorwaerts.de/artikel/drei-euro-brutto-die-stunde

LG
Lilu



"Immer weigere ich mich, irgendetwas deswegen
für wahr zu halten,
weil Sachverständige es lehren, oder auch,
weil alle es annehmen.

Jede Erkenntnis muss ich mir selbst erarbeiten.
Alles muß ich neu durchdenken, von Grund auf,
ohne Vorurteile."

Albert Einstein (1879-1955)

Re: Drei Euro Brutto die Stunde

Hallo Lilu und @ll,

ein sehr guter Bericht über dsbzgl. Missstände in BRD.

Leider wird sich hier wohl eher nichts ändern, da das Dt. Volk mehrheitlich auch hierzu sich alles gefallen lässt. Wie man darüber hinaus im Zusammenhang mit der Griechenland-Debatte sehen kann, stellt mehrheitlich das dt. Volk das Ganze auch noch als Tugend hin und möchte den Griechen, die erstens noch einen Sozialstaat bis dato hatten und zweitens noch auf die Straße gehen und wenigstens versuchen sich zu wehren, dieses Ausbeutersystem auch noch abverlangen als Bedingung zu Hilfsmaßnahmen.

Die Wirtschaftsdiktatur breitet sich immer weiter aus, festigt sich und die Deutschen klatschen dazu noch mehrheitlich Beifall, anstatt sich endlich zu wehren. Kann man nur noch den Kopf schütteln.

Liebe Grüße,
Eva

Fürchte dich nicht davor, exzentrische Meinungen zu vertreten; jede heutige Meinung war einmal exzentrisch. (Bertrand Russell)
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Viele kleine Leute, in vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern. (Spruchweisheit der Mandika, Afrika)

Re: Drei Euro Brutto die Stunde

Hallo Eva

Ich denke, dass die Mehrheit der Bevölkerung so reagiert, weil sie die inneren Zusammenhänge überhaupt nicht begreift und sie tatsächlich glauben, dass dieser Weg der richtige ist, den unsere Regierung hier vorgibt.

LG
Lilu



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Albert Einstein (1879-1955)

Re: Drei Euro Brutto die Stunde

Hallo Lilu,

stimme Dir hier im Grunde zu, darüberhinaus denke ich, dass die meisten Deutschen dsbzgl. nicht verstehen wollen.

Liebe Grüße,
Eva

Fürchte dich nicht davor, exzentrische Meinungen zu vertreten; jede heutige Meinung war einmal exzentrisch. (Bertrand Russell)
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Re: Drei Euro Brutto die Stunde

Ja, davon gibt es sicherlich auch einen sehr großen Anteil.



"Immer weigere ich mich, irgendetwas deswegen
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