Schattenwelten - Musikstils

Dark Wave

Dark Wave

Dark Wave [ˈdɑːkˈweɪv] (v. engl. dark = „dunkel, trüb“, wave = „Welle“) ist eine historische Bezeichnung für musikalische Spielarten, die sich ab dem Ende der 1970er Jahre im Zuge der New-Wave- und Post-Punk-Bewegung herausbildeten und hinsichtlich ihrer klanglichen Umsetzung als dunkel, trist, elegisch oder sehnsuchtsvoll wahrgenommen werden.

Hierzu zählen unter anderem Rockmusik im Stil von Bands wie Joy Division oder The Cure, rein elektronisch arrangierte Kompositionen (beispielsweise frühe Anne Clark oder Psyche) sowie Kompositionen auf der Basis einer semi-akustischen Instrumentierung mit Gitarren, Flöten, Trommeln oder Violinen (z. B. bei Deine Lakaien, In the Nursery und Death in June).

Im engeren Sinne erfasst Dark Wave die Strömungen Cold Wave, Electro Wave, Ethereal, Gothic Rock, Neofolk und Neoklassik sowie die Neue Deutsche Todeskunst und Teile der Neuen Deutschen Welle. Umstritten ist die Ausweitung auf das Post-Industrial-Umfeld, da es wechselseitig zu stilistischen Überlagerungen kam und demzufolge die Genregrenzen stark verschwammen (so bei Attrition, Die Form, Kirlian Camera und Pink Industry).

Primär von England ausgehend entwickelte sich Dark Wave innerhalb weniger Jahre zu einer weltweiten Bewegung, die sich bis nach Japan und Neuseeland erstreckte. Eine erste Blütezeit erlebte die Szene etwa in der Mitte der 1980er Jahre. Eine zweite Welle folgte zu Beginn der 1990er, wobei Deutschland und zum Teil die Westküste der Vereinigten Staaten die führende Rolle übernahmen und auf die umliegenden Länder Einfluss ausübten.

Die Bewegung war länderübergreifend auch unter der Titulierung Doom & Gloom bekannt. Auf ihrer Grundlage entstand ein subkulturelles Milieu, dessen Anhänger als Waver oder (insbesondere in Deutschland) sporadisch als „Dark Waver“ bezeichnet wurden. Neben „konventionellen Wavern“ gehörten hierzu die frühen Goths, im deutschen Sprachraum auch Gruftis genannt.

Mit der Zurückdrängung vieler Wave-Stile in den Untergrund, der zunehmenden Aufspaltung in genrespezifische Events und den damit einhergehenden, subkulturellen Veränderungen verlor der Ausdruck „Dark Wave“ als Musik- und Szenebezeichnung

Die Geschichte der Dark-Wave-Bewegung lässt sich in drei Etappen gliedern:

1979-1989 – Klassische Phase: In dieser Ära bildeten sich die sechs elementaren Stilarten Electro Wave, Gothic Rock, Cold Wave, Ethereal, Neofolk und Neoklassik heraus, das siebte Genre, die sogenannte Neue Deutsche Todeskunst, entstand um etwa 1989 und speiste stilistisch überwiegend aus den sechs vorangegangenen Strömungen. Viele Musikgruppen dieser Zeit wurzelten in der Post-Punk-Bewegung und nutzten die Do-It-Yourself-Ideologie, die der Punk ihnen zuvor ermöglichte, als Sprungbrett. Als Ausgangsbasis fungierte hauptsächlich Großbritannien, es lassen sich jedoch Parallelerscheinungen in anderen Regionen erkennen, sodass man von einer gesamt-europäischen Bewegung sprechen kann. Der Einfluss auf die musikkulturelle Entwicklung in den Küstenregionen der Vereinigten Staaten ist umstritten. Der Death Rock, der sich vorzugsweise im kalifornischen Raum herausbildete, verstand sich zunächst als unabhängig entwickelte Strömung, bei der sich erst im Verlauf der 1980er Jahre Überlagerungen mit der europäischen Kultur bemerkbar machten. Nach dem Ausklingen der Klassischen Phase erfolgte eine deutliche Verminderung post-punk-typischer Nuancen, wie sie bei vielen Kompositionen dieser Zeit üblich waren.

1990-1999 – Auftrieb und Regression: Dieser, häufig als Revival wahrgenommene Zeitabschnitt umfasst die Neugründung und die ansteigende Popularität zahlreicher Nachwuchsgruppen und Plattenfirmen zu Beginn sowie den rasanten Niedergang der Dark-Wave-Bewegung in Ländern wie Deutschland ab der Mitte der 1990er Jahre. Die nachfolgenden Jahre sind durch die anhaltende Rückbildung auf globaler Ebene infolge von Stagnation, Verdrängung, Stiländerung und Verschmelzung mit „wave-untypischen“ Musikstilen, bspw. Ethereal mit Trip-Hop, gekennzeichnet. Die Strömungen Cold Wave, Electro Wave und Neue Deutsche Todeskunst sowie der traditionelle Gothic Rock gelten mit dem ausklingenden Jahrzehnt vielerorts als erloschen.

2000-2010 – Entwicklung bis zur Gegenwart: Dieser Zeitraum markiert kleinere Revivals, wie das Gothic-Revival (Batcave-Revival, oft verknüpft mit einem Minimal-Electro-Revival). Diese Revivals basieren vorwiegend auf einer Demo- und Internet-Ebene sowie kleineren Festivals. Ethereal verzeichnet zu Beginn des neuen Jahrtausends eine Ausklangphase; das an die Stilrichtung gekoppelte Mailorder- und Tonträger-Unternehmen Projekt Records widmet sich verstärkt der Kabarett-Musik und vermarktet diese als „Dark Cabaret“. Die Stile Neoklassik und Neofolk existieren hingegen konstant weiter. Bedingt durch den Niedergang der Wave-Bewegung ab der zweiten Hälfte der 1990er und den damit einher gehenden Wandel des Zielpublikums gerät „Dark Wave“ als Sammelbezeichnung allmählich außer Gebrauch.
Klassische Phase (1979-1989)

Auf der Basis von New Wave und Post-Punk schufen ab dem Ende der 1970er Jahre verschiedene Newcomer-Bands den Nährboden für eine neue, musikkulturelle Bewegung, die Introvertiertheit, Desillusion, Weltschmerz, Todessehnsucht, aber auch Gesellschafts- und Religionskritik, Philosophie, Naturmystik, Esoterik, Eskapismus und Romantik thematisch und klanglich in sich vereinte. Viele dieser Künstler reflektierten die aus der Punk-Bewegung bekannten Zukunftsängste (No Future), insbesondere vor der stetig ansteigenden Massenarbeitslosigkeit infolge einer weltwirtschaftlichen Depression[40] oder vor einem drohenden Atomkrieg durch das kontinuierliche Wettrüsten während der erneuten Zuspitzung des Kalten Krieges. Mit dem Beginn des Thatcherismus verstärkten sich diese Endzeitvisionen oder nahmen binnen kürzester Zeit Gestalt an.

„Als Ende der 1970er, Anfang der 1980er diese Art von Musik – im Anschluss an die vom Kommerz zernagte Punk-Bewegung – populär wurde, hatte sie ähnliche gesellschaftliche und soziale Missstände zum Inhalt wie etliche Punk-Gruppen. [...] Insofern ist es nicht weiter verwunderlich, dass viele Künstler in ihrer Musik eigene Emotionen, Ängste und Sehnsüchte verarbeiten und die Grundstimmung ihrer Songs trübe, düster und schwermütig gerät: Es ist die kontinuierliche Auseinandersetzung mit der eigenen, inneren Realität.“

– Rainer „Easy“ Ettler, Chefredakteur der Musikzeitschrift Zillo, 1990

Keine unwesentlichen Spuren hinterließen hierbei die Lebensbedingungen, die speziell in den 1970er Jahren mit den als grau, kalt, trostlos und anonym empfundenen, in aller Eile aus dem Boden gestampften Hochhaussiedlungen eine neue Ära einläuteten und sich in den musikalischen Ausdrucksformen vieler Künstler widerspiegeln:

„Wir wohnten direkt im Mördermekka der Midlands, in Northampton. Es war eine einzige Leere, diese graue, hoffnungslose, nasskalte britische Inselmentalität. Nicht-Kultur. Wir waren mittendrin, und „In The Flat Field“ (Anm.: das Bauhaus-Debüt) handelte direkt davon, in dieser gottlosen, flachen Landschaft zu leben, in diesem linearen, sich nirgendwo erhebenden Bewusstsein, das tatsächlich das Ergebnis dessen zu sein schien, was Nietzsche prophezeit hatte: den Tod Gottes.“

– Peter Murphy, britischer Musiker und Sänger der Band Bauhaus

Damit einher ging der Versuch der Weltflucht aufgrund fehlender Zukunftsperspektiven und der als gefühlskalt und farblos wahrgenommenen Realität. Mit der Zielsetzung, als Musiker den Lebensumständen und der finanziellen Notlage zu entfliehen, boten viele Künstler nicht nur sich selbst ein Ventil für angestaute Emotionen, sondern auch zahlreichen frustrierten Jugendlichen dieser Zeit, die – enttäuscht vom Punk, der „das öde Grau hatte wegreißen wollen, letztendlich aber nur umgestaltet hatte“– kein positives Lebensgefühl in den öden Arbeitersiedlungen und Trabantenstädten, inmitten ihrer zunehmend industriell zerstörten Umwelt, entfalten konnten.

Um das Verhältnis zur New-Wave- und Post-Punk-Bewegung und den damit verbundenen musikstilistischen Analogien weiterhin ersichtlich zu machen, entstanden im Laufe der Zeit mehrere Schlag- und Behelfswörter, die zwar die Namensbestandteile „-wave“ und „-punk“ in sich trugen, sich langfristig allerdings nicht durchsetzen konnten (siehe hierzu auch Namensherkunft). Erst Ende der 1980er Jahre, und durch Modifizierung des voranstehenden Adjektivs, etablierte sich die Bezeichnung für jenes neue Genre, das seine musikkulturellen Ausgangsformen um mehr als zwei Dekaden überlebte: aus „New Wave“ wurde „Dark Wave“.



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Dunkle Grüße
carpe nocterm



~~{Salome}~~