Kosovo bleibt unabhängig (23.07.2010)
Die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs birgt neue Hoffnungen und Risiken für Europa
Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo verstößt nicht gegen internationales Recht. Das haben die 15 Richter des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag entschieden. Die oberste Rechtsinstanz der Vereinten Nationen wird immer wieder bei internationalen Streitfragen, wie jetzt beim Kosovo, angerufen.
In diesem Fall hat Serbien das nicht bindende Rechtsgutachten in Auftrag gegeben - jener Teilstaat des zerbrochenen Jugoslawien, der schon zu Beginn der 90er-Jahre die Föderation nicht zusammenhalten konnte und an deren Ende selbst zu bröckeln begann.
Bei den Kämpfen zwischen der UCK, der separatistischen Befreiungsarmee der mehrheitlich von Albanern bewohnten serbischen Provinz Kosovo, hatte die Nato 1999 mit Luftangriffen interveniert. Nach Serbiens Rückzug wurde das Gebiet unter UN-Verwaltung gestellt und erklärte 2008 seine Unabhängigkeit.
Gegen die endgültige Loslösung des Kosovo haben neben Serbien vor allem Russland und China Front gemacht. Russlands Außenminister Sergej Lawrow sprach von einem "gefährlichen Präzedenzfall".
Aber auch die EU tut sich immer noch schwer. Nur 22 von 27 EU-Mitgliedsländern erkennen Kosovo als eigenen Staat an. Spanien, Rumänien, Griechenland, Zypern und die Slowakei haben die Republik mit Blick auf eigene Minderheitenfragen nicht anerkannt. Insgesamt akzeptieren 69 der 192 UN-Mitgliedstaaten die ehemalige serbische Provinz als Staat.
Ohne massive Finanzhilfen wäre das Kosovo nicht überlebensfähig.
Im Juli 2008 versprachen 65 Staaten insgesamt 1,2 Milliarden Euro Aufbauhilfe.
Davon kommen
- 500 Millionen aus dem Brüsseler EU-Haushalt
- weitere 300 Millionen zahlen einzelne Länder direkt an das Land.
Es gibt Erfolge: 2009 wuchs die Wirtschaft um vier Prozent.
Aber fast jeder Zweite ist arbeitslos, 45 Prozent der etwa zwei Millionen Bewohner leben unterhalb der Armutsgrenze, die Importe übertreffen die Exporte um das Zehnfache und überall grassiert Korruption.
Der Weg zu einer funktionierenden Wirtschaft ist noch weit.
Auch auf personelle Unterstützung bei der Herstellung eines Rechtsstaats ist Kosovo angewiesen. Darum hatte Brüssel nach langen Verzögerungen im Dezember 2008 damit begonnen, rund 1900 Experten - Richter, Polizisten, Staatsanwälte - im Rahmen der "Rechtsstaatlichkeitsmission" Eulex in das Kosovo zu schicken. Militärisch unterstützt wird die Eulex-Mission von den KFOR-Truppen der Nato, die rund 9950 Soldaten umfasst.
Völlig unklar ist, welche Folgen das Rechtsgutachten der obersten Richter auf die Unabhängigkeitsbewegungen in Europa, im Kaukasus und nicht zuletzt auf dem Westbalkan haben wird. So könnte sich die angespannte Lage in Bosnien-Herzegowina weiter verschärfen, was - im schlimmsten Fall - die gesamte Region destabilisieren könnte.
Dennoch: Die EU wird sich dem Beitrittsdruck nicht entziehen können. Nach der geplanten Aufnahme Kroatiens im Jahr 2012 dürften zahlreiche Westbalkan-Staaten darauf pochen, dass die EU ihr Beitrittsversprechen für die Länder des Westbalkans von 2003 endlich einlöst. Auch Kosovo wird irgendwann fordern, EU-Mitglied zu werden - eher, als vielen lieb sein wird.
Quelle: Welt Online