SPD will 2006 an die Börse
Handelsblatt - 09.12.2003, S. 4
SPD will 2006 an die Börse
Gerüchte, daß die SPD bis 2006 in eine privatrechtlich organisierte,
profitorientierte Kapitalgesellschaft umgewandelt werden soll, haben sich nun bestätigt. Wie Gerhard Schröder, Hans-Jochen Vogel und Matthias Platzeck gestern auf einer Pressekonferenz im Willy-Brandt-Haus erklärten, wird die SPD zugleich an ihrer bisherigen Funktion als einer politischen Partei festhalten.
Was Beobachter schon lange vermutet haben, ist nun zur Gewißheit geworden. Nach langen Diskussionen hat der SPD-Vorstand den revolutionären Beschluß gefasst, die Traditionspartei noch im Jahr 2004 in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln und spätestens 2006 an die Börse gehen. Die SPD AG begreife sich als modernes Dienstleistungsunternehmen, das vor allem in den Geschäftsfeldern Unternehmensberatung, Kommunikation, Event-management und Arbeitsvermittlung tätig werden wolle, erklärte der designierte stellvertretende Vorstandssprecher Matthias Platzeck. In Wahlkampfzeiten werde man auch Aktivitäten nach den Modellen Franchise-Vergabe und Merchandising in Erwägung ziehen. "Im Grunde werden wir das gleiche tun wie bisher - nur eben freundlicher, flexibler und effizienter", so brachte es der ehemalige Parteivorsitzende Hans-Jochen Vogel Punkt. Vogel gilt unter Insidern als aussichtsreichster Kandidat für das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden.
Die Umwandlung des "maroden Polit-Sauriers" in eine "schlanke, dynamische Zukunft AG" bedeute einen "organisatorischen und juristischen Kraftakt" der in der 140jährigen Geschichte der Partei ohne Beispiel sei, so Platzeck weiter. Er sei sich aber sicher, daß die SPD auch diese Herausforderung wie alle bisherigen glänzend bestehen werde.
Der künftige Vorstandssprecher und derzeitige Bundeskanzler Gerhard Schröder räumte ein, daß der geplante Schritt für die SPD auch große Risiken mit sich bringe. Noch sei es nicht gelungen, "alle Vorbehalte auszuräumen." Doch müsse "jeder begreifen", daß für "altes Klassenkampfdenken in einer moderne Dienstleistungspartei kein Platz mehr" sein könne. Er sei zuversichtlich, dass eine konsequente Überzeugungsarbeit erfolgreich sein werde, zumal alten SPD-Mitgliedern für den Erwerb von Aktien und Optionsscheinen besonders günstige Konditionen eingeräumt werden sollen. "Wenn die Genossen, anstatt wie bisher Beiträge zu bezahlen, auf ihrem Konto erst einmal den Eingang
einer Dividende feststellen", so Schröder wörtlich, "dann werden sie den Sinn unserer Politik schon begreifen". Er fordere Mitglieder, Aktionäre und Bürger auf, seine Tätigkeit künftig an der Entwicklung des Shareholder-Value der SPD-Aktie zu messen. Die Umwandlung sei auch als ein klares Bekenntnis für den Standort Deutschland zu verstehen. Ganz bewußt wolle SPD AG allen Menschen ein "Zeichen der Hoffnung setzen" und werde möglicherweise schon 2005 einige hundert Arbeitsplätze schaffen. Hinzu kämen hunderte von Aufträgen an selbständig arbeitende Ich-AG-s.
Indessen stieß die Entschiedung nicht nur innerhalb von SPD-Kreisen auf Kritik. Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker warnte davor, dass die parlamentarische Demokratie an Glaubwürdigkeit einbüßen könnte. Auch Verfassungsrechtler Jürgen von Arnim äußerte Zweifel, ob eine "Partei AG" nach dem Grundgesetz zulässig sei. Ein Gang nach Karlsruhe sei allemal zu erwägen. Nichtregierungsorganisationen wie Transparency International geben indessen zu bedenken, das angestrebte Modell könne unter Umständen zu einer "unübersichtlichen Verquickung von öffentlichen und privaten Interessen" führen. Experten der OECD und der Weltbank begrüßten den angestrebten Schritt indessen. Weltbank-Präsident Michel Camdessus forderte die Regierungsparteien in Ländern der Dritten Welt sogar ausdrücklich dazu auf, dem Beispiel der SPD zu folgen, das überall die "günstigsten Voraussetzungen für Wachstum und Beschäftigung" schaffe, "die man sich denken kann".
Siehe auch die Artikel auf S.5 ("Kommentar") und S.11 ("Finanzmarkt") in
dieser Ausgabe.