FanserviceParadise - Herr der Ringe

Whisper

Whisper



Whisper

 

~I~

 

Winter.
Er kann eine Zeit sein, in der alles aussieht, als sei es in tiefem Schlaf. Nichts
scheint mehr wirklich mit dem Lauf der Welt verbunden zu sein. Man geht vorbei
an den vertrauten Orten und weiß, sie existieren nicht wirklich in dieser
Jahreszeit. So unreal scheint alles, ein anhaltender Traum. Man weiß nicht, ob
man für voll nehmen soll, was geschieht; es ist, als wäre man nicht einmal
selbst da.

 

So
fühlte er sich, als er durch die verschneiten Wälder stapfte, als gäbe es ihn
gar nicht, Und all seine Gedanken liefen ins Leere. Es war beruhigend, wenn er es
auf diese Weise betrachtete, denn Frodo gab es hier auch nicht mehr und es war
erträglich, solange sie beide nicht da waren und er nicht ohne ihn weiterexistieren
musste. Doch so sollte es nicht sein, das wusste Sam und er fragte sich, wann
er beginnen würde, es zu verstehen, doch er wollte sich die Zeit lassen, die er
brauchte. Er wollte warten, bis sich etwas veränderte. Vielleicht, bis der
Frühling kam.

 

Und
er kam.

 

Lustlos
stocherte er in seinem Kartoffelbrei herum und wartete noch immer, doch nichts
tat sich. „Papa, man spielt nicht so lange mit dem Essen, das hast du mir
selbst beigebracht.“, Elanor hatte ihre kleine, patschige Hand auf seinen Arm
gelegt und grinste ihn an. „Lass deinen Vater in Ruhe essen, er arbeitet sehr
hart im Moment“, erklang Rosies Stimme von der anderen Seite. Sie versuchte,
ihn so wenig wie möglich zu bedrängen, aber mit ihren mitleidigen Blicken tat
sie es letzten Endes doch und er konnte es nicht ertragen. Er stand auf und
griff sich seine Jacke. „Musst du schon wieder los, Papa?“ Er drehte sich und
drückte Elanor einen Kuss auf die Stirn. „Ich bin ja bald wieder da“, sagte er
und wünschte sich, es wäre nicht so.

 

Die
Luft roch nach einer Ahnung vom Sommer und nach Sams Ansicht waren viel zu
viele Leute auf den Straßen. Manchmal stand er da, wenn sie ihn grüßten und
wusste nicht, was er entgegnen oder ob er einfach weglaufen sollte. Wünschte er
ihnen einen guten Tag? Wünschte er sich umgekehrt von ihnen nicht, dass sie ihm
etwas ganz anderes entgegenbrachten als nur leere Floskeln? Dass sie ihm etwas
wünschten, was er wirklich gebrauchen konnte? Aber sie sahen nicht, dass er
innendrin zerfressen war und dass es so viel zu tun gab. Und wieso fragten sie
niemals nach Frodo? Wieso sprachen sie nie von ihm? Wieso taten sie, als wäre
er nie da gewesen? Er versuchte, sich abzulenken, seine Arbeit so gut wie nur
irgend möglich zu erledigen; es war seine Aufgabe und er wollte es so. Und
Frodo hätte es auch so gewollt. Er war kein Freund von halben Sachen.  

 

Ratlos
stand er vor der zerfallenen Bank. Sie war morsch und mit Blättern bedeckt,
niemand wusste vermutlich mehr, dass es überhaupt einmal eine Bank gewesen war.
Er war fertig mit dem, was er heute hatte tun wollen, hatte einige junge Bäume
gesetzt und nach seinen alten Baustellen gesehen, aber er wollte den Heimweg so
lange wie möglich hinauszögern. Er fürchtete sich vor der Nacht und davor, dass
da nichts war außer ihm selbst, und er daliegen musste und sehen, was niemand,
der richtig hinsah, übersehen konnte.

 

Den
Weg, der links neben ihm lag, hatte er nur einmal betreten in seinem Leben,
denn wenn man ihm folgte, gelangte man irgendwann zu der Straße, die sie damals
aus dem Auenland geführt hatte, weit weg. Er sah dem Weg nach und er stellte
mit Erstaunen fest, dass er das Trostvollste war, das ihm im letzten halben
Jahr begegnet war. Hobbingen, Beutelsend, all das war so real, dass es beinahe
weh tat. Dieser Weg aber war nicht mehr als eine Erinnerung. Eine der
wichtigsten, die er besaß. Er war längst zu Ende.

 

Versonnen
folgte ihm ein paar Schritte, es war, als wandele er in einem Traum. Er lief
ihn entlang, ohne die Vorstellung, am Ende irgendwo anzukommen - denn das war er
ja bereits - und begann bald, ein sehr altes Lied zu pfeifen. Das Zwitschern
der Vögel war hier angenehm, fast lautlos. Schließlich blieb er stehen und fand
sich auf einem kleinen freien Fleckchen wieder. Um die Kronen der umstehenden
Bäume säuselte ein sanfter Wind, der sie kaum in Bewegung versetzte. Es war
warm, doch nicht unangenehm. Er begann, sich die Landschaft genau zu betrachten
und entdeckte, dass es einen kleinen Weyer gab. Er konnte sich daran erinnern,
dass sie hier einmal gerastet hatten während ihrer Wanderung, es kam ihm
unendlich lange her vor. Und doch waren die Momente in seiner Erinnerung nicht
leer, wie man es vielleicht erwartet hätte, er konnte sie sogar mit allen
Sinnen wahrnehmen. Es war, als ob er sie direkt hierher beschwören konnte, in
die Luft.

 

Die
Vorstellung, dass jemand anderes diesen Platz hier betreten konnte, legte sich schwer
in seinen Magen; es sollte keinem erlaubt sein, denn keiner konnte auf die Art
hier versinken, wie er es gerade tat, niemand hatte es wirklich verdient, all
das hier wahrnehmen zu dürfen.

 

„Sei
nicht so hart mit ihnen“, sagte Frodo, „wie sollen sie es denn auch verstehen?
Sie meinen es nur gut mit dir, aber sie denken nicht nach und wissen nicht, was
das Beste für dich ist.“ Sam nickte. Er ließ sich an einem Baumstamm hinab
gleiten. Irgendwie besänftigt schloss er die Augen und spürte eine sanfte Hand
auf seiner Schulter. Mit einem Mal sackte er in sich zusammen, wie ein
Wäschestück, das ins Wasser geworfen wird. Er spürte, wie heiße Tränen aus
seinen Augenwinkeln schossen und sich an seinem Kinn sammelten, er sank
seitlich zu Boden, wo er reglos liegen blieb.

 

Frodos
Stimme redete beruhigend auf ihn ein und er sog sie tief und begierig in sich
auf. Er war immer der einzige gewesen, der verstanden hatte und es würde immer
so sein. Mit geschlossenen Augen lag er still, bis ihrer beider Atem zu einem
einzigen verschmolz und die Dämmerung und ein unwirklich leises Zirpen von
Grillen ihn einhüllten.




 

~II~

 

Als
er am Abend sein Wohnzimmer betrat, saß Merry in einem Sessel und hatte bereits
eine Stunde lang auf ihn gewartet, was er ihm umgehend unterbreitete. „Hast du
mir noch was anderes zu sagen als das?“, fragte Sam etwas schroffer, als er es
eigentlich vorgehabt hatte. „Ja, das habe ich wirklich.“ Merry sah zu Boden,
dann schien er sich einen Punkt an der Wand zu suchen, der ihm half, seine
Worte in Ruhe zu wählen. „Setz dich doch mal“, brachte er schließlich etwas
nervös heraus. Sam verdrehte die Augen. Plötzlich wusste er, worauf das hier
hinauslief. Vielleicht hatte er es von Anfang an gewusst.

 

Betont
langsam und desinteressiert ließ er sich auf einem von Bilbos alten Lehnstühlen
nieder und musterte Merry, was diesen noch unsicherer zu machen schien. Sam
ertappte sich irgendwie dabei, dass er Gefallen daran fand, ihn aus der Fassung
zu bringen, aber er wollte dieses Szenario einfach hinter sich und seine
wohlverdiente Ruhe haben. „Merry, ich habe einen anstrengenden Arbeitstag
hinter mir, also komm zur Sache.“ Schon wieder hatte er eigentlich nicht derart
forsch erscheinen wollen, aber er hatte über wichtige Dinge nachzudenken und
wollte - warum genau wusste er selbst nicht - Merry merken lassen, dass er
störte. Frodo hatte immer elegantere Wege gefunden, unpassende Gäste
loszuwerden, aber danach war ihm gerade  ganz und gar nicht. Er wollte nicht auf die
freundliche Tour kommen, er wollte klare Grenzen setzen.

 

„Naja“,
setzte Merry an, er klang, als bekäme er keine Luft und müsste die Worte
herauspressen. „Wir alle … vermissen Frodo, das weißt du ja sicher.“ Er machte
eine Pause und wartete auf eine Reaktion von Sams Seite, doch dieser weigerte
sich, eine zu zeigen. Schließlich atmete er resigniert aus und fuhr fort: „Ich
rede oft mit Pip darüber … oder mit Estella. Ich habe mich gefragt … ich meine … redest du auch ab und zu? Du,
naja …“, die nächsten Worte spuckte er förmlich aus, wie scharfe Soße, die in
seinem Mund herum brodelte, „Du wirkst oft so, als würdest du alles mit dir
selbst ausmachen. Aber das musst du nicht. Ich meine, wahrscheinlich findest du
das, was ich sage im Moment nervig und überflüssig und willst nur allein sein,
aber trotzdem: Du kannst mit uns reden, wir fänden es schön, wenn wir uns ab
und zu austauschen könnten … Regel nicht alles allein, ja?“

 

Sam
schwieg; sorgfältig schluckte er zuerst die Tränen hinunter und räusperte den
Kloß in seinem Hals weg. Dann stand er auf. „Ok, bist du fertig?“ Merry sah ihn
haltlos an. „Ja, das … wollte ich dir sagen“, sagte er tonlos. „Gut, ich werd‘s
mir merken“, sagte Sam, „aber nervig und überflüssig trifft es schon ganz gut.“
Er ging zum Fenster und sah hinaus, als fände draußen ein Schauspiel statt, das
all seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Merry
ein paar Schritte auf ihn zuging und den Mund öffnete. Jetzt nicht nachlassen.
Noch ein paar Sekunden lang. Merrys Haltung wechselte von angespannt, zu
schlaff und ermattet, wortlos drehte er sich um und verschwand.

 

Sam
drückte seine Stirn gegen die kalte Scheibe. Er fühlte sich wie weggeworfenes,
schimmliges Brot. Er war durchsetzt mit giftigem Myzel. Er war froh, seine Ruhe
zu haben.

 

„Ich
weiß auch nicht, warum ich es nicht ausstehen kann, wenn sie sich solche Sorgen
machen. Es ist ja nett, dass sie das tun und ich will ja nicht, dass sie sich
meinetwegen den Kopf zerbrechen, aber ich will auch nicht reden. Auch, wenn es
sie alle beruhigen würde, wenn ich es täte.“ Sam hatte die Augenlider fest
geschlossen. Er spürte, dass Frodo aufmerksam lauschte. Er wartete ab und
empfand eine Mischung aus Angst und Geborgenheit. Angst, weil er wusste, dass sein
Herr nicht wollte, dass seine Verwandten und Bekannten, an denen er immer
irgendwie gehangen hatte, sich so viele belastende Gedanken machten. Geborgenheit,
weil er andererseita auch sicher war, dass Frodo ihn verstand. Er war
nachsichtig und so tolerant, wie ein Mensch nur sein konnte und er, Sam, konnte
getrost hier liegen, unter der großen Trauerweide, und sich in seinem endlosen
Verständnis und seiner Güte suhlen.

 

„Du
weißt wie Merry und Pippin sind“, sagte Frodo jetzt und Sam hörte, dass er
lächelte, „sie wollen oft mit der Tür durch die Wand, aber diesmal meinen sie
es wirklich  gut mit dir.“ „Ich weiߓ,
sagte Sam und öffnete die Augen. Träges Licht schien durch den Baumwipfel unter
dem er lag. Frodos Haar vermischte sich mit dem Braun der Zweige, als er sich
ein Stück weit entfernte. Er fuhr fort mit Reden und jetzt war seine Stimme
sehr sanft und warm. „Aber leider können sie sich auch nicht vorstellen, wie es
dir geht und wie groß der Unterschied ist zwischen dem was ihnen und dem, was
dir genommen wurde.“

 

Sam
hatte es gewusst. Beruhigt schloss er seine Augen erneut und lauschte Frodos
Schritten, bis sie sich wieder annäherten und er ganz dicht bei ihm war. Die
Wärme der Sonne schmeckte nach Nachmittag und nach dem herannahenden Sommer und
die Zweige der Weide waren unbeweglich. Nichts konnte das Blau des Himmels
trüben und nichts konnte es durchdringen. Sam kannte alles hier, einfach alles,
er kannte diesen Platz wie den Geschmack von etwas, das er in seiner Jugend oft
gegessen hatte und den man nie wieder vergisst. Und genau auf dieselbe Weise
kannte er das Gefühl von Frodos Hand, wie sie mit seinen Haaren spielte und
nicht mehr war. als ein leichter, kühler Windhauch an einem schwülen Sommertag.
Er streifte seine Wange und hüllte alles um ihn herum in ein Kleid, das so
vertraut war, dass es einen verzauberte. So vergangen, dass seine Wucht ein
Ziehen in seiner Brust verursachte. So tief, dass etwas in seinem Kopf
losgetreten war – und Tränen in seine Augenwinkel trieb. Frodo wischte sie
wortlos fort und sagte nach einigen Momenten leise „Ich glaube, wir haben uns
hier in einer Nacht einmal vor den Nazgûl versteckt. Kannst du dich noch an das
Gefühl erinnern, zu wissen, dass man verfolgt wird?“ Sam nickte nur. Das Weinen
hatte ihn erschöpft. Fast hatte ihn bereits der Schlaf übermannt. Er spürte
noch, dass Frodo ihn ansah. „Es war gar nicht so beängstigend, wie man denken
würde … zu zweit“, sagte Frodo und Sam stimmte ihm in Gedanken zu.






 

~III~

 

Sam
saß in einem spröden Büro, auf einem unbequemen Schreibtischstuhl, und fragte
sich, welcher böse Wink des Schicksals ihn um alles in der Welt hierher
verschlagen hatte. Auf der anderen Seite des Schreibtisches versuchte gerade
sein Gegenüber, auf äußerst wichtigtuerische Weise Kontakt mit ihm aufzunehmen.

 

„Nun,
Herr Gamdschie. Wir – das Auenland – schätzen es wirklich außerordentlich, wie
viel Arbeit Sie auf sich genommen und mit welcher Hingabe sie unser geliebten Land
wieder aufgebaut haben.“ Sam nickte beiläufig. Wieso zur Hölle musste er hier
seine Zeit absitzen und mit Hobbits reden, die glaubten, sie seien das gesamte
Auenland? Er kam sich lachhaft vor, wie er hier saß und eigentlich nichts
wollte, als er selbst zu sein.

 

Er
dachte daran, dass Frodo immer über das Verwaltungswesen des Auenlandes gelacht
hatte und gesagt „Nachdem ich den Verwaltungskram von Bilbo hinter mir habe,
weiß ich, dass die Auenländler diese unnötigen Formalien nur beibehalten, damit
das Land nicht ganz so belanglos erscheint.“ Trotzdem hätte Frodo hundertmal
besser in ein solches Büro gepasst, als er jetzt. Er wäre gelassen geblieben
und souverän, er hatte so wenig zu verlieren gehabt und nicht, weil er nichts
besaß. Sam blickte zu Boden.

 

„Da
meine Amtszeit sich nun dem Ende neigt, wie Sie sicherlich wissen, und ich für
eine weitere langsam zu altbin“, sprach der Hobbit hinterm Schreibtisch weiter,
„… nun ja … wäre ich beruhigt, das Auenland auch weiterhin in guten Händen zu
wissen.“ Sam war froh, dass er auf dem Stuhl saß, denn mit einem Mal hatte er
das beklemmende Gefühl, sich irgendwo festhalten zu müssen. Ihm ging alles viel
zu schnell, er fühlte sich wie von einer Horde Oliphanten niedergetrampelt und
Schwindel überkam ihn. Er rief sich Frodos Bild vor sein geistiges Auge und
klammerte sich daran, während sein Gegenüber weitersprach.

 

„Wie
sieht es denn aus? Hätten Sie Interesse, sich für die Wahl aufstellen zu
lassen? Wenn ich mir ansehe, wie Sie Beutelsend wieder in Schuss gebracht
haben, dann weiß ich, dass Sie das auch mit dem ganzen Auenland tun können.“
Sam sah ihn eine Weile lang verständnislos an. Dann fragte er langsam „Wie
meinen Sie das, Beutelsend wieder in Schuss gebracht?“ Die Worte ergaben noch
keinen Sinn für ihn, aber er witterte, dass es nichts Gutes war, was ihm der
Bürgermeister unterbreiten wollte. Dieser sah ihn nur stutzig an und lachte
dann ein volles, kehliges Lachen, von dem Sam sich wünschte, es bliebe ihm im
Halse stecken. „Naja, Sie wissen schon. Wie dieser Tunichtgut Frodo Beutlin das
Erbe vom alten Herr Bilbo verkommen gelassen hat. All die alten Möbel und
kostbaren Stücke, heruntergekommen! Wenn Sie sich nicht um den Garten gekümmert
hätten, wäre das Anwesen vollkommen verwahrlost. Und dann auch noch einfach den
ganzen Besitz an diese Sackheim-Beutlins zu verkaufen! Ein komischer Kauz,
dieser Frodo, das habe ich schon immer gesagt. Und dann auf einmal
verschwunden, wie sein Vetter Bilbo. Der war im Übrigen auch nicht anders.
Keine Wurzeln hatten diese seltsamen Beutlins, das kann ich Ihnen sagen. Da
sind Sie schon ganz anders. Sie sind ein ehrenwerter, tüchtiger Mann, wenn Sie
verstehen. Also … hätten Sie Interesse an dem Posten? Ich könnte Ihnen …“

 

Sam
war aufgesprungen. Ohne zu wissen, was er tat, hatte er sich über die
Tischplatte gebeugt und den anderen Hobbit am Kragen gepackt, während ihm
abwechselnd heiß und kalt wurde. Alles in ihm war vollkommen losgelöst. Nichts
war mehr beisammen, nichts passte mehr. „Wie können Sie es wagen …“, brachte er
hervor und seine Stimme verweigerte ihm beinahe den Dienst. „Wie können Sie nur
…“ Er sah seinem Gegenüber in die Augen und hoffte darin eine Erklärung für
diese Grausamkeit, dieses Verbrechen, zu erkennen, doch da war nur Entsetzen,
wie es von jemandem empfunden wird, der es nicht gewohnt ist, dass man ihm
widersprach, vor allem nicht bei etwas, was mit der allgemeinen Ansicht aller
übereinstimmte.

 

Sam
ließ los und sein Arm zitterte. Nur verschwommen nahm er den Schmerz an seiner
Handfläche wahr, wo der Stoff des Hemdes eingeschnitten hatte. Er kam sich so
klein vor, erbärmlich und belächelt wie ein Kind, das sich zu Weihnachten ein
Pony wünscht und ernsthaft darauf hofft, dass sein Wunsch in Erfüllung geht, während
die Eltern nur schmunzeln und ihm eine Schreibfeder kaufen. Mit einem Mal
konnte er sich sehen, wie die anderen Hobbits ihn sahen. Doch es war ihm egal,
denn er sah auch Herrn Frodo und wie sie ihn einschätzten und das war die
eigentliche Katastrophe, das war, was zählte. Und nichts von dem, was er jemals
sagen würde, würde ihnen die Augen öffnen.

 

Erschöpft
stand er vorm Schreibtisch und fragte sich, wieso er der Einladung überhaupt
gefolgt war. Noch bevor sich der Bürgermeister von seinem Schrecken erholen und
wieder seine Sprache finden konnte, sagte Sam: „Sie wissen doch gar nicht, wovon
Sie da reden“ und verließ das Büro.

 

„Und,
hast du angenommen?“, fragte Rosie beim Abendessen. „Woher wusstest du …?“, Sam
sah sie ungläubig an. Sie grinste amüsiert. „Wer wusste es nicht?“ Eine Säule
aus kochender Wut schob sich Sams Hals empor, er hätte ihr gerne ihr Essen übergeschleudert,
damit ihr dieses dermaßen unangebrachte Grinsen verging. Vorgeführt kam er sich
vor, betrogen. Wieso verdammt nochmal schienen hier alle gegen ihn zu arbeiten?
Wieso glaubten sie, dass es diese Dinge waren, die er wollte? Er stand auf und
verließ wortlos das Zimmer.

 

Er
ließ Beutelsend hinter sich und wusste, wo sein Weg ihn hinführte, zum einzigen
Ort, wo er ihn überhaupt noch hinführen konnte, der einzige ohne Zwänge, ohne
diese giftige Gesinnung, die überall herrschte, sogar in seinem eigenen Haus.
Er ging den Weg mittlerweile mit Genugtuung, war mit Genugtuung außer
Reichweiter all derer, die nichts lieber wollten, als ihn auf irgendeine völlig
falsche Art und Weise zu erreichen. Dabei war er sich nicht einmal sicher, wen
sie erreichen wollten. Was für ein Sam war es, den sie in ihm suchten? War es
einer, den er zurückgelassen hatte? Oder hatten sie sich an ihn gebunden, im
Glauben, er wäre jemand, der er von Anfang an gar nicht gewesen war? Er kam
sich nichtig vor, selbstlos. Wie ein Schatten von etwas, das einmal etwas
gewesen war und jetzt nur noch als rastloser Gedanke in einer Erinnerung
umherstreunte. „Wer bin ich?“

 

„Wer
bin ich, Herr Frodo?“, fragte er, während er seine Füße im Wasser des kleinen
Weyers abkühlte, dessen Temperatur von
Tag zu Tag weiter sank, seit der Herbst näher rückte. Gedankenverloren starrte
er auf Frodos Spiegelbild in der vollkommen unbewegten Wasseroberfläche. „Du bist
mein Sam“, sagte der lächelnd und mit seiner üblichen  beruhigenden Leichtigkeit und mehr hätte er
auch nicht sagen brauchen. Auch, wenn es keine Antwort auf all das war, was Sam
beschäftigte, hier war die Welt in Ordnung, es war wie zu der Zeit, als ihm
genau das als Antwort vollkommen gereicht hatte, weil es eine unumstößliche
Wahrheit gewesen war. „Dein Sam, ja das bin ich.“, murmelte er besänftigt und
die Anspannung fiel abrupt von ihm ab. Es war gut, zu wissen, dass es eine Zeit
gab, wo all das real war, wo all das wichtig und gut war. Es war ein Punkt, zu
dem es sich lohnte, zurückzukehren. Der einzige.

 

Der
Wald hatte sich bunt gekleidet, doch der Herbst schien ihn noch nicht richtig
gefangen zu haben, nur angetastet, wie etwas, das für ihn unerreichbar schien. Tränen
fielen hinab auf die Wasseroberfläche und verschmolzen mit ihr. Sie blieb
unbewegt. Frodos Spiegelbild sah ihn betroffen und aus verständnisvollen Augen
an. „Mein Sam.“




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Fanservice rockz!

Re: Whisper



~IV~



 



Der
2. Jul. Sam dachte an Frodo und daran, wie sie die Julzeit damals verbracht
hatten. Frodo war nie ein großer Anhänger vom Feste-Feiern gewesen, doch Bilbo
hatte es geliebt, sich Gäste ins Haus zu holen und Frodo hatte sich wohl
verpflichtet gefühlt, diese Tradition weiterzuführen. Trotz dem Stress, der für
ihn jedes Mal vor diesen Anlässen entstanden war, hatte er sich meistens nicht
aus der Ruhe bringen lassen und die Dinge erstaunlich gelassen betrachtet. Bevor
die Gäste eingetroffen waren, hatte er einmal zu ihm gesagt „Weißt du,
eigentlich feiere ich die Julzeit gar nicht. Ich sorge nur dafür, dass die
anderen sie feiern können und schaue ihnen dann dabei zu. Wenn ich überhaupt
feiern möchte dann alleine. Nur mit dir zusammen. Aber dann kann man es wohl
auch nicht mehr feiern nennen, schätze ich. Es ist wohl mehr ein Besinnen.“ Dieses
Gefühl, das Jahr zusammen mit Herrn Frodo in seinem kleinen Wohnzimmer mit
einer gemütlichen Pfeife und leiser, ungezwungener Unterhaltung zu beginnen, er
würde es nie vergessen.



 



„Samweis,
möchtest du noch vom Braten?“, Sam sah auf und fühlte sich aus seinen Gedanken
gerissen. Er blickte Rosie an, die ihm die Platte mit dem Fleisch hinhielt und
nahm sie wortlos entgegen.



 



Auf
dem Tisch standen allerlei festtägliche Speisen und an den Tischen saßen die
dazu passenden festtäglich aufgelegten Gäste, die aus dem halben Auenland
bestanden und die vor dem Anwesen von Beutelsend auf Stühlen, Bänken und auch
sonst überall verteilt waren, aßen, tranken und sich amüsierten. Alle außer Sam
selbst. Er bekam eine Gänsehaut von so viel Unwohlsein, das sich in seiner
Kehle sammelte.



 



Gerade
goss Pippin sich zum bestimmt fünften Mal Wein nach und stimmte ein altes Lied
an, dass sie in der Julzeit oft zu singen pflegten und Merry schaute ihm eine
Zeit lang belustigt zu und stimmte schließlich ein. Sam sah zu Rosie hinüber,
die gerade mit Estella und Juweline ihr Glas anstieß und ihm wurde klar, dass
sie schön war. Ihr Gesicht war mild und angenehm und ihr Lächeln war nett und
echt, aber ihre Nettigkeit konnte nicht zu Verständnis werden, vielleicht
konnte sie zuhören, aber was nützte es, wenn sie nicht nachvollziehen konnte,
vielleicht konnte sie halten, aber es war nichts wert, ohne, dass man sich
dabei aufgefangen fühlte.



 



Pippin
tippte ihm auf die Schulter. „Hey Sam, jetzt sing doch mal mit und schau nicht
die ganze Zeit nur so ernst aus der Wäsche!“ Er hatte Recht. Er hatte ja Recht.
Sam begann zu singen:



 



„Freut
euch, ihr Leut‘, wie alle Jahr



Die
freud’ge Zeit ist allzu nah



Wir
wollen feiern, wollen heut



Dem
Tag zuseh‘n in Heiterkeit



 



 



Lasst
Altes ruh‘n, preist das, was ist



Das
schönste, was es gibt, das wisst,



Ist
ein Kamin, ein Pfeifchen fein



Ein
däftig‘ Mal, so soll es sein!



 



 



Aus
Fenstern seht ihr hellen Schein



Der
zeigt und, wir sind nicht a …“



 



 



Er sprang auf und warf
dabei seinen Stuhl um, der krachend auf den Holzdielen aufprallte. Das letzte,
was er sah, waren erschrockene und betretene Gesichter. Empörte, besorgte und
abfällige Rufe folgten ihm den Weg ins Haus hinein und er glaubte, Getuschel
und Gemurmel zu hören, doch es war ihm egal. Er wusste nicht, was er hier tat,
was sie alle hier taten, wieso sie hier feierten, auf Herrn Frodos Anwesen,
einfach dasaßen und ausgelassen aßen und tranken, wo Herr Frodo fort war. Es
fühlte sich so falsch an, dass es drohte, seinen Kopf zu zerreißen. Er stürmte
den Gang entlang in Richtung Arbeitszimmer und nahm zugleich wahr, dass ihm
Schritte folgten. Ohne sich umzudrehen schlüpfte er hinein und verriegelte die
Tür.



 



 



Mit klopfendem Herzen
ließ er sich an der Innenseite der Tür herabsinken und faltete die Hände über
dem Kopf, als er Rosies Stimme auf der anderen Seite wahrnahm. „Sam! Samweis,
komm sofort da raus!“ Er rührte sich nicht. Wann würde es endlich aufhören?
Wann würden sie endlich vergessen, dass er existierte oder, dass sie einmal
etwas in ihm gesehen hatten, was er ihnen nicht mehr geben konnte? „Herr Frodo,
wann lassen sie mich endlich allein mit dir?“, fragte er in Gedanken, doch er
fühlte Frodo weit weg.



 



 



Eine zweite Stimme kam
dazu und er erkannte sie als die von Merry. „Samweis, jetzt lass den Quatsch
und mach die Tür auf. Ich meins ernst. Frodo ist nicht mehr da und du musst
endlich drüber weg kommen! Ihm geht es besser da, wo er jetzt ist, also lass es
endlich auf sich beruhen.“ Sam wurde heiß. Die Hitze stieg in seinen Kopf und
ließ all seine Gedanken rotieren und sich überschlagen. Er war zittrig, aber
zugleich auch unendlich geladen. All diese Menschen, diese sinnlosen,
neunmalklugen Ratschläge, diese dämlichen Floskeln und Ansprachen, er war es so
satt.



 



 



Er stand auf, er öffnete
die Tür. „Was willst du?“, fragte er ein letztes Mal. „Was zur Hölle wollt ihr
alle von mir!? Los, raus damit! Ich will verdammt nochmal nur meine Ruhe also
warum in Gottes Namen seid ihr zu blöd, um das zu kapieren?“ „Jetzt mal
langsam“, sagte Merry in einem Ton, der Sam fast an die Decke gehen ließ, „Sam,
ehrlich jetzt. Glaubst du, wir sehen nicht, was mit dir los ist? Wie seltsam du
dich verhältst? Dass du jeden Tag stundenlang im Wald sitzt und vor dich hin
redest? Du wirst noch krank werden!“



 



 



Sam blieb einen Moment
lang die Luft im Hals stecken. Für einen Bruchteil von Sekunden sah er Merry
nur an und versuchte, das zu begreifen, was gerade geschah. Merry machte einen
Schritt auf Sam zu und für den war es das in dem Moment. Es war, was gefehlt
hatte um ihn aus seiner Starre zu lösen. Er packte Merry am Hemd und schlug ihm
die geballte Faust ins Gesicht. „Haut endlich ab!“, schrie er und seine Stimme
überschlug sich dabei, er musste jetzt tatsächlich krank und völlig außer
Kontrolle erscheinen, das wusste er irgendwo in einer Ecke seines Verstandes,
die noch arbeitete, doch wen kümmerte es noch, wenn er diesen Eindruck ohnehin
schon auf alle machte. „ Ich brauche euch nicht! Keinen von euch! Ihr seid doch
alle miteinander nur verdammte Idioten, die nichts verstehen und sich trotzdem
mächtig toll fühlen! Raus aus Herrn Frodos Haus, alle!“ Schwer atmend stand er
da und nahm nur in Bruchstücken wahr, wie Merry sich die blutende Nase hielt.
Rosie stürmte auf ihn zu und packte ihn an den Schultern, er stieß sie weg, mit
aller Kraft, die er noch hatte. Das letzte, was er sah, bevor er wieder hinter
der Tür verschwand, war, dass Pippin sie auffing. Elanor weinte in ihrem
Kinderzimmer.



 



 



Sam fühlte sich wie
nach einer ganztägigen Hetzjagd, bei der er der Gejagte war. Mit der letzten
Kraft, die er noch aus sich heraus holen konnte, stürmte er zum Fenster und
riss es auf. Die kühle Nachtluft schlug ihm um die Ohren und die Erkenntnis ins
Gesicht, dass ihm dieser Weg versperrt war. Merrys Worte schwirrten wie wild
durch seinen Kopf. Er wusste alles, er war da gewesen, wo er glaubte, ungestört
mit seinem Herrn sein zu können. Der Bann war gebrochen und die
unerschütterliche Gegenwart würde den Zauber der Vergangenheit auffressen. In
seinem Kopf war alles im Begriff, einzureißen. Wie giftige Bisse fühlte es sich
an, die ihm mit jedem Mal den lähmenden Gedanken injizierten, dass er nicht
zurück konnte, nicht zurück wollte, aus Angst, er könnte nichts weiter als
einen normalen Wald vorfinden. Einen plätschernden See. Kalte Herbstluft. Es
war vorbei.



 







~V~



 



In den nächsten Tagen
blieb Sam allein und es schien auch keiner etwas dagegen zu haben. Nur Rosie
kam ab und zu herein, um unter einem Vorwand, wie, ihm Tee zu bringen, sicherstellte, dass er noch in seinem
Arbeitszimmer saß, was er natürlich durchschaute. Aber er machte keine
Anstalten, das Haus zu verlassen. Der Wunsch nach Flucht hatte sich in Luft
aufgelöst und in seinem Kopf hatten sich die Gedanken begonnen, zu klären. Sein
Leben rückte von Tag zu Tag näher an ihn heran. Es war nicht mehr gespalten,
stattdessen begann es, linear dahin zu laufen und überhaupt erst zu existieren.
Er dachte viel nach und kam zu dem Schluss, dass er sich unfair verhalten
hatte. Merry hatte Recht behalten. Er hatte sich Herrn Frodo um jeden Preis
zurückgewünscht, ohne darüber nachzudenken, dass es für ihn nur eine Qual
gewesen wäre, hier weiterzuleben. Aus Liebe zu ihm hätte er sein Wohlergehen
vor seine eigenen Bedürfnisse stellen sollen. All diese Dinge sah er so klar
vor sich, dass es weh tat, dennoch war er zu erschöpft, um den Schmerz in
seinem vollen Ausmaß an sich heranzulassen. Er betrachtete die Dinge aus einer
gewissen Entfernung. Auch betrachtete er Rosie und erkannte, dass sie etwas
Tröstliches hatte, wenn man es zuließ. Er lächelte ihr versöhnlich zu, denn für
eine Entschuldigung hatte er sich nach wie vor bewusst nicht entschieden. Gerne
hätte er Frodo all diese unerwarteten Wendungen in einem Brief geschrieben,
aber er vermied es jetzt, ihn anzusprechen, auch in Gedanken. Ab und zu brachte
Rosie Elanor zu ihm, die eine völlig neue Art von Verhalten ihm gegenüber an
den Tag legte. In der letzten Zeit hatte er wohl so abwesend gewirkt, dass sie
ihn teilweise so schüchtern und zurückhaltend behandelte, als lerne sie in ihm
einen völlig neuen Sam kennen. Andererseits aber sah er ihr an, dass sie sich
erhoffte, etwas von seiner früheren Art wieder zu entdecken. Sie war die
einzige, die ihn besuchen durfte und mit der er wirklich redete. „Erzählst du
mir noch einmal die Geschichte von eurer Reise, Papa?“, fragte sie manchmal
hoffnungsvoll. Eine Geschichte voller Abenteuer und dann auch noch eine wahre,
die ihren eigenen Vater als Helden entpuppte, das war das Allergrößte für sie
in ihrem noch so jungen Leben. Er streichelte ihr beschwichtigend über den goldenen
Schopf. „Ein anderes Mal, Liebes.“, sagte er matt, „Ein anderes Mal.“



 



Eines Tages wusste Sam,
dass es jetzt soweit in Ordnung war und er drängte plötzlich darauf, das Haus
zu verlassen. Rosie sah ihn skeptisch und unsicher an, aber er konnte sie
überzeugen und auch sie konnte nicht leugnen, dass er schon viel zu lange
völlig allein mit seinen Gedanken in einem verstaubten Zimmer gesessen hatte.
Aus Angst, seine Erwägungen könnten sich so in unerwünschte Richtungen
entwickeln, willigte sie schließlich ein.



 



So streifte Sam durch
die winterlichen Straßen von Hobbingen und betrachtete seine Umgebung, als sähe
er sie zum ersten Mal. Schließlich verlangsamte er seine Schritte. Er war am
Ziel. Vorsichtig öffnete er die Tür der kleinen Bäckerei und trat ein. Die
Angestellte hinterm Tresen sah auf und sofort bahnte sich ein verlegenes
Lächeln auf ihr Gesicht. „Guten Tag. Was darf‘s denn sein?“, fragte sie seltsam
gezwungen. „Ein Roggenbrot und drei Nussplunder.“, sagte er und lächelte sie
an. Er kam sich lächerlich vor. War er
das? Hastig packte sie ihm die Dinge ein und reichte ihm sein Wechselgeld
herüber. Als er ging warf er einen letzten Blick auf ihr gequältes Gesicht, als
sie sich um einen Abschiedsgruß bemühte; in ihm drin fühlte es sich an, als
würde Lehm zu Sand. Als er aus der Tür ging, schnappte er einen letzten
Gesprächsfetzen zweier Hobbits auf, die an einem kleinen Tisch saßen und Kaffee
tranken. „… genau so seltsam wie sein ehemaliger Arbeitgeber …“ Sam stand auf
der Straße vor der Bäckerei und wollte sich nicht bewegen. Er war so müde, so
gleichgültig und endlich. Er schaute sich um und alles schien ihm fremd, keiner
der alten Orte schien noch der zu sein, den er aus seiner Kindheit kannte, er
war vollkommen gelöst von dieser Umgebung, nichts an ihm knüpfte hier an.
Instinktiv lief er los. Hier wollte er nicht sein. Und auch sonst nirgendwo.



 



Der Wald war tief
verschneit, der Weyer an vielen Stellen zugefroren. War er dann überhaupt noch
ein Weyer? Endlich hielt Sam an und ließ sich auf dem Boden nieder, da, wo er gerade
stand. Er beugte sich über das starre Wasser und sah hinein. Er blickte in den
Himmel, auf den die Sicht nun nicht mehr vom Blätterdach der Bäume versperrt
war. Von Frodo war keine Spur, wie er es geahnt hatte, und auch sonst war hier
nichts zu finden. Seine Hände schmerzten vor klirrender Kälte und er wünschte
sich, dass sie bald taub würden und er sie nicht mehr spüren musste. So wie
seine Gedanken es bereits waren. Er lehnte sich gegen die alte, kahle
Trauerweide und sah sich versonnen um und der Anblick, der sich ihm bot, war
das Vollkommenste von alledem, was er bisher als tröstlich empfunden hatte.
Alles Leben hier hatte sich dazu entschieden, ein Nicht-Sein einer kranken, dekadenten
Existenz vorzuziehen. Es war eine abwesende Welt für sich, vollkommen frei von
allem und sie träumte den eigenen, erholsamen Traum. Sam war fasziniert und
erfüllt von tiefer Ruhe. Einer, wie er fand, am Ende wohlverdienten. Frodos
Existenz auf der anderen Seite des Meeres kam ihm unwirklich vor. Hier jedenfalls
gab es ihn nicht und auch Sam konnte hier nicht sein. Es war nicht verwerflich,
so zu denken, fand er. „Im Gegenteil. Es ist sogar ein sehr schöner Gedanke“,
stellte er fest, während seine Tränen auf seinen Wangen eiskalt wurden. Ein
schöner Gedanke vor dem Einschlafen.




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