Fast
anderthalb Jahre nach Beginn des Missbrauchsprozesses gegen Marco W. in
der Türkei war der Freispruch in greifbare Nähe gerückt, jedoch
entschied das Gericht erneut eine Vertagung auf den 10. April 2009.
Dies war eine Überraschung auch für die Rechtsanwälte von Marco W. in
Antalya. Ein vom Gericht in Antalya angefordertes Gutachten belege den
Vorwurf der Vergewaltigung nicht, teilten die Anwälte des 18-Jährigen
mit.
Marco war am 12. April 2007 in seinem Urlaubshotel in Antalya
festgenommen worden. Ihm wurde vorgeworfen, im Osterurlaub 2007 in der
Türkei die damals 13-jährige Engländerin Charlotte sexuell missbraucht
zu haben. Marco hat das stets bestritten und sprach von
einvernehmlichen Zärtlichkeiten nach einem Kennenlernen in der Disco.
Anfangs vertagten die Richter in der Türkei die Sitzungen noch im
Monatsrhythmus, dann ließen sie sich immer länger Zeit, um in dem
Prozess neue, stets ergebnislose Termine anzuberaumen. Beobachter
konnten den Eindruck gewinnen, die türkische Justiz wolle jenen
deutschen Politikern eine Lektion erteilen, die öffentlich auf eine
Beschleunigung des Verfahrens gedrängt hatten.
Krankenhausarzt: Charlotte wurde nicht vergewaltigt
Jetzt
sollte die Verhandlung gegen den jungen Mann aus dem niedersächsischen
Uelzen fortgesetzt, und nun liegt endlich ein vom Gericht schon im
September 2007 angefordertes Gutachten des Rechtsmedizinischen
Instituts des Justizministeriums in Istanbul vor. Darin stehe, dass der
bisherige Ermittlungsstand den Vorwurf der Vergewaltigung nicht stütze,
erklärten Marcos deutsche Anwälte Michael Nagel und Matthias Waldraff.
Bereits im August 2007 hatte ein Krankenhausarzt, der Charlotte
untersucht hatte, zu Marcos Gunsten ausgesagt: Das Mädchen sei nicht
vergewaltigt worden und habe auch keinen Geschlechtsverkehr gehabt.
Allerdings hatte er Spermaspuren gefunden. Der damals 17-jährige Marco
war nach einer Anzeige von Charlottes Mutter festgenommen worden. Der
türkische Anwalt des Mädchens bestreitet allerdings, dass das
Istanbuler Gutachten den Vorwurf der Vergewaltigung entkräftet.
"Definitiv steht in dem Papier nirgendwo, dass es keine Vergewaltigung
war", sagt Ömer Aycan.
Die Linie des Anwalts ist widersprüchlich. Im April hatte er erklärt,
dass eine Haftstrafe für Marco nicht mehr realistisch sei. Kurz vor
Marcos Freilassung aus achtmonatiger Untersuchungshaft im Dezember 2007
forderte er noch die Höchststrafe von zehn Jahren für minderjährige
Vergewaltiger.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland, kurz vor dem Weihnachtsfest
2007, war Marco trotz der versäumten Schulzeit der Realschulabschluss
zuerkannt worden. Inzwischen besucht der 18-Jährige eine Fachoberschule
für Technik.