GASAG scheitert vor Bundesverfassungsgericht
Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 76/2010 vom 14. September 2010
Beschluss vom 7. September 2010
Erfolglose Verfassungsbeschwerden eines Gasversorgungsunternehmens gegen die Feststellung der Unwirksamkeit von Preiserhöhungsklauseln
Die Beschwerdeführerin ist ein Gasversorgungsunternehmen, das in Berlin rund 650.000 Haushalte und Kleingewerbekunden mit Gas beliefert. Ihr Preissystem sah sowohl variable Tarife mit einer Preisanpassungsklausel als auch fixe Tarife mit einem Festpreis vor. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beschwerdeführerin für verschiedene variable Tarife war eine Klausel enthalten, wonach der Gaspreis den an den internationalen Märkten notierten Ölpreisen folgen sollte. Insofern sollte die Beschwerdeführerin berechtigt sein, die Gaspreise auch während der laufenden Vertragsbeziehungen an ihre geänderten Gasbezugskosten anzupassen, wobei die Preisänderungen sowohl Erhöhung als auch Absenkung einschließen sollten.
Zum 1. Oktober 2005 und zum 1. Januar 2006 erhöhte die Beschwerdeführerin den Gaspreis in ihren variablen Tarifen jeweils um 0,5 Cent/kWh. Daraufhin klagten mehrere Kunden auf Feststellung der Unwirksamkeit dieser Erhöhungen.
In den Ausgangsverfahren, die den beiden Verfassungsbeschwerden zugrunde lagen, war der Bundesgerichtshof davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin zu den Preiserhöhungen nicht befugt gewesen sei, weil sie sich die Preisänderungen in ihren llgemeinen Geschäftsbedingungen nicht wirksam vorbehalten habe. Da die Kläger nicht Tarifkunden im Sinne der zur Zeit der Preiserhöhungen noch geltenden Allgemeinen Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden (AVBGasV), sondern Normsonderkunden seien, könne sich die Beschwerdeführerin nicht unmittelbar auf die Möglichkeit zur Preisänderung nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV berufen. In ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen habe sich die Beschwerdeführerin ein Preisänderungsrecht nicht wirksam vorbehalten, weil die beanstandete Klausel die Kunden unangemessen benachteilige und daher der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB nicht standhalte. Die Preisanpassungsklausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beschwerdeführerin habe nicht lediglich das Preisänderungsrecht nach § 4 AVBGasV übernommen, sondern weiche - jedenfalls bei der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung - zum Nachteil der Kunden davon ab und sei deshalb unwirksam. § 4 AVBGasV ermögliche nämlich die Weitergabe von gestiegenen Bezugspreisen an Tarifkunden nur insoweit, als die Kostensteigerung nicht durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen werde. Die von der Beschwerdeführerin verwendete Preisanpassungsklausel sehe aber die uneingeschränkte Weitergabe von Bezugskostensteigerungen vor und ermögliche damit eine Preiserhöhung wegen gestiegener Gasbezugskosten auch dann, wenn sich ihre Kosten insgesamt nicht erhöht hätten. Außerdem enthalte die Klausel auch keine Pflicht der Beschwerdeführerin zur Preisanpassung, wenn dies für den Kunden günstig sei.
Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die gegen beide Entscheidungen des Bundesgerichtshofs gerichteten Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Zwar gehört zur Garantie der freien Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) auch die Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen frei mit den Interessenten auszuhandeln, dieses Grundrecht wurde aber durch die angegriffenen Entscheidungen nicht verletzt. Angesichts dieses spezielleren Grundrechts scheidet eine Missachtung der durch Art. 2 Abs.
1 GG geschützten Privatautonomie aus.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Soweit die Beschwerdeführerin in einem der beiden Verfahren gerügt hat, der Bundesgerichtshof habe ihr Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG dadurch verletzt, dass er die - wegen drohender Rückforderungen durch eine Vielzahl von Kunden - existenzbedrohenden wirtschaftlichen Auswirkungen seiner Entscheidung missachtet habe, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil sie dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht gerecht wird. Das Kammergericht und der Bundesgerichtshof haben in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass es hierzu an einem hinreichend konkreten Tatsachenvortrag der Beschwerdeführerin im fachgerichtlichen Verfahren gefehlt habe.
Im Übrigen hat die Kammer Bedenken gegen die Grundrechtsfähigkeit der Beschwerdeführerin, an der ausländische Staaten mittelbar beteiligt sind, dahinstehen lassen und eine Verletzung der geltend gemachten Grundrechte nicht feststellen können.
Nach den Grundsätzen der beschränkten verfassungsgerichtlichen Überprüfbarkeit fachgerichtlicher Entscheidungen sind die Auslegung und Anwendung des einfachen Gesetzesrechts Aufgabe der Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht weitgehend entzogen. Das Bundesverfassungsgericht überprüft - abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot - nur, ob die fachgerichtlichen Entscheidungen Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin hat der Bundesgerichtshof mit den angegriffenen Entscheidungen Bedeutung und Tragweite der Berufsfreiheit nicht verkannt.
Die hier von der Freiheit der Berufsausübung umfasste Privatautonomie setzt auch als Grundlage für das freie Aushandeln einer Vergütung zwischen den Vertragsparteien voraus, dass die Bedingungen der Selbstbestimmung des Einzelnen tatsächlich gegeben sind. Vor diesem Hintergrund ist die Inhaltskontrolle von Formularverträgen nötig, weil es Allgemeine Geschäftsbedingungen der anderen Partei regelmäßig verwehren, eine abweichende Individualvereinbarung zu treffen. Die gerichtliche Kontrolle der Allgemeinen Geschäftsbedingungen kompensiert die mangelnde Verhandlungsmacht des Vertragspartners des Verwenders. Deshalb ist sie als solche auch dann verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Verwender sich auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit berufen kann. Die Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen der jeweils grundrechtlich geschützten Privatautonomie des Verwenders wie der anderen Vertragspartei dient.
Auch die Feststellung des Bundesgerichtshofs, dass die umstrittene Preisanpassungsklausel die Kunden der Beschwerdeführerin entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unangemessen benachteilige (§ 307 Abs. 1 BGB), ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Bundesgerichtshof hat die grundrechtlich geschützte Vertragsfreiheit der Beschwerdeführerin nicht etwa übersehen, sondern sie - wie auch die Vertragsfreiheit der Gaskunden - zum Ausgangspunkt seiner Prüfung gemacht. Bei der gebotenen Abwägung der widerstreitenden grundrechtlichen Schutzgüter hat der Bundesgerichtshof die Vertragsfreiheit der Beschwerdeführerin hinreichend berücksichtigt. Sowohl bei der Herleitung seines Prüfungsmaßstabs als auch bei der Würdigung der konkreten Klausel hat er die Interessen der Beschwerdeführerin in nicht zu beanstandender Weise einbezogen. Bei der Würdigung der umstrittenen Preisanpassungsklausel macht er gerade das vertraglich vereinbarte Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zum Ausgangspunkt seiner Prüfung. Die Beanstandung der Klausel beruht darauf, dass sie nach Auffassung des Bundesgerichtshofs eine einseitige Verschiebung dieses durch die vertragliche Vereinbarung gefundenen Äquivalenzverhältnisses ermöglicht. Diese fachgerichtliche Würdigung des zugrunde liegenden Lebenssachverhalts, insbesondere die vom Bundesgerichtshof angenommene Abweichung der Klausel vom Leitbild des § 4 AVBGasV zum Nachteil der Gaskunden, lässt eine Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht nicht erkennen.
Auch dass der Beschwerdeführerin vom Bundesgerichtshof ein Preisanpassungsrecht entsprechend § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV im Wege ergänzender Vertragsauslegung versagt worden ist, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Diese Auffassung entspricht vielmehr den Vorgaben der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Insbesondere kann die Beschwerdeführerin nicht mit Erfolg einwenden, dass die angegriffenen Entscheidungen das vertraglich vereinbarte Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung beseitigten. Zwar führen die Entscheidungen dazu, dass aus - von beiden Vertragsparteien als solche vereinbarten - variablen Tarifen faktisch Fixtarife werden. Dieser Eingriff in das vertragliche Äquivalenzverhältnis, der sich faktisch zugunsten der Kunden auswirkt, ist aber nur die Reaktion auf die verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Feststellung des Bundesgerichtshofs, dass die umstrittene Preisanpassungsklausel ihrerseits eine unzulässige Verschiebung des vereinbarten Äquivalenzverhältnisses in die umgekehrte Richtung, nämlich zugunsten der Beschwerdeführerin bewirkt hätte.
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