Re: Dogmatische Fuchsfallen
Und weiter gehts, Fenster reichen ned
"Das Berliner Getto oder
Geschichten über Schein und Wirklichkeit
»Berlin ist die deutsche Kriminalitätsmetropole«, sagt Konrad Freiberg,
der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei. Und er beklagt den
eklatanten Widerspruch zwischen Stratverfolgung und der kriminllen Welt
in und um Berlin. »Wir haben eine frustrierte und unterfinanzierte
Polizei - was soll dabei herauskommen.« Berlin ist die Hauptstadt der
Armen, stellt ein Sozialatlas fest, der nach vielen Verzögerungen vom
SPD/PDS-Senat Ende April 2004 veröffentlicht wurde. Insgesamt 533 000
Berliner müssen mit weniger als 6oo Euro im Monat auskommen und leben
unterhalb der Armutsgrenze. Sozialarbeiter, sofern sie nicht entlassen
wurden, sprechen von einer ständig steigenden Verelendung. In Berlin
heißt das beim SPD/PDS-Senat: »soziale Disparitäten«. Ein Begriff, der
das wahre Ausmaß des Elends verschleiern soll.
Berlin ist das Spiegelbild des neuen Deutschlands. Grenzenloser
Reichtum in den grünen Villenvierteln wie im Grunewald;
heruntergekommene Wohnsilos und soziales Elend in Neukölln, Marzahn oder
Wedding; und in der Mitte erstrahlt das Regierungsviertel mit
glitzernden Einkaufsparadiesen und noblen Restaurants, in denen
Champagner und Austern geschlürft werden.
Und dann gibt es noch Polizei und Justiz, die mit den daraus
entstehenden Problemen fertig werden sollen. Und ein Senat, dem
vollkommen gleichgültig ist, wenn sich Kriminalität und Ohnmacht
flächendeckend ausbreiten. Um sich nicht selbst Gedanken machen zu
müssen, holt man sich private Beraterfirmen, die die massiven Kürzungen
bei Polizei und Justiz schmackhaft machen sollen. Und dafür erhielten
sie auch noch viel Geld: 1,5 Millionen Euro für die Beratung bei der
»Einführung der Elemente der Verwaltungsreform in der Berliner Polizei«,
260 000 Euro für die Hilfe bei der Reform der Staatsanwaltschaft und der
Justizvollzugsanstalt in Tegel. Es war alles reine Show.
Ein Berliner Oberstaatsanwalt referiert über die Folgen der Kürzungen:
»1992 hatten wir bei der Staatsanwaltschaft noch zwei
Hauptabteilungsleiter und 27 Staatsanwälte, die für Organisierte
Kriminalität zuständig waren. Jetzt haben wir gerade mal eine Abteilung
und fünf Staatsanwälte für Organisierte Kriminalität.«
Und wie sieht es mit der Qualifikation und Arbeitsmotivation in der
Berliner Staatsanwaltschaft aus? »Schleimlecker steigen auf, denn die
neue Personalpolitik ist, dass die Mitarbeiter zwei Eignungen haben
müssen: Verdiente Parteiarbeiter, und sie müssen stromlinienförmig
sein«, klagt ein Staatsanwalt. Von »Günstlingswirtschaft« sprechen auch
andere Berliner Staatsanwälte, die unter dem Generalstaatsanwalt
Hansjürgen Karge leiden dürfen. Von ihm stammt die kluge Erkenntnis,
dass Staatsanwälte nicht mehr so lange ermitteln dürfen, wie sie wollen.
»Da sind Sach- und Fachaufsicht gefordert.«
Also am Gängelband der Politik sollen sie gehalten werden. Die
Vereinigung Berliner Stratverteidiger wirft dem Generalstaatsanwalt
Karge einen »monarchistisch anmutenden Führungsstil« und »populistische
Stammtischsprüche« vor. Zu seinen bemerkenswerten Sprüchen gehören
beispielsweise: »Ich vergleiche mich in meiner Funktion als
Generalstaatsanwalt gerne mit einem Panzerkreuzer« Und: »Auf objektive
Verstöße müssen Sanktionen folgen. Das weiß jeder, oder auch nicht, von
den primitiven Buschnegern bis zu den Tieren.« Er selbst ist ein gutes
Vorbild. Bei den Ermittlungen um die millionenschweren Geldschiebereien
zwischen der Berliner Bankgesellschaft und der CDU ließ er sich mit den
Worten zitieren: »Nicht jede Sauerei ist strafbar.« Insgesamt zwölf
Staatsanwälte, 20 Kriminalisten und zehn Wirtschaftsreferenten und
Bilanzbuchhalter arbeiten an dem Fall. Trotzdem sagen inzwischen
Finanzermittler übereinstimmend: »Da wird am Ende überhaupt nichts
herauskommen, weil nichts herauskommen darf Zu viele Politiker sind
darin involviert.«
Entsprechend hoch motiviert sind Polizeibeamte und Staatsanwälte. Der
ehemalige Berliner Justizsenator Wolfgang Wieland beschreibt das Klima
innerhalb der Berliner Staatsanwaltschaft folgendermaßen: »Junge
Juristen wollen nicht zur Staatsanwaltschaft, man muss sie quasi mit dem
Lasso einfangen. Und wer bei der Staatsanwaltschaft ist, will diese
fluchtartig in Richtung Richterberuf verlassen. Karge hat dies alles mit
Faulheit der jungen Juristen begründet; sie würden einfach nicht
arbeiten und sich lieber als Richter einen schönen Lenz machen wollen.
Dies ist seine Haltung. Er ist als Behördenchef in Berlin völlig fehl am
Platz.«
Wenn dann zwei mutmaßliche Schwerverbrecher wegen Kapazitätsmangels so
einfach freigelassen werden, schreit die Öffentlichkeit auf Über die
Hintergründe wird hingegen wenig gesagt. Die artikulierte Holger
Bernsee, der stellvertretende Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher
Kriminalbeamter in einer Presseerklärung: »Wir machen seit langem darauf
aufmerksam, dass die Stratverfolgungsbehörden in der deutschen
Hauptstadt in vielen Bereichen am Ende sind. Sowohl die Polizei als auch
die Justiz werden systematisch kaputtgespart. Wenn gleich zwei
mutmaßliche Schwerverbrecher - in beiden Fällen geht es um
Tötungsdelikte - wegen Kapazitätsmangels entlassen werden müssen, ist es
höchste Zeit, die Notbremse zu ziehen.« Sein Appell blieb ungehört.
Denn die Berliner Polizei fristet ein ebenso mickriges Dasein wie die
Justiz und passt sich somit den allgemeinen Lebensbedingungen in Berlin
an. Dafür sorgen nicht nur die fehlenden Finanzmittel und eine blamable
Ausstattung, sondern eine schon manische Sucht nach immer neuen
Reformen, die als extrem fortschrittlich verkauft werden.
»Mummert-Consulting, Berliner Modell, Verwaltungsreform und Neuordnung
der Führungsstrukturen haben für die unmittelbare Polizeiarbeit wenig
bis gar nichts gebracht und hauptsächlich politische Einspar- oder
besser Kürzungsvorgaben bedient«, so Klaus Hansen, Chef des Bundes
Deutscher Kriminalbeamter (BDK).
Und was bedeutet das nun im Alltag der Kriminalisten? Einige wenige
Beispiele mögen das verdeutlichen. Beamte des LKA hatten einen
hochkarätigen russischen Kriminellen im Visier. Er lebt in einer
prächtigen Villa aus der Gründerzeit, fährt nur Luxuslimousinen und gibt
in der Steuererklärung an, im Monat 1500 Euro zu verdienen. Anderthalb
Jahre wurde immerhin gegen ihn ermittelt, was bereits an ein Wunder
grenzt. Dann wurden die Beamten gefragt: »Wie teuer wird das Verfahren
noch werden?« Und danach gab es keine weiteren Ermittlungen mehr.
»Dabei«, so ein BKA-Beamter, »war das Organisierte Kriminalität in
Reinkultur.« Selbstkritisch merken Beamte an, dass teilweise Kollegen
als verdeckte Ermittler in ein Milieu geschickt werden, in dem sie
ziemlich schnell auffallen. »Der verdeckte Ermittler trat wie ein
Zuhälter au£ Die Russen haben sich totgelacht, als der mit Goldkettchen
und Porsche ankam.«
Tatsache ist, dass bereits vor dem Fall der Mauer der damalige
sowjetische Geheimdienst KGB in West-Berlin »geschäftliche Strukturen«
aufbaute, um das Kapital des Geheimdienstes und der Partei auch in
Deutschland anzulegen. Ein Insider erzählte mir dazu: »Bereits seit 1986
wurde daran gearbeitet, um entsprechende Positionen aufzubauen, wenn die
DDR zu existieren aufhört. In der russischen Botschaft gab es eine
Arbeitsgruppe, die darüber beraten hat, wie der KGB agieren soll und
materiell abgesichert werden kann, wenn die DDR fällt. Und dann sind zum
Beispiel in Wunstorf (ehemalige Garnison der sowjetischen und später
russischen Truppen, J. R.) Millionenbeträge verschoben worden.«
Wurde noch Anfang der Neunziger Jahre versucht, die Hintergründe zu
ermitteln, kann davon heute keine Rede mehr sein.
Einer der Gründe mag sein, dass gerade unter den Kriminellen aus der
ehemaligen UdSSR ungewöhnlich viele jüdische Bürger sind. Von den knapp
13000 Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde in Berlin sind zwei Drittel aus
der ehemaligen Sowjetunion zugewandert; noch einmal so viele russische
Juden haben nach Angaben des Berliner Senats darauf verzichtet, Mitglied
der Jüdischen Gemeinde zu werden. Nur hinter vorgehaltener Hand wird bei
Ermittlern und Staatsanwälten von einer Berliner »Kosher Nostra«
gesprochen. Das alleine zu registrieren ist höchst problematisch und
weckt zudem den sowieso latent vorhandenen gefährlichen Antisemitismus.
Das ist nicht alles. Insgesamt dürften nach vorsichtigen Schätzungen
heute 150 000 russisch sprechende Menschen in Berlin leben, von denen
zwar nur ein kleiner Teil hochkriminell ist. Aber selbst die müssen
keine Angst haben. Zu ihnen gehören 400 ehemalige tschetschenische
Untergrundkämpfer, häufig radikale Fundamentalisten. Für sie ist Berlin
aber nicht nur Ruheraum geworden, bis sie zu neuen Aktionen gerufen
werden. In der Zwischenzeit drängen sie vermehrt in den Bereich der
Schutzgelderpressung hinein. Und keiner legt ihnen das Handwerk. Das
geht auch überhaupt nicht mehr.
Detlef Rieffenstahl von der Gewerkschaft der Polizei beklagt sich
darüber, dass in Berlin in den »nächsten Jahren noch ca. 2500 Stllen
zusätzlich abgebaut werden. Man muss dazu allerdings sagen, dass wir
schon über 2000 Stellen abgebaut haben. Man kann schon von
Sicherheitslücken reden, wenn die Polizeiführer selber aufschreiben,
dass wir Problemkieze haben, wenn Abschnitte zusammengelegt werden, um
Personalressourcen zusätzlich zu haben, dann kann man wohl schon von
deutlichen Anzeichen von Sicherheitslücken reden.«
Ein Beamter des Berliner Landeskriminalamtes präzisiert diese Aussage:
»1991 waren 20 Beamte für das Dezernat zur Bekämpfüng der
osteuropäischen Organisierten Kriminalität zuständig: Heute sind es noch
sechs junge Beamte, denen jegliches Wissen fehlt. Sie können nichts
bewerten, eine Situation nicht einschätzen. Die erfahrenen Leute sind
unter dubiosen Umständen entfernt worden.«
Insofern darf es eigenilich niemanden verwundern, dass Berliner
Kriminalbeamte offen davon sprechen, dass sie nicht mehr nach dem
Legalitätsprinzip arbeiten, sondern nach dem Opportunitätsprinzip. Das
heißt übersetzt: Bestimmte Straftaten wie Diebstahl werden überhaupt
nicht mehr bearbeitet. Als Ausgleichsmaßnahme wurde der »Objektberater«
erfunden. Das sind Polizeibeamte, die Bürger beraten, wie sie sich am
besten gegen Diebstahl oder Einbruch privat schützen können. Kostenlos
ist das nicht mehr. Die Bürger erhalten einen Gebührenbescheid: 40 Euro.
Und weil das nicht reicht, werden zunehmend »Billigpolizisten«
eingestellt, die noch weniger Geld als ein normaler Beamter und eine
noch schlechtere Ausbildung erhalten. Offeriert werden
Angestelltenposten mit nur zwei Drittel der normalen Arbeitszeit.
Monatseinkommen zwischen 750 und 1000 Euro. Als Billigpolizist zu
arbeiten kann für sie nur ein Zweitjob sein, denn mit diesem Gehalt kann
ein Familienvater nicht überleben.
Nicht nur Hamburgs Innensenator Udo Nagel sieht darin ein Problem. »Ein
Beamter, der hier quasi nur noch einen Zweidritteijob hat, der muss ja
nebenher noch etwas dazu verdienen. Der kann davon nicht existieren, der
muss die Miete zahlen, der muss Versicherung zahlen, muss die Familie
durchbringen. Und wenn er das mit seinem gelernten Job nicht kann,
bleibt am Schluss, dass er einen Nebenjob macht, das heißt dass er
nachts Tankwart wird und dergleichen mehr.«
Bestenfalls - oder er arbeitet gleich für die andere Seite. Das
Berliner Modell der Billigpolizisten bietet nämlich eine Chance. Im
notwendigen zweiten Job eröffnen sich zahlreiche Möglichkeiten, den
kriminellen Strukturen dienstbar zu sein. Und die haben sich bereits
darauf vorbereitet, entsprechende Arbeitsplätze für die Billigpolizisten
zu schaffen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass bereits
Vollzeitpolizeibeamte, verheiratet mit Kind, maximal gerade 18oo Euro
brutto Monatsgehalt bekommen. Aufstiegschancen haben sie in Berlin auch
nicht. So gesehen wäre es vermessen, von ihnen eine besondere Motivation
bei der Verfolgung von Verbrechern zu erwarten.
Was derartige Einsparungsorgien bewirken, zeigt sich bereits in einem
anderen Bereich: nämlich die Effinisierung sozialer Probleme. Der
ehemalige Leiter des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen
Professor Christian Pfeiffer erklärte zu diesem Problem: »Die Maßstäbe
der Political Correctness dürfen nicht dazu verleiten, dass man
schmerzhafte Botschaften nur hinter vorgehaltener Hand weitererzählt
oder gar völlig unterdrückt. Mit dem Verschweigen dieser Probleme ist
niemandem gedient. Eine ehrliche Auseinandersetzung eröffnet dagegen die
Perspektive, dass ein schon in Gang befindlicher Prozess des kulturellen
Wandels beschleunigt wird.«
Denn in einer Gesellschaft, die einmal abgesehen vom Konsum keine
gemeinsamen Werte und Überzeugungen mehr kennt, in der deshalb das
soziale Klima immer eisiger wird und die politische Elite sich immer
weiter von den Sorgen und Nöten der normalen Menschen entfernt, kommt es
zwangsläufig nicht nur allgemein zu einer gewissen Desintegration,
sondern auch zur Ethnisierung sozialer Probleme - mit fatalen
Auswirkungen.
»Die Schere zwischen sehr hohen und vergleichsweise (gemessen an der
Kaufkraft> geringen Vermögen geht weiter auseinander. Die >gut
situierte< bürgerliche Schicht verliert sich zunehmend zu einem dieser
Pole. Damit wird für einen kleineren Teil der Gesellschaft alles (mit
Geld Käufliche) verfügbar, für den größeren Teil bleibt dies jedoch bei
steigenden Kosten für die Grundbedürfnisse ein auf legalem Weg kaum
erreichbares Ziel.«
Diese These wurde als Zukunftsvision für das Jahr 2013 gesehen. In
Berlin hat die Zukunft schon begonnen. Nämlich die Entstehung von
Parallelgesellschaften in bestimmten städtischen Gettos. Gern wird
darüber nicht geredet.
Gettos werden in Berlin stattdessen verharmlosend als »Problemkieze«
umschrieben. »Es gibt problemorientierte Kieze«, bestätigt Berlins
SPDInnensenator Ehrhart Körting. »Das beinhaltet, dass wir eine
überproportionale Kriminalität haben, das beinhaltet teilweise aber
auch, dass wir Verwahrlosungstendenzen mit Trinkerszene und Ähnlichem
haben, und das beinhaltet drittens, dass wir in einigen Bereichen
Schwierigkeiten bei den erhnischen Auseinandersetzungen haben,
insbesondere zwischen verschiedenen Ethnien, etwa Arabern und Türken
oder Türken und Kurden. Dem kann man polizeilich nur teilweise begegnen
mit einem verstärkten Ermittlungsdruck, den wir dort haben.«
Den Ermittlungsdruck gibt es natürlich nicht, weil niemand da ist, der
tatsächlich Druck ausüben könnte.
Immerhin gab Innensenator Körting im Innenausschuss des
Abgeordnetenhauses zu, dass es für Wohngebiete mit hoher
Straßenkriminalität wie das Neuköllner Rollbergviertel oder den Soldiner
Kiez in Wedding - ein Risiko gebe, dass diese Kieze »in Richtung
Gettoisierung abkippen. Viele Ausländer, etwa arabische Großfamilien im
Norden Neuköllns, bleiben unter sich, ein Wille zur Integration sei
immer weniger zu erkennen.«
Daraus folgt nun, dass im Straßenkampf entschieden wird, wer in der
sozialen und kulturellen Hackordnung noch weiter unten steht. Und es ist
insbesondere der Drogenhandel, der für viele der schnellste Weg ist, um
aufzusteigen.
Bereits in der Vergangenheit wurde festgestellt, dass die Bewohner
Neuköllns, bedingt durch die hohe Arbeitslosigkeit, zunehmend an den
sozialen Rand gedrängt wurden. Der Anteil der Bürger, die über ein
geregeltes Einkommen verfügen, hat sich im Verlauf der letzten Jahre
immer mehr verringert. Sowohl bei den Deutschen als auch bei den
Ausländern Neuköllns herrscht Perspektivlosigkeit. Schon die Schüler
sehen für sich keine gesicherte Zukunft, was zur Folge hat, dass bereits
am Vormittag schulpflichtige Kinder und Jugendliche im Stadtteil
herumhängen. Eine junge Frustgeneration wächst da heran, die sich
bereits mit dem Status als Deklassierte identifiziert hat und nach
eigenen Regeln und Gesetzen lebt.
Die Berliner Polizei kommt in einer internen Studie zu folgendem
Ergebnis: »Festzustellen ist, dass eine Integration von Ausländern bzw.
Vermischung von Nationalitäten immer weniger zu erkennen ist. Auch
besteht hierfür zumindest seitens der Ausländer kaum noch eine
Notwendigkeit, da die unterschiedlichen Nationalitäten bereits ganze
Straßenzüge für sich eingenommen haben.«
Ehemalige Minderheiten sind in Neukölln zu dominierenden Mehrheiten
geworden, die aufgrund ihrer eigenen Strukturen nur noch »unter sich«
bleiben. Der Zusammenhalt von Großfamilien und das soziale Geflecht mit
einer ausgeprägten Bereitschaft, sich gegenseitig zu helfen, bewirken
eine zunehmende Abschottung. »Der Kontakt zu Deutschen ist inzwischen
nahezu überflüssig geworden, sodass auch Konflikte, Missstände und
Probleme nicht gelöst werden, staafliche Einrichtungen wie Polizei,
Justiz oder Bezirksämter sind überflüssig geworden, weil Konflikte
untereinander nach eigenen Vorstellungen und >Traditionen< reguliert
werden.«
Die Polizei wird insbesondere bei den arabischen Klans als unerwünscht
angesehen. Es fielen in der Vergangenheit Sätze gegenüber Polizeibeamten
wie: »Die Hermannstraße gehört uns.«
Was dazu führte, dass die herrschenden Klans immer mehr Einfluss nehmen
konnten und bereits maflose Strukturen aufgebaut haben. Sie betreiben
selbst Geschäfte wie Obstläden, Baugeschäfte, Fahrzeugverleih und dulden
keine Konkurrenzunternehmen in der Nachbarschaft. Diese legalen
Geschäfte sind jedoch nur ein Teil der Tätigkeiten dieser Klans. Der
andere sind kriminelle Aktivitäten.
»Darüber hinaus«, so die Erkenntnisse des Berliner Landeskriminalamtes,
»darf die Rolle von Moscheen nicht unterschätzt werden. Sie haben häufig
einen Sektencharakter und befinden sich nicht unbedingt in Neukölln,
strahlen ihre Wirkung jedoch bis hier aus. Ein Teil dieser Moscheen wird
aus Spenden finanziert, wobei niemand genau sagen kann, woher die
enormen Geldmittel gekommen sind, die den Bau von Prachtmoscheen
ermöglichen.« Die ungewöhnlich offene und kritische Studie des Berliner
Landeskriminalamtes, die dem Engagement eines einzelnen LKA-Beamten zu
verdanken ist, geht davon aus, dass hier Geldwäsche betrieben wird.
»Gerüchteweise haben Großfamilien in nicht geringem Maße in den Erwerb
von Grundstucken und den Bau von Moscheen investiert, um diese als
Geldwäscheanlage zu nutzen.« Doch nicht allein zur Geldwäsche: Weitaus
bedrohlicher ist, dass hier metastasenartig der islamische
Fundamentalismus um sich greift - unkontrolliert. Gerade die
Jugendlichen und jungen Männer bilden dabei, obwohl sie eher als
unpolitisch einzustufen sind, ein latentes Mobilisierungspotenzial für
extremistisch und auch islamistisch begründete Gewaltexzesse, wie sie
bereits nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 beobachtet werden
konnten.
»Neben Übergriffen auf jüdische Mitbürger kam es vereinzelt zu
gewaltverherrlichenden und provokanten Auftritten in der Öffentlichkeit,
wie dem Abspielen von Berichten über den Terroranschlag auf das World
Trade Genter mittels tragbarem Fernsehgerät in der U-Bahn, verbunden mit
Übergriffen auf einschreitende Mitarbeiter des Dienstpersonals oder
entsprechendem Auftreten gegenüber Polizeibeamten, wie >Osama Bin
Laden-Rufen<, als die Polizei ihre Personalien überprüfen wollte, oder
lautstarken Erklärungen wie: >Es wird alles besser, wenn unser Führer
Osama Bin Laden alles regelt.<«
Ist das lediglich jugendlicher Protest oder ein sich anbahnendes Fanal?
Unabhängig davon bestimmen diese ethnischen Gruppen das Geschehen in
ganzen Stadtteilen. Sie wissen den Schutz ihrer Subkultur zu schätzen,
und sie wissen, dass die deutschen Behörden ihnen machtlos
gegenüberstehen. Und welche politischen Maßnahmen wurden bisher
ergriffen, um dem zu begegnen? Kaum zu glauben: keine! Und gibt es
wenigstens Strategien, um dieser Entwicklung in Zukunft zu begegnen?
Auch hier die gleiche Antwort: keine!
Die Polizei wird in diesen Gettos in der Regel sowieso nur dann
alarmiert, so die Studie des Landeskriminalamtes, »wenn ein
Eskalationsniveau erreicht wird, das unmittelbare staafliche
Intervention im Sinne der unterlegenen Partei notwendig macht. Ist dann
die Situation vorläufig befriedet, besteht meist kein Interesse mehr an
weiterer Aufklärung oder gar einer Strafverfolgung. Eine Anzeige dient
der unterlegenen Partei allenfalls als Druckmittel, um eine
milieuinterne Klärung über den >Friedensrichter< des Klans zu erreichen.
Weit über 20 Schießereien allein im >libanesisch-kurdischen< Milieu
wurden in den letzten zehn Jahren registriert.«
Fragt man nach den Gründen für den Einsatz von Schusswaffen, dann
reichen diese von verletzter Ehre über Streit um die Mitgift und
»Geschäftsstreitigkeiten« bis hin zur Blutrache. Da der Polizei
Streitigkeiten wegen Drogengeschäften oder im Roflichtmilieu nur schwer
als »legitimer« Grund für bewaffnete Auseinandersetzungen vermittelbar
sind, sind die oftmals angeführten Ehrverletzungen jedoch mit Vorsicht
zu bewerten, meinen die kundigen Ermittler des Berliner
Landeskriminalamtes.
Die polizeilichen Ermittlungen konzentrierten sich in den letzten
beiden Jahren im Prinzip auf mehrere Mitglieder libanesisch-kurdischer
Großfamilien. Ihre Geschäfte wickeln sie jeweils innerhalb der eigenen
Sippe ab. In allen Familien findet sich dabei eine nahezu identische
hierarchische Struktur: Die 50- bis 6o-jährigen Familienoberhäupter sind
der eigentlichen »Handlungsebene« schon seit Jahren entwachsen und
nehmen nunmehr die Funktion einer übergeordneten Kontrollinstanz, etwa
die Rolle eines Paten, ein. Deren Söhne bilden heute die handelnden
Köpfe der einzelnen Klans. Entscheidende Geschäfte werden überwiegend im
engsten Familienkreis koordiniert und abgewickelt. Erst in den unteren
Hierarchiestufen sind dann arabisch oder türkisch sprechende Mittäter
unterschiedlichster Nationalitäten involviert. Innerhalb der Familien
wird arbeitsteilig vorgegangen. Die Aufgaben der Beschaffung,
Depothaltung, Transportorganisation etc. werden verteilt. Die einzelnen
Klans arbeiten jeweils in ihren eigenen vereinbarten Territorien. Wenn
Drogenengpässe bestehen, hilft man sich auch gegenseitig aus.
Bei ihren Handelstätigkeiten nutzen die Klans ihre verzweigten Kontakte
über andere Familienangehörige insbesondere im Ruhrgebiet und in Bremen,
aber auch im benachbarten Ausland, in den Niederlanden, der Schweiz,
Skandinavien oder auch der Türkei, im Libanon und in Südamerika, von wo
das Kokain bezogen wird. Die Geschäftskontakte in den einzelnen Ländern
werden möglichst immer mit Angehörigen des eigenen Klans abgewickelt.
Das garantiert ein Höchstmaß an Abschottung und Sicherheit der Geschäfte
und schaltet somit die Gefahr aus, einem verdeckten Ermitt1er
»aufzusitzen«. Erst wenn die Zusammenarbeit mit den eigenen
Familienangehörigen nicht möglich ist, wird zunächst mit Personen
zusammengearbeitet, die aus der gleichen Herkunftsregion stammen, danach
mit solchen, die die gleiche Sprache sprechen.
Die Gewinne aus dem Drogenhandel werden für neue Geschäfle nach
Südamerika transferiert, zum Teil in legale oder halblegale Unternehmen
investiert, überwiegend jedoch - oft auch als Bargeld - ins Ausland
gebracht und im Libanon oder in der Türkei in Immobilien angelegt.
Bei den kriminellen Geschäftsbereichen, in denen sich die arabische,
insbesondere libanesisch-kurdische Kriminellenszene bewegt, geht es zum
einen häufig um eine Kombination von Gewalt und Drogenhandel. Gewalt
unter Einsatz von Messern oder Schusswaffen sind gängiges Mittel, um den
Drogenhandel zu organisieren, Konkurrenten auszuschalten, Absatzmärkte
zu sichern oder neue zu schaffen. Insbesondere wird versucht, die
Türsteherfähigkeit in Diskotheken und sonstigen Vergnügungsstätten zu
übernehmen, denn die entscheidet darüber, wer in diesen Diskotheken mit
Drogen handeln »darf« und wer nicht. Die starke Stellung des
vergleichsweise geringen Anteils libanesisch-kurdischer Täter an
maßgeblicher Stelle im illegalen Drogengeschäft, zumindest in Berlin,
gilt bei den Ermittlungsbehörden als »Beweis für die Effektivität ihrer
Machterhaltungsstrategien und das vorhandene Gewaltpotenzial im
Vergleich zu anderen ethnischen Minderheiten«. Doch manchmal gelingt es
den Führungsfiguren der mehr oder weniger kriminellen Klans aus Berlin,
sogar bei Staatsbesuchen ihre Dienste anzubieten. Während des
Staatsbesuches des palästinensischen Präsidenten Yassir Arafat im Jahr
2000 in Berlin war Kahled Ah Khan, Organisator im Drogenhandel und
Mitglied einer dieser Klans, als Bodyguard auf Tuchfühlung mit
Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundespräsident Johannes Rau. Wer den
Drogenhändler und Vizechef einer Securityfirma aus der Kantstraße
gemietet hat, ist bis heute ein Geheimnis geblieben. Ein anderes
Mitglied seines Klans erschoss im April 2003 den 37-jährigen
Polizeibeamten eines Sondereinsatzkommandos. Das sind eben die
besonderen Berliner Verhältnisse - Prunk und Protz in Berlin-Mitte und
an den Rändern Mord und Erpressung innerhalb eines kriminellen Sumpfes,
genährt aus sozialer Verelendung und kultureller Desintegration."