Pädagogik statt Strafe
Pädagogik statt Strafe
Neue Wege im Kampf gegen Jugendkriminalität
Magdeburg (ddp-lsa). Das auf drei Jahre angelegte Modellprojekt
«Schülerrichter» ist aus Sicht von Justizministerin Angela Kolb (SPD)
ein Erfolg. Nach den guten Erfahrungen in Halberstadt (Landkreis
Harz) sollen die kriminalpädagogischen Gremien nun um Schüler aus
Thale, Quedlinburg und Umgebung erweitert werden, kündigte Kolb am
Montag in Magdeburg an. Bei diesem Projekt reden geschulte
Jugendliche mit jungen mutmaßlichen Tätern über deren Taten und legen
in der Regel auch eine Sanktion fest.
Um das Besondere an der Arbeit der jungen Richter ohne Robe zu
beschreiben, zieht die 16-jährige Josephine Dähne einen Vergleich zu
ihrem eigenen Leben. Es mache einen Riesenunterschied aus, ob ihre
Mutter sie für etwas tadele oder ob es ihre beste Freundin sei, die
fragt: Warum hast du das denn gemacht?« Sie messe der Meinung der
Gleichaltrigen viel mehr Gewicht bei als der Stimme ihrer Eltern oder
Lehrer. Der Blick der Erwachsenen sei oft verhängt mit Vorstellungen
und Regeln, die der Realität nicht gerecht würden.
Josephine gehört einem dreiköpfigen »Schülergremium« an, das sich
auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft mit straffällig gewordenen
Jugendlichen befasst. Eine der Grundannahmen des vom
Justizministerium initiierten Projekts ist es, das Jugendliche sich
stärker durch Gleichaltrige beeinflussen lassen als durch Erwachsene.
Ähnliche Projekte als Vorbild
Vorbild für diese kriminalpädagogischen Gremien sind
»Schülerrichter« und »Kriminalpädagogische Schülerprojekte« anderer
Bundesländer. »14 Jugendliche zwischen 16 und 19 Jahren arbeiten
bisher mit, 11 weitere werden derzeit im Anti-Gewalt-Zentrum Harz
ausgebildet«, berichtet Kolb und lobt: «Die Schülergremien arbeiten
sehr gewissenhaft und leisten damit einen Beitrag im Kampf gegen
Jugendkriminalität.«
In Halberstadt verhandeln die Gremien seit Mai »leichte« Fälle wie
Ladendiebstahl, Sachbeschädigung, Beleidigung oder Hausfriedensbruch.
Voraussetzung ist, dass der Beschuldigte und seine
Erziehungsberechtigten einverstanden sind. Im Blickpunkt der Wahl des
Urteils steht immer die Reflexion der begangenen Tat durch die
Beschuldigten. »Bei der Verhängung der Sanktion soll möglichst ein
Zusammenhang hergestellt werden«, sagt Evelyn Zinke vom »Anti Gewalt
Zentrum Harz«. »Den jungen Tätern Arbeitsstunden zu verordnen ist
meist das Einfachste, aber bestimmt nicht das Hilfreichste«, betont
die Pädagogin.
Fähigkeiten positiv einsetzen
Auf dieser Grundlage urteilen auch Josephine und ihre beiden
»Kollegen«. Ein Fahrraddieb musste »zur Strafe« in einem Fahrradladen
aushelfen. »Wer so geschickt ist, ein Schloss zu knacken, der sollte
sein Können auch gezielt und nutzbringend einbringen«, sagt Josephine
lachend. Und bisher seien alle verhängten Sanktionen erfüllt worden.
»Die meisten Täter sind sehr dankbar für das Urteil», berichtet die
Schülerin. 15 Verfahren wurden bereits in Halberstadt abgeschlossen,
drei sind aktuell in Bearbeitung.
18.11.2008 Ta
https://www.e110.de/artikel/detail.cfm?pageid=65&id=91799