Althaus verteidigt Brief an Jugendweiheausschuss
DDR-Aufarbeitung
Althaus verteidigt Brief an Jugendweiheausschuss
Von Claus Peter Müller, Erfurt
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Versuch, den SED-Einfluss zurückzudrängen? Dieter Althaus schrieb am 9. Novem...
Versuch, den SED-Einfluss zurückzudrängen? Dieter Althaus schrieb am 9. November 1989 an den Jugendweihe-Bezirksausschuss
27. Oktober 2008 Der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) habe mit einem Brief, den er am Tag des Mauerfalls an den Bezirksausschuss Jugendweihe schrieb, nicht dem Marxismus-Leninismus gehuldigt, sondern sich für die Befreiung der Schule von der Jugendweihe eingesetzt. Diese Auffassung äußerte nicht nur Althaus selbst, sondern auch Vertreter der Kirche und der Bürgerbewegung. Sie widersprachen damit dem in verschiedenen Publikationen implizit erhobenen Vorwurf, Althaus habe noch am 9. November seine Nähe zum DDR-System unter Beweis gestellt. Die Süddeutsche Zeitung und Die Welt hatten über einen Brief Althaus' an den Bezirksausschuss berichtet. Später griff auch Spiegel-online das Thema unter dem Titel auf: Althaus warb am Tag des Mauerfalls für mehr Marxismus-Leninismus.
Althaus hatte als stellvertretender Direktor für außerschulische Angelegenheiten der Werner-Seelenbinder-Oberschule in Geismar im Eichsfeld am 9. November 1989 geschrieben, als Tradition der freireligiösen Vereinigungen sollte die Jugendweihe wieder den Inhalt einer marxistisch-leninistischen Weltanschauung haben. Die Jugendweihe solle außerhalb der Schule stattfinden, sagte Althaus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Übler Agitationsjournalismus
Ehrhardt Neubert, in der DDR Wissenschaftlicher Referent im Bund der evangelischen Kirche und schließlich Mitbegründer des Demokratischen Aufbruchs, sprach von üblem Agitationsjournalismus. Niemand bestreite, dass die CDU ein Blockflötenproblem hatte, aber Althaus habe das nie bestritten, sondern er sei Exponent der Erneuerung der CDU. Althaus habe sich mit seinem Schreiben dafür eingesetzt, die Schule von der Jugendweihe zu befreien. Er habe also nicht für den Marxismus geworben, sondern das Gegenteil getan. Es sei der Versuch gewesen, die SED aus der Schule zu verbannen. Etwa zur gleichen Zeit habe auch die Evangelische Kirche gefordert, die Schule zu entideologisieren.
Heinz Josef Durstewitz, Propst von Heiligenstadt, sagte, er habe seit den siebziger Jahren als katholischer Kaplan in Kontakt mit dem Jugendweihekomitee gestanden. Auf die Schüler sei an den Schulen Druck ausgeübt worden, zur Jugendweihe zu gehen. Das geforderte Bekenntnis zum sozialistischen Staat unter Androhung von Sanktionen habe Christen unter Druck gesetzt. Darum habe die katholische Kirche gefordert, das Bekenntnis zum SED-Staat aus der Schule in den privaten Bereich zu verlagern. Zwar relativiere das Datum des 9. Novembers 1989 Althaus' Brief, aber es habe Mut dazu gehört, die Forderung, die Althaus erhoben habe, außerhalb des Schutzes der Kirche und zudem als Schulleiter zu erheben. Althaus habe nicht den Marxismus gelobt, sondern einen Ruf nach Freiheit gewagt.
Althaus: Keiner ahnte, dass die Mauer fallen würde
Althaus forderte am Montag in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die Zeitumstände zu berücksichtigen. Die Idee, der Sozialismus oder die DDR seien zu reformieren, sei verbreitet gewesen. Die Stasi habe noch bis Ende 1989 funktioniert. Keiner habe geahnt, dass am 9. November abends die Mauer fallen werde. Bundeskanzler Kohl habe im November 1989 nicht sogleich die Wiedervereinigung angekündigt, sondern ein Zehn-Punkte-Programm vorgelegt.
Der Thüringer CDU-Fraktionsvorsitzende Mohring sagte der F.A.Z., die Thüringer CDU habe sich in ihrem Grundsatzprogramm klar und eindeutig zur Gleichschaltung und zur Mitverantwortung ihrer Bezirksverbände an der SED-Diktatur bis 1989 gestellt und zu ihren Versäumnissen bekannt. Dem sei eine intensive, knapp zwei Jahre dauernde Diskussion zum Grundsatzprogramm der Thüringer Union vorausgegangen. Althaus als Landesvorsitzender und der gesamte Landesverband werben nach Mohrings Worten seit Monaten darum, dass der Bundesparteitag einen entsprechenden Passus auch in einen geplanten Antrag über die Perspektiven für den Osten Deutschlands aufnehme, der unter dem Titel Geteilt, vereint, gemeinsam verabschiedet werden soll.
Mohring sagte weiter, für ihn bleibe nach den Berichten über Althaus' Brief an den Jugendweihebezirksausschuss kein erklärungsbedürftiger Rest: Im Herbst 1989 war es ein Ziel überzeugter Christen, endlich die weltanschauliche Vereinnahmung ganzer Schulklassen durch die Jugendweihe zu beenden, die Zeremonie aus der Schule zu verbannen und als das zu kennzeichnen, was sie war: eine sozialistische Bekenntnisfeier. Für Menschen, die in der DDR gelebt hätten, werfe der Vorgang keine Fragen auf.
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: ddp
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