Was wollen Netz-User wirklich. Interessante Studie !
SPIEGEL ONLINE
14. Februar 2008, 06:02 Uhr
ONLINE-COMMUNITYS
Was Netz-Nutzer wirklich wollen
Von Stefan Schultz
Wollen Internet-Nutzer gruscheln? Im Netz neue Menschen treffen?
Alles und jeden bewerten? Eine Studie, die SPIEGEL ONLINE
vorliegt, analysiert erstmals, wie falsch Online-Netzwerke ihre
Kunden bisweilen einschätzen - und was diese wirklich wollen.
Hamburg - Der deutsche Internet-Unternehmer Peter Kabel hat
einmal gesagt: "Ich habe Hunderte RSS-Feeds abonniert. Aber mal
ehrlich, ich lese keinen einzigen. Macht aber Spaß."
Das ist typisch: Im Netz gibt es ein Überangebot von allem. Nur
keiner nutzt es wirklich.
Bestes Beispiel dafür: die Online-Communitys. Es gibt sie
inzwischen für Studenten, Senioren, Schwangere, Szenegänger,
Katzen, sogar für tote Haustiere. All diese Online-Gemeinden
bieten ein Wirrwarr an Funktionen.
Da sollen Bilder kommentiert, Videos bewertet, Freunde
gegruschelt werden - wenn Sie nicht wissen, was das ist: Freunde
angesprochen, geworben, gesammelt werden. Blogs soll man füllen,
Newsfeeds lesen und auch noch Pacman-Spiele spielen. Doch wie
wenige dieser Funktionen wirklich genutzt werden, zeigt eine neue
Studie, die die Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg und die
Freundliche Netzwerke GmbH Ende 2007 durchgeführt haben. 46
Community-Betreiber und 172 Community-Nutzer wurden ausführlich
befragt, 14 große Netzwerke à la MySpace inhaltlich analysiert.
Das Ergebnis: Was Portalbetreiber für wichtig halten, ist den
Nutzern oft schnurz - und umgekehrt.
Laut Studie will der Durchschnittsnutzer weder Blogs noch
Minigames. Er will einen Gratiszugang, eine gute Suchfunktion und
aktuelle Nachrichten auf der Startseite. "Salopp ausgedrückt: 50
Prozent unserer Online-Aktivitäten sind für die Tonne", sagt
Thomas Goette, Geschäftsführer der Freundliche Netzwerke GmbH und
selbst Betreiber einer Ranking-Community.
Ignoriert werden vor allem Zusatzangebote, die mit der
Kernfunktion der jeweiligen Webseite wenig zu tun haben. "Blogs
oder Newsfeeds sind Inhalte, die man fast überall bekommt", sagt
Jens Böcker, der an der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg das
Verhalten von Internet-Nutzern untersucht. "Was austauschbar
wirkt, bleibt unter der Wahrnehmungsschwelle."
Zusatzfunktionen dienen vor allem zur Abgrenzung von
Konkurrenten. "Wenn drei Anbieter dieselbe Kernfunktion haben,
versuchen sie, sich durch allerlei Gimmicks voneinander zu
unterscheiden", sagt Böcker. Der Nutzer gewinne dadurch kaum
etwas.
70 Prozent der Online-Nutzer treffen nur Offline-Freunde
Andere Funktionen finden Nutzer indes weit wichtiger, als die
Portalbetreiber annehmen. Laut Studie legen Besucher von Online-
Netzwerken am stärksten Wert auf den Schutz ihrer Privatsphäre -
und auf einen Dienst, der sie an die Geburtstage von Freunden
erinnert.
Gerade Letzteres wirkt überraschend, doch dafür gibt es eine
einfache Erklärung: Die meisten Nutzer verhalten sich in Online-
Netzwerken weit konservativer als gemeinhin angenommen. Laut
Studie kommunizieren 70 Prozent online fast nur mit Menschen, die
sie ohnehin kennen - zum Teil über mehrere Plattformen hinweg.
"Die Wichtigkeit von Online-Bekanntschaften wird generell
überschätzt", sagt Böcker. Das Wiederfinden alter Bekannter habe
einen viel höheren Stellenwert als das Suchen neuer Freunde.
Laut Goette fungieren Online-Treffpunkte sogar als eine Art
Infomagazin für den Freundeskreis. "Während man sich auf
Nachrichtenseiten über das Weltgeschehen informiert, hält man
sich in den Communitys über das aktuelle Geschehen im
Freundeskreis auf dem Laufenden", sagt Goette. Der Riesenerfolg
von Facebook könnte demnach vor allem durch den Mini-Feed zu
erklären sein, über den die Nutzer in Echtzeit erfahren, was ihre
Freunde online so treiben.
Community-Betreiber setzen auf falsche Werbemaßnahmen
Werbung hat im Online-Geschäft einen enorm hohen Stellenwert. Die
in der Studie untersuchten Portalbetreiber wenden im Schnitt 40
Prozent ihres Gesamtetats für Werbung auf, ein Drittel der
Mitarbeiter arbeitet im Marketing. Das Problem: Die Mühe ist oft
vergebens. Laut Studie überschätzen die Community-Betreiber die
Wirksamkeit ihrer Werbung durchgängig.
Das liegt meist daran, dass die falschen Maßnahmen ergriffen
werden. Im Offline-Sektor setzen 67 Prozent der Werbenden auf
Flyer - dabei wurde mehrfach nachgewiesen, dass deren Effekt fast
gleich null ist. Beim Online-Marketing ist das Verschicken von
Newslettern noch immer eine der beliebtesten Maßnahmen - dabei
ist deren Erfolg laut Studie ebenfalls äußerst begrenzt.
Den größten Werbeerfolg hat laut Studie einfache Mundpropaganda,
doch die lässt sich nur schwer steuern. Oft versuchen
Portalbetreiber, ihre Nutzer dazu zu bewegen, die Community
weiterzuempfehlen, indem sie dafür Prämien bieten. Sie haben
damit aber nur wenig Erfolg. "Nutzer empfehlen eine Seite nur
weiter, wenn sie mit ihr überdurchschnittlich zufrieden sind und
wenn sie besonders lebendig wirkt", sagt Böcker. Und das sei nur
in den wenigsten Fällen gegeben.
Generell sei die Werbung oft zu unkonkret. "Alles, was den Nutzer
unmittelbar betrifft, erregt seine Aufmerksamkeit", sagt Goette.
"Im Selbstversuch haben wir herausgefunden, dass die persönliche
Kontaktaufnahme mit einem Nutzer etwa fünfmal so erfolgreich ist
wie das anonyme Anschreiben per Newsletter."