Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen - Fremdplatzierung in Pflegefamilien

Jugendamt Waiblingen: Alexander, Alois, Andreas

Jugendamt Waiblingen: Alexander, Alois, Andreas


BGH prüft Klage von Pflegekind gegen Jugendamt
Seite 1 - AFP vom 14.10.2004

BGH prüft Klage von Pflegekind gegen Jugendamt
- Damals neunjähriger Junge wäre fast verhungert

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat geprüft, ob ein heute 15-jähriger Junge Anspruch auf 25.000 Euro Schmerzensgeld gegenüber dem Jugendamt hat, weil er in einer Pflegefamilie im schwäbischen Rems-Murr-Kreis jahrelang gequält wurde und fast verhungerte. Nach Ansicht des klagenden Andreas W. verletzte das Jugendamt seine Kontroll- und Aufsichtspflichten, weil es die Pflegeeltern während seines jahrelangen Martyriums nie überprüfte.

Bei der BGH-Verhandlung in Karlsruhe wurde deutlich, dass sich das Jugendamt mit einem weiteren Amt über die Zuständigkeit stritt, während in der Pflegefamilie ein Kind an einem qualvollen Hungertod starb. Zwei weitere, darunter der damals neunjährige Kläger, aßen fauligen Müll, um zu überleben.

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Der Fall aus dem kleinen Ort Beutelsbach hatte 1997 bundesweit Aufsehen erregt: Ein Ehepaar hat drei eigene Kinder und nahm drei weitere zur Pflege an, um mit dem Pflegegeld von 1700 Euro den Lebensstandard halten zu können. Die Pflegekinder wurden misshandelt und bekamen nicht zu essen. Ein fünfjähriger Junge verhungerte im Herbst 1997; ein Sechs- und ein Neunjähriger waren in kritischem Zustand, als sie entdeckt wurden. Die Pflegeeltern wurden wegen Mordes und Misshandlung Schutzbefohlener zu lebenslanger Haft verurteilt.

In dem Zivilverfahren muss nun der BGH prüfen, ob das zuständige Jugendamt seine Amtspflichten verletzte. Der Fall ist kompliziert, weil für den klagenden Andreas zunächst ein Jugendamt im bayerischen Hof zuständig war und deshalb das Amt des Kreises Rems-Murr die Betreuungspflicht bestritt. Zudem hatten Amtsärzte, Lehrer und eine Jugendamtmitarbeiterin den kritischen Zustand des ausgezehrten Jungen nicht erkannt. Das Urteil wird am kommenden Donnerstag verkündet.

14. Oktober 2004 - 12.32 Uhr

© AFP Agence France-Presse GmbH 2004

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Kurz vor dem Hungertod: Pflegekind verklagt zuständiges Jugendamt
Seite 1 - AFP vom 12.10.2004

Kurz vor dem Hungertod: Pflegekind verklagt zuständiges Jugendamt
- BGH entscheidet über Mitverantwortung von Behörde

Ein Knochenbündel mit dem Gesicht eines Greises - doch der Tote ist ein Kind. Alexander war fünf Jahre alt, wog ganze 7,2 Kilogramm und ist verhungert. Sein sechsjähriger Bruder Alois lebt noch. Er wiegt zehn Kilo, soviel wie ein gesunder Einjähriger. Der dritte Junge, Andreas, ist neun Jahre und bringt gerade 11,8 Kilogramm auf die Waage. Dieses schreckliche Bild eröffnete sich der Polizei 1997 bei einer Pflegefamilie im schwäbischen Beutelsbach. Die Eltern, die sich die Jungen als "Geldquelle" zum Unterhalt der drei eigenen und wohlgenährten Kinder hielten, wurden 1999 zu lebenslanger Haft verurteilt. Nun muss sich am Donnerstag das zuständige Jugendamt vor dem Bundesgerichtshof (BGH) verantworten.

Kläger ist diesmal Andreas, der das siebenjährige Martyrium als Kind nur überlebte, weil er Müll aß. Der Jugendliche fordert vom Amt Schmerzensgeld "wegen mangelhafter Überprüfung" seiner Pflegeeltern. Deren Strafprozess vor dem Stuttgarter Landgericht vor fünf Jahren dauerte wegen der Befragung dutzender Zeugen und diverser psychologischer Sachverständiger sieben Monate. Angeklagt waren die 33-jährige Kinderpflegerin Ulrike R. und ihr 39-jähriger Ehemann Klaus, ein Student der Sozialpädagogik. Im Prozess kam an den Tag, dass das Geld in der Familie knapp war, weil der Vater nach zehn Jahren bei der Bundeswehr mit der Ausbildung zum Waldorflehrer scheiterte.

Die Mutter, die einem Gutachter zufolge Kinder sammelte "wie andere Leute Puppen", nahm deshalb drei Pflegekinder an - und kassierte dafür knapp 1700 Euro im Monat. Doch damit hielt sie nur den hohen Lebensstandard für sich und ihre drei leiblichen Kinder. Die wurden gut ernährt, bekamen auf Wunsch auch Pizza. Außerdem hatten sie Pferd, Hund und Katze. Die drei Pflegekinder bekamen dagegen nichts als trocken Brot und Wasser. Sie wurden in einen abgedunkelten Raum eingesperrt, wenn Fremde in die Wohnung kamen.

Auf Mord und Misshandlung Schutzbefohlener erkannte das Stuttgarter Landgericht und verhängte gegen die Eltern lebenslange Haft. Doch eine befriedigende Antwort, warum drei Kinder über Jahre mit Liebes- und Essensentzug misshandelt werden konnten, ohne dass dagegen eingeschritten wurde, brachte das Verfahren nicht. Keiner der Nachbarn im konservativen Rems-Murr-Kreis wollte etwas bemerkt haben oder wandte sich gar an das Jugendamt. Nur einer wurde aktiv. Er meldete sich allerdings beim Tierschutz: Der Hund der Familie sei zu dünn, klagte er.

Die Verteidiger der Pflegeeltern warfen dem Jugendamt in dem Strafprozess massives Versagen vor, weil sie sich nach der Vermittlung der verhaltensgestörten Jungen nicht mehr um die Kinder gekümmert hätten. Das Kreisjugendamt wehrte sich erfolgreich: Es habe keine "negativen Erkenntnisse" über die Pflegefamilie gehabt. Ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung gegen die Verantwortlichen im Jugendamt wurde daraufhin eingestellt.

Doch im Zivilverfahren gelten andere Beweisregeln. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht sahen ein Mitverschulden der Behörde und sprachen dem klagenden Andreas einen Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld zu. Sollte der BGH diese Urteile nun bestätigen, hätte der Junge zumindest die finanziellen Voraussetzungen für die Heilung seiner seelischen Wunden. Wie tief diese sind, lässt eine Szene erahnen: Als er nach dem Tod Alexanders mit lebensbedrohlicher Unterernährung ins Krankenhaus kam, räumte Andreas dort nachts den Stationskühlschrank leer und hortete Lebensmittel aller Art unter seinem Kopfkissen.

12. Oktober 2004 - 06.26 Uhr

© AFP Agence France-Presse GmbH 2004

https://www.123recht.net/article.asp?a=10576&p=1

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Tödliche Ignoranz

 

Ein Kind verhungert, zwei sind lebensgefährlich unterernährt. Die Pflegeeltern werden wegen Mordes verurteilt. Kontrolliert hatte sie das Jugendamt nicht. Dagegen klagt jetzt ein Opfer

Die Welt, 14. Oktober 2004

von Catrin Barnsteiner und Michael Mielke

Es gibt eine Geschichte über das Ende von Alexander, erzählt von seiner Pflegemutter vor Gericht. Kurz bevor das Kind starb, wollte es Leberwurstbrot essen. Und Milch trinken. Es fror. Sein Pflegevater - ein angehender Waldorfpädagoge - soll sich zu ihm gelegt haben. Seine Pflegemutter machte sich Sorgen, sagte sie, ob ein Leberwurstbrot und etwas Milch nicht vielleicht zuviel durcheinander für den Jungen wären. Wenige Stunden später war das Kind tot. Verhungert. Weil es vorher monatelang nur Wasser und Brot bekam, wie sein Bruder Alois und Andreas, ein weiteres Pflegekind. Diese beiden überlebten. Knapp.

Das war im November 1997. Heute ist Andreas 15 Jahre alt, und er klagt gegen das damals zuständige Jugendamt wegen Verletzungen der Amtspflicht auf Schmerzensgeld. Vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe, das den Fall heute höchstrichterlich entscheidet, wird er nicht erscheinen. Es gibt nur diese Fotos, die damals von der Polizei gemacht wurden. Da hatte Andreas das Gesicht eines Greises und wog gerade mal 11,8 Kilogramm. Der Chefarzt der Kinderklinik in Waiblingen sagte, er habe "in der Bundesrepublik solche Kinder noch nicht gesehen. Nur Haut und Knochen, eingesunkene Wangen, eingesunkene Gesäße." Er mußte an Bilder aus Somalia oder Biafra denken.

Der Fall im schwäbischen Beutelsbach, unweit von Stuttgart, wirft Fragen auf. Wie weit soll die Kontrolle des Jugendamts bei Pflegefamilien gehen? Wieviel Kontrolle ist nötig, damit die Kinder sich als vollintegrierte Familienmitglieder entwickeln können, ohne ständig an ihre Besonderheit erinnert zu werden? Professor Wolfgang Krüger, Sprecher des Bundesgerichtshofs, spricht von einem Präzedenzfall. Der Vorwurf, ein Jugendamt habe versagt, weil es Pflegeeltern nicht genügend kontrolliert habe, sei vor dem obersten deutschen Gericht noch nicht verhandelt worden.

Der Fall, das sind drei Jungen, die in einer Pflegefamilie lebten. Alexander, fünf Jahre alt, starb dort. Er war verhungert. Sein Bruder Alois - er war sechs Jahre alt und wog nur zehn Kilogramm - und Andreas konnten gerettet werden. Über die Pflegeeltern sagte der Richter später: "Sie sammelten Kinder wie andere Leute Puppen." Für die Pflege der Jungen hatten die damals 33 Jahre alte Kinderpflegerin Ulrike R. und ihr 39 Jahre alte Ehemann Klaus R. monatlich knapp 1700 Euro erhalten. Außerdem gab es sogenannte Tageskinder; an manchen Tagen waren es bis zu acht. Bei dem Strafprozeß gegen die Pflegeeltern waren 1999 dann die Details ans Licht gekommen: Alois, Andreas und Alexander bekamen nur trockenes Brot und Wasser. Einer der Jungen, so heißt es, sei einmal nachts weggelaufen, um in einer Gaststätte um Reste zu betteln. Auch im Mülleimer seiner Schule wühlte er nach Essensresten. Wenn Besuch kam, mußten sie sich in einem abgedunkelten Raum aufhalten. Am besten im Bett, die Decke bis zum Kinn hochgezogen. Schließlich, im Sommer 1997, wenige Monate vor dem Tod des kleinen Alexander, wurden sie von den Nachbarn gar nicht mehr gesehen.

Ganz anders erging es den drei leiblichen Kindern der Familie: Sie hatten Computer, Hifi-Anlagen und zwei Pferde. Sie waren gesund. Als Alexander starb, waren seine Augen verdreht, sein Bauch gebläht, er konnte nicht mehr sprechen, sich kaum noch rühren. Und als am 27. November 1997 dann schließlich doch ein Rettungsarzt gerufen wurde, war es zu spät.

Beutelsbach in Baden-Württemberg, 8000 Einwohner, direkt in den Weinbergen gelegen. Das Haus, in dem die Familie damals wohnte, ist zweistöckig und liegt ein bißchen zurückgesetzt, hinter einem Garten. Es ist ein großes Haus mit einem großartigen Ausblick - und es ist ein Schandfleck für die Nachbarschaft. Weil es die Nachbarn immer wieder daran erinnert, was war.

Ein Mann, der seinen Namen nicht nennen will, wohnt nicht weit von dem Haus mit der Nummer 21. Nein, sagt er, und es klingt wütend. Nein, man konnte es nicht sehen, nein, wirklich nicht, die Buben waren immer gut angezogen, nicht verlottert, nein, niemand hat das geahnt. Niemand hätte es ahnen können. Er sagt all das, obwohl man die Frage für diese Antwort noch nicht gestellt hat. Aber vielleicht hat er sich die Frage schon oft genug selbst gestellt.

Die Frage wäre gewesen: "Ist Ihnen denn damals nichts aufgefallen?" Dann packt der Nachbar die Reporterin am Handgelenk und ruft erregt: "Sie sehen auch unterernährt aus, hören Sie, Sie sind viel zu dünn. Und ich rufe auch nicht das Jugendamt oder die Polizei, verstehen Sie? Es gibt Kinder, die sind eben dünn. Das ist Veranlagung." Er hat auch eine Bekannte, die direkt neben dem Haus der Familie gewohnt hat. Und die, sagt er, und es klingt verzweifelt, würde immer alles bemerken. Etwa wenn bei ihm, am anderen Ende der Straße, die Rolläden nachmittags noch nicht hochgezogen wären, dann bemerke die das. Aber das mit den Kindern, das hätte selbst sie nicht gesehen. Selbst sie.

Sehr geschickt sei die Pflegemutter gewesen, heißt es im ersten Prozeß: Mißtrauischen Fragern erzählte sie, die leiblichen Eltern der Kinder wären Alkoholiker. Ja, mit dem Essen täten sie sich auch schwer, die Buben. Selbst Verwandte, die die Familie im Sommer bevor Alexander starb, besuchten, ließen sich täuschen. Zugegeben, sagten sie später, sie hätten sich ein bißchen gewundert, warum die Pflegekinder selbst im Hochsommer ständig froren und Jacken und Wollmützen trugen. Ein Schwurgericht in Stuttgart verurteilte das Ehepaar im Juni 1999 zu lebenslänglichen Gefängnisstrafen. Ein Verdeckungsmord. Die Pflegeeltern hätten trotz des katastrophalen gesundheitlichen Zustands des kleinen Alexander einen Arztbesuch vermieden, um die jahrelangen Mißhandlungen der Pflegekinder zu vertuschen.

In der Regel wird mit so einem Urteil, das vom Bundesgerichtshof auch bestätigt wurde, die Akte geschlossen. In diesem Fall gab es jedoch zunächst parallel ein Strafverfahren gegen Mitarbeiter des Jugendamtes des Rems-Murr-Kreises wegen fahrlässiger Tötung. Die Verteidiger von Ulrike und Klaus R. hatten ihnen vorgeworfen, sich nach der Vermittlung der Kinder in die Pflegefamilie nicht mehr genügend um die verhaltensgestörten Jungen gekümmert zu haben. Wie hoch der Grad der Unkenntnis über den Zustand der Pflegefamilie war, hatte sich im Prozeß gegen die Pflegeeltern gezeigt. Eine Mitarbeiterin des Waiblinger Jugendamtes sprach von einer "Musterfamilie", die "einen sehr geordneten, sehr harmonischen Eindruck" vermittelt habe. Und Ulrike R., sagte die Sozialarbeiterin, habe sich als "kompetente Frau" präsentiert, "eine Pflegemutter, die alles im Griff hat".

Das Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter des Jugendamtes wurde - wie oft in derartigen Fällen - eingestellt. Doch dann forderte ein Anwalt vor einem Zivilgericht im Namen des einstigen Pflegekindes Andreas vom Jugendamt wegen Verletzungen der Amtspflicht Schmerzensgeld, außerdem die Anerkennung der Zuständigkeit des Amtes für künftige materielle und immaterielle Schäden. Und er gewann: Eine Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart sprach dem Jungen im März 2003 ein Schmerzensgeld in Höhe von 25 000 Euro zu und bestätigte die Haftung des Jugendamtes für künftige Schäden. Das Jugendamt ging gegen diese Entscheidung in Berufung.

Doch auch die nächste Instanz, der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes Stuttgart, wies die Berufung zurück. Mit der Begründung, die Mitarbeiter des Jugendamtes hätten nach dem Umzug der Pflegefamilie aus dem fränkischen Hof - der 1993 erfolgte - in den Rems-Murr-Kreis sofort Kontakt aufnehmen und sich über die Lebensumstände des Jungen persönlich informieren müssen. Der Landkreis entgegnete, die Überprüfung einer Pflegefamilie nach einem Wechsel der Zuständigkeit sei weder üblich noch erforderlich, wenn das Pflegeverhältnis über mehrere Jahre bestanden habe und keine negativen Erfahrungen vorlägen.

Bei dem morgigen Urteil des Bundesgerichtshofs geht es um mehr als 25 000 Euro. Die Summe mutet ohnehin auch für Laien gering an. Das, so erklärt Wendt Nassal, der den Rems-Murr-Kreis vertritt, liege daran, daß es tatsächlich nur um wenige Monate gehe: Von April 1997 bis November 1997. Denn bis April 1997 hätten regelmäßige Treffen von Mitarbeitern aus dem Kreis Hof mit der Familie stattgefunden. Die hätten dann ihre Berichte an das Jugendamt Waiblingen geschickt. Während des letzten Besuches im April schien offenbar kein übermäßiger Anlaß zur Besorgnis vorzuliegen - Mitarbeiter des Rems-Murr-Kreises kamen danach nicht zum Haus der Familie. Begründung des Waiblinger Jugendamtes: Man wollte die Kinder nicht mit neuen Gesichtern unnötig belasten.

Auf der Straße in Beutelsbach, fast direkt vor dem Haus mit der Nummer 21, hat ein Kind mit Kreide gemalt. Nichts Besonderes, eigentlich, eben das, was Kinder immer malen.

Es sind Strichmännchen.

Re: Jugendamt Waiblingen: Alexander, Alois, Andreas

Associated Press Worldstream - German

Juni 21, 1999; Montag 09:56 Eastern Standard Time

Forderung nach lebenslanger Haft fuer Pflegeeltern bekraeftigt;
Abendmeldung
Plaedoyers im Prozess um qualvollen Hungertod des
fuenfjaehrigen Alexander; Verteidiger kritisieren Behoerden

Die Pflegeeltern, die den fuenfjaehrigen Alexander
qualvoll verhungern liessen, sollen nach dem Willen der Stuttgarter
Staatsanwaltschaft zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt
werden. Staatsanwalt Gerhard Gauch warf dem 39jaehrigen Studenten
und der 33jaehrigen Kinderpflegerin in seinem Plaedoyer am Montag
erneut gemeinschaftlichen Mord aus Habgier und Grausamkeit vor. Die
Verteidiger erklaerten, die Angeklagten seien keine Moerder seien;
das Paar sei mit der Betreuung der Pflegekinder einfach ueberlastet
gewesen. Sie warfen dem Jugendamt Versagen vor.


Alexander war am 27. November 1997 an Herz- und
Kreislaufversagen in der Wohnung des Ehepaars in der Naehe von
Stuttgart gestorben. Anstelle des fuer sein Alter ueblichen
Koerpergewichts von knapp 20 Kilogramm wog der Junge zuletzt nur
noch 7,2 Kilogramm. Gauch sagte, die Angeklagten haetten den
schlechten Zustand von Alexander erkannt. Nach seiner Darstellung
hatte das Paar auch zwei andere Pflegekinder, den damals
siebenjaehrigen Bruder von Alexander und einen weiteren Jungen,
vernachlaessigt. Als Motiv fuehrte der Staatsanwalt die staatlichen
Leistungen an, die das Paar fuer die Pflegekinder kassierte.

Dem Ehepaar wird Mord durch Unterlassen und Misshandlung von
Schutzbefohlenen zur Last gelegt. Der Staatsanwalt forderte
zusaetzlich, bei beiden Angeklagten eine besonders schwere Schuld
festzustellen; eine vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren Haft waere
dann unwahrscheinlich.

Der Anwalt der Mutter, Manfred Kuenzel, forderte zwei Jahre Haft
wegen fahrlaessiger Toetung. Die Kinderpflegerin sei ueberfordert
gewesen. Die 33jaehrige habe die Situation nicht erkennen koennen.
Der Junge habe aufgrund einer psychischen Vorschaedigung bei seinen
leiblichen Eltern nicht mehr essen wollen. Der Anwalt des
Studenten, Hans-Joachim Ludwig, sagte, sein Mandant sei kein
Moerder. ''Er hat den Notarzt gerufen. Dies war aber zu spaet. Dies
macht kein Moerder.'' Die Pflegefamilie sei ueberlastet gewesen. Es
sei ein Fehler gewesen, Kinder in die Obhut zu nehmen. Er stellte
keinen konkreten Strafantrag.


Zwtl: Scharfe Angriffe gegen Jugendamt


Die beiden Anwaelte griffen die Behoerden scharf an. ''Das
Jugendamt hat ein geruettelt Mass an Mitschuld'', sagte Kuenzel. Es
habe graesslich versagt, sagte Ludwig. Gegen Mitarbeiter des
Jugendamts in Waiblingen bei Stuttgart ist bei der
Staatsanwaltschaft noch ein Ermittlungsverfahren anhaengig. Der
Pflegevater hatte den Mordvorwurf stets zurueckgewiesen. ''Ich habe
den lebensbedrohlichen Zustand des Jungen nicht erkannt und niemals
daran gedacht, dass er verhungern koennte'', hatte der Student
erklaert.

Die Pflegevater sagte in seinem Schlusswort: ''Ich habe versagt.
Wir hatten niemals den Gedanken, dass wir das Kind umbringen
wollten.'' Die Familie hatte drei eigene Kinder und drei weitere
Jungen durch Vermittlung des Jugendamts in Betreuung. Das
Stuttgarter Landgericht will voraussichtlich am 30. Juni sein
Urteil verkuenden.

Re: Jugendamt Waiblingen: Alexander, Alois, Andreas

Frankfurter Rundschau

15. Oktober 2004

"Klein und kräftig" - aber fast verhungert ;
Weil das Jugendamt misshandelten Pflegekindern nicht beistand, stellt der Bundesgerichtshof die Schuldfrage

HIGHLIGHT: In einem drastischen Fall der Misshandlung eines Pflegekindes steht das Jugendamt vor Gericht: Der Rems-Murr-Kreis soll dem heute 15-jährigen Andreas H. 25 000 Euro Schmerzensgeld bezahlen. Die Behörde bestreitet eine Verletzung ihrer Amtspflicht.

VON URSULA KNAPP

Karlsruhe · 14. Oktober · Wenn der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe nächste Woche das Urteil verkündet, geht es um eine Weichenstellung: Wie genau muss ein Jugendamt die Entwicklung eines Pflegekindes beobachten? Die Frage stand im Zentrum der Verhandlung am Donnerstag. Für den Anwalt des misshandelten Pflegekindes steht fest, dass die Jugendämter zu lang wegsahen. Der Anwalt der Behörde warnte dagegen vor überwachungsähnlicher Kontrolle, die potenzielle Pflegeeltern abschrecke und die Entwicklung von Kindern störe.

Die jahrelange Misshandlung und Aushungerung von Andreas H. wurde den Behörden erst bekannt, als eines der drei Pflegekinder der Familie im November 1997 starb. Während die drei leiblichen Kinder normal entwickelt waren, zeigten alle drei Pflegekinder durch Nahrungsentzug Wachstumsstörungen und lebensgefährliche Abmagerung. Auch körperliche Misshandlungen waren üblich. Der damals achtjährige Andreas H. wog bei seiner Befreiung 11,8 Kilo und war nur 1,04 Meter groß. Er hatte das Gewicht eines eineinhalbjährigen Kindes.

Pflegeeltern sitzen im Gefängnis

Die Pflegeeltern wurden zwei Jahre später wegen Mordes zu jeweils lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. In dem jetzigen Verfahren geht es um die Haftung des Jugendamtes, weil es möglicherweise seine Überprüfungspflichten verletzte.

Andreas H. war 1990 als erstes Pflegekind in die Familie im bayerischen Hof gekommen. Zwei Jahre später zog die Familie in die Nähe von Stuttgart. Dort nahmen der Student und die Kinderpflegerin zwei weitere Pflegekinder an, darunter Alexander, der 1997 starb. Das Jugendamt im Rems-Murr-Kreis fühlte sich zunächst nur für die beiden neuen Pflegekinder zuständig. Als es nach Jahren des Kompetenzgerangels im Juni 1997 die Zuständigkeit für Andreas übernahm, gab es weiter keinen persönlichen Kontakt. Im letzten Bericht des Jugendamtes Hof im April 1997 hieß es, Andreas sei "klein und kräftig", er entwickle sich gut. Laut Pflegemutter lagen die Entwicklungsstörungen des Kindes an genetischen Ursachen und einer Lebensmittelallergie. Auch in der Schule wurde weggeschaut. Obwohl auffiel, dass das Kind Papierkörbe nach Essen durchstöberte, wurde nicht weiter nachgeforscht. Als das Kind Nachfragen nicht beantwortete, ließ man es dabei bewenden.

Der Rems-Murr-Kreis bestreitet eine Haftung; während des Streits um die Zuständigkeit sei das alte Jugendamt in Hof verantwortlich geblieben. Zudem seien bei Umzügen persönliche Antrittsbesuche nicht üblich. Schließlich habe das Jugendamt Hof einen positiven Bericht abgegeben. Rechtsanwalt Wendt Nasall betonte, auch Pflegeeltern gelte verfassungsrechtlicher Schutz. Der Gesetzgeber habe die frühere polizeirechtliche Aufsicht für Pflegekinder abgeschafft. Selbst im Falle eines Besuchs, so Nasall, wäre dem Jugendamt die Misshandlung verborgen geblieben. Auch der Schularzt habe bei der Einschulung den systematischen Nahrungsentzug nicht bemerkt.

"Alarmglocken müssen schrillen"

BGH-Anwalt Reiner Hall widersprach: Das Jugendamt habe sehen müssen, dass alle drei Pflegekinder die selben Störungen zeigten - "da müssen doch die Alarmglocken schrillen". Der Bericht des Jugendamts Hof zeige, dass auch diese Mitarbeiterin den Jungen nicht selbst gesehen haben könne. Er sei bereits zu schwach gewesen, um vom Hochbett zu klettern, als sie ihn als "klein und kräftig" beschrieb. Fünf Bundesrichter sollen nun die Grenze zwischen staatlicher Sorgfalt und Überwachung und ziehen.