Germanen
Als Germanen wird eine Anzahl von Stämmen in Mitteleuropa und im südlichen Skandinavien bezeichnet, deren ethnische Identität in der Forschung traditionell über die Sprache bestimmt wird. Kennzeichen sind bestimmte Lautwandel gegenüber der rekonstruierten indogermanischen Ursprache, die als germanische oder Erste Lautverschiebung zusammengefasst werden.
Ab der Zeitenwende prägte der Kontakt mit den Römern die germanische Welt, wie auch die Entwicklung des Römischen Reiches sich zunehmend mit der germanischen Welt verband. In der Spätantike kam es im Verlauf der Völkerwanderung zu weitreichenden Zügen mehrerer germanischer Stämme (gentes), die teilweise größere Verbände bildeten (siehe Ethnogenese), und schließlich zu deren Einfall in das Römische Reich. Einige dieser Gruppen gründeten Reiche nach antikem römischen Vorbild auf dem Boden des Westreiches, das 476/80 unterging. Elemente der germanischen Religion und des religiösen Brauchtums wurden unter anderem durch Akkommodation in das angenommene Christentum übertragen.
Dieser Artikel beschreibt die allgemeine Geschichte der germanischen Völker, beginnend vor der Zeitenwende bis in die Spätantike. In der Forschung wird auch die Geschichte Skandinaviens bis ins Mittelalter im germanischen Kontext gesehen. Die Geschichte einzelner Stämme, die germanische Mythologie und die germanischen Stammesrechte sind Thema weiterer Artikel.
In den germanischen Mythen gab es in der Unterwelt einen kalten, eintönigen Ort, beherrscht von der Todesgöttin Hel. Der Ort an sich wurde dann ebenfalls Hel genannt. Sie liegt im Gebiet Niflheim und wird durch den Fluss Gjọll begrenzt. Über diese spannt sich die mit Gold gedeckte Brücke Gjallarbrú, die die Führerin Móðguðr beaufsichtigt und den an Krankheit oder Altersschwäche Verstorbenen den Weg weist um zur Unterwelt Hel zu gelangen. Weitere Ströme in Hel sind Slíð und die von den Ländern der Menschen herabfließende Hríð, Hrọnn, Leiptr, Nọnn, Nọt, Strọnd, Ván, Víð, Vína, Vọnd und Ylgr. Am Rande der Hel wacht der Hund Garmr, gebunden an der Höhle Gnipahellir. Das Gittertor Helgrind schirmt die Unterwelt zusätzlich vor lebenden Besuchern ab. Empfangen werden die Toten in Hels Halle, in denen sie aber nicht ein qualvolles Dasein fristen, sondern ihr Jenseits entspricht einem alltäglichen Aufenthaltsort nach Stand, sogar fürstlich mit Festmahlen empfangen werden, wie der Ásagott Baldr. Die im Kampf gefallenen gelangen dagegen zu Óðins Saal Valhọll, beziehungsweise Freyjas Fólkvangr.
In Hel wird ein braunroter Hahn zum Weltuntergang Ragna rọk krähen, nachdem er den Sang der Hähne Fjalarr aus dem Wald Járnviðr und Gullinkambi aus Valhọll vernahm.
Der Unterschied zwischen Hel und Niflheim (beziehungsweise Niflhel), ist oft verwischt. Manchmal wird Niflheim als übergeordnetes Gebiet beschrieben, indem sich die Unterwelt Hel nebst weiteren sieben Ländern befindet, ein andermal sind sie gleich oder es besteht Niflhel als eigene Unterwelt neben der Hel. Hierbei werden Hel und Niflhel in verschiedenen (christlich beeinflussten?) Tiefenlagen abgestuft, deren Positionen je nach Erzählung vertauscht sein kann. Öfters wird erwähnt, dass Jọtunheimr, das Land der Riesen, fließend in die Unterwelt übergeht. So werden auch Riesen als lebende Bewohner der Hel genannt.
Um Hel an ihre Höllenvorstellung anzupassen, wandelten die Christen ihr Erscheinungsbild im Mittelalter in eine schlimme und qualvolle Unterwelt. Der Fluss Slíð wurde mit Eiter und Schwertern gefüllt, das höllische Gebiet Nástrọnd erfunden. Der Göttin Hel wurden grässliche Attribute angedichtet: der Saalbau Éljúðnir, Schüssel Hungr, Messer Sultr, Knecht Ganglati, die Magd Ganglọt, Türschwelle Fallanda forað, das Bett Kọr und der Bettvorhang Blískjanda. Im mittelalterlichen, christlich geprägten, in neun Welten gestuften und auf drei Ebenen aufgeteilten mythologischen Kosmos wurde Hel/Niflheim zu einer eigenen Totenwelt, die sich neben Miðgarðr und Utgarðr in der untersten bösen Ebene befindet. Aus jeweils einer der Welten entspringt demnach eine der drei Wurzeln der Weltesche Yggdrasill.
Der deutsche Begriff Hölle und die englische Bezeichnung hell leiten sich vom germanischen Hel ab.
Germanische Religion
Die Religion der Germanen ist insgesamt betrachtet, über die Zeit- und Kulturräume der einzelnen germanischen Völker und Stammesgruppen hinweg, eine dezentral auf lokale Kultzentren bezogene polytheistische Religion. Dies hat zur Folge, das man eher von germanischen Religionen, als von einem vereinheitlichendem Begriffsmuster ausgehen muss.
Die religionswissenschaftliche Klassifizierung in den nordgermanischen, südgermanischen und gesonderten angelsächsischen Kultus erschließt sich aus der allgemeinen Quellenlage der schriftlichen und archäologischen Zeugnisse und bedingt durch die historischen Entwicklungen und Ereignisse. Der religiöse Kult und der damit verbundene Ritus war nie konstant, sondern muss immer auch unter den gesamtpolitisch-kulturellen Verhältnissen betrachtet werden, welchen die einzelnen Gruppen ausgesetzt waren und welchen die jeweiligen Zeugnisse zugeordnet sind (Völkerwanderung).
Grundlegende Merkmale der germanischen Religion sind durch Vergleiche mit anderen europäischen historischen Religionen (Rom, Griechenland, Kelten) aus einer anfänglich erschlossenen indogermanischen Urreligion vermutlich ererbt (siehe Artikel Indogermanische Religion). Eine Beeinflussung hat sich durch den kulturellen und wirtschaftlichen Kontakt schon vor der Zeit der beginnenden Auseinandersetzungen mit Rom ergeben, auch zu den Kelten und Slawen.
Grundsätzlich prägend für die germanische Geschichte und folglich auch für die germanische Religionskultur war der Übergang von der Jagdgesellschaft zur agrarisch bäuerlichen Kultur und der Übertritt zur christlichen Religion. In der ca. 2000jährigen Periode zwischen diesen epochalen Zäsuren war die germanische Religion als solche mit ihren regionalen Unterschieden in ihren Grundzügen relativ homogen. Aus der vorhistorischen Zeit ist aus Funden in Opfermooren und bronze- und eisenzeitlichen Grabhügeln ein ausgeprägter Toten- und Ahnenkult durch die Deponierung von Urnen, oder Keramiken mit Resten von organischen Inhalten. Andere Votivgaben sind Schmuckgegenstände und Güter des alltäglichen Gebrauchs. Zu diesen Funden kommen die Anthropomorphe Pfahlgötter, Figuren aus grob bearbeiteten Holzbalken, wie zum Beispiel das Götterpaar von Braak. Diese Figuren wurden deutlich erkennbar als männlich oder weiblich durch die Herausarbeitung der primären Geschlechtsmerkmale gestaltet. Ein Begriff für Gott, Gottheit aus späteren Perioden, Ase, geht auf das gemeingermanische Wort *Ansuz zurück mit der Bedeutung von Pfahl, Balken. Die Zuordnung zu einer bestimmten namentlich aus späterer Zeit bekannten Gottheit beiderlei Geschlechts ist nicht möglich, außer eines gewissen Fruchtbarkeitkultes durch die Geschlechtstypisierungen im Zusammenhang mit der Hierogamie.
Brakteat mit Runeninschrift. Dargestellt ist Odin als göttlicher Heiler
Der Zusammenhalt der germanischen Stämme in historischer Zeit wurde vor allem durch einen gemeinsamen Götter- und Ahnenkult und gemeinsame Opferhandlungen begründet. Teilweise kamen auch verschiedene Stämme zu gemeinsamen Riten zusammen und bekräftigten so ihr Bündnis (Nerthuskult). Allgemein waren die religiösen Handlungen der germanischen Kulturen jedoch sehr vielfältig. Unter den Göttern sind Odin (Wodan), Thor (Donar) und Freyja die bekanntesten Namen, die sich auch in unseren heutigen Wochentagsnamen widerspiegeln. Aus dem südgermanischen Nerthus (= sprachlich Neutrum, bei Tacitus als Terra Mater = Mutter Erde) umschrieben, wurde vermutlich in Skandinavien zum männlichen Njörd. Ein transzendentes Gottesverständnis war den Germanen fremd und entwickelte sich erst spät in der Auseinandersetzung mit dem Christentum, nachweislich durch nordwestnordische Quellen (siehe Artikel Gott # Begriffs- und Bedeutungsherkunft Der germanische Raum).
Tempelbauten wie bei den Römern sind nicht bekannt. Die Götter wurden auf Waldlichtungen, in heiligen Hainen und an heiligen Gewässern bzw. Mooren verehrt teilweise mit Menschen- und in der Regel mit Tieropfern. Diese sakralen Orte wurden durch Einhegungen von der profanen Umwelt separiert, dementsprechend gilt bei natürlichen Örtlichkeiten wie Haine, dass diese Waldungen kultiviert wurden und so eine sichtbare Trennung bewirkt wurde (Flechtwerkzäune aus Gehölzruten). Im angelsächsischen Siedlungsbereich, und in den römerzeitlichen süddeutschen germanischen Einwanderungsgebieten wurden durch die Germanen Kultstätten der verdrängten, beziehungsweise aufgenommenen keltischen Vor- und Restbevölkerung, nachweislich zumindest teilweise übernommen. Für die Völkerwanderungszeit und den kontinentalen Bereich, sowie zur Wikingerzeit für Skandinavien lassen schriftliche Quellen und durch den Wortschatz Tempelbauten, beziehungsweise Kultorte mit einer gewissen konstruktiven Substanz bestätigen oder rückschließen.
Das Opfermoor bei Niederdorla, mit stilisierter Göttergestalt
Der besondere Begriff für die Opferhandlung lautet altnordisch blót (in Variation in der altenglischen- und althochdeutschen Sprache belegt) mit der Bedeutung von stärken, anschwellen eine sprachliche Verbindung zum Begriff Blut und im übertragenen Sinn eines blutigen Opfers besteht nicht. Im wesentlichen Sinn war das Opfer von der Bestimmung her als Bitt- und Dankopfer gestaltet. Geopfert wurde individuell im privaten Kult, aber auch gemeinschaftlich organisiert, dann auch zu Festen unterjährigen Anlässen wie im Frühjahr, im Mittsommer oder zum Herbst und Mittwinter. Beim Opfer, das konkret einer Gottheit bestimmt war, wurde zu einem das Idol symbolisch gespeist, und zum anderen hatte durch den Verzehr des Opfermahls bestehend aus den zuvor geopferten und anschließend gegarten Tieren die Opfergemeinschaft Anteil. Auch Waffen und andere militärische Ausrüstung (vermutlich von besiegten Feinden) wurden an diesen Orten dargebracht. Auffällig ist, dass geopferte Waffen zuvor unbrauchbar gemacht wurden. Teilweise sind diese Gegenstände von hohem materiellen wie ideellen Wert (Schwerter, aber auch Schmuck, Fibeln), wodurch der kultisch-rituelle Bezug ersichtlich ist (Brunnenopfer von Bad Pyrmont). Menschenopfer sind seit historischer Zeit schriftlich belegt, wie beispielsweise die Opferung eines Sklaven beim Nerthuskult, so beschrieben von Tacitus. Die archäologischen Fundauswertungen zeigen, dass Menschenopfer statistisch gesehen sehr selten praktiziert wurden. Auch für die in Norddeutschland und Dänemark gefunden Moorleichen, die oft mit Menschenopfern in Verbindung gebracht werden gilt: lediglich nur ein kleiner Teil der etwa 500 Funde weisen sicher auf einen kultischen Hintergrund hin (siehe Grauballe-Mann). Im Zusammenhang mit Menschenopfer ist eine bedingte kultische Anthropophagie nachgewiesen, die auch die animistischen Züge der germanischen Religion anzeigen.
Ein weiterer Begriff für Opfer, beziehungsweise die Opferhandlung, auf altenglisch *lāc zu althochdeutsch *laikaz mit der Bedeutung Tanz, hüpfen, oder eine rhythmische geordnete Bewegung, zeigt, das die Kulthandlungen durch rituelle Tänze, sowie durch Umzüge begleitet oder initiiert wurden. Ein organisierter oder besonders kenntlich gemachter Priesterstand ist für die frühe historische Zeit generell nicht bezeugt. Zu dieser Zeit wurden sakrale Handlungen durch die Familien- und Sippenhäupter durchgeführt. Im Laufe der römischen Kaiserzeit und in der Zeit der Völkerwanderung sind priesterliche Strukturen erkennbar, aber immer noch sehr stark geprägt durch den privaten Charakter. Diesbezüglich dienen vor allem angelsächsische und isländische Belege als Nachweise, wie zum Beispiel für den isländischen Goden. Entsprechend den weiblichen Gottheiten gab es weibliches Kultpersonal. Zu diesen zählen auch Seherinnen.
Zum kultisch-rituellen religiösen Spektrum gehört ebenfalls die Magie, der Zauber durch Losorakel, wie schon durch Tacitus beschrieben, mit der Nutzung von Runen als Medium, sowie der Runenzauber an sich, welcher sich in den Runengedichten und Runenalphabeten zeigt (Abecedarium Nordmannicum, Tiwaz). Erhaltene Zaubersprüche wie die Merseburger Zaubersprüche oder altenglische Zaubersprüche wie den Canterbury Charm zeigen noch die alten Schichten oder Nachklänge der germanischen Religiosität an. Wie bei ornamentalen Symbolen, oder Sinnzeichen wie das Swastika haben Magie und Zaubersprüche eine apotropäische, schadenabwehrende und heils,- heilbringende Funktion inne, jedoch auch die einer Verfluchung, Schaden- und Unheilbringung. Weihesprüche, Ansprachen innerhalb der Zaubersprüche oder in Runeninschriften haben im Norden oft einen Bezug zu Thor, auf den Kontinent wird beispielsweise im Merseburger Spruch II und auf der Nordendorfer Runenspange zuzüglich oder singulär Wodan genannt. Die Deutungen der unterschiedlichen Textzeugnisse unterliegt jedoch gerade in Hinschicht des Zaubers, und der germanischen Religion an sich, fachgelehrter Spreizungen.
Neben den Aufzeichnungen der antiken- und spätantiken Historiker sind die hochmittelalterlichen Literaturen Nordwestskandinaviens, Islands und Norwegens die schriftlichen Hauptquellen, vor allem die Sagas und die Sammlung der Lieder-Edda sowie der Prosa-Edda. Weitere Quellen sind Missionsberichte und kirchliche Verbots- und Bußschriften wie das Christenrecht in der Gulathingslov, die Indiculien, Rechtsfragmente, wie z. B. die Lex Salica, und Zusätze wie bei dem Lex Frisionum und kurze Versfragmente wie die Merseburger Zaubersprüche oder das Sächsisches Taufgelöbnis.
Archäologische Funde wie etwa die sogenannte Bügelfibel von Nordendorf, die Brakteaten und Runensteine sowie Gotländische Bildsteine aus Skandinavien und Westeuropa stellen die dritte Quellengruppe dar. Besonders die Funde aus Grabungen an ehemaligen Opfermooren und Seen können Aufschluss geben, wo schriftliche Quellen schweigen, oder wenn je vorhanden, schlicht verloren gegangen sind (Thorsberger Moor, Opfermoor von Oberdorla/Niederdorla, Nydam-Moor, Moorfund von Vimose).
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Dunkle Grüße
carpe nocterm
~~{Salome}~~