Irak: Die Zahlen sprechen für sich
1,3 Millionen Tote und sechs Millionen Vertriebene
von Souad N. Al-Azzawi*
Sechs Jahre sind seit dem Überfall vergangen und der Schmerz ist so frisch und schneidend, wie er im März des Jahres 2003 war. Für dieses Jahr beschloß ich, die Angelegenheit als Wissenschaftler zu betrachten. Ich würde den Gegenstand ohne Emotionen angehen und die Zahlen für sich alleine sprechen lassen. Dieses Jahr wollte ich mich zurückhalten und die Rolle des Analytikers und Forschers übernehmen - über den Gegenstand, der meinem Herzen am nächsten ist.
Nach sechs Jahren Besatzung ...
* 72 Monate Zerstörung
* 607 Milliarden Dollar an Kriegsausgaben
* 2 Millionen Barrel Erdöl, die täglich verkauft werden
* 2 Millionen vertriebene Iraker innerhalb des Landes
* 3 Millionen Iraker, die gezwungen waren, das Land zu verlassen
* 2615 Professoren, Wissenschaftler und Ärzte, die kaltblütig getötet wurden
* 338 tote Journalisten
* 13 Milliarden Dollar, die unter Aufsicht der irakischen Regierung verschwanden
* 400 Milliarden, die der Wiederaufbau der irakischen Infrastruktur erfordert
* durchschnittlich täglich 3 Stunden Versorgung mit elektrischem Strom
* 24 Autobomben jeden Monat
* 7 größere Mafia-Organisationen, die das Land kontrollieren
* 4260 tote Amerikaner
* 10.000 Cholerafälle jedes Jahr
* 50 meiner Freunde tot
* 22 meiner Verwandten tot
* 15 Entführungen von nahen Verwandten und von Menschen, die ich kenne und liebe
* wenigstens 1.3 Millionen tote Iraker seit 2003
Auch nach sechs Jahren Besatzung sehen die Zahlen irgendwie nicht besser aus. Jahr um finsteres Jahr wachsen die Zahlen der Toten und Vertriebenen, während wir weiter die Früchte einer amerikanischen Besatzung ernten.
Die Zahlen sprechen für sich selbst. Sechs. Sechs Monate brauchte es für die meisten Iraker um zu realisieren, daß Krieg und Besatzung nichts Gutes bringen konnten. Der Rest der Welt hat hierfür sechs Jahre gebraucht. Sechs Jahre, sechs Millionen vertriebene Iraker innerhalb und außerhalb des Irak - und weit über eine Million tote oder sterbende Iraker im Land.
Für den Wissenschaftler, für den Forscher ist dies eine Katastrophe, die niemals ausreichend durch Zahlen oder Worte dokumentiert sein wird. Für uns Forscher sind die Zahlen derart unbegreiflich, daß wir sie immer wieder überprüfen um sicherzugehen, daß sie den Tatsachen entsprechen. Als Irakerin machen sie mich zornig. Die Zahlen und Statistiken erfüllen mich derart mit Wut und Scham, daß mein Herz wie wild schlägt und mein Blut kocht. Es ist eine Wut, die sich gegen alle richtet, die schweigen und unbeteiligt bleiben, und Scham darüber, wie wenig wir alle tun.
*Dr. Souad N. Al-Azzawi ist außerordentliche Professorin an der Universität von Bagdad, wo sie früher einen Lehrstuhl für Umwelttechnik hielt. Sie veröfffentlichte zahlreiche Arbeiten über über den Umgang mit gefährlichen Abfällen und Strahlungsbelastung im Zusammenhang mit dem Einsatz von Waffen mit entreichertem Uran im Irak. 2003 wurde ihr der Nuclear-Free-Future-Award für ihre Forschungsarbeit über Umweltbelastungen nach dem Golfkrieg verliehen. Sie ist Mitglied des Beraterteams des Russel Tribunals.
Quellen: https://counterpunch.org / https://www.brusselstribunal.org/
Übersetzt vom Englischen ins Deutsche von Hergen Matussik, einem Mitglied von Tlaxcala, dem Übersetzernetzwerk für sprachliche Vielfalt (www.tlaxcala.es). Diese Übersetzung unterliegt dem Copyleft: sie kann frei verwendet werden unter der Bedingung, daß der Text nicht verändert wird und daß sowohl der Autor als auch die Quelle genannt werden.
https://www.0815-info.de/News-file-article-sid-10497.html
LG
Lilu
"Immer weigere ich mich, irgendetwas deswegen
für wahr zu halten,
weil Sachverständige es lehren, oder auch,
weil alle es annehmen.
Jede Erkenntnis muss ich mir selbst erarbeiten.
Alles muß ich neu durchdenken, von Grund auf,
ohne Vorurteile."
Albert Einstein (1879-1955)