~ Bunte Schatten ~ - Gedanken

Tod ...

Tod ...

Es ist seltsam, dass wir in jedem Augenblick unseres Lebens gleichzeitig schon den Tod in uns tragen, ohne dass wir dieser Tatsache meist besondere Beachtung schenken. Wir werden sterben, nicht nur wahrscheinlich, sondern mit absoluter (tödlicher) Sicherheit.
An manchen Tagen begrüße ich diese Tatsache, dann freue ich mich darauf, wie auf einen Sprung in ein tiefes dunkelgrünes Wasser an einem heißen Sommertag. An anderen Tage fürchte ich die Ohnmacht, mit der ich diesem Phänomen gegenüberstehe, das Ohnmächtigwerden, das auf Ewigkeit in eine Übelkeit erregende Dunkelheit abgleiten. Ich fürchte den letzten Augenblick, das krampfhafte Festhalten an der schwächer werdenen Wahrnehmung, dem immer stärker werdenden Druck auf dem Brustkorb, das nicht Ertrinkenwollen ...

Der äußerliche Tod läßt mich relativ kalt, der Tod, den ich von außen beobachte. Zum Glück bin nicht ich es, denke ich zuerst. Aber es ist wie auf der Förderanlage eines Kieswerkes. Wir liegen alle bewegungsunfähig auf dem Förderband von gestern nach morgen und fallen früher oder später auf den großen Haufen. Wir sind meist blind und taub und nehmen die Illusion des endlosen Tag für Tag Lebens dankbar an.

Zuweilen macht es mich rasend, dass ich nichts aber auch gar nichts dagegen ausrichten kann, dann aber bin ich froh, dass all dieses Wahrnehmen einmal ein Ende haben wird, dem (hoffentlich) nichts folgt.

Wenn der Gedanke an den Tod sich meiner ganz und gar bemächtigt, so kommt irgendwann der Punkt, da alles ganz leicht wird und ich mich angstlos den Atmophären, Bildern, Gefahren und Gefühlen hingeben und darin mich selbst vergessen kann.

Man hört oft von Geschichten, in denen jemand erfährt, dass er nur noch ein Jahr oder kürzer zu leben hat. Nun gibt es augenscheinlich die eine Gruppe, die in ihrem gewohnten Leben fortfährt, ja alles meidet, was nur irgendwie fremd sein mag, das Fremde, das der Tod ist, und die andere Gruppe, die von Heute auf Morgen alles von sich abstreift und eine gänzlich neue Existenz (soweit das möglich ist) beginnt.

Der Gedanke an den Tod gibt dem Menschen die Möglichkeit zur Radikalität. Radikalität im Sinne der Radix, der Wurzel, des Ursprünglichen. Je älter man wird, desto eher findet man sich auf irgendeinem Bauwerk angeblich eigener Konstruktion wieder. Innerhalb dieses Bauwerkes, des sog. selbstgewählten Lebens, hat man begonnen sich einzurichten. Kommt aber der Tod leise in die Gedanken geschlichen, wird das ganze Gebäude fragwürdig. Es wird schlicht alles fragwürdig. Und es wird fragwürdig, weil es immer, zu jedem Zeitpunkt des Lebens die andere Richtung gibt, die, der das Herz zustrebt, unvernünftig, waghalsig und brennend. Unter normalen Umständen ist man angehalten dieser Richtung, diesem Sog nur soweit nachzugeben, wie man nicht Nachteile davon zu befürchten hat, denn man lebt ja in der Illusion des ewigen Lebens oder im Vergessen des eigenen Todes, so dass man sich doch möglichst behaglich einrichten sollte, damit man auch morgen noch kraftvoll zubeißen kann. Rentenvorsorge, Bausparvertrag, Karriere, Lebensversicherung, Angst vor Erwerbslosigkeit, Angst vor sozialem Abseits und wie das ganze absurde Gespann heißt, womit man die Menschen das Leben verwerfen läßt zugunsten eines völlig irrationalen Traumes von Geborgenheit und Sicherheit. Damit möchte ich nicht sagen, dass es keine Sicherheit oder Geborgenheit geben kann. Es kann sie allerdings nur dann geben, wenn man sich mit der absoluten Unsicherheit, die uns umgibt, abfindet und darin eben genau die absolute, unumstößliche Sicherheit findet, wenn man es also schafft, sich als jemand oder besser als Etwas, das des Todes ist, in den Falten der Welt geborgen zu fühlen, als genau das was man ist, nämlich zu Bewußtsein gelangte Biomasse, mit allen Parametern der ständigen Umorganisation, denen diese unterworfen ist. Sich selbst zu erkennen heißt also auch, sich des eigenen Todes derart bewußt zu werden, dass man in diesem Seinszustand Sicherheit empfindet. Aus dieser Sicherheit in der Unsicherheit heraus mag sich die Richtung, die bei jeder Entscheidung das Herz einschlagen will, als die vernünftigere vor der Vernunft herausstellen ...

"Früher glaubten die Menschen, dass eine Krähe die Seele der Sterbenden ins Reich der Toten trägt. Doch manchmal finden Seelen keine Ruhe, weil etwas furchtbaren passiert ist. Und dann kann es durchaus vorkommen, dass die Krähe die Seele zurückbringt, so dass sie die alten Rechnungen begleichen kann."