Hartz IV vor dem Bundesverfassungsgericht
Hartz IV vor dem Bundesverfassungsgericht
Viele Fragen, kaum Antworten die Bundesregierung blamiert sich vor
dem obersten Gericht. Erste Berichte zur mündlichen Erörterung des
Bundesverfassungsgerichts am 20.10.2009, sowie Kurzeinschätzung und
Hinweise, wie weiterhin mit Überprüfungsanträgen zu verfahren ist
Viele Fragen, kaum Antworten die Bundesregierung blamiert sich vor dem obersten Gericht
Darauf hatten viele Bezieher/innen von Arbeitslosengeld II,
Sozialpolitiker/innen und Fachjuristen lange gewartet: Am 20. Oktober
2009 befasste sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erstmals mit
der Frage, ob die Hartz IV-Regelleistungen IV für ein menschenwürdiges
Leben ausreichen. Nachdem am 20.12.2007 in einem Urteil des Zweiten
Senats des BVerfG die 2005 gegründeten Arbeitsgemeinschaften aus
Arbeitsagenturen und Kommunen für verfassungswidrig erklärt wurden,
droht der Hartz IV-Reform beim Ersten Senat nun ein ähnliches Schicksal
in Bezug auf die Festlegung der Regelleistungen.
Einen ausführlichen Bericht zur Verhandlung veröffentlichte Erwin Denzler auf seiner Website.
Weitere Materialen zum Erörterungstermin:
Erste Kurzeinschätzung von Seiten Tacheles dazu
Aus dem ersten Erörterungstermin ging hervor, dass es dem
Bundesverfassungsgericht nicht nur um die Kinderregelleistungen,
sondern auch um die Regelleistungen der Erwachsenen geht. Das wurde aus
der Einleitung des Herrn Papier deutlich. Somit prüft das BVerfG die
Vorlagebeschlüsse nach den Kriterien Menschenwürde und
Sozialstaatsgebot (Art. 1 und Art. 20 GG) und nicht, ob gegen das
Willkürverbot nach Art. 3 GG verstoßen wurde.
Eines ist damit jetzt schon klargestellt: Das Bürgergeldkonzept der
FDP mit 662 EUR zur Existenzsicherung (inkl. Miete, Heizung, Hausrat,
Bekleidung, Krankenversicherung und Pflegeversicherung) ist mit diesen
in Aussicht gestellten Anforderungen nicht zu vereinbaren.
Denn das BVerfG stellte schon am ersten Verhandlungstag darauf ab,
dass das staatlich gewährleistete Existenzminimum ein Leben in Würde
und soziokulturelle Teilhabe ermöglichen müsse und keinesfalls eine
Existenzsicherung auf unterstem Niveau darstellen dürfe.
Damit positioniert sich das BVerfG gegen die Konzepte der
neoliberale Vertreter wie die Bertelsmannstiftung oder die Initiative
Soziale Marktwirtschaft, die durch gezieltes "Aushungern" oder
chronische Unterfinanzierung Hartz IV- Bezieher/innen in den
Niedriglohn treiben wollen.
Vorläufige Einschätzung zur rechtlichen Lage
- Es gab am 20. Oktober eine mündlicher Erörterung und keine
Urteilsverkündung. Der Ausschluss eines Überprüfungsantrages nach § 44
SGB X über § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II i.V. m. § 330 Abs. 1 SGB III
gilt damit nicht ab dem 20. Oktober, wie wir es zunächst auf der
Tachelesseite eingeschätzt hatten, sondern erst ab Urteilsverkündung,
voraussichtlich im Januar 2010.
Es ist demnach weiterhin bis zur Urteilsverkündung möglich Überprüfungsanträge zu stellen! - Weiterhin sind die Chancen gestiegen, dass das BVerfG feststellt,
die Regelleistungen seien verfassungswidrig und auch für die
Vergangenheit neu zu bemessen.
Aus diesem Grund ist zu empfehlen, rechtzeitig einen
Überprüfungsantrag zu stellen oder neu erlassene Bescheide mit
Widerspruch anzugreifen,
um etwaige Ansprüche rückwirkend zu sichern.
Wir werden nun die bereits veröffentlichten Überprüfungsanträge
überarbeiten und an die neue Situation anpassen. Außerdem werden wie
sie um Musterwidersprüche gegen neu erlassene laufende Bescheide und
gegen abgelehnte Überprüfungsanträge ergänzen sowie die zugehörigen
Verfahrenstipps bereitstellen.
Dafür werden wir aber noch etwas Zeit (voraussichtlich bis Anfang November) brauchen und bitten um etwas Geduld.
Tacheles-Online Redaktion
Harald Thomé