Allgemeine Gliederung und TerminologieDas Ohr umfasst sowohl das Hör-, als auch das Gleichgewichtsorgan. Es besteht aus dem äußeren Ohr, dem Mittelohr und dem Innenohr. Äußeres Ohr und Mittelohr werden häufig auch als schallleitender Apparat bezeichnet und dem Innenohr als Hörorgan im engeren Sinne gegenübergestellt. Der lateinische Name Organum vestibulocochleare (= Vorhof-Schnecken-Organ) benennt das Hör- und Gleichgewichtsorgan nicht nach dessen Funktion, sondern nach einem Hohlraumsystem im Felsenbein, das einen Teil des Schläfenbeins darstellt. In diesem Hohlraumsystem liegen die beiden Hauptteile des Innenohres. Im Vorhof (lat. Vestibulum) befindet sich das Gleichgewichtsorgan und in der Schnecke (lat. Cochlea) der Teil des Hörorgans, der die Sinneszellen enthält. Das Wort Ohr geht auf das indogermanische Wort ous zurück. Die lateinische Bezeichnung für Ohr ist auris, die griechische, von der sich die meisten, das Ohr betreffenden medizinischen Fachbegriffe ableiten, ist otós (z.B. Otologie = Lehre vom Ohr und seinen Erkrankungen, Otologe = Ohrenarzt). Das Ohr ist Gegenstand vieler Redewendungen: über beide Ohren verliebt sein, jemandem sein Ohr leihen, sich etwas hinter die Ohren schreiben, es faustdick hinter den Ohren haben, jemandem einen Floh ins Ohr setzen etc. Die Bezeichnung für den berühmten Ohrwurm stammt aus dem 14. Jahrhundert und ist so gewählt, weil das Insekt dem Volksglauben nach gern in Ohren kriecht. Äußeres OhrDas äußere Ohr (Auris externa) besteht aus der Ohrmuschel und dem äußeren Gehörgang. Die Ohrmuschel (Auricula) ist beim Menschen im Grunde ohne Funktion. Die Stellmuskeln, die bei vielen Tieren die Ohrmuschel entsprechend der Richtung des Schalls verstellen können, sind beim Menschen weitgehend zurückgebildet. Die Ohrmuschel besteht aus elastischem Knorpel, der von Haut überzogen wird. Lediglich das Ohrläppchen ist knorpelfrei. Bei Menschen ist eine große Vielfalt an Ohrmuschelformen anzutreffen. Der äußere Gehörgang (Meatus acusticus externus) ist ein mit Haut ausgekleidetes Rohr von etwa 3-4 cm Länge und 5-10 mm Weite. Er verbindet die Ohrmuschel mit dem Trommelfell. Im äußeren Teil des Gehörgangs, der sich direkt an die Ohrmuschel anschließt, ist die Wand mit elastischem Knorpel versteift. Die Wand der inneren Gehörgangshälfte wird vom Schläfenbein gebildet und besteht somit aus Knochen. Der größte Teil dieser Knochenwand entsteht erst nach der Geburt. Der knorpelige und der knöcherne Teil der Gehörgangswand sind gegeneinander etwas abgeknickt, so dass ein nach unten offener Winkel entsteht. Bei der Untersuchung des Trommelfells mit dem Ohrenspiegel (Otoskop) muss die Ohrmuschel nach hinten oben gezogen werden, um den Knick auszugleichen. Das äußere Ohr enthält die so genannten Ohrschmalzdrüsen, die ein hellgelbes Sekret liefern, und Talgdrüsen, die die eigentlichen Produzenten des Ohrenschmalzes (Cerumen) sind. Größere Ohrenschmalzpfröpfe können den äußeren Gehörgang verstopfen und die Schallleitung beeinträchtigen. MittelohrDas Mittelohr (Auris media) besteht aus der Paukenhöhle mit dem Trommelfell und den Gehörknöchelchen, Nebenräumen der Paukenhöhle im so genannten Warzenfortsatz und der Ohrtrompete. Die Paukenhöhle (Cavitas tympanica) ist etwa 3-6 mm breit und hat sechs verschiedene Wände. Sie enthält die drei Gehörknöchelchen, die Hammer, Amboss und Steigbügel genannt werden. Die Gehörknöchelchen dienen dem Übertragen und gleichzeitigen Verstärken der Schallwellen vom Trommelfell auf das Innenohr. Sie sind durch Gelenke miteinander verbunden. An der seitlichen Wand der Paukenhöhle schließt das Trommelfell (griech. tympanon = Handtrommel) den äußeren Gehörgang gegen die Paukenhöhle ab. Beim Trommelfell handelt es sich um eine etwa 0,1 mm dicke, ovale bis kreisförmige bindegewebige Membran von etwa 1 cm Durchmesser. Sie ist auf der Gehörgangsseite mit äußerer Haut und auf der Seite der Paukenhöhle mit Schleimhaut überzogen. Das Trommelfell kann bei der Ohrspiegelung von außen begutachtet werden. Es glänzt graugelb und lässt Teile der Gehörknöchelchen durchschimmern. Der Hammer ist mit dem so genannten Hammergriff am oberen Teil des Trommelfells angewachsen. Dieser Teil des Trommelfells ist besonders dünn und wird mit dem jeweiligen Druckgefälle ein- oder ausgedellt. Bei einer Entzündung des Mittelohres kann Eiter durch diese dünne Stelle durchbrechen und in den äußeren Gehörgang fließen. Die innere Wand der Paukenhöhle trennt diese vom Innenohr ab. Sie enthält zwei Fenster, die ovales und rundes Fenster genannt werden. Oberhalb des ovalen Fensters verläuft ein kleiner Kanal mit dem so genannten Gesichtsnerven (Nervus facialis, Hirnnerv VII). Auf Grund dieser engen anatomischen Beziehung sind Lähmungen des Gesichtsnerven (Fazialislähmung) eine häufige Folge von Mittelohrerkrankungen. Die vordere Wand der Paukenhöhle hat eine Öffnung, die zur Ohrtrompete führt, die Hinterwand hat Zugang zu den Nebenräumen im Warzenfortsatz. Diese Nebenräume sind mit Schleimhaut ausgekleidet und lufthaltig. Das Dach der Paukenhöhle besteht aus einer dünnen knöchernen Trennwand zur mittleren Schädelgrube. Der Boden der Paukenhöhle grenzt an ein größeres Blutgefäß, die innere Drosselvene (Vena jugularis interna). Die Ohrtrompete (Tuba auditiva) wird nach ihrem Entdecker, dem päpstlichen Leibarzt Bartolomeo Eustachi auch Eustachische Röhre genannt. Sie ist ein etwa 3-4 cm langer Kanal und verbindet die Paukenhöhle mit dem Nasen-Rachen-Raum. Die Ohrtrompete dient dem Druckausgleich für die Paukenhöhle. Beim raschen Überwinden größerer Höhen- und damit Druckunterschiede, z.B. beim Fliegen, im Gebirge oder beim Tauchen, kommt es zu einem Druckgefälle zwischen äußerem Gehörgang und Paukenhöhle. Entsprechend diesem Druckgefälle wird das Trommelfell entweder in die Paukenhöhle oder in den Gehörgang gepresst, was sich als "Druck auf den Ohren" bemerkbar macht. Durch Schlucken oder "Luftpressen" mit zugehaltener Nase lässt sich dieser Druckunterschied ausgleichen. InnenohrDas Innenohr (Auris interna) wird wegen seines komplizierten Kanalsystems auch Labyrinth genannt. Es ist vollständig in das Felsenbein eingelassen und besteht aus dem Schneckenlabyrinth mit dem eigentlichen Hörorgan und dem Vorhoflabyrinth mit dem Gleichgewichtsorgan. Im Gegensatz zum äußeren Ohr und dem Mittelohr, die beide Luft enthalten, ist das Innenohr mit einer klaren Flüssigkeit, der so genannte Peri- und Endolymphe, gefüllt. Peri- und Endolymphe unterscheiden sich in ihrer chemischen Zusammensetzung. Der Knochen, in den das Labyrinth eingelassen ist, umschließt es wie eine Gussform die zugehörige Plastik. Die Form seines Hohlraumsystem entspricht somit der Form des Innenohres und wird deshalb auch knöchernes Labyrinth genannt. Zum knöchernen Labyrinth gehören die Schnecke (Cochlea), in die das Hörorgan eingelassen ist, der Vorhof mit den Vorhofsäckchen des Gleichgewichtsorgans, die Knochenkanäle für die Bogengänge und der innere Gehörgang. Der innere Gehörgang (Meatus acusticus internus) ist etwa 1 cm lang und enthält den Hör- und Gleichgewichtsnerven (Nervus vestibulocochlearis, Hirnnerv VIII), den Gesichtsnerven, die Innenohrschlagader und einen Teil der Innenohrvenen. GleichgewichtsorganDas Gleichgewichtsorgan besteht aus zwei Vorhofsäckchen und drei Bogengängen. Die beiden Vorhofsäckchen (Utriculus und Sacculus) enthalten Sinnesfelder mit den Gleichgewichtszellen für die Registrierung geradliniger Beschleunigungen. Die Gleichgewichtszellen tragen Sinneshaare, die in eine Gallertschicht mit kleinen Kalkkörnchen eingebettet sind. Die Kalkkörnchen biegen die Sinneshaare entsprechend der Schwerkraft seitlich ab und erregen so die Gleichgewichtszellen. Da von den beiden Sinnesfeldern der Vorhofsäckchen jeder Körperseite eines horizontal und das andere vertikal stehen, werden die Sinneshaare entsprechend der Lageänderung des Kopfes unterschiedlich beansprucht. Die drei Bogengänge dienen der Registrierung von Winkelbeschleunigungen. Sie sind mit Endolymphe gefüllt. Bei Bewegungen des Kopfes drückt die Endolymphe auf Grund ihrer Trägheit gegen eine Gallertkuppel im Bogengang. Die Gallertkuppel wird dabei entgegen der Bewegung des Kopfes abgelenkt. Das Sinnesorgan spricht somit nicht auf Bewegung als solche an, sondern nur auf Änderungen der Geschwindigkeit (Beschleunigung). Die Stärke der Beschleunigung bestimmt das Ausmaß der Ablenkung der Gallertkuppel. Die drei Bogengänge stehen entsprechend den drei Dimensionen des Raumes rechtwinklig aufeinander. Aus der Kombination der erregten Gallertkuppeln der verschiedenen Bogengänge wird die Richtung der Bewegung festgestellt. HörorganDas eigentliche Hörorgan wird Corti-Organ oder Spiralorgan genannt. Die ausführliche anatomische Beschreibung geht auf den italienischen Arzt Alfonso Marchese Corti (1822-1888) zurück. Das Corti-Organ liegt innerhalb der knöchernen Schnecke (Cochlea). Die Schnecke besteht aus drei übereinander liegenden Kanälen, die zur Schneckenform gebogen sind. Diese Kanäle heißen (von unten nach oben) Paukentreppe (Scala tympani), Schneckengang (Ductus cochlearis) und Vorhoftreppe (Scala vestibuli). Sie sind durch dünne Wände (Reissner-Membran und Basilarmembran) gegeneinander abgetrennt. Paukentreppe und Vorhoftreppe sind am äußeren Ende der Schnecke durch das Schneckenloch (Helicotrema) miteinander verbunden. Sie enthalten eine klare Flüssigkeit, die so genannte Perilymphe. Der Schneckengang dagegen ist mit Endolymphe gefüllt. In ihm befindet sich das Corti-Organ, das auf der Basilarmembran ruht. Das Corti-Organ enthält ca. 25.000 Sinneszellen, innere und äußere Haarzellen genannt, von denen jede etwa 100 Sinneshaare (Stereozilien) trägt. Oberhalb der Sinneszellen wölbt sich eine gallertige Decke, die so genannte Tektorialmembran. Der HörvorgangDie Schallwellen erreichen das Hörorgan hauptsächlich über die Ohrmuschel und den äußeren Gehörgang, der am Trommelfell endet. Die Schalldruckschwankungen versetzen das Trommelfell in Schwingungen, die sich über die Gehörknöchelchen in der Paukenhöhle auf die Membran des ovalen Fensters übertragen. Dort beginnt das Innenohr. Die Aufgabe der Gehörknöchelchen ist es, den Schall möglichst verlustarm von einem Medium mit niedrigem Wellenwiderstand (Luft im Außen- und Mittelohr) zu einem Medium mit hohem Wellenwiderstand (Lymphe im Innenohr) zu übertragen. Ohne diesen "Impedanzwandler" (lat. impedire = hindern) würde ein Großteil der Schallenergie am ovalen Fenster zurückgeworfen werden. Werden die Gehörknöchelchen zerstört, kommt es deshalb zu einer Verminderung des Hörvermögens um etwa 20 dB (Schallleitungsschwerhörigkeit). Die Impedanzwandlung entsteht u.a. dadurch, dass der Schall von einer großen Fläche (Trommelfell) auf eine kleine Fläche (ovales Fenster) übertragen wird und dass die Hebelkonstruktion der Knöchelchen die Kraft erhöht. Diese Verstärkerwirkung ist von der Tonhöhe abhängig. Die beste Verstärkung erfolgt im Bereich der Eigenschwingungszahl des Trommelfells zwischen 1000 und 2000 Hz, also im Bereich der menschlichen Sprache. Die beiden mit Perilymphe gefüllten Räume des Innenohres, die Paukentreppe und die Vorhoftreppe, grenzen an die innere Wand der Paukenhöhle. Die Vorhoftreppe beginnt am ovalen Fenster und die Paukentreppe endet am runden Fenster dieser Wand. Die von der Paukenhöhle auf die Membran des ovalen Fensters übertragenen Schwingungen führen zu einer Bewegung der Perilymphe in der Vorhoftreppe. Da Vorhof- und Paukentreppe am Schneckenloch miteinander verbunden sind, überträgt sich diese Bewegung auch auf die Perilymphe in der Paukentreppe, wodurch die Membran am runden Fenster ausgelenkt wird. Das runde Fenster dient somit dem Ausgleich des Drucks, der durch die Schwingungen der Perilymphe entsteht. Die Bewegungen der Perilymphe werden über eine Auslenkung der Reissner- und Basilarmembran auch auf die Endolymphe im Schneckengang übertragen. Da diese Bewegungsübertragung wellenförmig erfolgt (entsprechend der Form der ankommenden Schallwellen) wird auch von Wanderwellenausbreitung gesprochen. Dabei nehmen Geschwindigkeit und Länge der Wanderwelle entlang des Weges durch die Schnecke ab. Ihre Amplitude (Auslenkung) dagegen wächst, so dass es zu einer Art "Brandung" der Welle kommt. Der Ort dieser maximalen Auslenkung ist von der Tonhöhe des ankommenden Schalls abhängig. Jeder Schallfrequenz ist somit eine bestimmte Stelle des Schneckengangs zugeordnet. Die Bewegungen der Endolymphe im Schneckengang bewirken eine Verschiebung der Tektorialmembran gegenüber der Basilarmembran. Da die Sinneszellen (Haarzellen) mit ihrem unteren Ende auf der Basilarmembran verankert sind und mit ihrem oberen Ende in die Tektorialmembran hineinragen, führt die Bewegung der beiden Membranen gegeneinander zu einer Auslenkung der Sinneshaare auf den Sinneszellen. Diese Auslenkung verursacht eine Erregung der Sinneszellen, die als elektrisches Signal über die Fasern des Hörnervs zum Gehirn weitergeleitet wird. Wie bereits erläutert, ist jeder Schallfrequenz eine bestimmte Stelle des Schneckengangs zugeordnet, an der die Endolymphe maximal ausgelenkt wird. Dementsprechend kommt es zu einer Erregung nur bestimmter Sinneszellen in Abhängigkeit von der Tonhöhe des ankommenden Schalls. Auf diese Weise können Tonhöhenunterschiede wahrgenommen werden. Erwähnt werden sollte, dass die inneren Haarzellen nicht nur Signale ans Gehirn abgeben, sondern bei einem Schallereignis ihrerseits auch Signale vom Gehirn empfangen. Dies führt im Ergebnis zu einer Empfindungsverstärkung. Eine Schädigung der Haarzellen durch laute Schallereignisse bzw. hohe Schalldrücke führt zur Innenohrschwerhörigkeit. |