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Fällt Freitag Entscheidung?/Wasserflasche als Dusche AZ-Uelzen (13.12.07)

 Fällt Freitag Entscheidung?/Wasserflasche als Dusche AZ-Uelzen (13.12.07)

Wasserflasche als Dusche


Ein Besuch in Marcos neuem Vorzeige-Knast von Antalya




Aus Antalya berichtet Thomas Mitzlaff

Antalya. Am Eingang
stehen drei Mülltonnen, darauf liegt ein dünnes Eisenrohr, das von
Ziegelsteinen beschwert wird. Immer wenn ein Fahrzeug passieren möchte,
trägt ein mit Maschinenpistole bewaffneter Soldat das Rohr zur Seite –
willkommen im modernsten Knast der Türkei, dem Hochsicherheitsgefängnis
von Antalya. Von hier aus wird Marco heute Vormittag wieder ins Gericht
der Küstenstadt gebracht, zum mittlerweile achten Verhandlungstag.
Das
Gefängnisleben des Uelzener Schülers hat sich seit Mitte November mit
der Verlegung in die gerade eröffnete Justizvollzugsanstalt "L. Tipi"
in den Bergen vor Antalya drastisch verändert. Seine Eltern versuchten
verzweifelt mit einer Vielzahl von Anträgen, diesen Zwangsumzug zu
verhindern – vergeblich. Im alten Gefängnis mitten in der Stadt hatte
Marco mittlerweile ein soziales Umfeld gefunden, in der Großraumzelle
von L. Tipi dagegen saß er zunächst völlig isoliert – ohne Kontakt zu
Mitgefangenen, ohne die für die Ablenkung so wichtigen Bücher, ohne
Stifte.
Das hat sich mittlerweile geändert. Ein zweiter Ausländer,
der ebenfalls mutterseelenallein in seiner Gruppenzelle saß, ist jetzt
gemeinsam mit dem Uelzener Schüler untergebracht.
Die Soldaten, die
das neue Vorzeigegefängnis bewachen, sind stolz auf die Einrichtung. Zu
Marcos Zelle gehört ein eigener Innenhof, auf den er jederzeit
hinausgehen darf. Konsequenz: Ein Kontakt zu anderen Gefangenen ist
praktisch ausgeschlossen, auch zu einer anderen Deutschen, die
ebenfalls im gemischten Gefängnis L. Tipi einsitzt: Die 19-jährige
Sabrina A. aus Nordrhein-Westfalen war im Juli am Ende ihres Urlaubs im
Flughafen mit 20 Kilo Heroin im Gesamtwert von rund 1,5 Millionen Euro
festgenommen worden. Sie wartet ebenfalls im neuen Knast auf ihr Urteil.
Für
deutsche Verhältnisse undenkbar: Die Gefangenen leben in einer noch
längst nicht fertigen Einrichtung.Wenn Marco und sein Zellengenosse
duschen wollen, müssen sie vorerst mit Wasserflaschen vorlieb nehmen,
die sie im Wasserkocher erhitzen und sich dann über den Kopf schütten.
Als Toilette dient ein Loch, an eine Spülung ist nicht zu denken.
Um
den Alltag erträglicher zu gestalten, können die Insassen einmal in der
Woche eine Liste mit Bestellungen abgeben – wenn sie denn Geld auf
ihrem eigens dafür eingerichteten Konto haben. Marcos Familie zahlt
darauf ein, damit ihr Junge sich eine Zahnbürste kaufen kann oder auch
Gewürze, um die Gefängniskost wenigstens ein bisschen schmackhaft zu
machen. Jüngst hat er sich mit seinem Zellengenossen sogar ein
Schachspiel geleistet.
Besuchen dürfen den Jugendlichen nur die
Eltern, einmal in der Woche. Die Aufseher im Verwaltungstrakt sind
allerdings von erstaunlicher Offenheit: Nächster Besuchstermin sei
Donnerstag in einer Woche, von 10 bis 10.30 Uhr in Raum B8. Man solle
aber lieber schon um 9 Uhr da sein, sicher ist sicher, erfährt der
AZ-Reporter. Zu einem Tee wird man auf Nachfrage gern eingeladen, ein
Gebot der Höflichkeit in der Türkei.
Danach muss man dann aber das
Vorzeigegefängnis von Antalya wieder verlassen. Vorbei an dem
Eisenrohr, das der Soldat mühsam beiseite schiebt, auf den
unbefestigten Sandweg, der nach den heftigen Regenfällen eine einzige
Schlammwüste ist.



Marco: Mutter bangt zuhause


Erstmals ist Martina Weiss nicht beim Prozess in Antalya dabei

Von Thomas Mitzlaff




Denn für Marcos Mutter gibt es nur einen Gedanken: Kommt ihr Junge
heute frei? Erstmals wird die Uelzenerin nicht im Gerichtssaal von
Antalya die Verhandlung verfolgen, sondern in der Heimat, in ihrem Haus
in der Uhlenköperstadt. "Es war diesmal einfach nicht machbar", sagt
sie im Gespräch mit der AZ. Beistand beim nunmehr bereits achten
Prozesstag, der für neun Uhr türkischer Zeit (acht Uhr in Deutschland)
wird wieder Marcos Vater Ralf Jahns geben.
Er hält sich bereits seit Sonnabend in Antalya auf, da vergangenen Sonntag der wöchentliche Besuchstag war.
Und
dort hörte Ralf Jahns gestern pünktlich einen Tag vor der dem nächsten
Prozesstag wieder markige Worte vom Anwalt der Nebenklage, Ömer Aycan.
Der Rechtsbeistand der britischen Schülerin Charlotte will für Marco
die Höchststrafe fordern. Diese betrage für Vergewaltigung 15 Jahre,
werde bei Minderjährigen aber auf maximal 10 Jahre verringert, sagte
Rechtsanwalt Ömer Aycan am Donnerstag in Antalya. Er widersprach einem
deutschen Pressebericht, wonach er mit einem Urteil schon an diesem
Freitag rechne. Er erwarte, dass der Prozess auf Januar vertagt werde,
damit die Verteidigung auf die nun vorliegende schriftliche Aussage des
Mädchens reagieren könne. Aycan sieht den 17-jährigen Marco durch die
Aussage seiner Mandantin schwer belastet.
Für die Gegenseite gibt es
drei Szenarien an diesem Freitag. Entweder Marco bleibt tatsächlich in
Haft, er wird nach Hause gelassen oder er bekommt für die Dauer des
Prozesses Haftverschonung, muss aber seinen Pass abgeben und darf die
Türkei nicht verlassen. Die Eltern und ihr Anwaltsteam müssen natürlich
mit jeder Möglichkeit rechnen und das erfordert gründliche
organisatorische Planung. Denn eines soll auf keinen Fall passieren:
Dass ihr Sohn Weihnachten allein in der Türkei sitzt. Doch die
wöchentlichen Besuchstermine in Antalya haben den Urlaub aufgezehrt,
freie Tage schafft sich Martina Weiss nunmehr durch diverse Überstunden
in der übrigen Zeit. Und für Weihnachten ist ein solches Stundenpolster
unerlässlich.
Einen Platz im Flieger für seinen Sohn hat Ralf Jahns
derweil nicht gebucht. Bei den ersten Prozesstagen war das noch anders
gewesen, doch jedes mal blieb Marcos Sitz beim Abflug in Antalya leer.
Doch das dreimonatige Touristenvisum des Jugendlichen ist jetzt
abgelaufen, im Falle einer Freilassung wird die Türkei den 17-Jährigen
abschieben. Und Martina Weiss hofft, dass es genau diese Nachricht ist,
die ihr überbracht wird, wenn heute irgendwann im Verlauf des Tages ihr
Handy klingelt.

Fällt Freitag Entscheidung?


Marco: Charlottes Anwalt erwartet Urteil / Familie hofft auf Fest in Freiheit



mr/tm Uelzen/Antalya. Im Prozess gegen
den Uelzener Schüler Marco könnte am morgigen achten Verhandlungstag in
Antalya eine Entscheidung fallen, nachdem nunmehr die Aussage der
13-jährigen Charlotte dem Gericht übersetzt vorzuliegen scheint. Die
Bild-Zeitung zitiert den Anwalt der jungen Britin, Ömer Aycan, in ihrer
heutigen Ausgabe: "Ich dränge auf ein Urteil am Freitag, werde in der
Verhandlung einen entsprechenden Antrag stellen." Aycan geht davon aus,
dass Marco eine Gefängnisstrafe zwischen acht und 15 Jahren wegen
Missbrauchs einer Minderjährigen bekommt.

Die Anwälte des 17-Jährigen wollen diese Äußerungen nicht
kommentieren. Sie und die Familie des Jungen halten sich in diesen
Tagen spürbar zurück. Hinter den Kulissen laufen aber offenbar diskrete
Vermittlungsversuche.

Die Familie ist ganz abgetaucht, die beiden
Hannoveraner Anwälte Waldraff und Michael Nagel waren zwar gestern
Abend noch im dritten Fernsehprogramm des NDR zu Gast - doch auch dort
nur allgemeine Antworten.

"Wir wollen diesmal ganz bewusst Ruhe
im Vorfeld", erklärt Waldraff. Diesmal werden wieder beide Anwälte aus
der niedersächsischen Landeshauptstadt auf dem Gerichtsflur von Antalya
warten, während hinter verschlossenen Türen die 1. Schwurgerichtskammer
tagt. Dazu aus Istanbul gleich drei türkische Spitzenanwälte. Dass auch
beide deutschen Anwälte diesmal wieder in die Türkei reisen, obwohl sie
doch keinen Zutritt zum Prozess haben, zeigt den Sprengstoff, der in
diesem achten Verhandlungstag steckt. Und es geht wahrscheinlich auch
um die Frage, ob Marco erstmals in seinem Leben ein Weihnachtsfest
hinter Gittern verbringen muss - "das ist natürlich diesmal auch eine
extrem emotionale Angelegenheit", weiß Waldraff.

In Interviews
verbreiten Nagel und er die übliche Zuversicht, sprechen allgemein über
die extremen Belastungen, denen die Familie Weiss nun schon seit acht
Monaten ausgesetzt sind, aber über keine Inhalte. Sobald die Sprache
auf den Prozess kommt, gib es nur noch eine Antwort: "Kein Kommentar".
Und zum Stand der Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, die ja nach
dem erfolglosen Versuch im November, Marco freizubekommen, eingereicht
worden war? "Kein Kommentar". Auch der große Unterstützerkreis von
Marco, der übers Internet (www.hilfe-fuer-marco.de) perfekt vernetzt
ist, hält sich diesmal betont zurück. Keine Zelte vor dem Uelzener
Rathaus in der Nacht vor dem Prozess, keine medienwirksamen Mahnwachen
mit Fackeln. "Ein paar Freunde werden sich in Uelzen treffen und in
Gedanken bei Marco sein", heißt es aus dem Freundeskreis der Familie.

Daran,
dass er womöglich weiter im Gefängnis schmoren muss, mag niemand zu
denken. Eines ist allen klar: Den einst ausgelassenen, unbeschwerten
Jugendlichen wird es nicht mehr geben, wenn er nach Uelzen zurückkehrt.
Und er hier hoffentlich seinen 18. Geburtstag feiern kann. Am 28.
Februar. Doch so weit mag noch keiner denken.



Quelle:az-online.de


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