Johnny Depp in "Das geheime Fenster"
"Geh nicht zurück!" Wieder und wieder hallt diese Warnung durch Mort Raineys (Johnny Depp) Kopf. Doch der Autor von Horrorgeschichten kann sich dem Blick in das Motel-Zimmer nicht entziehen. Er rast zurück in die Absteige, in der er seine Ehefrau Amy (Maria Bello) und ihren Liebhaber Ted (Timothy Hutton) in flagranti erwischt hat. Mort zielt mit seiner Pistole auf das Paar, kann jedoch nicht abdrücken.
Sechs Monate später lebt der traumatisierte Schriftsteller in einem einsamen Haus an einem malerischen See, Amy ist mit Ted in Morts New Yorker Villa gezogen, die Scheidung läuft. Den Kampf gegen seine Schreibblockade ficht Mort überwiegend in seinen fadenscheinigen Bademantel gehüllt, auf dem Sofa liegend aus. Da taucht plötzlich ein Fremder, der sich als John Shooter (John Turturro) vorstellt in Morts Einöde auf. Shooter behauptet, Morts Kurzgeschichte "Das geheime Fenster" sei ein Plagiat einer seiner Stories. Zum Beweis legt er ihm sein Manuskript vor. Und tatsächlich - die Geschichten gleichen sich aufs Wort, nur Shooters Ende ist ein anderes. Das bessere, wie dieser meint, und Anlass genug, Mort zu einer entsprechenden Änderung zu zwingen.
Dass Shooter sein Anliegen verdammt ernst meint, muss Mort erfahren, als sein Hund grausam getötet auf der Veranda liegt. Das Haus am See wird mehr und mehr zu einem unheimlichen Gefängnis, doch die Schatten, nach denen Mort im Spiegel schlägt, sind oft bloß seine eigenen.... Wer ist der mysteriöse Shooter? Steckt vielleicht Amys neuer Lebensgefährte hinter den unheimlichen Ereignissen, in deren Zuge auch Morts New Yorker Haus einem Brand zum Opfer fällt? Morts Bemühungen, Shooter die Originalität seiner eigenen Geschichte zu beweisen, führen in immer tiefer in dunkelste Abgründe.
Die klaustrophobische Atmosphäre, in welcher der traumatisierte Schriftsteller Mort Rainey sich bewegt, ist meisterhaft in Szene gesetzt - kein Wunder, zeichnet doch Regisseur und Drehbuchautor in Personalunion David Koepp dafür verantwortlich, der unter anderem schon die Scripts zu "Spiderman" und "Panic Room" schrieb. Anders als "Panic Room", dessen Handlung auf einen fensterlosen Geheimraum reduziert ist, fängt Koepp hier aber vielmehr das Gefangensein eines Mannes in sich selbst ein - obwohl das Haus offen gebaut ist und an einem wunderschönen See liegt, genießt der Protagonist niemals die Natur, sondern verbringt seine Zeit ausschließlich auf der Coach im Inneren des Hauses.
Johnny Depp, zuletzt als tuntiger Piratenkönig auf der Leinwand zu sehen, beweist erneut seine Vielseitigkeit und verleiht Mort Rainey eine Komplexität, welche die Figur vor dem populären Klischee des wahnsinnigen Künstlers bewahrt. Seinen Gegenspieler gibt der großartige John Turturro, der schon in "Barton Fink" und "Lushins Verteidigung" als Künstler und Genie glänzte, und hier mit seinem schwarzen Hut unfreiwillig an "Dr. Tod" Gunther von Hagens erinnert.
So, wie sich Werk und Realität auf der Filmebene vermischen, kann auch der Zuschauer zahlreiche intertextuelle und -mediale Beziehungen entdecken. Auf dem Tisch in Morts Wohnzimmer liegt ein Buch von Hunter S. Thompson - ein Freund von Depp, seitdem der Mime den Autor in "Fear and Loathing in Las Vegas" darstellte. Und die Szene, in der Mort in den Spiegel blickt und sich selbst von hinten sieht, ist nicht nur eine der zahlreichen Spiegel(ungen)-Szenen des Films, sondern auch eine Anlehnung an ein Gemälde des Surrealisten Magritte - und von Koepp als "Magritte-Shot" bezeichnet. Auch das genaue Lesen der Protagonisten-Namen "Mort" und "Shooter" kann lohnend sein.
David Koepp hat für seine Adaption der Novelle "Secret Window, Secret Garden" von Horror-Altmeister Stephen King die Idealbesetzung gefunden, die den Streifen absolut sehenswert macht und ihn zu einer recht überraschenden Pointe führen kann - ohne jedoch den Knalleffekt eines "Sixth Sense" oder die Raffinesse von zum Beispiel "Identität" zu erreichen.
Wer die schlechten Zeiten nicht übersteht, wird die guten
nie erleben!