Schattenwelten - Musikstils

Industrial

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Re: Industrial

Industrial ist eine Kunst- und Musikrichtung, die sich ab der Mitte der 1970er-Jahre weltweit aus Elementen der experimentellen und Avantgardemusik sowie der Konzept- und Aktionskunst entwickelte. Der Begriff „Industrial“ entstammt ursprünglich dem englischen Label Industrial Records, das kollektiv von den Mitgliedern der Band Throbbing Gristle gegründet und geführt wurde, die eine zentrale Position im frühen Industrial innehatten. Seine Wurzeln hat der Industrial neben der englischen Szene auch in den Vereinigten Staaten.


Hintergrund

Eine wesentliche Komponente des Industrials war und ist die Provokation entlang der äußersten Ränder des Erträglichen und damit einhergehend das Experiment mit audiovisuellen Grenzerfahrungen. Um zu irritieren bzw. zu schockieren werden extreme Darstellungen von Gewalt, Sexualität, Krankheit, Krieg und Tod mit bedrohlichen und aggressiven Klangcollagen und Lärm bis zur Erreichung der Schmerzschwelle unterlegt. Die Band Throbbing Gristle beispielsweise verwob in ihrem Lied „Slug Bait - ICA“ den Mord an Sharon Tate und die Grausamkeiten rhodesischer Guerilleros vor einem ruhigen elektronischen Hintergrund detailliert ineinander, Psychic TV in „Supermale“ Reden von Johannes Paul II. und Anton Szandor LaVey. Die slowenische Gruppe Laibach projizierte bei einem Konzert den Film „The Future Continues“ und einen Pornofilm übereinander, so dass unter anderem der drei Jahre zuvor verstorbene jugoslawische Staatspräsident Tito und ein Phallus gleichzeitig auf der Leinwand zu sehen waren.


Dabei ist die Provokation kein Selbstzweck, sondern beabsichtigt durch die Unausweichlichkeit seiner Drastik eine Verstörung des Hörers, die zum Keim emanzipativer Prozesse werden soll. Laibach etwa betrachten ihre Konzerte als politische Kundgebungen, antworten in Interviews mit Manifesten und stellen ein übertriebenes Verlangen nach Autorität zur Schau:

“Laibach's method is extremely simple, effective and horribly open to misinterpretation. First of all, they absorb the mannerisms of the enemy, adopting all the seductive trappings and symbols of state power, and then they exaggerate everything to the edge of parody.
Next they turn their focus to highly charged issues - the West's fear of immigrants from Eastern Europe, the power games of the EU, the analogies between Western democracy and totalitarianism.”

„Laibachs Methode ist extrem simpel, effizient und schrecklich anfällig für Fehlinterpretationen. Als erstes absorbieren sie die Angewohnheiten der Gegner, adaptieren all die verführerischen Verlockungen und Symbole der Staatsmacht und dann übersteigern sie alles bis in die Parodie.
Als nächstes wenden sie ihre Aufmerksamkeit den kontroversen Themen zu — der Angst des Westens vor Einwanderern aus dem Osten, die Machtspiele innerhalb der EU, die Analogien zwischen Demokratie und Totalitarismus.“

– Richard Wolfson

Es gibt jedoch auch Bands und Künstler, die etwa totalitäre Symbolik affirmativ aufgreifen und sich entsprechend positionieren: Michael Moynihan von Blood Axis beispielsweise hat sich mehrmals als Befürworter des Faschismus geäußert[4][5], Boyd Rice tat dies ebenfalls[5], zeigte sich begeistert von Personen wie Adolf Hitler und Alfred Rosenberg und trat in der Sendung Race and Reason von Tom Metzger (White Aryan Resistance) auf, in der er Industrial als „weiße Musik“ bezeichnete, und das Projekt Brethren vertritt deutlich rassistische Positionen.

Als Einflüsse finden sich dabei Mail-Art-, Performance- und Aktionskünstler, Dada, Neo-Dada und Fluxus sowie Schriftsteller wie William S. Burroughs und Brion Gysin. Aber auch außerhalb der Kunst liegende Gebiete wie Psychologie, Werbung und Geschichte waren und sind wichtige Inspirationen für die Industrial Culture (darunter von zentraler Bedeutung als immerwiederkehrende Motive die Zeit des Nationalsozialismus, Terrorismus, der Kolonialismus mit den teils folgenden Unabhängigkeitskriegen sowie Motive aus Psychiatrie und Medizin). Ebenso werden nicht selten satanische und magische/okkulte Themen aufgegriffen, einige Musiker wie Z’EV, das Church-of-Satan-Mitglied Boyd Rice oder die Band Psychic TV sind bekannt für ihr Interesse an diesen Themen und haben zudem Vereinigungen wie Thee Temple ov Psychick Youth oder die Abraxas Foundation gegründet; Thee Temple ov Psychick Youth wurde in der englischen Presse zeitweilig als in Ritualmorden involvierte satanische Vereinigung dargestellt, und Namen wie LAShTAL und Current 93 zeigen Bezüge zu Thelema auf. Von relativ geringer Bedeutung sind dabei musikalische Einflüsse. Zu nennen wären hierbei die Musik des Futurismus, Free Jazz und Free Improv, Musique concrète und einige Krautrockbands (Cluster, Tangerine Dream, Neu!, Kraftwerk).


Geschichte
Entstehungsphase

Bereits um 1974 formierten sich die ersten Industrial-Projekte, unter ihnen Cabaret Voltaire aus Sheffield und Boyd Rice unter dem Pseudonym NON aus Denver. Während dieser Zeit entstanden zahlreiche Aufnahmen, die allerdings erst später einer breiteren Hörerschaft zugänglich gemacht wurden. Wie bei vielen Industrial-Formationen dienten Gitarren Rice nicht als typisches Rockinstrument, sondern als unkonventioneller Klangerzeuger. Rice beispielsweise schuf einen Teil seiner Aufnahmen mithilfe einer „Rotorgitarre“, einer E-Gitarre mit angeschraubtem Ventilator, der mittels Antriebsschraube die Saiten zum Schwingen brachte und den gewünschten Lärmeffekt erzielte. Diese Aufnahmen wurden 1977 unter dem Titel „The Black Album“ veröffentlicht.

Das dadaistisch inspirierte Künstlerprojekt Cabaret Voltaire absolvierte seine ersten Auftritte bereits 1975 und konfrontierte das Publikum mit aufeinander folgenden TV-Screenshots in hoher Schnittfrequenz, die Bilder von politischen Ausschreitungen, militärischen Zerstörungen oder faschistischen Symbolen zeigten.

1977 veröffentlichten Throbbing Gristle, hervorgegangen aus der Extremperformancegruppe COUM Transmissions, das musikalisch bahnbrechende Album „2nd Annual Report“. Parallel dazu realisierten sie im angesehenen Londoner ICA (Institute of Contemporary Arts) eine „Prostitution“ betitelte Ausstellung. Objekte wie gebrauchte Tampons und Abbildungen aus Pornomagazinen wurden gezeigt und Auftritte einer Stripperin, von Throbbing Gristle selbst und der Punk-Band Chelsea (unter dem Pseudonym „LSD“) fanden statt. Die Ausstellung provozierte einen nationalen Skandal, mit dem sich selbst das britische Parlament befasste, und machte die Band populär und zugleich London zum Zentrum der Bewegung. Quasi aus dem Publikum heraus gründeten sich weitere Bands und Gruppen und Künstler aus anderen Ländern zogen teils dorthin. So entstand schnell ein internationales Netzwerk aus Plattenlabels, Künstlern, Medien und Auftrittsorten, das auch befördert wurde durch die Interaktion mit dem zeitgleich entstehenden Punk-Phänomen. Wichtige Nebenzentren waren Deutschland und Belgien. In beiden Ländern entwickelten sich schnell eigene Spielarten des Industrials, teils unter starkem Einfluss lokaler Stile.

Weitere essentielle Projekte im Umfeld von Industrial Records waren SPK und Monte Cazazza.

Die Gruppe SPK wurde in Australien gegründet und zog dann nach London, England. Die Mitglieder blieben anonym, ließen sich nicht abbilden und nutzten Pseudonyme wie EMS AKS, Ne/H/il, Oblivion, Tone Generator und Pinker statt ihrer bürgerlichen Namen. Ihre ersten Veröffentlichungen spiegelten medizinische Themen wie Krankheiten, missgebildete Säuglinge und siamesische Zwillinge. Auf der Bühne wurden außerdem Flammenwerfer eingesetzt und dem Publikum provozierendes Bild- und Filmmaterial präsentiert: Eine ihrer Live-Performances gipfelte im Verzehr von Teilen eines rohen Schafgehirns durch Kopf und Gründer Graeme Revell (u. a im offiziellen Band-Video „Despair“ zu sehen).Auf ihren ersten Alben „Information Overload Unit“ (1981) und „Leichenschrei“ (1982) spielte die Band bruitistische Musik ohne jedwede Melodie mit metallischen und elektrischen Geräuschen. Auf ihrem Album „Zamia Lehmanni – Songs of Byzantine Flowers“ (1986) hingegen ruhige, schwere und triste ethnische Musik.

Cazazza wiederum entstammte der Szene San Franciscos, die neben ihm und Rice auch Z’EV, Jupitter Larsen (The Haters), Mark Pauline (Survival Research Laboratories), die psychedelische Band Factrix und die bedeutenden Publikationen RE/Search und Unsound hervorbrachte.

Anfang bis Mitte der 1980er Jahre verfiel der innovative Impuls zunehmend, durch den sich Industrial anfangs ausgezeichnet hatte und das ursprünglich komplexe Geflecht aus Medientheorie, Kunst und Provokation degenerierte zu einem Stereotyp. Die meisten Industrial-Bands lösten sich zu dieser Zeit entweder auf oder gingen komplett neue Wege.


Entwicklungen innerhalb der Post-Industrial-Ära
Come-Org-Katalog von 1982

Eine Fortentwicklung aus dem Industrial stellen die ab den frühen 1980ern neu entstandenen Richtungen Power Electronics, Dark Ambient, Ritual, Martial Industrial und Death Industrial dar. Diese Epoche, die mit der Auflösung des Industrial-Hauptacts Throbbing Gristle einsetzt, wird als Post-Industrial bezeichnet. Die Bezeichnung Post-Industrial ist jedoch umstritten, da sie außerhalb der Industrial-Bewegung nur geringe Verbreitung erfuhr und die damit bezeichnete Epoche chronologisch nur schwer greifbar erscheint.

Einflussreiche Künstler dieser Zeit waren Lustmord, Esplendor Geométrico, Einstürzende Neubauten, Coil, Psychic TV, Test Dept., Zoviet France, Laibach, P16.D4, Factrix, Zos Kia, Foetus, Nocturnal Emissions, Hunting Lodge, Z’EV, Blackhouse sowie einige Künstler aus dem Umfeld des Come-Org-Labels (u. a. Whitehouse und Nurse with Wound).

Bis heute gibt es einen sehr aktiven Untergrund, der weltweit miteinander vernetzt ist. Wie andere Subkulturen auch, nutzt dieser traditionell Fanzines als Medium der Kommunikation, heutzutage aber vor allem das Internet. Reine Industrial-Fanzines, wie das französische Symposium oder ansatzweise das deutsche Scharlach, sind selten. Industrial wurde in den 1980er Jahren zum Teil in Punk-Magazinen behandelt, später auch in Wave-Magazinen wie Aeterna, Cruciamentum, Glasnost Wave-Magazin oder später das Black-Magazin aus Deutschland.



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