"Wutbürger machen mich glücklich"
POP: Song-für-Song-Interview mit Söhne-Mannheims-Produzent Michael Herberger zur neuen CD "Barrikaden von Eden"
Von Jörg-Peter Klotz
Nach "ZION" (2000), "NOIZ" (2004) und IZ ON" (2009) ersparen sich die Söhne Mannheims sinnfreiere Vier-Buchstaben-Kombinationen wie "ONIZ" oder "ZOIN" als Titel ihres vierten Albums. Stattdessen gehen sie auf "Die Barrikaden von Eden", über dessen 14 Titel wir mit Produzent, Keyboarder und Bandleader Michael Herberger sprachen - Song für Song. Nach der Festival-Tournee im Sommer und dem Mannheimer Autosymphonic-Event am 10. September geht die 14-köpfige Band um Frontmann Xavier Naidoo mit dem Material ab 10. November auf "Casino BRD"-Hallentournee.
Der erste Song "Barrikaden von Eden" überrascht mit ungewohnt technoiden Beats, fast ein wenig wie Faithless. Wie kam es dazu, und was soll das dem Hörer sagen?
Michael Herberger: Auf die Barrikaden gehen wir ja schon lange, der Song ist also quasi die Fortsetzung der politischen Texte des Vorgängeralbums. Dazu hat dieser für uns neue Stil super gepasst. Das Demo war sogar noch artifizieller, diese technoide Seite habe ich noch etwas homogener gemacht. Wie so oft ist der Song einfach entstanden - hier aus einem der Beats von Xavier Naidoo, die bei uns oft am Anfang des Kreativprozesses stehen. Von unserer Rock-Fraktion gab es keinen Widerspruch, das war eines von 80 Demos, für das wir uns am schnellsten entschieden haben - es war nur lange offen, ob es als Opener taugt.
An die Single "Ist es wahr (Aim High)" schließt sich ein dreiteiliges Gangster-Mini-Hörspiel an, das sich dann durchs Album zieht. Lebt Xavier Naidoo in diesen sogenannten Skits sein Schauspiel- und Comedy-Talent aus?
Herberger: Ein bisschen davon, es macht jedenfalls total Spaß. Und es ist sensationell, wie Xavier die meisten Rollen spricht. Das ist alles seinem Kopf entsprungen und wurde bei unserem DJ Billy Davis im Studio in einer Nacht aufgenommen. Mit Billy und einem Frankfurter Freund als Gastsprecher. Die hatten viel mehr Material, drei Skits haben wir untergebracht. Die Gangstergeschichte mit der Russenmafia passt wunderbar zu diesem mystifizierten Söhne-Mannheims-Charakter seit "ZION". Auf der Platte hatten wir damals ja auch schon mehrere Skits, die teilweise sehr humorvoll waren, die allerdings auch ein wenig die Songs erklären sollten.
"Hier kommen die Söhne" klingt zwar nach Old-School-Hip-Hop, ist aber die rockigste Söhne-Nummer seit langem. Klingt hier der Crossover-Einfluss von H-Blockx-Frontmann Henning Wehland durch?
Herberger: Nein. Zumal wir die Musik ja sowieso nicht so bewusst machen. Wobei sich bei mir seit Monaten eine gewisse Grundtendenz entwickelt hat: Ich habe nach den großen Balladen auf "NOIZ" mehr Bock auf elektronische Musik, Synthie-Sounds und Uptempo. "Und wenn ein Lied" und Co. waren alles tolle Titel, seitdem gelten wir halt als Balladenonkels. Vielleicht kommt deshalb das Bestreben nach mehr Tempo und weniger Streichern. Das äußert sich dann schon bei der Grundeinstellung am Computer, wo man plötzlich 105 statt 75 Beats per Minute einstellt. Aber der spezielle Titel ist eigentlich schon zehn Jahre alt, handelte vom Millennium und hieß "Wie stehen die Chancen, das zu überleben?" Den habe ich noch aus alten Zanki-Studio-Zeiten ausgegraben und komplett neu angefangen, von Hip-Hop-Beats auf Rock. Dann den Refrain von Koshos Gitarre durchbraten lassen, bevor die Jungs den Refrain reingebrüllt haben.
Die recht klassische Söhne-Ballade "Dir gegenüber stehn"wirkt mit ihrem streicherumflorten Gefühlsgesang dagegen wie Balsam für die Ohren. Eine Art Ausgleich für die Fans der "Balladenonkels"?
Herberger: Das ist wirklich eine typische Söhne-Mannheims-Nummer, die würde außer uns niemand so machen. Der leicht nebulöse Text macht viel aus. Das spiegelt sich auch musikalisch in vordergründig sehr einfachen Harmonien, aber es gibt viele Ebenen, die dahinter ineinandergreifen. Das macht es trotz aller Einfachheit spannend.
Wenn man weiß, dass "Freiheit" fertig produziert wurde, als die Jasmin-Revolution gerade losging, hat der Text tatsächlich etwas Prophetisches. Was war da die Inspiration - Musik als machtvolles revolutionäres Mittel wie in Tunesien?
Herberger: Das begann mit einer Improvisation von mir, die Klavier-Figur am Song-Anfang. Damit assoziierte Xavier, ein Lied über Freiheit zu schreiben. Wenn das kurz darauf so aktuell wird, ist das natürlich ein Glücksfall. Das Ziel unserer Musik ist es von jeher, etwas dazu beizutragen, dass die Leute mit offenen Augen durchs Leben gehen, hinterfragen und hinter die Kulissen schauen wollen. Ich denke auch, dass die Leute, vor allem in Deutschland, wacher geworden sind. Wenn Fukushima in Deutschland läge, würden da nicht nur 300 protestieren, sondern bei E.on und Co. stünde kein Stein mehr auf dem anderen. Ich bin also glücklich, dass es jetzt Wutbürger gibt - und noch glücklicher, dass wir vielleicht auch etwas dazu beigetragen haben.
"Oben oder unten" - selten ein so eindeutig modernes Liebeslied von den Söhnen gehört, dass im Vergleich zu "Und wenn ein Lied" wirkt wie eine Hugh-Grant-Romantikkomödie neben einem Liebes-Kostümfilm.
Herberger: "Ich wollt nur deine Stimme hör'n" auf "IZ ON" gäbe es schon auch noch. Aber im Prinzip stimmt's. Die Nummer war in der Produktion schwierig. Ich habe alles versucht, sie mehr auf Pop zu trimmen, zwei Schlagzeuger in drei Studios ... am Ende waren wir doch wieder beim Demo. Mein Job ist es, Schwächen zu entdecken und Potenzial auszureizen. Dabei merkt man manchmal, dass ein Song von einer Schwäche lebt - wenn man die füllt, bleibt womöglich nichts übrig. Und im Radio gibt es ja schon genug Geschrei von US-Popstars ...
Die Musik wurde fast komplett von Ihnen und Naidoo geschrieben. Das mit tickender Tour aufwartende "Neustart" ist einer von zwei Songs, die Michael Klimas mitkomponiert hat. Kommt von tollen Musikern wie Kosho, Bayless, Gustke, Sitzmann und Co. eigentlich nichts für die Söhne Verwertbares?
Herberger: "Neustart" hat Klimas sogar allein geschrieben, von Xavier kommt nur die Gesangsmelodie. Ich schätze ihn als Komponisten und Playback-Lieferanten sehr, aber er hat nur einen Vorschlag eingereicht. Der war so gut, dass Xavier sofort etwas darauf geschrieben hat. Von den anderen kommt natürlich auch etwas, was wo verwendet wird, ist oft eine Timing-Frage. Kosho war schon öfter Co-Autor, Florian Sitzmann hat zuletzt etwas für Xaviers Solo-CD geliefert. Die Songs hätten auch auf einem Söhne-Album landen können.
Die rein englischsprachige Pianoballade "Lonely" räumt allen Sängern etwa gleich viel Raum ein. Sind die paritätischen Spielanteile Absicht?
Herberger: Generell ja, aber Xavier gibt halt die Richtung vor, weil er in der Regel den Refrain schreibt und das Thema bestimmt. Damit ist auch die Rhythmik klar - man kann ja nicht jede Strophe anders phrasieren. An die Vorgaben halten sich die Jungs, auch wenn sie ihren Text selbst schreiben. Es muss dann halt passen und neben Xavier bestehen können. Das hat bei "Lonely" supergut geklappt, wohl auch, weil die meisten mehr Erfahrung mit englischen Texten haben.
Nach dem clubbigen Intro klingt der Text von "Ich lern was über dich", als hätte Naidoo zu tief in die "Cosmopolitan" geschaut - die Söhne Mannheims als Frauenversteher?
Herberger (lacht): Auch. Das wollen doch alle Männer sein. Der witzig gemeinte Falsett-Teil um die Zehen von Halle Berry und Reinhold Messner kam später dazu, um das Frauenversteherische etwas abzumildern.
Tino Oac prägt die sehr positive Midtempo-Ballade "Ich tu es" stark mit, hat sogar einen Song gemischt. Er ist also weiter dabei, obwohl er die Frühjahrstour verpasst hat?
Herberger: Wir proben schon die ganze Woche zusammen. Seine privaten Probleme vom Frühjahr sind erledigt, jetzt geht's weiter. Tino ist jemand, der gesanglich am ehesten mit Xavier mitsingen kann. Er findet immer den richtigen Move, fast wie ein guter Manndecker im Fußball. Das ist toll, weil man so ein sehr lebendiges zusätzliches Element hat und die Gefahr nicht da ist, dass alle außer Xavier als Backgroundsänger gesehen werden.
Die lässige Mischung aus Tasten-Ballade und Crossover-Rock "Wir" ist eines von zwei Liedern, in das Winnie Leyh einen Publikums-Chor von der Club-Tournee im Frühjahr gemischt hat. Wie haben die Söhne insgesamt von dieser internationalen Konzertreise profitiert?
Herberger: Die ursprüngliche Idee war ja einfach, die Band wieder spielen zu lassen. So eine große Formation muss ja erstmal zusammen finden. Das typische Wall-of-Sound-Chaos schaffen wir nur, wenn wir eingespielt sind. Da wir das neue Material in Clubs testen wollten, sind wir wie schon 2007 wieder im Ausland getourt. Für mich war das die schönste Tournee bisher, eine tolle Erfahrung. Und musikalisch hat sich bis Produktionsschluss des Albums bei dem einen oder anderen Lied dadurch schon noch entschieden, wo die Reise hingeht - ob die Bandfassung besser ist als die Studioversion, zum Beispiel.
"Kill All Psychopaths" verbreitet heftige Progrock-Atmosphäre Marke "Armageddon live". War es Zeit, die "Hartriggel" in der Band mal wieder richtig von der Leine zu lassen?
Herberger: Die Nummer ist ja auch schon sehr alt und hätte als "In This For Life" auch schon auf "IZ On" erscheinen können - einige Fans haben es so damals auch live gehört. Zum Beispiel auch beim "Zwischenräume"-Projekt mit dem SWR-Sinfonieorchester. Das war synthiemäßiger, hat jetzt eher was von einer Rock-Oper - was Xavier dann wieder zu einem ganz neuen Text inspiriert hat. So gehen die Prozesse manchmal über Jahre. Man trägt ein Lied mich sich herum, probiert etwas, lässt es wieder liegen - und irgendwann passen die Puzzle-Teile. In diesem Fall war es ein Song mit tief fliegenden E-Gitarren, den ich in einem Londoner Club aufgeschnappt habe.
"Wenn ich die Liebe nicht finde" beginnt sehr ruhig, legt dann aber an Tempo und Intensität enorm zu. Das scheint aus einer Jam-Session entstanden zu sein ...
Herberger: Stimmt, davon gibt es auch eine Elf-Minuten-Version, auf der jeder herumdaddelt. Da kam Andreas Bayless' Talent als Lieferant von Momenten himmlischer Inspiration zum Tragen. Er hat den Song gerettet, als er noch mal mit der Gitarre drübergespielt hat. Aus diesen sechs Minuten Improvisation habe ich die Licks herausgefiltert, die den Song jetzt zusammenhalten.
Mit der Zeile "Eltern wie Engel" ist die Ballade "Für dich" wie gemacht für runde Geburtstage ab 50 und Goldene Hochzeiten. Ist das noch Rock 'n' Roll?
Herberger: Es kann auf einem Album ja nicht alles Rock 'n' Roll sein (lacht). "Dieser Weg" läuft auf Sportfesten, "Abschied nehmen" auf Beerdigungen und "Für dich" eben auf der Goldenen Hochzeit. Eigentlich sollte es sogar "Hoch leben" heißen. Wenn einer so etwas singen kann, ohne dass es schwülstig klingt, dann Xavier. Mit Grönemeyer ginge das zum Beispiel nicht.
Fazit: In meinen Augen ist das Album rockiger, unverkrampfter, eine Spur englischer - und besser als der direkte Vorgänger. Wie sieht es der Macher?
Herberger: Ich finde, es hat sich gelohnt, viele, viele Demos zu schreiben und dann aus 80 Songs die 14 auswählen zu können, die gut zusammenpassen. Das hört man dem Album auch an: Es gibt keine Füller, nur 14 kleine Schmuckstücke.
Morgenmagazin 12. Mai 2011
Weitere Informationen
Info
Zur Person: Michael Herberger wurde am 25. Dezember 1971 in Mannheim geboren. 1995 gründete der Urgroßneffe von Trainerlegende Seppl Herberger unter anderem mit Xavier Naidoo die Band Söhne Mannheims. Er ist Musikalischer Direktor, Produzent und Keyboarder der heute 14-köpfigen Band. Am 13. Mai erscheint ihr viertes Studioalbum "Barrikaden von Eden". Open Air: Am Freitag, 3. Juni, 19.40 Uhr , spielen die Söhne auf der Centerstage bei "Rock im Park" in Nürnberg (Tagesticket 75 Euro, Festival-Pass 160 Euro plus Gebühren), tags darauf um 21 Uhr bei "Rock am Ring" vor Coldplay auf dem Nürburgring (Drei-Tages-Ticket: 170 Euro + Gebühren). Autosymphonic: Automobil-Spektakel am Wasserturm, 10. September. Karten: 0621/10 10 11 (29,50 bis 197,50 Euro). "Casino BRD"-Tour: Start am Donnerstag,10. November, Festhalle Frankfurt. Abschluss: Donnerstag, 24. November, Porsche-Arena Stuttgart (ab 57,60 Euro + Gebühren, www.eventim.de). jpk
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