Leben mit Depressionen - Umfeld

Droht die Ausgrenzung psychisch Kranker ?

Droht die Ausgrenzung psychisch Kranker ?

Keinen Bonus für die Ausgrenzung psychisch Kranker
Pressemitteilung Familien-Selbsthilfe Psychiatrie (BApK)

(Berlin/Bonn, 6. April 2006). Die Versorgung psychisch kranker Patienten in Deutschland ist in keiner guten Verfassung. Davor warnt die Familien-Selbsthilfe Psychiatrie (BApK) mit Blick auf das neue Arzneimittelspargesetz (AVWG), das am 8. April im Vermittlungsausschuss beraten wird und bereits etwa ab Mitte Mai in Kraft treten könnte.

"Uns macht Sorge, dass Regelungen zu befürchten sind, die den therapeutischen Fortschritt nicht nur stoppen, sondern sogar zu einem Rückschritt führen werden", so die Vorsitzende des Verbandes Eva Straub. Vor diesem Hintergrund gesetzlicher Neuerungen im Gesundheitssystem ist auch die Bilanz ernüchternd, die der BApK bei der Auswertung der von der Selbsthilfeorganisation vor fünf Jahren formulierten Agenda 2006 zieht. Hier hatte die Familien-Selbsthilfe Psychiatrie Forderungen und Vorschläge für eine Weiterentwicklung der psychiatrischen und psychosozialen Versorgung psychisch Kranker aus Sicht der Patienten und ihrer Familien formuliert.

"Die inzwischen auf vielen Gebieten in Kraft getretenen Gesetzesänderungen haben die Situation der psychiatrischen Patienten, ihre Therapie im stationären und ambulanten Bereich, ihre soziale und rechtliche Situation wie auch die Belastungen der Angehörigen nicht wesentlich verbessert", so Straub. Nach wie vor liegt aus Sicht der Familien-Selbsthilfe Psychiatrie den gesetzlichen Maßnahmen die Annahme zugrunde, man könne im Gesundheitswesen weiter auf Kosten der Angehörigen sparen und so grundlegende Defizite des Versorgungssystems ausgleichen. Dabei sind Familien schon jetzt bei weitem die größte Versorgungs- und Betreuungseinrichtung für chronisch psychisch Kranke in Deutschland.

AVWG - Sparen auf Kosten der Patienten

Die Einsparungen durch die Gesundheitsreform 2004 sowie die dramatische Verkürzung der Verweildauer in psychiatrischen Krankenhäusern bei gleichzeitig unzureichendem Ausbau, mitunter sogar Abbau der ambulanten und komplementären Angebote der psychiatrischen Basisversorgung haben bereits für viele psychisch Kranke und damit auch für die betreuenden Angehörigen eine Verschlechterung der Lebenssituation mit sich gebracht.

Nun beobachten die Angehörigen vor allem die geplante Einführung des AVWG und die damit einhergehende Bonus-Malus-Regelung mit Sorge. Es ist zu befürchten, dass das ärztliche Verordnungsverhalten sich noch stärker an wirtschaftlichen Gesichtspunkten orientiert. Damit wird Patientinnen und Patienten eine Versorgung nach modernsten medizinischen Standards vorenthalten, und es kommt aufgrund der strukturellen Defizite zu einer Ausgrenzung der "teuren" Patienten. Dies gilt insbesondere für schwer und chronisch psychisch kranke Menschen. Da die Regelung keinerlei qualitative Steuerung darstellt, sondern lediglich die Therapiekosten pro Tag berücksichtigt, sind auch Unter- und Fehlversorgung weiterhin nicht ausgeschlossen.

Integrierte Versorgung - eine Chance für Patienten und Angehörige

Selbst positive gesetzliche Regelungen der letzten Jahre wie die Möglichkeit einer Verordnung von Soziotherapie oder häuslicher psychiatrischer Krankenpflege sowie die Verbesserung der Integrierten Versorgung durch entsprechende Verträge zwischen den Krankenkassen und Leistungsanbietern sind mittlerweile durch bürokratische Hürden zwischen die Fronten der verschiedenen Interessen geraten. Meist profitieren die Patienten von diesen Innovationen nicht oder nicht flächendeckend.

Dabei entspricht das Modell der Integrierten Versorgung in der Psychiatrie ausdrücklich den Anliegen der Patienten und Angehörigen. Die Überwindung der Sektorgrenzen ist für die sachgerechte Versorgung psychisch Kranker besonders wichtig. Die strikte sektorale Trennung auf Seiten der Leistungserbringer wie auch der Kostenträger führt insbesondere bei psychischen Erkrankungen zu massiven Schnittstellenproblemen, einer unzureichenden Versorgung und damit zu vermeidbaren Kosten. Problematisch erweist sich im Besonderen, dass bei individuellen Einzelverträgen zur Integrierten Versorgung die gleichmäßige Versorgung aller Versicherten nicht gewährleistet ist. Das Konzept der Integrierten Versorgung sollte deshalb gerade bei psychischen Erkrankungen flächendeckend und kassenübergreifend vom Gesetzgeber ermöglicht werden.

Forderungen der Familien-Selbsthilfe Psychiatrie (BApK)

Angesichts der großen und weiterhin steigenden Zahl psychischer Erkrankungen in Deutschland ist es dringend geboten, die Erfahrungen und Perspektiven der Betroffenen und ihrer Angehörigen auch und gerade bei den anstehenden Entscheidungen für eine grundlegende Reform des Gesundheitswesens in Deutschland zu nutzen.

Die konsequente Orientierung an den Bedürfnissen der psychisch Kranken und ihrer Familien in der medizinischen Versorgung - das war und ist das Anliegen des Bundesverbandes der Angehörigen psychisch Kranker. Deshalb fordert die Familien-Selbsthilfe Psychiatrie bei den anstehenden gesundheitspolitischen Entscheidungen:

- Die Berücksichtigung der Patienten- und Angehörigenperspektive und die Einbeziehung der Erfahrungen, wie sie sich in der Selbsthilfe bündeln, müssen gewährleistet werden.

- Weiterhin muss es möglich sein, Therapie und Rehabilitation angepasst an jeden einzelnen Patienten, seine Lebensumstände und Bedürfnisse durchzuführen.

- Das Verordnungsverhalten von Ärzten muss sich vorrangig am Wohl des Patienten und nicht an kurzfristigen Sparzielen orientieren.

- Auch die Versorgung psychisch kranker Menschen darf langfristig nicht vom Fortschritt in der Medizin abgekoppelt werden.

Die Familien-Selbsthilfe Psychiatrie (Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e.V.) ist die Selbsthilfeorganisation und Solidargemeinschaft von Familien mit psychisch kranken Menschen in Deutschland. Der 1985 gegründete Bundesverband versteht sich als Interessenvertretung der Angehörigen psychisch Kranker und als Lobby für psychisch kranke Menschen auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen.

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an:
Familien-Selbsthilfe Psychiatrie
Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e.V.
Pressebüro: Beate Lisofsky, Kirchstraße 32 a, 13158 Berlin
Fon: 030 / 91 20 88 - 63, Fax: 030 / 91 20 88 – 59
https://www.bapk.de/