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Political Democracy is necessary, but not sufficient Ein Beitrag aus der Theorietradition Sozialer Arbeit.
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(war), (sondern) von Menschen ausgeübt wurde12 (für eine diffenrenzierte Aufarbeitung der Sachverhalte, welche diese These widerlegen, vgl. Eilert 2010). Der Verein ehemaliger Heimkinder machte dem gegenüber geltend, dass das ihnen zugefügte Unrecht und Leid verfassungswidrig und eine Verletzung der Menschenrechte war (zit. in Kappeler 2010:211). Es geht m.a.W. um Verbrechen, die die demokratisch und rechtsstaatlich verfasste Bundesrepublik zu verantworten hat. Dessen ungeachtet wurde im erwähnten Sachstandsbericht argumentiert, dass ethische Vorstellungen
(und) die daraus resultierende Praxis in den 1940ern bis Ende der 1970er Jahre in nahezu allen Bevölkerungskreisen, auch konfessionsübergreifend, in etwa gleich waren. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass in kirchlichen Heimen nicht anders erzogen
wurde als in der damaligen Gesellschaft auch. Die den Heimen heute oft zur Last gelegten strengen Erziehungsmethoden waren allgemein üblich und nicht besonders kennzeichend für kirchliche Heime (zit. in Kappeler 2008:377ff). Mit dieser Argumentation wurden nicht nur die damals Fehlbaren entschuldigt, sondern sogleich die Ansprüche auf eine angemessene Sozialrente für entgangene Entlöhnung und Sozialversicherungsansprüche abgewehrt. Die in einem Zwischenbericht des einberufenen Runden Tisches Heimerziehung gemachten Ausführungen der beauftragten Juristen zum Strafrecht / Zivilrecht / Rentenrecht / Opferentschädigungsgesetz zeigten auf, das auf dem juristischen Weg nichts zu erreichen sei. So heißt es im Abschlussbericht des Runden Tisches, dass die Arbeit in der Heimerziehung ,stehts auch pädagogisch begründetʻ worden und sogar (sic!) in der ,rechtswissenschaftlichen
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Literatur
als wesentliches und zentrales Erziehungsmittel angesehenʻ worden (sei). (In Kappeler 2011:11) M.a.W. entsprachen die beschriebenen Erziehungsmethoden offenbar dem Sittengesetz und nicht dem seit dem ersten Tag des Bestehens der Bundesrepublik bestehenden Grundgesetz mit der in Art. 1 festgehaltenen Eingangsformulierung der unantastbaren Würde des Menschen und dem Art. 3 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person, um nur eines der tangierten Rechte zu nennen. Aufgrund dieser Argumentation wurde also im Jahre 2011 Artikel 1 des Grundgesetzes ausgehebelt und zwar obwohl das Bundesverfassungsgericht über die Jahre immer wieder (darauf) hingewiesen (hat), (dass es) durch allgemeine Wertvorstellungen, Verhaltenerwartungen das sog. Sittengesetz ect. (nicht) gegeninterpretiert werden (darf) (ebd.11). Dies muss zur Frage führen, warum dieser Passus denn nicht aus dem Grundgsetz gestrichen wurde?
Eine vom Verein ehemalige Heimkinder geforderte des Menschen- bzw. Sozialrechts auf einen im Alter angemessenen Lebensstandart (Art. 25 der AEM) gab es nicht. Als Trost soll(te) eine Anlauf- und Beratungsstelle geschaffen werden, welche die Opfer des Unrechtsystems zu BittstellerInnen macht. Was sich hier aufdrängt, ist ein Gang nach Straßburg oder an die UNO als diejenige höhere Ebene, von welcher weiter oben die Rede war.
■ Zur Diskrepanz zwischen den Menschenrechten, der verfassungsmäßig garantierten Tendenzbetriebsklausel und dem Arbeitsrecht: Tendenzbetriebe sind Organisationen, die überwiegend politische, konfessionelle, oder karitative Ziele verfolgen. Die auf die Weimarer Zeit zurückgehende Tendenzbetriegsklausel erlaubt u.a. den christlichen Kirchen Anstellungs- und Kündigungsbedingungen, die vom menschlichen Diskriminierungsverbot abweichen sowie die Durchsetzung von sittlichen Moralvorstellungen (bezüglich Ehescheidung, Homosexualität, Lebenspartnerschaften, Kirchenaustritt usw.) erlauben, die menschenrechtlich fragwürdig bis inakzeptabel sind. Zudem kennt das kirchliche Arbeitsrecht kein Streikrecht und keinen von den ArbeitnehmerInnen gewählten Betriebsrat. Dadurch handeln sich die Kirchen und christlichen Wohlfahrtsverbände ein beachtliches Glaubwürdigkeitsproblem ein, wenn sie sich in der Öffentlichkeit für Menschenrechte einsetzen (Loretan 2010: 234ff., 247 ff.; Holzleitner 2011). Durch intensives Lobbyieren ist es den deutschen konfessionellen Wohlfahrtsverbänden sogar gelungen, die Tendenzbetriebsklausel in den EU-Verfassungsentwurf hinüberzuretten. [
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[ Fußnoten ]
12 Ein absurderer Umgang mit dem Systembegriff ist kaum mehr vorstellbar! Erstens wird er auf ein Rechtssystem reduziert, wobei Norbert Struck als Mitglied des Runden Tisches zu Recht darauf hingewiesen hat, dass sich fast jedes Unrechtssystem bis hin zu den brutalsten Diktaturen einen Anschein von Rechtmäßigkeit zu geben versucht. Zweitens wird hier in einem Dualismus ausgegangen, der Menschen außerhalb der Systeme plaziert (vgl. dazu Luhmanns Systembegriff) was u.a. heißt: das Heimsystem war in Ordnung, aber es gab da ein paar böse Erzieher. (Für die Rettung eines unfehlbaren Systems vgl. die Ausführungen zur ersten These.) Ob sie das wissen, wissen wollen oder nicht: ErzieherInnen in Heimen sind ausnahmslos Mitglieder eines sozialkulturellen Systems mit menschenfreundlichen bis hin zu menschenfeindlichen/-zerstörenden sozialen Strucktur- bzw. Verhaltensregeln, die je nach Disziplinierungsregieme streng oder locker durchgesetzt werden. Drittens werden Systeme nicht nur durch (psydo- oder wider)rechtliche Grundlagen, sondern allgemeiner durch sozial-kulturell (in diesem Fall auch christlich-religiös) legitimierte Regeln zusammengehalten, auf deren Einhaltung die Mitglieder mit mehr oder weniger Druck und Sanktionen verpflichtet werden. Eine Analyse einschlägiger philosophisch- und religiös-pädagogischer Texte der damaligen Zeit sowie von Alltagserziehungsvorstellungen des Personals hätte sehr wohl bis Ende der 1970er Jahre die holistisch-funktionalistischen kulturellen Bedeutungssysteme freigelegt, welche die bekanntgewordenen Unmenschlichkeiten legitimierten (Eilert 2010), und damit das damals bereits bestehende Grundgesetz auf extremste Weise konterkariert haben (für eine allerdings abgeschwächte Variante solcher Denkfiguren vgl. Dallmann, Hans Ulrich (2011): Fürsorgliche Belagerung, In: Suchtmagazin, Nr. 5:37-40) . |