«Schnecken essen ist Kopfsache»
«Schnecken essen ist Kopfsache»
Grünstadt-Asselheim
Samstag,30/6/2007
- Zitat:
Stefan Charlier nimmt den Begriff Slow Food sehr wörtlich. Die Leibspeise des 60-jährigen Hoteliers aus Grünstadt-Asselheim in der Vorderpfalz sind nämlich Schnecken. Mehr als 30 000 der Tierchen kriechen schleimend über die matschigen Äcker seiner Schneckenfarm - der ersten in Rheinland-Pfalz. Bis die Weichtiere schließlich im Alter von drei Jahren im Kochtopf landen, sollen sie sich bei ihm rundum wohl fühlen. Mit Weinbergblick und viel frischem Grün Es ist bewölkt, nur selten lugt die Sonne durch die Wolken, ab und zu fallen auch ein paar Tropfen Regen «Das ist so richtiges Schneckenwetter», sagt Charlier, zieht sich seine olivgrünen Gummistiefel über und watet durch den Matsch seiner Schneckenfarm. Wobei diese Bezeichnung ein wenig übertrieben ist: Die «Farm» ist ein umzäunter Acker. Der Metallzaun steckt etwa 40 Zentimeter tief im Boden, damit die Tiere nicht Igeln oder Maulwürfen zum Opfer fallen. Auf dem Acker finden sich wiederum einzelne eingezäunte Beete, in denen die Schnecken leben. Zwei verschiedene Schneckenarten tummeln sich auf Charliers Farm In zwei riesigen Beeten sind zigtausende, pflaumengroße gewöhnliche Weinbergschnecken unterwegs - die, die man vom Straßenrand oder aus dem eigenen Gemüsegarten kennt. In einem anderen Beet futtern sich die etwas kleineren gefleckten Weinbergschnecken an Karottenschalen, Blumenkohlstrünken und Kohlrabiresten satt. Obwohl die gewöhnliche Weinbergschnecke laut Charlier eine «kernige Konsistenz» sowie «ein kräftiges Aroma» besitzt, ist die gefleckte Variante die beliebtere Speiseschnecke. Die Franzosen züchten davon riesige Exemplare, die doppelt so groß werden wie die wild lebenden Artgenossen. Doch «so etwas Unnatürliches» will der Hotelier auf seiner Farm nicht haben «In Frankreich werden in 300 Quadratmeter großen Hallen bis zu vier Millionen Schnecken auf ein Mal gezüchtet - das ist doch nichts», sagt er. Seine 30 000 Tierchen sollen im Freien leben, ganz natürlich eben. Das hat Charlier im kleinen Grünstadt-Asselheim aber zunächst auch kritische Blicke eingebracht. Die Farm-Nachbarn hätten zu ihm zwar «nichts gesagt», aber er habe den ein oder anderen schon mal um die Einzäunung schleichen sehen. «Die hatten sicher Angst, die Tiere könnten ausbrechen und über ihre angrenzenden Felder oder Weinberge herfallen», sagt er und beteuert: «Aber hier ist alles sicher.» Aus dem einstigen Schädling Weinbergschnecke ist mittlerweile ein geschütztes Tier geworden Sie für das Abendessen in freier Wildbahn einzusammeln, ist verboten, man muss die Tiere also züchten, wenn man sie essen will. Seit 25 Jahren stehen in Charliers Hotel und seinen beiden Restaurants schon Schnecken auf der Speisekarte. Es gibt sie zum Beispiel in Curry-Mango-Soße oder in mediterranem Gemüseragout. Bislang kamen die Schnecken aus der Konserve oder wurden extra ins Pfalzhotel nach Grünstadt-Asselheim geliefert. Ab diesem Herbst kommen die Tiere vom Acker nebenan. Denn dann kann Charlier seine ersten Schnecken «ernten». Dass viele Menschen der «Delikatesse Schnecke» nichts abgewinnen können, kann der Hotelier durchaus nachvollziehen Trotzdem will er sie sich nicht schlecht reden lassen. «Schnecken essen ist eine reine Kopfsache», findet er. «Wenn man die lebendigen Tiere glibberig und eklig findet, fällt einem ihr Verzehr dann natürlich recht schwer.» Eklig findet Charlier seine Tiere überhaupt nicht. Vorsichtig stapft er durch die Beete und guckt nach seinen Schnecken. «Die sind heute so aktiv», sagt er, hebt eine Handvoll hoch und schaut sie liebevoll an. Dann setzt er sie wieder vorsichtig auf den Boden. Fallen lassen oder werfen dürfe man die Tiere nicht: «Schnecken sind sensibel!» Charlier hat sich in den vergangenen Jahren enormes Wissen über die Tiere angeeignet Nach drei Jahren seien sie geschlechtsreif, sagt er. An den langen Fühlern hätten sie Augen, «sie können aber nur schwarzweiß sehen». Charlier hat seine Tiere aber auch zum Fressen gern. Er hat nichts dagegen, sie in kochendes Wasser zu werfen und zu essen: «Ein Bauer mag seine Schweine auch - und trotzdem lässt er sie schlachten.» |
Quelle:DDP