Perspektive Kosova -
Gebietsteilung in Kosova

Wo Brücken trennen (05.07.)

Wo Brücken trennen (05.07.)

Ein Toter und elf Verletzte – das ist die traurige Bilanz blutiger Straßenproteste in der geteilten Stadt Mitrovica im Kosovo. Die jüngste Republik der Welt ist zwei Jahre nach ihrer Unabhängigkeit noch tief gespalten.

Von Petra Sorge

Plastiktüten wehen über den Asphalt, KFOR-Hubschrauber fliegen tief über Mitrovica. In einer Seitenstraße stehen sechs Panzer des dänischen NATO-Kommandos. Sie bewachen die Brücke über den Ibar – eine Brücke, die nicht verbindet, sondern den serbischen von den albanischen Stadtteilen trennt. Neben den Panzern, akkurat aufgereiht, liegen Helme, Stöcke und Schutzschilde, die am Morgen noch im Einsatz waren. In einem Protestzug waren rund 1000 Serben in die albanischen Viertel vorgedrungen. In der Menge explodierte ein Sprengsatz, der einen unbeteiligten Kinderarzt tötete und elf Menschen zum Teil schwer verletzte. Von welcher Seite der Angriff kam, ist noch unklar. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wird ab 6. Juni in einer Dringlichkeitssitzung über die Vorfälle beraten.

„Das ist schon lange kein außergewöhnlicher Einsatz mehr“, sagt Kompaniechef Jesper Pedersen, der bereits in Irak und Afghanistan stationiert war. „Die Situation ist schon deutlich ruhiger geworden“. Blutige Straßenschlachten als Normalzustand – die geteilte Stadt Mitrovica im Norden des Kosovo ist ein Symbol für die zerrissene Republik. Von den rund 110.000 Einwohnern sind rund ein Fünftel Serben, die Belgrad und nicht Pristina als ihre Hauptstadt betrachten.

Friedensplan unter Kritik

Der KFOR-Einheit nähert sich ein blonder Tourist mit runder Brille und geblümtem Hawaiihemd, er hält eine Digitalkamera in seiner Hand. „Als ich vorhin ein paar Fotos machte, kam ein Serbe auf mich zu und fragte mich, woher ich komme“, erzählt Timo Laine aus Finnland, der mitten in die Versammlung in der Innenstadt geriet. „Er wurde wütend und sagte, ich solle dahin zurück, wo ich herkomme. Er sagte auch noch irgendetwas über Ahtisaari.“

Der ehemalige finnische UN-Sondergesandte Martti Ahtisaari, den die Republik als Verfassung übernahm. Das Dokument fordert Dezentralisierung und stellt das Land unter internationale Beobachtung. Doch in beiden Lagern stößt der Plan auf Kritik: Den Albanern fehlt es an Selbstbestimmung, die Serben erkennen den Staat Kosovo nicht an.

Auf der serbischen Seite des Ibars stehen einige Jugendliche, die an den Protesten teilgenommen haben. „Die Albaner können nicht einfach ihre Institutionen in unserer Stadt bauen“, sagt ein 17-Jähriger, „die wollen doch noch den serbischen Teil einnehmen“. Am Morgen hat die Kosovo-Regierung ein Büro im nördlichen Teil der Stadt eröffnet. Das Büro, das Personaldokumente für Staatsbürger ausstellen  soll, ist aus Sicht Pristinas ein erster Schritt in Richtung der Integration der Region. Serbische Demonstranten, die den  kosovarischen Staat ablehnen, marschierten in Richtung des Gebäudes. Doch Polizisten der EU-Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX schirmten das Gelände weiträumig ab.

Jugend ohne Perspektive

Der Jugendliche kannte den getöteten Kinderarzt, so wie seine Freunde. „Er war ein guter Mensch, sehr sportlich, Vater von vier Kindern. Wir haben ihn jeden Tag gesehen.“ Das Opfer sei Muslim gewesen, so wie die meisten Albaner, die 91 Prozent der Bevölkerung Kosovos ausmachen. Doch als Bosnier stand er zwischen den Fronten, wohnte in einem gemischtethnischen Stadtteil. Er kehrte gerade vor seiner Haustür, als er von der Explosion zerrissen wurde, wie die Kosovo Polizei bestätigt.

Dort fährt jetzt ein Kind Fahrrad, einige Männer rauchen vor einem Dönerladen. „Das ist Ghetto hier“, erzählt einer von ihnen, Politikstudent, „nicht einmal die Taxis fahren auf die andere Seite“. Er zeigt auf eine Leine, die zwischen zwei Hauswänden quer über die Straße gespannt ist. Dort wehen fünf rote Fahnen mit einem schwarzen Adler, dem Wappen Albaniens. „Die Leute haben auch eine davon verbrannt heute Morgen.“

Die Jugend im Kosovo ist verbittert. Viele Absolventen und Schulabgänger erwartet die Arbeitslosigkeit. Im ärmsten Land Europas haben 40 Prozent keinen Job, 17 Prozent leben von weniger als einem Euro am Tag. Mitrovica ist Drehscheibe krimineller Schlepperbanden und Drogendealer, die die unsichere Grenze zu Serbien als Schleuse nutzen.

Zerrissene Landsleute

Der Vorfall in Mitrovica war nur ein Teil einer Serie von serbischen Protesten: Bereits am 28. Juni hatten sich Serben südlich der Hauptstadt Pristina versammelt, um anlässlich des 621. Jahrestags der Schlacht am Amselfeld zu gedenken. Die historische Schlacht, in der 1389 Serben und Bosnier den Osmanen unterlagen, wurde von Slobodan Milošev 1989 zu einem nationalistischen, anti-albanischen Mythos stilisiert. Nach Angaben der größten kosovarischen Zeitung Koha Ditore verbrannten einige Serben die Flaggen Amerikas und Albaniens und schworen, Albaner zu töten, „bis sie ausgerottet sind“.

Solange Serbien die Existenz Kosovos ablehnt, wird es ein Problem mit den Serben geben, glaubt der Chefredakteur des Blattes, Agron Bajrami. „Ihre Herzen leben in Serbien, doch ihre Körper in Kosovo. Es ist schwer, beides zu trennen.“ Sie sollen serbische Staatsbürger sein, funktionieren aber als kosovarische. Der Nachbarstaat tut vieles, um seine Landsleute in der früheren Provinz an sich zu binden: Jede Familie bekommt Geld von Belgrad, zudem unterhält Serbien Parallelinstitutionen im Kosovo – Verwaltungen, Kommunalräte.

Doch längst erreicht der Nachbarstaat nicht mehr alle Kosovoserben. In der serbischen Enklave Parteš im Südosten des Landes haben sich kürzlich mehr als 65 Prozent an den kosovarischen Kommunalwahlen beteiligt. Ein historisches Ergebnis. Bislang haben viele Serben Wahlen im Kosovo boykottiert. Und damit auch gegen die einseitige Unabhängigkeitserklärung vor zwei Jahren, die ein klarer Bruch des Ahtisaari-Plans war, gestimmt. Viele Kosovaren hoffen, dass das Land zur Ruhe kommt, wenn der Internationale Gerichtshof in Den Haag Ende Juli über die Rechtmäßigkeit der Unabhängigkeit entscheidet. Und Ahtisaari kein Schimpfwort mehr ist. Dann wagen sich vielleicht auch noch mehr finnische Touristen wie Timo Laine ins Land.

Quelle: e-Politik.de