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Der Doper, ein Selbstversorger

Der Doper, ein Selbstversorger

Der Doper, ein Selbstversorger
Beichten von deutschen Fussballern ähneln frappierend denen der Radsportler



sos. Berlin, 20. Juni

Vor ein paar Tagen schien es, als hebe einer allein die Fussballwelt aus den Angeln. Peter Neururer, ehemaliger Schalke-Coach und passionierter Nothelfer in allen Abstiegsfragen, trat vor ein Mikrofon und sagte Ungeheuerliches: Während seiner Zeit im FC Schalke 04, es war Ende der achtziger Jahre, seien etliche Spieler gedopt gewesen. Aufputschmittel hätten sie konsumiert, Captagon sei das Mittel der Wahl gewesen: «Viele Spieler waren verrückt danach.»

Schnell zur Tagesordnung übergehen
Im Deutschen Fussball-Bund (DFB) reagierte man verschnupft, hatte doch ein paar Tage zuvor Bundestrainer Joachim Löw gesagt, dass Doping zwar grundsätzlich vorstellbar sei, in Deutschland aber angesichts vermeintlich exzessiver Kontrollen bestimmt nicht praktiziert werde. Ein DFB- Sprecher liess verlauten, dass man von Neururer vor allem eines erwarte: Er möge Namen nennen. Was Neururer aber dann nicht tat, womit sich die Sache schnell erledigt hatte.

Neururer ist nicht nur ein Freund deftiger Rhetorik. Er gilt als kuriose Figur, weswegen einige vielleicht ganz froh waren, dass «nur» Neururer alte Episoden zum Besten gab und keiner der Kollegen vom Schlage Ottmar Hitzfelds. So liess sich schnell zur Tagesordnung übergehen. Auch der mediale Aufschrei blieb aus, denn bis heute gilt in Deutschland landläufig jene Auffassung, wonach Doping im Fussball nichts bringe, da die technischen Fertigkeiten von keiner Substanz verfeinert würden und Kondition per se eine teutonische Tugend sei.

Vielleicht hatte das körperliche Leistungsvermögen schon damals andere Ursachen. Wer aus dieser Zeit Doping-Geschichten aus dem Fussball nachlesen will, der muss nur im Buch «Anpfiff» blättern. Mit «Anpfiff» läutete Toni Schumacher, seinerzeit der beste Torhüter der Welt, vor ziemlich genau zwanzig Jahren sein Karrierenende im Nationalteam und im 1. FC Köln ein. Er hatte gegen das Schweigegelübde verstossen. Das galt damals, und es gilt wohl auch heute noch.

Der Abtrünnige wird fertiggemacht
Ein Blick in das Buch genügt, um zu erahnen, dass Neururer nur beobachtet hatte, was möglicherweise gängige Praxis gewesen war: «Im Training habe ich ein Medikament mit Dopingeffekt ausprobiert. Captagon hiess das Zeug. Beliebt sind auch diverse Hustensäfte, die Ephedrin enthalten.» Doch Schumacher blieb nicht nur bei sich selbst. Er schrieb von anderen: «Es gab Nationalspieler, die waren im Umgang mit der ‹Stärkungschemie› regelrecht Weltmeister. Unter ihnen ein Münchner Spieler, den wir als ‹wandelnde Apotheke› zu bezeichnen pflegten. Bei Licht betrachtet, ist zwischen Doping und Verletzungsquoten bei Spielern eine deutliche Verbindung festzustellen.» Solche Deutlichkeit war zu viel. Der Abtrünnige wurde fertiggemacht. Wer Toni Schumacher, inzwischen als Betreiber einer Marketing-Agentur an den Rändern des Fussballs tätig, heute dazu befragen will, der bekommt zu hören: «Zu Doping sage ich nichts.» Warum nicht? «Weil ich damals die Unterstützung der Medien gebraucht hätte.» Er habe darauf aufmerksam machen wollen, weil es nicht normal sei, dass Spieler während eines Matches einen Herzinfarkt erleiden, sagt Schumacher.

Ärzte bleiben aussen vor
Seine Schilderungen weisen freilich ein ähnliches Muster auf, wie es den jüngsten Geständnissen der reuigen Sünder aus dem Radsport eigen ist: Athleten, die sich selbst des Dopings bezichtigen, treten grundsätzlich als Selbstversorger auf. So schreibt Schumacher, der den Griff in die Medikamenten-Kiste vor allem des Leistungsdrucks wegen getan haben will, dass er sich seinerzeit die Mittel allein besorgt habe. Neururer liess die Ärzte vorsichtshalber ganz aussen vor.

Schumacher will auch zur Rolle der Mediziner nichts mehr erklären. Nur einen Satz sagt er noch, und der hat einen zynischen Unterton: «1988 hat der DFB ja Dopingkontrollen eingeführt. Damit war das Thema Doping im Fussball endgültig erledigt.» Wer jetzt wissen will, inwiefern sich die Wahrnehmung der Problematik während der letzten zwei Jahrzehnte gewandelt hat, der schaue noch einmal in «Anpfiff» nach: Seine Betrachtungen eröffnete Schumacher seinerzeit mit zwei Sätzen, die allzu vertraut klingen: «Doping im Fussball? Ist das überhaupt denkbar?»