gendefekte bei Hunden, was falsche Zucht alles anrichten kann
Erbfehler und Gendefekte
Gegenwärtig kennt die Tiermedizin auf den ersten Blick erschreckend viele Erbfehler bei Hunden: rund 450. Dies ist nicht zwangsläufig auf ein Ansteigen an erblichen Krankheiten zurückführen, sondern auch auf mehr Wissen über die Vererblichkeit von Erkrankungen.
Eine straffe Übersicht von Harald Wenner.
Der Begriff Erbfehler steht hier für die Gesamtheit der erblichen Abweichungen, Störungen und genetischen Defekte, die wie folgt unterteilt sind:
- Erblich bedingte Krankheitszustände oder Mängel mit gesundheitlicher Beeinträchtigung
- Erb-Umwelt-Erkrankungen, also die genetisch bedingte Bereitschaft zur Erkrankung
- Fehler in der Rasse/Zucht ohne Auswirkungen auf die Gesundheit. Gemeint sind hier falsche Pigmentierung/Fehlfarben, fehlerhafte Ohrenstellung, etc.
- Fehler in der Rasse/Zucht mit Auswirkungen auf die Gesundheit, wie: Zwergen- oder Riesenwuchs, verkürzte Gesichtsschädel, die zu Atemproblemen führen, extrem kurze Beine und extrem lange Wirbelsäulen, etc. Ein Teil dieser Zuchtfehler ist als Qualzucht definiert und sollte laut §11b Tierschutzgesetz aus den Rassestandards entfernt werden, soweit mit Missbildungen oder körperlichen Leiden zu rechnen ist.
Oft vernachlässigt werden hier die Erb-Umwelterkrankungen, da hier eine vorhandene Genmutation nicht zum völligen Versagen des Enzyms führt, sondern als Abweichung von der vollen Funktionsfähigkeit die Gefahr einer größeren Anfälligkeit gegen Umweltveränderungen birgt. Es handelt sich um eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit, also einer Disposition.
Darüber hinaus werden Erbfehler weiter unterteilt in (Quelle: Vererbung beim Hund, Inge Jansen):
- die durch einen einzigen Genort bestimmt sind (monogene oder monofaktorielle Erbfehler) als dominante oder rezessive Gene
- die durch mehrere, additiv wirkende Genorte bestimmt sind (polygene oder multifaktorielle Erbfehler)
- sowie in pränatale (vorgeburtliche), perinatale (kurz vor, während, oder nach der Geburt auftretende), juvenile (in der Jugendentwicklung auftretende) und adulte (im Erwachsenenalter, also nach der Geschlechtsreife auftretende).
Wichtig sind hier bei der Zucht mit erblich belasteten Elterntieren die adulten Erbfehler, weil diese Erbfehler oft erst dann festgestellt werden, wenn bereits belastete Nachkommen geboren wurden. Hier erfolgt eine weitere Einteilung der Erbfehler in: Letal- (tödliche Erbfehler), Semiletal- (mehr als die Hälfte der betroffenen Hunde stirbt bis zur Geschlechtsreife) und Subvitalfaktoren (mehr als die Hälfte der betroffenen Hunde erreicht die Geschlechtsreife).
Nicht alle Erbfehler oder erblich bedingten Krankheiten sind auf genetisch vorbelastete Ahnen zurückzuführen. Auch während des Heranwachsen des Fötus können durch äußere Einflüsse wie Umweltbelastungen, Gifte/Vergiftungen, Viren und Mangelerscheinungen genetische Veränderungen entstehen.
Momentan sind etwa 450 Erbfehler des Hundes bekannt. Diese hohe Anzahl liegt wohl weniger an einem Ansteigen von erblichen Erkrankungen als an der Aufmerksamkeit, die in den letzten Jahren erblich bedingten Veränderungen zukommt. Durch fortschreitende Technik und effiziente Diagnoseverfahren ist es möglich, diese Art gesundheitlicher Leiden zu erkennen und einzuordnen.
Bei etwa zwei Dutzend der caninen Erbkrankheiten ist der molekulargenetische Defekt heute bekannt. Allerdings ist bei gut der Hälfte aller Erbkrankheiten, die auf der genetischen Basis von Rasseprädispositionen (rassebedingte Bereitschaft zur Erkrankung) oder familiärem Auftreten vermutet werden, der Vererbungsgang noch völlig unbekannt. Dies hat schlussendlich zur Folge, dass das Zuordnen einer Krankheit zu einem mutierten Gen - also das Einordnen in eine vererbliche Veränderung - oftmals nicht möglich ist.
Für den Halter eines erkrankten Hundes mag es nicht von Bedeutung sein, ob körperliche Einschränkungen oder Krankheiten seines Tieres erblich sind. Für die Zucht gewinnt diese Erkenntnis allerdings eine sehr große Bedeutung.
Dass jedes Gen und Organsystem von einer genetischen Mutation behaftet sein kann und sich die Symptome von denen erworbener Krankheiten oft gar nicht unterscheiden, macht die klinische Diagnostik oft schwer. Hier sind Informationen des Halters oder Züchters sehr wichtig, da erbliche Erkrankungen meistens unabhängig von äußeren Einflüssen in einem bestimmten Alter auftreten. Erbkrankheiten befallen meist nicht alle Tiere eines Wurfes.
Fatal ist, dass viele Welpen, die an schwerwiegenden Erbfehlern erkranken und in vielen Fällen auch sehr schnell verenden, von deren Züchtern oft ohne weitere Untersuchungen oder das Informieren einen Tierarztes beseitigt werden.
Viele dieser kongenitalen (schon bei der Geburt vorhandenen, sehr schweren) Erbfehler sind meist einfach zu erkennen. Die betroffenen Tiere sind fast nicht lebensfähig und verkümmern. Leider werden viele solcher frühen Todesfälle auch heute noch als "natürliche Auslese" abgetan und mit belasteten Elterntieren weitergezüchtet.
Hier zeigt sich ganz unmissverständlich die Verantwortung, die ein Züchter zu tragen hat.
Je nach Art der erblichen Erkrankung variieren natürlich auch die Symptome. Abhängig davon ist die Prognose für den weiteren Krankheitsverlauf. Der klinische Krankheitsverlauf bei Hunden mit demselben Leiden ist ähnlich, so kann man aus jahrelangen Erfahrungen Prognosen stellen und therapeutische Maßnahmen einleiten. Diese Therapien beziehen sich in den meisten Fällen nur auf die Symptomatik und dienen einer Verbesserung der Lebensqualität. Ethik und Rechtmäßigkeit müssen hier beachtet werden.
Nieren- und Knochenmarktransplantationen sowie weitere Gentherapien können in Zukunft - ähnlich wie beim Menschen - bei einem Teil der monogenen (nur durch ein einzelnes Gen verursachte) Erbkrankheiten eine Heilung ermöglichen.
Die Gelder für die Genforschung beim Hund sind stark begrenzt. Der Löwenanteil der zur Verfügung stehenden Mittel wird in die Genforschung für Nutztiere eingebracht. Hier geht es natürlich in der Hauptsache um Ausbringung (Fleisch, Milch, Eier etc.) Trotzdem ist heute schon viel über erbliche Erkrankungen beim Hund bekannt, findet aber wegen der Rassestandards immer noch wenig Beachtung.
Viele der bekannten Erbkrankheiten sind erst durch züchterische Maßnahmen entstanden und führen heute in unzähligen Fällen zu kranken Tieren, die oft unter den Auswirkungen leiden. Ich möchte hier außer den "echten" Erkrankungen die Übertreibung der Standards erwähnen, aus denen unter anderem die genannten Probleme beim verkürzten Gesichtsschädel, extrem lose Fellhaut, die zu multiplen Hauterkrankungen, Hängelidern etc. führen, extremer Zwergen- oder Riesenwuchs, "Apfelköpfe", zu große oder zu kleine Augen, oder sogar offene Hirnschädel (Fontanellen) resultieren.
Die Zucht von Tieren bedarf einer hohen Verantwortung und sollte mit der einfachen Vermehrung nichts zu tun haben. Wichtig ist dabei, dass man jederzeit den Ursprung der Zucht zurückverfolgen kann, um Einfluß nehmen zu können und unerwünschte Zuchtergebnisse vermeiden kann.
Ein weiterer Punkt, neben teilweise unsinnigen Standards, ist daher die Inzucht. Hier sollen Reinerbigkeit und damit ein hohes Maß an Vererbung erwünschter Eigenschaften erreicht werden. Im gleichen Verhältnis erhöht sich damit aber auch die Zahl der krankmachenden Eigenschaften, Genmutationen und Missbildungen.
Bei Inzucht werden den ursprünglich gesunden Elterntieren durch fortschreitende Genverarmung immer mehr Tiere folgen, die krank sind, oder eine erhöhte Bereitschaft zum Erkranken mitbringen. Zur Erhaltung von (seltenen) Rassen und erwünschter Zuchtmerkmale wird immer noch Inzucht betrieben. Auch wenn durch Inzucht nur selten neue Mutationen entstehen und keine neuen Erbfehler hervorgerufen werden, begünstigt diese Art von Zucht das Auftreten rezessiv vererbter Erkrankungen.
Unzählbare Appelle von engagierten Tierärzten an Rassezuchtverbände verhallen oft unbeachtet. Dabei können Erbfehler ausschließlich an der Wurzel, also der Zucht, gepackt werden. So liest man auf vielen Rassehundeseiten immer wieder Hinweise auf erbliche Erkrankungen dieser Rasse und deren Therapie, statt Vorschläge zur Eindämmung.
Viel wichtiger als die Behandlung von erblichen Defekten ist deshalb die Früherkennung und damit die Eindämmung. Ziel muss sein, dass sich mutierte Gene nicht innerhalb einer Familie oder gar einer ganzen Rasse weiter ausbreiten können. Gerade bei dominant vererbten Krankheiten greifen züchterische Maßnahmen sehr effektiv und führen rasch zu einer Eliminierung des Gendefektes.
Als häufigste Erbfehler treten beim Hund auf:
- hereditäre Skeletterkrankungen
- Erbdefekte der Atemwege
- vererbte Kreislaufstörungen
- vererbte Hautkrankheiten
- hämatologische (Blut) Erbfehler und Erythrozytendefekte (Erythrozyten = rote Blutkörperchen)
- vererbbare Krankheiten des Immunsystems
- Erbkrankheiten der Organe (Leber, Pankreas, Magen, Darm)
- endokrine Erbfehler (Diabetes, Schilddrüse, etc.)
- neurologische Erbkrankheiten
- muskuläre Erbdefekte
- erbliche Fortpflanzungsstörungen
- uronephrologische Erbfehler (erbliche Erkrankungen der Nieren und der ableitenden Harnwege wie Harnleiter, Blase und Harnröhre)
Skeletterkrankungen: Zu den häufigsten erblichen Skeletterkrankungen zählen Dysplasien von Hüft- Schulter- und Ellbogengelenken, die Patellaluxation (Neigung zum spontanen Ausrenken der Kniescheibe) und die Femurkopfnekrose (Degeneration der Hüftgelenkskugel am Oberschenkelknochen).
Für den Hund als Lauftier ist ein gesundes Skelett enorm wichtig. Eine genetische Veränderung der Knochen und Gelenke gibt den Rahmen für entsprechende Erkrankungen, jedoch kann durch eine ausgewogene Ernährung und Bewegung der "Schaden" begrenzt werden.
Nicht nur für erblich belastete Hunde sind zu viel Treppensteigen, Springen, neben dem Fahrrad herlaufen, etc. während der Wachstumsphase Indikatoren für eventuelle spätere Knochen- oder Gelenkerkrankungen. Eine Überbelastung wird die genetische Veranlagung zu Skelettveränderungen negativ beeinflussen.
Zu den erblichen Skeletterkrankungen gehören aber auch genetisch bedingte Defekte wie zum Beispiel Rück- und Vorbiss, Zahnüber- und unterzahl, Zwerg- und Riesenwuchs, Bandscheibenvorfälle (Dackellähme), Veränderungen der Form der Rückenwirbel, etc.
Den Schwerpunkt der neurologischen Erkrankungen, die das Gehirn und das zentrale Nervensystem umfassen, bildet natürlich der Oberbegriff "Epileptische Anfallsformen", siehe auch Hunde Erbkrankheiten Netzwerk (HEN) im Portal der hundezeitung.
Darüber hinaus gibt es aber weitere Erkrankungen, die zu den unterschiedlichsten neurologischen Störungen/Ausfällen führen können. Relativ unerforscht ist das "Schwimmersyndrom", eine erbliche Erkrankung, die dazu führt, dass Welpen nicht in der Lage sind zu stehen und nur flach (wie ein Schwimmer) liegen können. Diese Erscheinung wird meistens durch Krämpfe, Zuckungen und Sehstörungen begleitet. Viele dieser Hunde kommen über das Welpenalter nicht hinaus, wobei sich manche völlig normal weiterentwickeln.
Zu den erblichen Erkrankungen des Kreislaufsystems gehören unter anderen Fehler wie ein Loch in der Herzscheidewand (ganz oder nur teilweise ausgeprägt), Aortenverengungen, diverse Fehl- oder Missbildungen oder die Pulmonalstenose, was bedeutet, dass eine Verengung vorliegt im Bereich der Pulmonalklappen, die eine von insgesamt vier Herzklappen ist.
Zur Diagnose der Herzfehler bedarf es einer speziellen technischen Ausrüstung, die in der Regel nur einem Fachtierarzt für Kardiologie zur Verfügung stehen (wie Ultraschall mit Farbdoppler). Häufig haben andere, zum Teil auch erbliche Erkrankungen, unmittelbaren Einfluss auf die Funktion des Herzens (Erkrankungen der Schilddrüse etc.).
Als erbliche Fortpflanzungsstörungen oder Erkrankungen der Fortpflanzungsorgane bezeichnet man zum Beispiel das Fehlen eines oder beider Hoden, nicht aus der Bauchhöhle absteigende Hoden (Tumorgefahr), sowie Missbildungen der Gebärmutter, Eierstöcke und den Zitzen.
Die hämatologischen Erbfehler umfassen verschiedene Erkrankungen des Blutes. Die zyklische Hämatopoese (Blutbildung), auch zyklische Neutropenie, graues Collie Syndrom oder CCH genannt, ist eine erbliche Bluterkrankung, die es nur beim Collie gibt. Hier nehmen rote Blutkörperchen und Blutplättchen immer mehr ab, der Hund hat keinerlei Immunsystem und die Bindung von Vitamin K ist nicht möglich. Diese Erkrankung geht mit einer Graufärbung des Felles einher und endet tödlich.
Ein weiterer wichtiger Punkt sind Erkrankungen der Blutgerinnung, also Bluterkrankheiten. Durch eine Verzögerung der Blutgerinnung kann es zu großen Blutverlusten bei Verletzungen und Operationen kommen.
Das Spektrum der erblichen Störungen im Immunsystem reicht von verschiedensten allergischen Reaktionen über Mangelerscheinungen bis hin zu Autoimmunerkrankungen. Hier kommt es durch eine fehlende oder inkomplette Differenzierung zwischen körpereigenen und körperfremden Zellen zur Ausbildung von Autoimmunkörpern gegen körpereigenes Gewebe - das Immunsystem arbeitet gegen den eigenen Organismus.
Beispiele für erbliche Erkrankungen der Augen sind unter anderem die Progressive Retina Atrophie (PRA), bei der es zu einer Degeneration der Netzhaut kommt, die Retina Dysplasie, also einem Ablösen der Netzhaut, die Kerato Conjunktivitis Sicca (KCS), bei der nicht genügend Tränenflüssigkeit produziert wird und das Auge austrocknet. Häufig diagnostiziert wird auch der erbliche Katarakt (grauer Star, der aber nichts mit dem grauen Star als Alterserscheinung zu tun hat).
Aber auch Missbildungen wie zu kleine oder hervorquellende Augen, eine Verdopplung der Wimpernreihen, eingerollte oder hängende Lidränder, haarige Hornhautzysten oder Fehlstellungen der Linse sind nicht selten.
Erblich bedingte Erkrankungen der Haut umfassen im Wesentlichen eine angeborene Fell- oder Haarlosigkeit, den Verlust oder das Fehlen von Pigmenten, Blaufärbungen mit einhergehenden Hautentzündungen, sowie brüchige, dünne Haut mit übermäßig starker Faltenbildung.
Zu den nicht selten auch genetisch bedingten oder prädisponierten Weichteilerkrankungen (muskuläre und endokrine Abweichungen eingeschlossen), gehören zum Einen die verschiedenen Organe, aber auch Blase und Harnröhre, sowie endokrine Drüsen und Stoffwechsel. Alle diese Erkrankungen haben unmittelbaren Einfluß auf die Lebensfunktionen und schränken das erkrankte Tier in der Lebensqualität ein oder führen sogar zum Tod.
Hier dominieren neben Erkrankungen der Niere, Leber, Schilddrüse und Bauchspeicheldrüse etc., auch Muskelschwund und spastische Verengungen des Magenausganges. Da hier die klinische Symptomatik in den meisten Fällen nicht eindeutig zugeordnet werden kann, ist eine Diagnosestellung im Labor und bildgebende Verfahren (Röntgen- und Ultraschalluntersuchungen) angeraten. Einige der Weichteilerkrankungen können neben einem medikamentösen Ausgleich auch über die Ernährung positiv beeinflusst werden.
Auch die Atemwege können von erblichen Fehlern betroffen sein. Missbildungen der Atmungsorgane und der Atemwege, aber auch eine falsche Bewegungsfunktion der Lunge führen zu schwerwiegenden gesundheitlichen Einschränkungen. Zudem zählen Fehlbildungen oder Unterentwicklungen des Kehlkopfes und Stimmbandlähmungen zu den angeborenen Erkrankungen der Atemwege.
Schlussendlich schreibt man auch gewissen Tumoren (Neoplasmen) eine Vererbbarkeit zu. Unterschieden wird hier in benigne, also gutartige Tumore (nur lokal wachsende, keine Absiedlung bildende), semimaligne genannte Tumore (lokal wachsend, jedoch in umgebende Strukturen einwachsend und zerstörend, bilden keine Absiedlungen) und bösartige Tumore (maligne Geschwulste, mit zum Teil frühzeitiger Bildung von Tochterneubildungen)
Einige Rassen zeigen hier eine erhöhte Disposition zu derartigen Erkrankungen. Der Boxer weist ein, im Vergleich zu allen anderen Rassen, erhöhtes Krebsrisiko auf.
Die Anfälligkeit gegenüber Neoplasmen steigt mit zunehmendem Alter. Betroffen können alle Organbereiche des Körpers sein.