Drei Grundtendenzen, die die Krise im zweiten Quartal 2010 verschärfen werden
Drei Grundtendenzen, die die Krise im zweiten Quartal 2010 verschärfen werden
- Auszug GEAB N°42 (16. Februar 2010) -
Nach unserer Auffassung verstecken Politiker, Wirtschaftsexperten und Zentralbanker hinter den Beschwörungen des Aufschwungs und dem Versprechen vom Ende der Politik der öffentlichen Unterstützung für den Bankensektor ihre Panik. Denn sie sind rat und orientierungslos. Die Politik wurde von der Krise überrascht, weil es den Politikern an der Fähigkeit und Phantasie fehlte, sich eine solche Krise überhaupt vorzustellen. Seit einigen Monaten sind genau die selben Politiker unfähig, sich ein realistisches Bild von der Lage der globalen Wirtschaft zu machen. Und ganz besonders unfähig sind sie einzuschätzen, welche Maßnahme unter den vielen Rettungsaktionen für Wirtschaft und Finanzmärkte welche Folgen und Erfolge zeitigte; dafür waren es zu viele, ist das Gesamtbild der Maßnahmen zu komplex. Damit starren sie wie Rehe in die Scheinwerfer des Autos, das auf sie zurollt, und wissen nicht, in welche Richtung sie springen sollen. Bis zum Ende dieses Halbjahrs wird die wirtschaftliche, politische und soziale Lage sie aus dieser Angststarre reißen. Aber ihre Entscheidungen werden nur kurzfristige Reaktionen auf Detailsituationen sein, jedoch nicht eine allgemeine Strategie zur Überwindung der Krise umsetzen. Allgemein wird in der Politik Chaos herrschen, wodurch die grundsätzliche Tendenz, dass alle Staaten nur noch ihre eigenen Interessen verfolgen und internationale Koordination vernachlässigen werden, der schon heute sehr ausgeprägt ist, noch verstärkt werden wird.
Die intellektuelle Lähmung, die die höchsten Ebenen unserer Gemeinwesen ergriffen hat, erklärt, wie es möglich ist, dass alle wichtigen Treffen von Politikern und Zentralbanker kategorisch das baldige Ende der Notfallmaßnahmen der Jahre 2008/2009 verkünden, genau diese Maßnahmen aber immer weiter verlängert werden. Und wie immer in solchen Situationen wird sich diese Lähmung nur lösen, wenn eine Katastrophe eine Reaktion unvermeidbar werden lässt. Sie durch ein Nachdenken über die langfristig richtige Strategie und ihre Umsetzung zu lösen, kommt in der Geschichte leider so gut wie nie vor. Die Unfähigkeit, im letzten Jahr die zentrale Frage der Schaffung eines neuen Weltwährungssystems anzugehen (1), schafft eine hochgradig labile Situation und zerstört jede Hoffnung auf eine konzertierte Politik der großen Staaten im Interesse der Weltgemeinschaft. Statt dessen rivalisieren Euro und Dollar auf den Finanzmärkten, wachsen die Spannungen zwischen Peking und Washington über das Wechselkursniveau zwischen Yuan und Dollar
Währungsturbulenzen vergiften inzwischen wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen.
Vor diesem Hintergrund internationaler Verwerfungen wollen wir in dieser 42. Ausgabe des GEAB die Entwicklung von drei Tendenzen beschreiben, von denen wir denken, dass sie dazu beitragen werden, dass sich die Krise im zweiten Quartal 2010 noch einmal massiv verschärfen wird:
- Die zunehmende Unfähigkeit der Staaten, ihre wachsenden Defizite zu finanzieren und die dadurch verursachten Staatsbankrotte
- die bei den Banken anstehenden massiven Forderungsausfälle und ihre Auswirkungen auf deren Kapitalausstattung sowie die Unfähigkeit der Banken, ihre eigenen langfristigen Verbindlichkeiten kurzfristig zu finanzieren
- Der unvermeidliche Anstieg der Leitzinsen
Diese drei Tendenzen sind in starkem Maßen miteinander verbunden, denn sie alle basieren auf der selben Tatsache: der kurzfristige Finanzierungsbedarf des globalen Finanzsystems und der westlichen Staaten ist bei weitem größer als das verfügbare Sparaufkommen. Es steht eine große Welle von Krediten zur Rückzahlung oder Neufinanzierung an, die kurz vor Ausbruchs der Krise vergeben wurden (2005/2006). Sie wurden also zu einer Zeit vergeben, als im Finanzsektor alles möglich erschien und damit alles finanziert wurde; auch und vor allen Dingen Unternehmen, deren Erträge zusammengebrochen sind, oder Geschäfte, deren Gegenwerte sich von Tag zu Tag als reine Scheinwerte herausstellen. All den Spekulanten, Finanzhasardeuren und fremdfinanzierenden Unternehmenskäufern (LBO (2)) der Vorkrise wird heute die Rechnung präsentiert. All die, die glaubten, dass nicht mehr sie, sondern nur ihr Geld zu arbeiten habe, werden bald mit der harten Wirklichkeit konfrontiert. In der aktuellen wirtschaftlichen Lage ist ein Rückzahlen oder Refinanzieren von Krediten, die noch vor wenigen Jahren unproblematisch erschienen, mission impossible.
Zum einen ist die durchschnittliche Rentabilität beinahe jeglicher wirtschaftlicher Tätigkeit (soweit die Unternehmen nicht sogar insolvent wurden) auf zwischen 2% und 5% zurück gegangen; vor der Krise erwartete man eine Rentabilität von mindestens 10%.
Zum anderen wird das zur Verfügung stehende Kreditvolumen nicht nur wie in normalen Zeiten von Haushalten, Unternehmen und Investoren nachgefragt, sondern auch von Staaten, Städten und Gemeinden und auch den Banken selbst. Entsprechend hart und unnachgiebig ist der Wettbewerb um die zur Verfügung stehenden Kredite. Da in den letzten zwei Jahren, wie von uns vorher gesagt, ungefähr 30.000 Milliarden Dollar an fiktivem Vermögen sich in Luft aufgelöst haben, ist nicht mehr genug Geld vorhanden, die bestehenden Kredite zurück zu zahlen oder zu refinanzieren.
Die wachsende Verschuldung der öffentlichen Haushalte verdrängt in den USA die Privatwirtschaft vom Kreditmarkt (schwarz: Kreditvergabe an Unternehmen, dunkelgrau: Gesamtbilanzsumme der US-Banken; hellgrau: Entwicklung der öffentlichen Schulden in den
Ohne jeden Zweifel ist das treffendste Beispiel für diese Entwicklung die Verdrängung der Unternehmen vom amerikanischen Kreditmarkt, der der massiven öffentlichen Nachfrage nach Krediten geschuldet ist. Die öffentliche Nachfrage saugt den Markt leer und lässt nichts bis wenig für Unternehmen und Privathaushalte übrig. Außerhalb der USA finden finanzschwache Länder keine Kredite mehr oder müssen erhöhte Zinsen bezahlen, wenn sie nicht sogar schlicht und einfach den IWF um Hilfe angehen müssen (3). https://www.leap2020.eu/Drei-Grundtendenzen-die-die-Krise-im-zweiten-Quartal-2010-verscharfen-werden_a4720.html
2010 wird das Jahr werden, in dem der Begriff der Junk-Staatsanleihen sich allgemein durchsetzen wird: 2008 begann die Reihe der Staatsbankrotte mit Island, sprang nach Lettland (4) über, 2009 dann Irland, Kalifornien und Dubai, und heute ist Griechenland an der Reihe. Dass Portugal und Spanien gefährdet sein könnten, glauben wir nicht, denn die Eurozone erfindet sich gerade aus griechischem Anlass einen Beihilfemechanismus für Mitgliedstaaten, die in Liquiditätsschwierigkeiten geraten; Spanien und Portugal sind noch von einer Größe, die die Eurozone verkraften kann. Aber wer in der Reihe der Staatsbankrotte wartet, sind Japan, Großbritannien und die USA. Das aber will die herrschende Meinung auf den Finanzmärkten und im Weltwährungssystem einfach nicht zur Kenntnis nehmen; sie wüssten dem Problem auch nichts entgegen zu setzen. Denn gegen ein Einbrechen der tragenden Pfeiler eines Systems sind keine Rettungsmaßnahmen möglich (5).
Wegen den im Mai anstehenden Wahlen verzichtet die internationale Presse darauf, über Großbritannien und seine Probleme zu berichten. Statt dessen berichtet sie lieber über Griechenland, um vielmehr davon abzulenken. Dabei verschlechtert sich die Lage in Großbritannien zusehends. Dies umso mehr, als aus wahltaktischen Gründen der Haushaltsentwurf sowie die Entscheidungen der Bank of England alles darauf abstellen, die Verschärfung der Probleme kurzfristig zu kaschieren. Der Haushaltsentwurf der Regierung ignoriert schlichtweg die Notwendigkeit einer eisernen Sparpolitik für wohl die nächsten zehn Jahre; die britische Zentralbank hingegen kündigt an, die Politik des Quantative Easing, also des Gelddruckens, aufzugeben, obwohl sie doch genau weiß, dass niemand außer sie selbst die britischen Staatsanleihen kauft. Da gleichzeitig die Medien nur über die Schwierigkeiten der Eurozone schreiben, lässt sich der einfache britische Wähler davon überzeugen, dass seine weitsichtige Regierung das Verdienst erworben habe, Großbritannien aus den Schwierigkeiten des Kontinents und seiner Gemeinschaftswährung heraus zu halten. Niemand in England scheint bewusst zu sein, dass Standard&Poor das britische Bankensystem aus der Liste der sichersten Banken der Welt gestrichen hat (6). In der britischen Innenpolitik ist diese Art des Vorgehens eine bewährte Methode. Aber in der realen Welt ist damit die post-Wahl-Krise garantiert, wenn Wahlversprechen und Wirklichkeit aufeinander prallen. Wir fragen uns auch, ob es der britischen Regierung gelingen wird, ihre subjektive Sicht der Dinge bis zu den Wahlen den Wählern als objektive Tatsachen vorzugaukeln. Wir erinnern uns noch sehr gut daran (7), dass die US-Republikaner eine vergleichbare Strategie verfolgten, damit aber an der Implosion der Wall Street vor den Wahlen scheiterten.
In den USA stehen dieses Jahr ebenfalls Wahlen an, und auch dort klaffen politische Verlautbarungen/ offizielle Statistiken und die Realität immer weiter auseinander. Besonders auffällig ist dies bei den Verkaufszahlen der US-Staatsanleihen. Auf der einen Seite behaupten die Regierung und die US-Zentralbank, sie gingen weg wie warme Semmel (8), obwohl wegen der wachsenden Defizite immer mehr davon ausgegeben werden müssen. Auf der anderen Seite stagniert die Nachfrage Chinas, das in den letzten Jahren dafür Hauptabnehmer war, bzw. stoßen die chinesischen Behörden sogar US-Wertpapiere ab (9). Da die US-Privathaushalte über sehr wenig Sparvermögen verfügen und inzwischen alle großen Staaten einen immensen Finanzierungsbedarf für ihre wachsenden Defizite haben, bleiben nur zwei Lösungen:
- Tim Geithner zaubert die Käufer von US-Staatsanleihen aus dem Hut
- Die US-Zentralbank kauft unter der Hand die Mehrzahl der US-Staatsanleihen via ihre primary dealers und andere in den Steuerparadisen wie den Cayman-Inseln, den britischen Kanalinseln, HongKong
angesiedelten Finanzinstitute (10)
Für Japan bestätigt sich immer mehr, dass es seine Außenpolitik neu ausrichtet. Tokio sucht immer stärker den Schulterschluss mit Peking. Angesichts der großen Dollarreserven, über die Japan verfügt, wird dies zu einer Schwächung des Dollars führen. Die Liste der Konfliktpunkte zwischen Japan und den USA verlängert sich: Es geht nicht mehr nur noch um die amerikanischen Militärbasen in Japan, sondern zusätzlich auch um die Polemik zu den geheimen Abkommen zwischen Japan und den USA während des Kalten Kriegs. In wirtschaftlichen Angelegenheiten wirft Tokio Washington vor, die Probleme bei Toyota zum Anlass zu nehmen, Misstrauen gegen japanische Produkte im allgemeinen zu schüren. Aber Japan hat noch andere Probleme als nur das sich abkühlende Verhältnis zum großen Verbündeten. Zwanzig Jahre Rezession und explodierende Staatsverschuldung lassen Japan an der Nachhaltigkeit seines Wirtschaftssystems zweifeln. Auch wird es für Japan immer schwerer, seine gigantische Schuldenlast zu finanzieren. Sogar die japanische Regierung kann heute ihre Defizite nur noch mit Schwierigkeiten finanzieren. Für eine japanische Regierung ist dies eine bisher nicht vorstellbare neue Situation.
Eines steht damit fest: Im zweiten Quartal 2010 werden die USA, Euroland, Großbritannien, Japan und China aus ihren süßen Träumen vom Aufschwung aufwachen.
Entwicklung der Zahl der Bankinsolvenzen in den USA und deren Gesamtverluste (2007 2010) (Blau: Insolvenzen; rot: Verluste in Milliarden USD) Quelle: Faillitesbancaires-overblog / FDIC
https://www.leap2020.eu/Drei-Grundtendenzen-die-die-Krise-im-zweiten-Quartal-2010-verscharfen-werden_a4720.html
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Noten:
(1) Das aktuelle Dollar basierte System muss durch eine internationale Korbwährung ersetzt werden (vgl. vorhergehende Ausgaben des GEAB).
(2) Allein in den USA geht Moodys davon aus, dass Kredite im Wert von 1.400 Milliarden Dollar, die aufgenommen wurden, um Unternehmen zu kaufen, große Schwierigkeiten der Refinanzierung haben werden. Quelle: CNBC, 02/02/2010
(3) Quelle: Bloomberg, 27/01/2010
(4) Wegen den in den baltischen Staaten ausstehenden Krediten bleibt die Lage des schwedischen Banken recht prekär. Quelle: Swedishwire, 19/01/2010
(5) Das Unternehmen Aon, dass sich auf Risiko-Staaten spezialisiert hat, schätzt die Zahl der Bankrott gefährdeten Länder auf nunmehr 18; es geht davon aus, dass sich das Problem 2010 zuspitzen wird. Quelle: Business Insurance, 27/01/2010
(6) Quelle: Reuters, 28/01/2010
(7) Dazu haben wir auch allen Grund, denn unsere falsche Einschätzung über die Erfolgsaussichten einer solchen Strategie führte dazu, dass wir uns in unserer Vorhersage über den Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen vollkommen irrten.
(8) Sie können ja auch nichts anderes sagen: Sollten sie es tun, verlöre der Dollar an einem Tag 80% seines Werts
(9) Wie wir es voraussagten, hat China 2009 begonnen, seine Dollars und Wertpapiere in Dollar abzustoßen
(10) Vielleicht versucht die US-Zentralbank aber auch, die US-Geldfonds zu überreden, sie zu kaufen. Ben Bernanke ist in Verhandlungen mit deren Geschäftsführern, um die Liquidität, die in den letzten Monaten in die Finanzmärkte gepumpt wurden, wieder aufzusaugen. Denn angeblich sind die primary dealers nicht mehr in der Lage, diese Aufgabe zu übernehmen. Vielleicht wollen sie aber auch einfach nicht mehr? Quelle: Bloomberg, 11/02/2010
(11) Quelle: New York Times, 26/01/2010
Quelle: https://www.leap2020.eu/Drei-Grundtendenzen-die-die-Krise-im-zweiten-Quartal-2010-verscharfen-werden_a4720.html