Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen - Fremdplatzierung in Heimen

Jugendamt Berlin: Fall Katharina

Jugendamt Berlin: Fall Katharina

PANORAMA Nr. 666 vom 30.03.2006
Kind ins Heim, Eltern verzweifelt – wie Jugendämter überreagieren
Anmoderation
Anja Reschke:
„Es gibt ein Thema, das seit Jahren die Öffentlichkeit immer wieder elektrisiert, auf das
man sehr sensibel reagiert: sexueller Missbrauch von Kindern. Immer mehr Fälle werden
aufgedeckt, eben weil auch immer mehr Menschen darauf achten, schon kleinste
Anzeichen früh wahrzunehmen. Das ist gut und das ist wichtig. Was aber, wenn so ein
Verdacht aufkommt und gar nicht stimmt? Das passiert öfter als man denkt. Experten
stellen fest, dass heute immer häufiger Eltern aufgrund von absurden Gutachten zu
Unrecht beschuldigt werden. Sabine Doppler, Catherine Menschner und Maike Rudolph
dokumentieren den Fall einer Familie, in dem Jugendamt und Familiengericht vorschnell
geurteilt haben und ein Kind beinahe für immer von seinem Vater getrennt worden wäre.“
Der Weg zum Auto ist kurz und dort endet die Besuchszeit. Nur einmal die Woche darf
Steffen seine Tochter Katharina sehen: Ein Abschiedskuss nach zwei Stunden, unter
Aufsicht im Kinderschutzzentrum. Dann fährt er zu den Großeltern, wo er seit Wochen
wohnt. So wollen es die Auflagen vom Jugendamt. Denn Steffen wird verdächtigt, seine
Tochter sexuell missbraucht zu haben. Der Alptraum der Familie beginnt im Januar.
Die Großeltern wollen das Mädchen vom Kindergarten abholen. An der Tür drückt man
ihnen einen Zettel in die Hand. Katharina sei im Heim, lässt das Jugendamt mitteilen. Die
Eltern hatte man vorher nicht informiert
O-Ton
Vater:
„Der Freitag, der 20. Januar, das war ein sehr schlimmer Tag und ich dachte, ich bin im
Film. Ich dachte, es handelt sich um eine Verwechselung. Ein falsches Kind oder wir sind
die falschen Eltern, die irgendwo hinzitiert worden sind, also das war eine Katastrophe.“
O-Ton
Mutter:
„Und ich bin dann so von der Arbeit mit so einem Herzklopfen und Zittern, wo man denkt,
jetzt verliert man gleich den Boden unter den Füßen.“
O-Ton
Vater:
„Das Jugendamt teilte uns dann mit, dass Katharina in Obhut genommen wurde und dann
mussten wir erst mal nachhaken. Was heißt in Obhut, was ist das? Ja, bis mir dann klar
wurde, das heißt, das Kind ist jetzt weg, es wird geschützt. Ja, vor wem, doch nicht vor
uns?!“
Doch der Vater ist einer der Verdächtigen. Seine Tochter Katharina wohnt jetzt im Heim.
Steffen darf sie dort nicht besuchen. Manchmal kommt er hierher, einfach nur so, um ihr
zu winken.

O-Ton
Vater:
„Einfach traurig, ja. Das ist eine unfassbare Situation gewesen.“
Immer wieder beteuert er seine Unschuld, Jugendamt und Familiengericht bleiben hart.
Katharina darf erst nach Hause, als der Vater vorschlägt, zu den Großeltern zu ziehen.
Seitdem wohnt er im Gästezimmer. Die Familie bleibt zerrissen.
Hier fängt alles an vor gut einem Jahr. Die Eltern schicken Katharina in die Praxis einer
Kinderpsychologin. Beim Spielen ist sie oft Außenseiterin. Was die Eltern nicht wissen: Die
Therapeutin lässt Katharina auch mit anatomischen Puppen spielen. Katharina steckt sie
ineinander, zieht an den Geschlechtsteilen, schlägt sie gegeneinander. Verliert sie das
Interesse am Spiel, drängt die Therapeutin sie, weiterzumachen. Dann denkt sie,
Gewissheit zu haben. Sie schreibt an das Jugendamt, spricht von vermutlich jahrelangem
sexuellen Missbrauch. Möglicher Täter: der Vater. Das Jugendamt glaubt dem Bericht
sofort. Kein Gespräch mit den Eltern, stattdessen Antrag auf Entzug des Sorgerechts.
Eilentscheidung – Einweisung in das Heim. Eine Familienrichterin stimmt zu. Inzwischen ist
auch die Staatsanwaltschaft mit dem Fall betraut. Der Bericht der Psychologin und auch
ein Video der Therapiesitzungen liegen vor. Die Ermittler sind erschüttert:
O-Ton
Michael Grunwald,
Staatsanwaltschaft Berlin:
„Dieses Gutachten basiert auf suggestiven Fragen und auf veralteten Methoden, so dass
man es nicht zu Grunde legen kann für die Einschätzung des Sachverhaltes und im
Gegenzug nach der Einschätzung der Polizeipsychologin zu dem Ergebnis kommt, dass
hier kein Anfangsverdacht vorliegt.“
Im Institut für Forensische Psychiatrie Berlin befasst man sich seit Jahren mit sexuellem
Missbrauch, vor allem bei Kindern. Hier werden Gutachten erstellt, die vor Gericht Bestand
haben müssen. Anatomische Puppen sind völlig ungeeignet.
O-Ton
Prof. Max Steller,
Gerichtspsychologe:
„Wer heute in der diagnostischen Praxis, in dem Versuch, sexuellen Missbrauch zu
erkennen, anatomische Puppen einsetzt, macht einen großen Fehler und muss sich das
zuschreiben lassen. Denn das kann man nicht als Fachfrau, als Fachmann überhört haben,
was diesbezüglich in den letzten 10, 15, 20 Jahren diskutiert und geschrieben wurde.“
Zweifelhafte Puppenspiele, falsche Deutungen von Kinderzeichnungen. In den Wormser
Prozessen gerieten durch solche Methoden 25 Personen in Verdacht, Kinder missbraucht
zu haben. Alle Angeklagten werden freigesprochen. Anlass für ein Urteil des
Bundesgerichtshofs: anatomische Puppen und Kinderzeichnungen sind nicht
aussagekräftig. So glaubte man, falsche Gutachten vermeiden zu können. Offensichtlich
ohne Erfolg.

O-Ton
Prof. Max Steller,
Gerichtspsychologe:
„Ich hatte eigentlich das Gefühl, es hat sich durch das BGH-Urteil, durch die Worms-
Mainzer-Katastrophe vieles gebessert und plötzlich mehren sich, das ist ja nicht nur eine
individuelle Beobachtung, sondern mehren sich die Stimmen, man spricht mit Kollegen,
man trifft sich auf Tagungen und mehrere sagen, das Problem ist wieder da.“
Hunderte Fälle hat Professor Steller bearbeitet. Immer wieder findet er groteske Beweise
für angeblichen sexuellen Missbrauch.
O-Ton
Prof. Max Steller,
Gerichtspsychologe:
„Das Absurdeste, was ich mal gesehen habe, war die Zeichnung von Kirschen, ganz
eindeutig waren es Kirschen, als Kirschen zu erkennen. Die wurden dann von jemandem als
Hoden gedeutet und von den Hoden wurde auf sexuellen Missbrauch zurückgeschlossen.
Man mag es manchmal gar nicht referieren, weil es so absurd klingt.“
Katharina und ihre Familie haben das zu spüren bekommen. Immer wieder haben die
Eltern ihre Mithilfe angeboten, unabhängige Gutachter verlangt, ihre Unschuld beteuert.
Doch die Behörden reagieren nicht.
O-Ton
Mutter:
„Es vergehen Tage, dann sind es Wochen, ohne dass wir als Familie zusammen kommen
und nichts passiert. Und niemand tut etwas. Das Jugendamt hat kein Interesse, die Sache
aufzuklären.“
Und heute? Die Behörde versteckt sich, kein Interview vor der Kamera für PANORAMA.
Anfrage bei der Psychologin, kein Kommentar. Der zuständige Senat für Bildung und
Jugend Berlin, keine Stellungnahme. Und das Familiengericht will auch nichts sagen -
Datenschutzgründe.
Gestern jedenfalls hat die Richterin dem Vater erlaubt, zur Familie zurückzukehren. Ein
Eingeständnis. Aber bisher hat sich bei der Familie niemand entschuldigt.
Nach über zwei Monaten endlich wieder zu Hause. Doch die Erinnerung an diese
schreckliche Zeit wird bleiben, mit welchen Folgen weiß niemand.
Bericht: S. Doppler, C. Menschner, M. Rudolph
Kamera: F. Nilchian
Schnitt: R. Deppe