Argentinien: Späte Freude für das Babyraub-Kind
05. April 2008
HISTORISCHER RICHTERSPRUCH
Späte Freude für das "Babyraub"-Kind
Drastisches Urteil gegen falsche Eltern: Erstmals hat ein argentinisches Gericht ein Ehepaar wegen Babyraubes während der Militärdiktatur verurteilt. Die beiden hatten ein Mädchen adoptiert, das Regimegegnern weggenommen worden war. Die heute 30-Jährige triumphiert.
Buenos Aires - Gut ein Vierteljahrhundert ist alles her. Jetzt aber verurteilte ein Gericht in Buenos Aires die heute 60-jährige "Adoptivmutter" Maria Cristina Gomez Pinto zu acht Jahren Haft. Ihr 65 Jahre alter Ehemann Osvaldo Rivas muss für sieben Jahre ins Gefängnis.
Ein Offizier, der dem Paar das Neugeborene 1978 übergeben hatte, erhielt eine Haftstrafe von zehn Jahren. Während der Diktatur zwischen 1976 bis 1983 wurden in Argentinien etwa 500 Babys ihren Müttern geraubt und regimetreuen Familien zur "Adoption" gegeben.
PROZESS IN BUENOS AIRES: "BABYRAUB"-ELTERN MÜSSEN IN HAFT
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Geklagt hatte die heute 30-jährige Maria Eugenia Barragan, Tochter einer aus den Junta-Kerkern spurlos verschwundenen kommunistischen Regimegegnerin. Die Richter ordneten außerdem die Entwertung von Barragans Personalausweis an, auf dem noch immer ihr falscher Name, Eugenia Violeta Rivas, steht. Barragan verließ das Gerichtsgebäude mit einem Lächeln, wollte sich zunächst aber nicht zu dem Urteil äußern.
Ihr Anwalt Tomás Ojea Quintana nannte die Entscheidung des Gerichts ein "historisches Urteil". Die Angeklagten seien für das erlittene Leid seiner Mandantin verurteilt worden. Angesichts der Verbrechen hätten sie aber deutliche höhere Strafen verdient, sagte Ojea, der die Höchststrafe von 25 Jahren Gefängnis beantragt hatte.
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Barragan hatte vor sieben Jahren durch einen DNA-Test herausgefunden, dass sie nicht die leibliche Tochter des Paares war, bei dem sie aufgewachsen war. "Es gab nie eine formale Adoption. Ich wurde von diesen Leuten als ihr Kind eingetragen, mit falschem Geburtsort und gefälschter Geburtsurkunde", hatte Barragan vor der Verhandlung das Vorgehen gegen ihre "Adoptiveltern" in Interviews begründet. "Wenn man von 'Adoptiveltern' spricht, geschieht das mit einer gewissen gefühlsmäßigen Bindung." Es sei aber fraglich, dass jemand, der ein Baby geraubt und es fortwährend über seine Herkunft belogen habe, Liebe zu einem Kind fühlen könne.
Von den rund 500 "gestohlenen Babys" haben bislang 88 mit Hilfe der Opferorganisation Großmütter der Plaza de Mayo ihre wahre Identität zurückverfolgen können. Insgesamt wurden nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen bis zu 30.000 Menschen während der argentinischen Militärdiktatur gefoltert, vergewaltigt und ermordet oder verschwanden spurlos.
itz/AFP
https://www.spiegel.de/panorama/0,1518,545617,00.html