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Das Kosovo und das Testament seines Sohnes (05.07.) (Wolfgang Ischinger)

Das Kosovo und das Testament seines Sohnes (05.07.) (Wolfgang Ischinger)

Häufig sieht man Wolfgang Ischinger mit hochrangigen Politikern. Doch an diesen Tagen trifft man den deutschen Botschafter in den Straßen von Berlin. Er begleitet keine Prominenz, sondern Schüler aus dem Kosovo.

Veton hat sich Berlin irgendwie anders vorgestellt: "Ich habe nicht geglaubt, dass es so groß sei. Wir haben eine Busrundfahrt durch die Stadt gemacht. Sie ist ja riesig!". Seit einigen Tagen reist der 15-Jährige mit sieben anderen Jugendlichen quer durch die deutsche Hauptstadt. Gerade überqueren sie in zwei Etappen die breite Gertraudenbrücke auf der Fischerinsel in Berlin-Mitte. Von einer Baustelle in der Nähe dröhnen Maschinen. Der Lärm der Großstadt stört Veton nicht. Er wundert sich über die Grünflächen und das alles so ordentlich und sauber sei.

Veton kommt aus einem kleinen Dorf namens Sllatina im Süden Kosovos und bereitet sich gerade auf die Oberschule vor. Seine neunte Klasse wird er in der Stadt fortsetzen. Sein Dorf ist zu klein, um ein Gymnasium zu haben. Und es hätte womöglich nicht einmal eine Grundschule, wäre da nicht die Großzügigkeit eines jungen Mannes, der vor zehn Jahren starb.

Ein Kinderprojekt im Kosovo

 

Die kleine Dorfschule trägt seinen Namen: Florian Ischinger. Der Diplomatensohn kannte den Balkan durch die Tätigkeit seines Vaters, Wolfgang Ischinger. Der deutsche Botschafter hatte in den 1990er-Jahren mehrmals zwischen den dortigen Konfliktparteien vermittelt. Unter seiner Mitwirkung kam 1995 das Daytoner Abkommen zustande. Sein Sohn Florian verfasste später eine ausführliche Studienarbeit über dieses Thema. "Er war sehr engagiert und fand es furchtbar, was damals in Bosnien und am Ende der 90er-Jahre in Kosovo passierte", erzählt sein Vater.

 

Dann starb der Sohn. Der knapp 20-Jährige vermachte in seinem Testament sein gesamtes Geld einem Kinderprojekt in Kosovo.

 

Wolfgang Ischinger wandte sich an den Cap Anamur-Gründer Rupert Neudeck - noch voller Trauer aber bereit, das Testament zu erfüllen. "Ischinger rief mich an und sagte, ich solle mich nicht wundern, wenn das Gespräch plötzlich abbrechen würde", erinnert sich Neudeck heute.

 

Damals hatte der weltbekannte Helfer mit dem Wiederaufbau des Kosovos alle Hände voll zu tun. Neudeck schlug Sllatina das 200-Seelendorf in der Provinz Kaçanik für das Projekt vor. Wie das gesamte Dorf  war auch die Schule 1999 während des Krieges zerstört worden. Das Geld reichte gerade, um sie wieder aufzubauen.

 

Eine Woche in Berlin

Sieben Jahre später unternahm Wolfgang Ischinger als EU-Vertreter in der sogenannten Kosovo-Troika den letzten Vermittlungsversuch zwischen Serben und Albanern. Schulleiter Enver Dalloshi ist stolz auf seine Freundschaft mit Ischinger. Der jetzt 64-Jährige besucht die Sllatina-Schule von Dalloshi regelmäßig. "Beim letzten Besuch dann entstand dann die Idee, die Schüler nach Berlin einzuladen", erzählt Dalloshi“.

 

Der erfahrene Gastgeber Ischinger hat für den einwöchigen Aufenthalt der acht Schüler ein volles Programm vorbereitet: Schiffrundfahrten, Grillabend im Berliner Stadtpark "Tiergarten", einen Besuch im Berliner Zoo sowie eine Grillparty. Und dann durften die Schüler auch hinter jene Türen schauen, die stets von Polizisten bewacht werden, die des Auswärtigen Amtes

Die Sicherheitskontrollen erinnerten Amira an den Flughafen von Pristina. Sie sei dort zum ersten Mal in ein Flugzeug gestiegen. "Beim Start und bei der Ladung hatte ich große Angst, aber über den Wolken war es sehr schön", sagt die 12-Jährige mit dem dunkelblonden Pferdeschwanz und lächelt schüchtern. Lange davor habe sie sich schon auf die Fahrt nach Berlin gefreut. Nun wisse sie nicht, wo sie anfangen solle, wenn sie ihren Freundinnen in Sllatina von Deutschland erzählen wird. "Von den hohen Gebäuden und breiten Straßen und den unzähligen Geschäften", fängt sie an zu erzählen. "Die Parks, der Zoo", ruft  ein Junge hinzu. "Von dem  Holocaust-Mahnmal" fügt der Lehrer Mensur Elezi hinzu. "Ich habe es ihnen erklärt: Die Deutschen haben ihre Schuld eingestanden. Wir müssen auch erreichen, dass die Serben ihre Schuld anerkennen", erklärt der Lehrer. Doch die Kinder scheinen nicht so genau zuzuhören. Nur Veton, dessen Vater im Krieg gefallen ist, nickt zustimmend.

 

Autorin: Anila Shuka
Redaktion: Kay-Alexander Scholz

Quelle: DW World.de Deutsche Welle

Anmerkung: Ich finde diesen Artikel wunderbar! Wunderbar ob des Themas, wunderbar, dass es Menschen gibt, die etwas verändern.