Betreute WG für Essgestörte
Titus saß in Tränen aufgelöst auf seinem Bett in seinem kleinen Zimmer und las Louis' Brief zum zehnten Mal. Teilweise war die Schrift schon verschwommen, weil seine Tränen darauf getropft waren, aber er war so kurz dass er ihn ohnehin schon auswendig kannte.
Er schluchzte auf, drückte sich den Brief an die Brust und ließ sich nach hinten sinken. Er fühlte sich schrecklich einsam, und er vermisste Louis über alle Maßen.
Er war zuallererst schockiert gewesen, als Severus und William ihm gesagt hatten, dass Adrian, ihr Bruder, ihm einen Platz in einer betreuten WG verschafft hatte, wo Essgestörte zusammenlebten und Behandlung erhielten. Eigentlich hätte er dankbar sein müssen, aber er hatte nicht weg gewollt von Leuten, die er kannte. Schon gar nicht von Severus und William.
Aber als ihm gedämmert hatte, dass er natürlich auch nur eine Belastung für sie war, hatte er natürlich eingewilligt. William hatte schon etwas blasser ausgesehen in letzter Zeit, schließlich hatte er sich nur kurze Zeit zuvor erst wieder von seinen eigenen schrecklichen Erlebnissen erholt. Und Titus hatte auch langsam geglaubt, dass dieser Traum von ihnen Dreien im Bett nicht wirklich ein Traum gewesen war. Wie er damit umgehen sollte, hatte er allerdings nicht gewusst. Keiner hatte es je angesprochen.
Sie hatten ihn hingebracht, und jetzt lebte er schon ein paar Tage hier und fühlte sich die meiste Zeit sehr einsam. Er sehnte sich nach jemandem, der für ihn da war. Der ihn beschützte. Der ihm sagte, was er tun sollte.
Bei dem gemeinsamen Essen mit seinen Mitbewohnern war er immer schweigsam gewesen, obwohl sie nett zu ihm waren. Aber er fühlte sich nicht wohl hier, und er brachte kaum etwas herunter, wenn das Thema Essen so allseits präsent war.
Er hatte einen Betreuer von außen und einen Paten aus der WG zugewiesen bekommen, und sein Pate hatte ihm alles gezeigt und ihm gesagt, dass er sich immer an ihn wenden könnte. Er war schon länger hier und kannte sich aus. Aber Titus fragte sich, ob er sich denn auch mit den Dingen an ihn wenden konnte, die er wirklich brauchte. Er brauchte Gesellschaft, vor allem nachts. Er konnte kaum schlafen, wenn er in diesem kleinen Zimmer lag, auf seinem Einzelbett, und an Louis dachte. Und das tat er immer.
Und dann war dieser Brief gekommen, gerade eben, und er vermisste Louis mit einer Macht, dass es schmerzte. Wirklich körperlich schmerzte. Er wollte am liebsten zu ihm, sofort, aber Louis' Brief hatte so distanziert geklungen. Wenigstens für den Moment. Er hatte sich in Behandlung gegeben, genau wie er selbst, und obwohl das wohl eine gute Sache war, tat er Titus so leid, und am liebsten wollte er ihn dort herausholen. Er fragte sich, ob Louis sich genauso einsam fühlte, und ob er auch dauernd an ihn dachte. Immerhin liebte er ihn noch. Das zu lesen schmerzte genauso, wie es gut tat.
Titus legte den brief auf sein Nachtkästchen, drehte sich auf den Bauch und vergrub sein nasses Gesicht im Kissen. Gleich war Essenszeit. Wie sollte er denn jetzt etwas herunterbekommen? Sicher würde sein Pate ihn wieder beiseite nehmen und ihm empfehlen, zu seinem Betreuer, einem Therapeuten, zu gehen. Man wurde zu keinem Gespräch gezwungen. Man sollte immer freiwillig gehen, und Titus war noch nie gegangen. Aber vielleicht würde er es heute tun. Vielleicht würde es Louis helfen, wenn er wieder gesund wurde - auf irgend eine Weise. Er fühlte sich nur so schrecklich allein...
Aber wenn er es tat, könnte er Louis wenigstens von Fortschritten schreiben. Louis stellte sich seinen Problemen, und so sollte er es auch tun. Etwas entschlossener setzte er sich auf und wischte sich über sein Gesicht. Er hörte den Essensgong, und er stand auf und straffte sich. Er warf noch einen Blick auf sein viel zu kleines, viel zu leeres Bett und ging dann aus seinem Zimmer, die Treppen herunter nach unten. Heute würde er essen. So normal wie möglich.
*~~~~~~*~~~~~~*~~~~~~*