Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen - DDR-REGIME: Ideologisch angewandte Familienrechtspolitik

Vergewaltigungsopfer: 60 Jahre Schweigen

Vergewaltigungsopfer: 60 Jahre Schweigen

Vergewaltigungsopfer: 60 Jahre Schweigen
Vergewaltigungsopfer
60 Jahre Schweigen
DIE ZEIT, Ausgabe 43, 2008

© ZEIT ONLINE, dpa

* Schlagworte:
* Zweiter Weltkrieg
* Vergewaltigung
* Frau
* Kriegsverbrechen

Erstmals wird das Schicksal von Frauen erforscht, die während des Zweiten Weltkriegs missbraucht wurden. Die Untersuchung soll ein Tabu brechen und eine kollektive Erinnerungskultur fördern
Szene aus dem Film "Anonyma" der am 23. Oktober in den Kinos anläuft

Szene aus dem Film "Anonyma" der am 23. Oktober in den Kinos anläuft

© 2008 Constantin Film Verleih GmbH

"Dreiundzwanzig Soldaten hintereinander. Ich musste im Krankenhaus genäht werden. Nie wieder will ich etwas mit einem Mann zu tun haben." So beschreibt die Publizistin Ursula von Kardorff in ihren Berliner Aufzeichnungen die Erlebnisse einer Freundin im September 1945.

Kriegsvergewaltigungen gehören bis heute zu den großen Tabus des Zweiten Weltkrieges. Nur vereinzelt wurden sie in literarischen Werken und Tagebuchaufzeichnungen angesprochen. Von Donnerstag an läuft nun der Film Anonyma im Kino und rückt das Thema in die Öffentlichkeit.

"Eine systematische wissenschaftliche Aufarbeitung der durch Vergewaltigungen ausgelösten Traumatisierungen und der Langzeitfolgen fehlt bis heute", sagt der Psychiater Philipp Kuwert von der Universität Greifswald. Erstmals soll jetzt das Schicksal deutscher Frauen, die während des Zweiten Weltkrieges vergewaltigt wurden, wissenschaftlich untersucht werden. Historiker schätzen, dass allein von Januar bis Juni 1945 bis zu 1,9 Millionen Frauen missbraucht wurden. Genaue Zahlen gibt es nicht.

Nicht nur die Täter schwiegen, auch die Opfer redeten nicht – aus Scham oder Angst. Zudem war in der DDR eine Diskussion über Vergewaltigungen durch Rotarmisten staatspolitisch nicht gewollt. Doch Kuwert ist sich sicher: "Kriegsvergewaltigungen waren ein Massenphänomen und nicht nur in der Roten Armee zu finden." Seit Montag befragt das Team der Universität Greifswald im Rahmen einer mehrmonatigen Studie mit dem Kölner Verein medica mondiale Vergewaltigungsopfer des Zweiten Weltkrieges.
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Monika Hauser, die Leiterin von medica mondiale, wurde für ihren 15-jährigen Hilfseinsatz für kriegsvergewaltigte Frauen in aktuellen Kriegsgebieten mit dem Alternativen Nobelpreis 2008 ausgezeichnet . Sie will mit der Studie ein Tabu brechen und den betroffenen Frauen das Stigma nehmen. Nur so würden eine individuelle Verarbeitung und kollektive Erinnerungskultur möglich. Die Frauen erführen dadurch eine – wenn auch minimale – Gerechtigkeit, sagt Hauser. Sie zieht Parallelen zwischen den Vergewaltigungen in heutigen Kriegen und denen während des Zweiten Weltkrieges. "Vergewaltigungen haben kriegsstrategische Bedeutung. Soldaten üben Macht und Rache aus. Sie verletzen den Feind, indem sie ihm die Frau nehmen."

Die Greifswalder Wissenschaftler knüpfen an frühere Forschungen zur Traumatisierung von Kindersoldaten und Kriegskindern an. Demnach leiden einige Betroffene bis heute unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Ihr Erinnerungsdruck sei besonders stark, berichtet Philipp Kuwert. In Flashbacks erlebten sie die schrecklichen Situationen immer wieder. Die Opfer reagierten sogar auf harmlose Reize sehr negativ. "Das geht so weit, dass Frauen das Ticken einer Standuhr nicht ertragen oder Sexualität im späteren Leben vollkommen meiden", erklärt Kuwert.

Selbst 63 Jahre nach Kriegsende sei es für eine Therapie kriegsvergewaltigter Frauen nicht zu spät, meint der Psychiater. "Viele Traumatisierte haben am Ende ihres Lebens das Gefühl, nicht abschließen zu können." Allein das Sprechen über die Erlebnisse habe einen "heilenden Effekt". Die Initiatoren dringen auf die Entwicklung spezieller Therapien, auch in Pflege- und Altenheimen. Dort existiere das Tabu bis heute.

Die Studie konzentriert sich aus finanziellen Gründen zunächst auf Betroffene in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin-Brandenburg. Vergewaltigungen, so ist sich Kuwert sicher, habe es aber nicht nur in der russischen, sondern auch in den anderen Besatzungszonen gegeben. Im ukrainischen Donezk wollen die Forscher ein ähnliches Projekt starten, das die sexualisierte Gewalt von SS-Soldaten und Offizieren gegenüber osteuropäischen Frauen thematisiert.

Von Martina Rathke, dpa
https://www.zeit.de/2008/43/studie-kriegsvergewaltigung?page=all

Re: Vergewaltigungsopfer: 60 Jahre Schweigen

22.10.2008

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VERGEWALTIGUNGSDRAMA "ANONYMA"
Tränen in rauchenden Trümmern

Von Joachim Kronsbein

Das Tagebuch einer Zeitzeugin über die Vergewaltigungen deutscher Frauen durch sowjetische Soldaten am Ende des Zweiten Weltkriegs war ein Bestseller – nun hat sich Max Färberböck an der Verfilmung von "Anonyma – Eine Frau in Berlin" versucht. Doch das Ergebnis enttäuscht.
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Ein Keller im Berlin der letzten Kriegstage, Frühjahr 1945. Die Deutschen haben noch nicht kapituliert, Hitler hat sich im Führerbunker verschanzt. Die Rote Armee rückt auf das Regierungsviertel vor. Die zerstörte Stadt erlebt die letzten Straßenkämpfe. Und für viele ausgezehrte deutsche Frauen beginnt nun eine unbeschreibliche Leidenszeit. Sie werden – oft mehrmals – von sowjetischen Soldaten vergewaltigt. Die Frauen fragen einander nach einigen Tagen nur noch lakonisch: "Wie oft?"

Szene aus "Anonyma - Eine Frau in Berlin": Reifes deutsch-russisches "Romeo und Julia"
Constantin Film

Szene aus "Anonyma - Eine Frau in Berlin": Reifes deutsch-russisches "Romeo und Julia"
Eine Journalistin, selbst Opfer, hat diese Zeit in Tagebüchern festgehalten. Nach dem Krieg wurden sie anonym publiziert. In Deutschland waren sie damals kein Erfolg. Niemand wollte über dieses Kriegskapitel etwas lesen. 2003 brachte der Eichborn Verlag in seiner "Anderen Bibliothek" das bedeutende Dokument noch einmal heraus, unter dem Titel "Anonyma: Eine Frau in Berlin". Nun wurde das Buch ein Bestseller. Inzwischen kennt man höchstwahrscheinlich die Identität der Autorin: Marta Hillers. Es sind allerdings Zweifel daran laut geworden, ob ihr verblüffend ausgearbeiteter Bericht in allen Teilen authentisch ist.

"ANONYMA - EINE FRAU IN BERLIN": FILM VON PAPPE

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Es könnte sein, dass Kurt W. Marek, ein enger Freund und unter dem Pseudonym C. W. Ceram mit seinem populärwissenschaftlichen Ärchäologie-Buch "Götter, Gräber und Gelehrte" ein Auflagen-Millionär, den Text lektoriert hat.

Das Buch der anonymen Frau ist jetzt unter dem sperrigen Originaltitel vom Regisseur Max Färberböck ("Aimée & Jaguar") verfilmt worden. Nina Hoss spielt die Hauptfigur. Aus dem Off spricht sie verbindende, erklärende Texte. Und das ist schon das erste, gravierende Problem. Denn die Frauen-Figur rückt so in eine abgeklärte Distanz zu sich selbst, die dem Film nicht guttut.

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Anonyma - Eine Frau in Berlin Max Färberböck Nina Hoss Eichborn Verlag Jewgenij Sidikhin
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Die Ich-Erzählerin ist eine erfolgreiche Journalistin, sie war im Ausland, kennt die Welt und spricht Russisch. Sie ist privilegiert. Und sie ist keine Gegnerin des Nazi-Regimes. Sie hat eher von ihm profitiert. Sie ist im Keller ihres Hauses eine Außenseiterin. Da entstehen Spannungen. Aber Färberböck deutet sie höchstens an. Die anderen Bewohner des Hauses haben keine Konturen, das Geflecht ihrer Beziehungen bleibt dunkel. Einzig Irm Hermann als Witwe gibt ihrer Figur komödiantische Präsenz.

Färberböck will seinen Figuren offenbar nicht zu nahe treten. Den Russen nicht und den deutschen Frauen auch nicht. Scham? Political Correctness? Oder die Unfähigkeit, sich moralisch zu positionieren? So entsteht ein quälend betulicher Film ohne Dramatik, ohne Kraft und Wucht. Was bei diesem Thema eine bemerkenswerte Regie-Leistung ist. Die Kulissen wirken künstlich, die Musik bemüht emotional. Der Film ist durch und durch von Pappe.

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Foto: Constantin Film
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Anonyma - Eine Frau in Berlin
Trailer und Filmausschnitte

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Die wenigen Tage Ende April 1945, die das verfilmte Tagebuch in der Hauptsache beschreibt, die Hektik, das Chaos, die Orientierungslosigkeit, die Gewalt und Atemlosigkeit erzählt Färberböck so statuarisch, dass im Kino der Eindruck von endlosen zähen Wochen entsteht.

Dabei handelt die anonyme Frau eigentlich bewundernswert schnell und zielgerichtet. Sie sucht sich nach mehreren Vergewaltigungen durch untere Ränge einen sowjetischen Offizier, gewissermaßen einen Verbündeten, der sie vor Übergriffen anderer Soldaten schützen soll. Doch anders als im Buch, wo das Verhältnis kühl, wenn auch nicht ohne Sympathie als Geschäft auf Gegenseitigkeit abgewickelt wird, bläht der Film diese Beziehung zu einer nahezu kitschigen Liebestragödie aus.

Dieser Major (Jewgenij Sidikhin) wird versetzt, die Frau weint ihm nach. Ein melodramatischer Abschied auf dem Kasernenhof mit einem innigen Händedruck und schmachtenden Blicken und bedeutenden Worten besiegelt das Ende der ungewöhnlichen Liebesallianz: Eine Art reifes deutsch-russisches "Romeo und Julia" in rauchenden Trümmern.

ANONYMA - EINE FRAU IN BERLIN
(DEUTSCHLAND 2008)
Regie: Max Färberböck
Drehbuch: Max Färberböck
Darsteller: Nina Hoss, Jewgeni Sidikhin, Irm Hermann
Produktion: Constantin Film Produktion
Verleih: Constantin
Laufzeit: 131 Minuten
Start: 23. Oktober 2008


offizielle Website

Nun muss die Frau mit ihrem heimgekommenen deutschen Geliebten Gerd (August Diehl) klarkommen, für den sie das Tagebuch eigentlich geschrieben hat. Er soll verstehen, was ihr angetan worden ist. Doch Gerd nennt die vergewaltigten Frauen nach der Lektüre der Aufzeichnungen "schamlos wie Hündinnen" und "widerlich". Doch auch dieses, weit in die Nachkriegszeit wirkende verletzende Unverständnis, das bis heute Verdrängen und Verschweigen provoziert, ist dem Regisseur nur eine halbherzige Episode wert.

Dieser Konflikt zwischen den Männern, die aus dem Krieg zurückkommen, und den zurückgebliebenen Frauen, die eigenes, traumatisierendes Leid erfahren haben, hätte der dramaturgische Kern des Films sein können. Er wäre vielleicht schwergewichtiger geworden.
https://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,585709,00.html

Re: Vergewaltigungsopfer: 60 Jahre Schweigen

Nina Hoss ist «Anonyma - Eine Frau in Berlin»:
«Der Schändungsbetrieb nimmt seinen Lauf.»
22. Okt 10:48
Nina Hoss ist 'Anonyma'
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Nina Hoss ist 'Anonyma'
Foto: PR
Max Färberböcks Drama «Anonyma» basiert auf den Tagebuchaufzeichnungen einer Journalistin über die Vergewaltigungen in Berlin 1945. Harald Jähner über einen drastischen und erstaunlich differenzierten Film.

Bomben auf Berlin, ganze Häuserzeilen fallen in sich zusammen. Es dauert, bis der Staub sich verzieht. Das erste, was man erkennt, ist ein Hund, der verdutzt aus dem Inferno späht, dann Nina Hoss in einem Mantel, der aus besseren, aus hochtrabenden Tagen stammt.

«Wer hätte das gedacht?», lautet ihr erster Satz. So erstaunt, wie Nina Hoss ihn spricht, so ungläubig und leise und dabei noch voller rauschender Parteitagsbälle, kann es keine zweite Schauspielerin. Nun hockt sie zwischen anderen Hausbewohnern angsterfüllt im Keller und hört die kreischenden Ketten der russischen Panzer auf der Straße. Sie spielt eine 31-jährige Journalistin, recht sprachgewandt. Zitternd übt sie russische Begrüßungs- und Beschwichtigungsformeln.

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Nina Hoss spielt die Anonyma, deren Tagebuchaufzeichnungen vom 20. April bis 22. Juni 1945 in einer Ausgabe in Hans Magnus Enzensberger «Anderer Bibliothek» vor sechs Jahren zu einem Bestseller wurden. Die 31-jährige Autorin berichtet darin von zahllosen Vergewaltigungen durch russische Soldaten: «Der Schändungsbetrieb nimmt seinen Lauf.» Nur indem sie eine sexuelle Liaison mit einem höheren Dienstgrad aufbaut, verschafft sie sich einen gewissen Schutz. «Mit dem wilden Drauflosschänden der ersten Tage ist es nichts mehr», notiert sie in ihr Tagebuch, «die Beute ist knapp geworden. Auch andere Frauen sind, wie ich höre, inzwischen genau wie ich in festen Händen und tabu».

«Wie oft?»

Dem deutschen Buchmarkt war das Tagebuch nicht neu; eine Ausgabe von 1959 war aber wenig beachtet und wenn, dann mit Schimpf und Schande bedacht worden wegen der freimütigen Darstellung von Schändung und Selbstbehauptung. Mindestens 100.000 Frauen sollen nach wissenschaftlichen Schätzungen im späten Frühjahr 1945 in Berlin vergewaltigt worden sein. Begegneten sich zwei Freundinnen, reichte die Frage «Wie oft?», um zu wissen, was gemeint war. Die deutsche Öffentlichkeit ertrug die Beschämung nicht; auch im westlichen Teil, wo offen über die massenhaften Vergewaltigungen hätte gesprochen werden können, blieb das verlegen beschwiegene, wenig erforschte Thema so gut wie tabu. Anders in den USA, in deren Kalten Krieg der Bericht über die marodierende Rote Armee gut passte: Der nach Amerika ausgewanderte Schriftsteller Karl Marek - unter dem Namen C. W. Ceram reich geworden mit dem Buch «Götter, Gräber und Gelehrte» - hatte 1954 das Tagebuch in englischer Übersetzung als «A Woman in Berlin» ans Licht gebracht.

Es gibt einigen philologischen Streit um editorische Schwächen und Manipulationen der Anonyma-Ausgabe, die aber den Wert des Buches kaum schmälern. Auch die Identität der Schreiberin ist ja inzwischen gelüftet; es war eine ähnlich gewandte Journalistin wie Nina Hoss sie nun verkörpert - eine NS-Lifestyle-Autorin, beileibe keine Blut-und-Boden-Walküre, sondern eine höchst moderne, urbane, selbstbewusste Frau, die als eine Art Kleinpropagandistin des Regimes ihr gutes Auskommen hatte.

Ungeheure Bedrohung liegt in der Luft

Herr der alten Schule: 'Anonymas' Major (Evgeny Sidikhin)
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Herr der alten Schule: 'Anonymas' Major (Evgeny Sidikhin)
Foto: PR
Der Film setzt den Stoff drastisch um und bleibt dabei erstaunlich differenziert. Regisseur Max Färberböck und Produzent Günter Rohrbach haben alle sowjetischen Soldaten ethnisch korrekt besetzt - eine zunächst völkisch anmutende Idee, die aber schnell ihren Sinn beweist: Die Gesichter aus der Mongolei, aus Kasachstan oder Usbekistan bringen das Fremde ins Bild mit allen beängstigenden, aber auch faszinierenden Aspekten. Unvergesslich, wie Anonyma mit zwei weiteren jungen Frauen zu Beginn aus dem Keller steigt, und auf der Berliner Straße hat sich Sibirien breit gemacht. Schussbereit warten die neuen Herren der Stadt. Sieger und Besiegte mustern sich, lauern auf feindliche Regungen, suchen nach freundlichen.

Eine ungeheure Bedrohung liegt von nun an in der Luft, Tag für Tag. Ein Funke genügt, ein paar Promille zu viel, und aus Besiegten wird wieder Beute. Die Sieger machen ernst mit der Parole «Berlin gehört uns». Man lernt, dass Vergewaltiger unterschiedlich grässlich sind. Es gibt die Brutalen, die würgen und schlagen; die Zynischen, die als symbolische Küsse ihre Spucke hinunterträufeln lassen; die rohen Romantiker, die zum Abschied «Leb wohl, meine Schöne» grölen; die Schönen, die aus erzwungenem Sex noch eine Romanze machen wollen, verabredet in drei Worten: «Du. Ich. Abend.»

Die Tagebuchschreiberin zieht aus den Unterschieden ihre Konsequenz. Sie will sich den Mann selbst aussuchen, der sie bekommt. Ihr Major (Evgeny Sidikhin) ist ein Kerl, der einen Mann mit bloßer Faust vernichtet und wenig später eine melancholische Sonate auf dem Klavier zum Besten gibt. Sowas von alter Schule!, seufzt Irm Herrmann hingerissen. Zusammen mit Rüdiger Vogeler deckt sie das komische Fach im Typenpanorama der Berliner Mietshausgemeinschaft, die sich bald auf allen Etagen am Wodka und der Wurst erfreut, die der verliebte Major täglich ins Haus schafft.

Sieger und Besiegte glichen sich in ihrem Männertum

Bilderschau:

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* » Nina Hoss ist "Anonyma"

Verliebt? Bei dieser Partnerwahl unter vorzivilisatorischen Bedingungen ist die Nutzenrechnung brutal, die Gefühlslage umso komplexer: Was Evgeny Sidikhin und vor allem Nina Hoss an gebrochenen Gefühlen, an Misstrauen, Scham, Ausgebranntheit, Kalkül, Bitternis, Feindseligkeit und Zärtlichkeit miteinander zum Ausdruck bringen, ist bewundernswert.

Ähnlich differenziert ist die Darstellung der Russen insgesamt. So sehr man sich beim Zuschauen vor den Soldaten fürchtet, ihre Attacken hasst, so sehr ihr Chauvinismus anwidert, so deutlich bleibt doch in jeder Sekunde, welcher Krieg hinter ihnen liegt. Sie toben sich aus in der Hauptstadt des Aggressors, beileibe nicht alle. Man teilt sogar ihre Freude bei der Feier der deutschen Kapitulation, bangend zugleich vor den Folgen des Alkohols.

Viele aus dem Krieg heimgekehrte deutsche Männer verziehen ihren Frauen die Opfer nicht und bestraften sie erneut. Dass Sieger und Besiegter sich glichen in ihrem Männertum, zeigt der Film recht deutlich. Nach dem Schändungsbetrieb nahm dann der Verdrängungsbetrieb seinen Lauf. Davon kann keine Rede mehr sein. Man kommt aus dem Kino und sieht die Straßen der Stadt mit anderen Augen. Die vielen alten Damen, diese verlachten Wilmersdorfer Witwen.

Mit freundlicher Genehmigung aus der «Berliner Zeitung».
https://www.netzeitung.de/entertainment/movie/1197217.html