Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen - Pflegefamilien und Adoptionen

Australien: Sorry für die geraubte Generation

Australien: Sorry für die geraubte Generation

Australien: „Sorry“ für die „geraubte Generation“

07.01.2008 | 18:09 | KARL GAULHOFER (Die Presse)

Regierung will Versöhnung mit den Ureinwohnern, aber keine Entschädigung.

WIEN/CANBERRA. Stammestänze und seltsame Töne aus Didgeridoos: Für Australien-Touristen sind Aborigines nur Folklore. Weiße Australier jedoch verbinden mit ihnen das Gefühl der Schuld, die sie im Umgang mit den Ureinwohnern auf sich geladen haben. Keine verjährte Schuld wie in Amerika: Die Wunde ist jung und bricht immer wieder auf. Von 1870 bis 1970 nahmen Behörden den Aborigines über 100.000 Kinder weg, steckten sie in Waisenhäuser oder zu weißen Pflegeeltern. Ohne zwangsweise Integration, so glaubte man, hätten sie keine Zukunft. In vielen Bundesstaaten wurden bis 1967 die „Rechte“ der Aborigines nur in Gesetzen zum Umgang mit Wildtieren erwähnt.

Viele Opfer der „geraubten Generation“ fordern heute Wiedergutmachung, symbolisch und finanziell. Der konservative Ex-Premier John Howard hatte eine offizielle Entschuldigung elf Jahre lang verweigert, aus Furcht vor Entschädigungsforderungen. Erst kurz vor seiner Wahlniederlage im November sprach er vom „größten Schandfleck in der Geschichte“ – eine „Konversion am Totenbett“, wie Medien meinten. Denn sein Nachfolger, der linksliberale Kevin Rudd, machte die nationale Versöhnung erfolgreich zum Wahlkampfthema und versprach den ersehnten Kniefall. Im Februar wird das Parlament eine Erklärung abgeben, an deren Text mit Stammesältesten gefeilt wird.



Der Fluch Alkohol

Um die Frage eines Entschädigungsfonds drückte sich freilich auch Rudd herum. 590 Mio. Euro forderten die Vertreter der Aborigines, mit einem aktuellen Präjudiz als Rückenwind. Nun hat Rudds Labour Party ihrem Wunsch eine Absage erteilt: Ja zu Mitteln für Gesundheit und Bildung in den Stammesgebieten, nein zu einem Fonds.

Der Hintergrund: Die Stimmung hat sich gedreht. Für viele Australier sind nicht die Fehler der Vergangenheit, sondern die 460.000 Aborigines von heute der wahre „Schandfleck“. Tatsächlich bleiben viele Stammesgebiete auch 40 Jahre nach der Gleichstellung ein Stück Dritte Welt im reichen Australien – mit einer um 17 Jahre niedrigeren Lebenserwartung, 38 Prozent Arbeitslosen und dem Fluch Alkohol, dem „Wasser des weißen Mannes“. In seinem Gefolge kommt es immer öfter zu sexuellen Übergriffen auf Kinder.

Ein Übel, dem Howard im Vorjahr mit Polizei und Militär Herr zu werden versuchte. Wer wollte sagen, wo die Verantwortung der Weißen für die Missstände endet, wo die der Ureinwohner beginnt? Ein bitteres Fazit: Die Opfer sind Kinder, damals wie heute.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2008)

https://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/351945/index.do

Re: Australien: Sorry für die geraubte Generation

Ausland Ankündigung der neuen Regierung
Australien will sich bei den Aborigines entschuldigen

Australischer Ureinwohner (Foto: picture-alliance / Helga Lade Fo) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Australischer Ureinwohner: Die neue Regierung hat erstmals eine offizielle Entschuldigung angekündigt ]
Australien will sich erstmals offiziell bei den Ureinwohnern des Kontinents für erlittenes Unrecht entschuldigen. Die zuständige Ministerin Jenny Macklin kündigte einen entsprechenden Schritt für den Beginn der neuen Legislaturperiode am 13. Februar an. An diesem Tag tritt erstmals das Parlament zusammen. Erwartet wird, dass Regierungschef Kevin Rudd dann die Entschuldigung ausspricht.
"Erster, notwendiger Schritt"

Eine Entschuldigung sei der "erste, notwendige Schritt", um die Vergangenheit hinter sich lassen zu können, sagte Ministerin Macklin. Die Entschuldigung erfolge im Namen der Regierung und solle nicht die jetzige Generation der Australier mit Schuld beladen. Sie hoffe, dass damit eine neue Beziehung zwischen Australien und den Ureinwohnern beginnen könne.

Kevin Rudd (Foto: AFP) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Australiens neuer Regierungschef Kevin Rudd: Seine Amtsvorgänger hatten eine Entschuldigung stets abgelehnt ]
Rudds Amtsvorgänger hatten eine Entschuldigung bei den Aborigines abgelehnt. Konkret geht es um das Vorgehen der Behörden zwischen von den 1930er bis in die 1970er Jahre hinein. In dieser Zeit wurden tausende Kinder von Ureinwohnern aus ihren Familien gerissen und bei Pflegeeltern untergebracht. Die offizielle Begründung: Die Kinder sollten so besser in die australische Gesellschaft integriert werden. Einige von ihnen sahen ihre Familien nie wieder. Eine finanzielle Entschädigung der Betroffenen lehnt jedoch auch die neue Labour-Regierung ab. Rudd kündigte lediglich an, er wolle sich für eine Verbesserung des Lebensstandards der Ureinwohner einsetzen. Von den 21 Millionen Australiern sind rund 450.000 Aborigines. Sie stellen die ärmste ethnische Gruppe im Land.

Rudd hatte bei den Parlamentswahlen Ende November den bisherigen Regierungschef John Howard abgelöst und war am 3. Dezember vom australischen Generalgouverneur vereidigt worden. Als erste Amtshandlung ratifizierte er das Kyoto-Protokoll.

* AudioEntschuldigung Aborigines [B. Musch-Borowska, ARD Singapur].

*
Weltatlas
Weltatlas: Australien
[Flash|HTML] .

Stand: 30.01.2008 09:57 Uhr
https://www.tagesschau.de/ausland/aborigines2.html

Re: Australien: Sorry für die geraubte Generation

stern.de - 12.2.2008 - 09:15
URL: https://www.stern.de/politik/ausland/610560.html

Beginn des Artikels
Gestohlene Generation



Australien sagt Sorry



© Andrew Sheargold/GETTY IMAGES

Ein Mitglied einer Aboriginal-Tanzgruppe in Canberra vor einem Auftritt. Die Verfolgung der Ureinwohner gehört zur dunkelsten Geschichte Australiens



Von Brigitte Zander

Über mehrere Generationen hinweg wurden in Australien Aborigines-Familien systematisch ihrer Kinder beraubt. Sie wuchsen bei Weißen auf, verloren dadurch ihre Kultur und ihre Identität. Für das traurige Kapitel will sich erstmals ein Ministerpräsident entschuldigen.

Bruce Trevorrow war 13 Monate alt, als er 1957 an Weihnachten mit heftigen Bauchschmerzen in die Kinderklinik seiner Heimatstadt Coorong in Südaustralien gebracht wurde. Danach sah der kleine Aboriginal-Junge seine Familie zehn Jahre lang nicht wieder. Das Sozialamt brachte das Baby bei einer weißen Pflegefamilie unter, die ihm "weiße Werte" anerziehen sollte. Mit tragischen Folgen: Bruce, heute 50 Jahre alt, ist ein gebrochener Mann. Ein psychisch kranker, heimatloser Gelegenheitsarbeiter, der sich weder den Weißen noch den Schwarzen zugehörig fühlt. Anfang dieses Jahres errang der entwurzelte Ureinwohner einen bedeutenden Sieg: Der Oberste Gerichtshof von Adelaide sprach ihm nach zehnjährigem juristischem Hickhack endgültig eine Entschädigung von umgerechnet einer halben Million Euro zu.
Betroffene hoffen auf positive Urteile

Bruce Trevorrow ist der erste Kläger der sogenannten "Stolen Generation", der für den Verlust seiner kulturellen Identität eine so hohe Summe erstritten hat. Andere Klagen von Rassismus-Opfern sind seit langem anhängig. Die Marschrichtung der neuen Labor-Regierung lässt die Betroffenen auf schnellere, positive Urteile hoffen. Ministerpräsident Kevin Rudd will sich nun im Namen seiner Regierung für die Misshandlung der Ureinwohner entschuldigen. Ob das gesamte Parlament hinter ihm steht, ist noch ungewiss. Die liberal-nationale Regierung seines Vorgängers John Howard hatte ein "Sorry", eine Entschuldigung, elf Jahre lang abgelehnt.



Die grausame Verfolgung der Ureinwohner gehört zur dunkelsten Geschichte Australiens. Die europäischen Einwanderer wollten die "Wilden" ausrotten. Sie wurden bekämpft, vertrieben, misshandelt, ermordet, vergiftet, eingekerkert und ausgehungert. Wer nicht bei dem landesweiten Massaker starb, erlag oft eingeschleppten Krankheiten oder dem Alkohol. Die Überlebenden mussten ohne Sold auf den Farmen weißer Siedler schuften. Selbst staatliche Stellen zahlten keinen Lohn, weil - wie es hieß - die Schwarzen sowieso nicht mit Geld umgehen könnten. Aborigines mussten sogar als Kanonenopfer in australische Kriege ziehen.
Kinder der Ureinwohner zu Weißen erziehen

Von 1910 bis 1970 wurden schätzungsweise bis zu hunderttausend Kinder der australischen Ureinwohner aus ihren Familien gerissen und sollten in staatlichen Heimen, Missionsstationen oder bei Pflegefamilien zu Weißen erzogen werden. Die älteren Kinder sollten eine Berufsausbildung bekommen, manche profitierten auch davon. Doch in vielen Fällen nutzte man sie als billige Arbeitskräfte auf Farmen und im Haushalt aus.



All dies geschah zum angeblichen Wohle der Kinder, die aus ihrer familiären Armut und Zukunftslosigkeit gerettet werden sollten. Die Praxis aber zielte darauf ab, die indigenen Eigenheiten, ihren traditionellen Lebensstil, ihre Kultur auszumerzen. Die Verschleppten bekamen "weiße" Namen. Ein Drittel der Opfer wurde bereits als Baby aus ihren Familien gerissen. Den Kleinkindern wurde über Jahrzehnte hinweg die Identität ihrer Eltern, ihre Stammeszugehörigkeit und ihr Geburtsort verschwiegen. Die Kinder der "Stolen Generation" leiden, wie Bruce Trevorrow, lebenslänglich unter den Folgen der Entwurzelung und Misshandlung.
Tasmanien übernimmt Verantwortung

Vor zehn Jahren dokumentierte eine Menschenrechtskommission in einem Bericht auf 700 Seiten den Umfang der Tragödie und prangerte den Genozid an. Seitdem unterstützt eine wachsende liberale Mehrheit in der weißen Bevölkerung die Forderungen der Aboriginal-Organisationen nach Wiedergutmachung. Bislang hat Tasmanien als einziger australischer Bundesstaat die längst fällige politische Verantwortung übernommen, indem es einen millionenschweren Entschädigungsfond für seine örtlichen Opfer eingerichtet hat.





© Mick Tsikas/Reuters

Kinder einer Aboriginal-Tanzgruppe heute: Von 1910 bis 1970 wurden bis zu hunderttausend Kinder der Ureinwohner zu Weißen erzogen



Die Aborigines, die erst 1967 die vollen Bürgerrechte erhielten, machen nur noch 2,4 Prozent der rund 20 Millionen Australier aus. Ihre Arbeitslosenquote liegt durchschnittlich dreimal höher als die der Weißen, ihre Lebenserwartung 17 Jahre niedriger. Die meisten der Aborigines zählen zur sozial benachteiligten Unterschicht, vielen fehlt die Schulbildung. In den indigenen Kommunen herrscht Gewalt, die Selbstmordrate ist hoch. Aber es gibt auch andere Beispiele wie die Olympiasiegerin Cathy Freeman, die als erste Angehörige der Aborigines bei den Olympischen Spielen eine Goldmedaille gewann.
Beginn einer neuen Versöhnungspolitik

Das "Sorry" in Canberra, betont Regierungschef Rudd, sei mehr als ein symbolischer Staatsakt. Es markiere den Beginn einer neuen Versöhnungspolitik zwischen den Rassen auf dem gesamten Kontinent. "Wir wollen eine Brücke des Respekts und der gegenseitigen Anerkennung zwischen beiden Kulturen bauen", so Rudd. Im ersten Anlauf will Rudd die mangelhafte Bildungs- und Gesundheitssituation der Aborigines verbessern. Details wird seine Rede nicht enthalten. Welche praktischen Anstrengungen folgen, soll später das Parlament erarbeiten.

Doch schon seit Wochen wird die ideologische und finanzielle Dimension der Staatsaktion landesweit heiß diskutiert. Wobei Politiker der Opposition, die in ihrer Regierungsverantwortung eine offizielle Entschuldigung konsequent abgelehnt hatten, eher gequält agieren. Ex-Ministerpräsident Howard und einige seiner alten Ministerriege verweigerten aus "terminlichen Gründen" eine Teilnahme an der Zeremonie. Der neue Oppositionsführer Brendan Nelson möchte sich erst nach einem Einblick in Rudds Regierungserklärung festlegen.


Oppositionelle wollen keine Schuld übernehmen

Viele Oppositionelle wollen immer noch nicht die Schuld für vergangene Untaten übernehmen, sondern nur ihr Bedauern ausdrücken. Man befürchtet eine Welle von Entschädigungsklagen und Wiedergutmachungsforderungen. Nicht ganz unbegründet. Experten sprechen bereits von einer halben Million Dollar als Entschädigung für jedes Opfer, alternativ für jede betroffene Familie. Zudem verlangen sie die Einführung eines alljährlichen "Sorry Days", damit die Erinnerung an die Schande wach bleibt.

Zunächst aber wird gefeiert. Die Zeremonie wird live im Fernsehen übertragen. Tausende schwarze und weiße Australier wollen zum Parlamentsgebäude in Canberra pilgern, um draußen auf Bildschirmen das einmalige Ereignis mitzuerleben.

Re: Australien: Sorry für die geraubte Generation

Dienstag, 12. Februar 2008, 19:45 Uhr
Australien: Regierungschef entschuldigt sich

Australiens Premierminister Kevin Rudd wird sich am Mittwoch bei den Aborigenes entschuldigen. In einer Rede vor dem Parlament will Rudd für die Taten zahlreicher weißer Regierungen um Verzeihung bitten. Kinder der Ureinwohner waren bis in die 70er Jahre aus ihren Familien gerissen worden. Dadurch sollte ihre Integration in die weiße Gesellschaft gefördert werden. Die Aborigines machen heute noch 470 000 von 21 Millionen Einwohnern aus.
https://www.bild.de/BILD/news/telegramm/news-ticker,rendertext=3750904.html?o=RSS

Re: Australien: Sorry für die geraubte Generation

13. Februar 2008

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Schrift:
AUSTRALIEN
Aborigines feiern das "Sorry" ihres Premiers

Von Stephan Orth

Eine politische Rede, ein Volksfest: Die australischen Ureinwohner bejubelten die offizielle Entschuldigung des Premierministers Kevin Rudd für das Unrecht, das die Weißen in der Vergangenheit begangen haben. Nur der Oppositionschef sorgte für Misstöne.
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Der Menschenauflauf erinnerte an das Tennisturnier der Australian Open oder die nationalen Finalspiele im Rugby oder Australian Football: Denn wenn sich Tausende Australier vor Großleinwänden versammeln, um Zeugen eines historischen Moments zu werden, tun sie das normalerweise nicht, um einer Rede ihres Premierministers zu folgen.

RUDDS ENTSCHULDIGUNG: TRÄNEN DER "GESTOHLENEN GENERATION"

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Um Punkt 9 Uhr morgens Ortszeit verlas Kevin Rudd, der seit November 2007 im Amt ist, im Parlamentsgebäude von Canberra eine Erklärung, in der er sich offiziell für die unwürdige und erniedrigende Behandlung von Aborigines in Australien entschuldigte. Es war eine simple Geste, die jedoch eine langjährige und erbitterte Diskussion abschließt: Sämtliche Amtsvorgänger von Rudd hatten sich geweigert, die düsteren Kapitel der australischen Geschichte öffentlich anzuerkennen. Rudds Vorgänger John Howard, der zwölf Jahre lang die Geschicke des Landes lenkte, nahm nicht an der heutigen Sitzung teil.

Dreimal sagte Rudd das Wort "Sorry", das für die australischen Ureinwohner eine besonders hohe spirituelle Bedeutung hat. Mit stehenden Ovationen feierten die Zuhörer im Parlament die Rede, einige der etwa 100 geladenen Vertreter der Ureinwohner umarmten sich mit Tränen in den Augen. "Für uns ist das wie der Fall der Berliner Mauer", sagte der Aborigine Darryl Towney. "Das ist der bedeutendste Moment für unser Volk, der in meinem Leben passiert ist."

"Schwarzer Fleck auf der australischen Seele"

Allein vor dem Parlamentsgebäude sahen rund 7000 Bürger die Rede auf Großbildleinwänden und jubelten und schwenkten ihre Schwarz-Rot-Gelben Fahnen. Viele waren extra aus entlegenen Gebieten Australiens hergekommen. Auch in Melbourne, Sydney und Brisbane verfolgten Tausende die Liveübertragung des Fernsehsenders ABC. In abgelegenen Outback-Gemeinden versammelten sich teils ganze Dorfbevölkerungen vor dem Fernseher.

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Foto: REUTERS
Video: Reuters
Rudd richtete sich vor allem an die Opfer der "Stolen Generation", die bis zum Jahr 1970 als Kinder von ihren Familien getrennt wurden, um in weißen Haushalten aufzuwachsen. Diese Politik sei ein schwarzer Fleck auf der australischen Seele und werde sich niemals wiederholen, betonte Rudd. "Wir entschuldigen uns für die Gesetze und die Politik der vorangegangenen Parlamente und Regierungen, die unseren australischen Mitbürgern großen Schmerz, Leid und Schaden zugefügt haben."

Die emotionale Rede hat für Australien einen symbolischen Stellenwert, der mit Willy Brandts berühmten Kniefall in Warschau im Jahr 1970 vergleichbar ist. Kevin Rudd kündigte außerdem an, in Zusammenarbeit mit Oppositionsführer Brendan Nelson ein Komitee einzuführen, das die Wohnungssituation der Aborigines verbessern soll. Zudem wolle er mehr Mittel für Bildung und Gesundheit in den häufig sehr armen Gemeinden der Ureinwohner bereitstellen.

Nelson allerdings trübte die Freudenfeiern des heutigen "Sorry Day" direkt im Anschluss an Rudds Rede. Zwar bekräftigte er vor dem Parlament zunächst, dass eine staatliche Entschuldigung angemessen sei, doch bei der Behandlung der "Stolen Generations" schränkte er ein: "Unsere Generation ist nicht für diese Taten verantwortlich und sollte sich nicht schuldig fühlen für etwas, das in vielen, wenn auch sicherlich nicht in allen Fällen, mit den besten Absichten getan wurde." Im Parlament erntete er heftige Buhrufe, und draußen wandten Zuschauer den Großleinwänden aus Protest den Rücken zu. Unter Protestbekundungen aus dem Publikum sagte Nelson, einige Aborigines lebten in "existenzieller Ziellosigkeit" und genössen in "verantwortungsloser Weise" die Vorzüge des Wohlfahrtsstaates.

Millionenforderungen sind zu erwarten

Für die australischen Ureinwohner könnte die öffentliche Entschuldigung eine erhöhte Chance bedeuten, Schadenersatzforderungen in mehrstelliger Millionenhöhe gegen den Staat durchzusetzen. Nicht nur für die menschenunwürdige Behandlung der "Stolen Generations", auch für Ländereien könnten die Ureinwohner Kompensation verlangen.

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Eine solche Klage basiert auf der sogenannten "Mabo-Entscheidung" aus dem Jahr 1992: Darin erklärte es der oberste Gerichtshof für unrechtmäßig, dass frühe Einwanderer Australien zur "Terra nullius" erklärten, zu einem Land, das niemandem gehört und frei besiedelt werden darf. Auch wenn Rudd und Nelson ankündigten, die Entschuldigung werde keine finanziellen Folgen haben - es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Fälle vor Gericht gehen.

Es sei jedermanns Recht, für ertragenes Unrecht Kompensationszahlungen zu erhalten, sagte Jim Morrison, Dorfältester eines westaustralischen Aborigine-Stammes, der Zeitung "The Age". Er sprach sich dafür aus, den durch die Trennung von ihren Familien traumatisierten Menschen Entschädigungen zu gewähren.

Auch wenn der gute Wille zu erkennen und ein historischer Anfang gemacht ist: Die Regierung Rudd wird es auch in Jahren nicht schaffen, die Untaten der Vergangenheit vergessen zu machen. Zu frisch sind noch viele der Wunden, die Unterdrückung und Diskriminierung hinterlassen haben. Misshandlungen und rätselhafte Todesfälle in Gefängnissen, gewalttätige Polizisten und zweifelhafte Gerichtsurteile - trotz einer gestiegenen Aufmerksamkeit für die Probleme der Ureinwohner liegt eine Gleichbehandlung mit weißen Australiern noch in weiter Ferne. Noch Ende 2007 schickte eine weiße Richterin neun junge Männer aus Queensland, die ein Aborigine-Mädchen vergewaltigt hatten, nicht ins Gefängnis, sondern nach Hause: Das zehnjährige Opfer habe der Tat "wahrscheinlich zugestimmt".

Mit Materialien von AFP, Reuters



https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,535100,00.html

Re: Australien: Sorry für die geraubte Generation

13. Februar 2008

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Schrift:
AUSTRALIEN
Aborigines feiern das "Sorry" ihres Premiers

Von Stephan Orth

2. Teil: Auszüge der Rede von Kevin Rudd im Wortlaut
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"Heute ehren wir die Ureinwohner dieses Landes, die ältesten ununterbrochenen Kulturen in der Geschichte der Menschheit. Wir denken nach über ihre Misshandlung in der Vergangenheit. Wir denken vor allem nach über die Misshandlung derer, die zu den 'Stolen Generations' gehören - dieses befleckte Kapitel in der Geschichte unseres Landes. Jetzt ist die Zeit gekommen, dass das Volk eine neue Seite in der Geschichte Australiens aufschlägt, indem es die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit in Ordnung bringt und damit voller Vertrauen in die Zukunft vorwärts geht.

Wir entschuldigen uns für die Gesetze und die Politik der aufeinanderfolgenden Parlamente und Regierungen, die unseren australischen Mitbürgern großen Schmerz, Leid und Schaden zugefügt haben. Wir entschuldigen uns vor allem dafür, dass Kinder von Aborigines und Einwohnern der Torres-Strait-Inseln ihren Familien, ihren Gemeinden und ihrem Land weggenommen wurden.

Für den Schmerz, das Leid und die Verletzungen dieser 'Stolen Generations', ihrer Nachkommen und ihrer zurückgelassenen Familien sagen wir Entschuldigung. Den Müttern und Vätern, den Brüdern und Schwestern sagen wir Entschuldigung dafür, dass wir Familien und Gemeinschaften auseinandergerissen haben. Und wir sagen Entschuldigung für die Demütigung und Erniedrigung, die einem stolzen Volk und einer stolzen Kultur angetan wurden.

Wir, das Parlament von Australien, wünschen ehrerbietig, dass diese Entschuldigung angenommen wird in dem Geist, in dem sie angeboten wird, als Teil der Heilung des Landes."

sto/AP


https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,535100-2,00.html

Re: Australien: Sorry für die geraubte Generation

* Donnerstag, 14. Februar 2008

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Leben ohne Perspektiven ? Aborigines im australischen Outback.
Bild: rtr/Tim Wimborne
Blick in die dunkle Vergangenheit
Australiens Premierminister Kevin Rudd bittet die Urbevölkerung des Landes um Entschuldigung

Mit einhelliger Zustimmung und grosser Erleichterung haben die australischen Ureinwohner gestern auf die Entschuldigung des Parlaments für die langjährige unwürdige und erniedrigende Behandlung der Aborigines reagiert. Zahlreiche von ihnen verfolgten auch noch in den entlegensten Siedlungen, im sogenannten Outback, vor dem Fernseher gespannt die als historisch gewertete Sitzung des Parlaments. Viele weinten leise.
Katastrophale Assimilationspolitik

Bis zu den 1970er-Jahren wurden gemischtrassigen Familien – aus weissen Einwanderer und Urbewohnern – ihre Kinder von den Behörden weggenommen und auf Missionsstationen oder in Pflegefamilien gebracht, um die Assimilation an die europäisch geprägte Gesellschaft zu forcieren. Dies mit dem Plan, eine deutliche Trennung von Siedlern und Ureinwohnern herbeizuführen, in der Annahme, dass die sehr andere Kultur der «Wilden» mit der Zeit von selbst verschwinden würde, weil sie inkompatibel mit dem westlichen Lebensstil sei.

Diese Assimilationspolitik hat grosses Leid über Zehntausende australische Familien gebracht. Die betroffenen Kinder, deren Zahl auf etwa hunderttausend geschätzt wird und von denen viele ihre Eltern nie mehr sahen, haben als die «gestohlenen Generationen» traurige Berühmtheit erlangt. Erst 1995 kam es im Auftrag der damaligen Labor-Regierung von Paul Keating zur Ausfertigung eines Berichts, in dem Tausende erschütternder Einzelschicksale dokumentiert und 54 Empfehlungen für die Überwindung des Grabens zwischen der Mehrheitsbevölkerung und den Aborigines abgegeben wurden. Doch 1996 wechselte die Regierung, und der liberale Premierminister John Howard war nie dazu bereit, ein offizielles «Sorry» an die Adresse der Urbevölkerung auszusprechen.

Vergangenen November aber kam Labor-Leader Kevin Rudd an die Macht. Er hatte eine offizielle Entschuldigung zu einem Kernanliegen in seinem Wahlkampf gemacht. Rudd löste das Versprechen gestern ein, am ersten regulären Sitzungstag des neuen Parlaments.

Rudd hielt vor den Abgeordneten und Hunderten Aborigines, die auf die Besuchergalerie eingeladen worden waren, eine emotionale und klug aufgebaute Rede. Er erntete stehende Ovationen, sowohl im Haus selbst wie auf öffentlichen Plätzen vor dem Parlament und in anderen Städten, wo das Geschehen auf Grossbildschirmen mitverfolgt wurde.
Frage der Kompensation ist offen

Kevin Rudd bezeichnete die gesellschaftliche Versöhnung als Aufgabe, die über der Parteipolitik stehen müsse, und bot der Opposition die Bildung einer gemeinsam geleiteten Arbeitsgruppe an, die die Lösung der Probleme angehen solle. Zu diesen Problemen gehören die Überwindung eines gewaltigen Unterschieds in der Lebenserwartung von Aborigines und dem Rest der australischen Gesellschaft, die Reduktion der Kindersterblichkeit bei den Ureinwohnern, die im hoch entwickelten Industriestaat Australien auf Drittwelt-Niveau ist, die Verringerung von Wohlfahrts-Abhängigkeit der Urbevölkerung und die Schaffung wirtschaftlicher Perspektiven für die entlegenen Aboriginal-Gemeinden.

Was Rudd ausklammerte, war die heikle Frage der Kompensationen. Für einige der Ureinwohner nahm dies dem Schuldeingeständnis etwas an Glaubwürdigkeit. Andere hingegen bezeichneten das «Sorry» als wichtigen ersten Schritt auf dem Weg zur Aussöhnung, dem andere unweigerlich folgen würden. Die Frage der Kompensation werde man dabei aufs Tapet bringen, auch wenn zurzeit der politische Wille der Bundesregierung dazu nicht vorhanden sei. In einigen Gliedstaaten sind zwar schon Entschädigungsfonds eingerichtet worden, und es liegen Gerichtsurteile über die Berechtigung von Ansprüchen vor. Doch ein nationales Programm würde die Abwicklung vereinfachen. Das wäre ein wichtiges Element, weil viele der Betroffenen in hohem Alter stehen und weder die Zeit noch die Mittel für einen langwierigen Weg durch die Gerichtsinstanzen haben.
Kompromisse vor Entschuldigung

Doch mit der Einschliessung der Kompensationsfrage hätte Rudd weder im eigenen Lager noch bei der Opposition die nötige breite Unterstützung für eine Entschuldigung gefunden. Die Liberalen mussten ohnehin schon eine Kehrtwendung vollziehen, denn unter Howard hatte gegolten, dass das Wort «Sorry» nicht in den Mund genommen werde. Und in der Auslegung der historischen Ereignisse wurde betont, dass die damalige Politik vielleicht in ihren Auswirkungen schlecht, in ihrer Motivation aber ehrenwert gewesen sei: Man habe benachteiligten Kindern zu Schutz und Erziehung verhelfen wollen. Zudem habe sich alles im Rahmen des damals geltenden Rechts abgespielt. Rudolf Hermann, Sydney

Ureinwohner im Teufelskreis
Australien gehört zu den höchst entwickelten Industriestaaten der Welt – Viele Aborigines aber leben wie in einem Drittweltland

Der Bericht, der vor einigen Monaten auf dem Pult des damaligen australischen Premierministers John Howard landete, schlug ein wie eine Bombe. «Kleine Kinder sind uns heilig», lautete die Überschrift, und der Inhalt war erschütternd. Er sprach von weit verbreitetem Kindsmissbrauch, häuslicher Gewalt, aus dem Ruder laufendem Alkohol- und Drogenkonsum und grassierender Verwahrlosung in zahlreichen Siedlungen der Aborigines.

Überraschend war das zwar alles nicht; seit Jahrzehnten gelangen in regelmässigen Abständen erschreckende Informationen über die Zustände in Aborigines-Gemeinden an die Öffentlichkeit. Doch diesmal wurde minutiös deren Ausmass aufgezeigt: Alkohol, der ganze Kommunitäten zersetzt; Kinder, die Opfer von sexueller Belästigung und Zeugen gewalttätiger Auseinandersetzungen in ihrem Dorf, sogar ihrem eigenen Haus werden; Eltern, die es zulassen, dass ihre Kinder von Fremden, aber auch Einheimischen, geködert und missbraucht werden; Kinder, die seit frühester Jugend mit Verhaltensmustern konfrontiert sind, die sie später übernehmen, weil sie nichts anderes kennen, und damit das Feuer des Teufelskreises weiter schüren. 45 Aboriginal-Gemeinden in Australiens Northern Territory waren für den Report untersucht worden, und überall zeigten sich in grösserem oder kleinerem Ausmass die gleichen Probleme.
Die Regierung schaltete sich ein

Für die Bundesregierung war der Fall klar: Das Northern Territory sei ein Notstandsgebiet, und die Reaktion müsse entsprechend ausfallen. Weil die Regierung des Territory dazu bisher nicht ausreichend bereit gewesen sei, werde man in Canberra das Heft in die Hand nehmen. Polizei und Armee würden in die betroffenen Gemeinden entsandt, um Recht und Ordnung zu garantieren. Ein absolutes Verbot von Alkohol und Pornographie würde erlassen, staatliche Wohlfahrtsleistungen würden nur voll ausbezahlt, wenn das Geld für die Bedürfnisse der Familien und nicht für Alkohol oder Drogen ausgegeben werde. Kinder würden obligatorisch ärztlich untersucht, damit Hinweise auf sexuellen Missbrauch erfasst werden könnten, und wenn Grund zur Annahme bestehe, dass sich Eltern nicht um ihre Kinder sorgten, könne ihnen das Sorgerecht entzogen werden. John Howards Reaktion, mitgetragen von der Labor-Opposition, die inzwischen an die Regierung gelangt ist und den Kurs mit wenig Abstrichen weiterverfolgt, war der Versuch einer Flucht nach vorn aus einer Situation, für die es keine einfache Lösung gibt.

Denn die Probleme sind das Produkt einer Politik, die weit ins vergangene Jahrhundert und in ihrer Grundlage auf die europäische Kolonisierung Australiens zurückgeht. Eine Politik, die in den jüngsten 50 Jahren unabhängig davon verfolgt wurde, welche der beiden Grossparteien (Labor oder Liberale) gerade die Macht ausübte. Die lange Zeit praktizierte Zwangsassimilation führte zu kultureller Entwurzelung der Ureinwohner und Heimatlosigkeit in einer fremden Gesellschaft.

Bei der gegenwärtigen Situation der Aborigines spielen Faktoren ineinander, die nicht kurzfristig beseitigt werden können. Das Alkoholproblem hängt eng mit den Lebensbedingungen in Aborigines-Gemeinden zusammen. Die Dörfer sind generell sehr isoliert gelegen, Dutzende bis Hunderte von Kilometern von einer Teerstrasse und erst recht von einer Stadt entfernt. Arbeitsmöglichkeiten gibt es kaum. Familien wohnen in grosser Zahl auf engstem Raum, und öffentliche Infrastruktur ist praktisch inexistent.
«Wie in einem Dampfkochtopf»

«Das ist ein Leben wie in einem Dampfkochtopf», sagte Jan Ferguson vom «Desert-Knowledge»-Forschungszentrum in Alice Springs, das sich auch mit den Lebensbedingungen der Ureinwohner auseinandersetzt. «Jede Gesellschaft, indigen oder nicht, würde früher oder später unter solchen Bedingungen explodieren.» Das Trauma der früheren Assimilationspolitik und die soziale Entwurzelung haben eine ganze Aboriginal-Generation in Hoffnungslosigkeit und Sucht getrieben. Rudolf Hermann

Die australischen Aborigines

Im Gegensatz zu den europäischen Siedlern, die erst vor etwas über 200 Jahren nach Australien kamen, sind die Ureinwohner schon seit rund 50 000 Jahren auf dem fünften Kontinent präsent. Ihre Zahl beläuft sich auf knapp eine halbe Million. Damit bilden sie etwa 2,5 Prozent der Bevölkerung. Im Northern Territory allerdings stellen sie einen Drittel der Population, weshalb ihre Probleme dort stark akzentuiert sind. Ihre Integration und soziale Besserstellung wird durch die Tatsache kompliziert, dass ihre Gesellschaft in eine grosse Anzahl Stämme mit verschiedenen Sprachen aufgefächert ist.

Damit unterscheidet sich ihre Situation stark von jener der Maori, der polynesischen Ureinwohner Neuseelands. Diese sind in ihrem Land weit besser integriert: Sie bilden einen deutlich grösseren Bevölkerungsanteil (ungefähr 13 Prozent) und sprechen eine relativ einheitliche Sprache, die den Status einer offiziellen Landessprache hat. Es gibt Maori TV und auch eine relativ erfolgreiche politische Partei, die die Interessen der neuseeländischen Ureinwohner vertritt – Errungenschaften, von denen die australischen Aborigines grösstenteils nur träumen können. (R.H.)

https://www.tagblatt.ch/index.php?artikelxml=1467769&ressort=tagblattheute/frontseite&jahr=2008&ressortcode=hp-tb&ms=hauptseite

Re: Australien: Sorry für die geraubte Generation

Australien: "Und für all diesen Schmerz sagen wir 'Sorry'"

13.02.2008 | 18:57 | WOLFGANG GREBER (Die Presse)

Parlament und Regierung von Australien entschuldigen sich in einem historischen Akt bei den "Gestohlenen Generationen" der Aborigines.

CANBERRA/WIEN. Es sei Anfang 1970 gewesen, erzählt Mary Hooker, als man sie, eine damals Zwölfjährige, geholt habe. „Wir lebten in einer Aboriginal-Siedlung, als ein Polizeiauto kam. Dort saßen sieben meiner Geschwister drin. Man brachte uns zum Gericht. Das entzog unseren Eltern das Sorgerecht. Ich saß nur da und verstand nichts. Später fuhren wir im Zug nach Sydney. Ich kam in ein Kinderheim. Und dort hat man mich dann vergewaltigt.“

Es sind Geschichten wie diese, die über Jahrzehnte die Beziehungen zwischen Australiens Ureinwohnern und den Weißen vergifteten. Sie werden immer noch von Zehntausenden erzählt: von den Mitgliedern der „Stolen Generations“ (Gestohlenen Generationen): Weil die einst mehr als eine Million Menschen zählende Urbevölkerung durch die weiße Landnahme ab 1788 dezimiert war und vermeintlich am Ende stand, wurden ab 1869 (vor allem aber 1910-73) mehr als 100.000 Aboriginal-Kinder ihren Familien entrissen. Man gab sie in weiße Pflegefamilien, in kirchliche und staatliche Heime, um sie ins weiße Volk zu „absorbieren“.

Was angeblich gut gemeint war, ging fürchterlich schief: Viele entwurzelte Kinder wurden geschlagen, misshandelt, vergewaltigt. Manche, wie Mary Hooker, wurden Prostituierte, viele begannen zu Trinken. Depression, Verwahrlosung, Selbstmord sind unter Mitgliedern und Nachfahren jener „Stolen Generations“ weit verbreitet. Ihre Lebenserwartung liegt, wie bei den Aborigines generell, 17Jahre unter jener der Weißen.

Am Mittwoch setzten Australiens Regierung und Parlament einen historischen Akt: Im Parlament in Canberra entschuldigte sich der neue Premier Kevin Rudd im Namen Australiens bei den Aborigines: „Wir entschuldigen uns für die Gesetze und die Politik aufeinanderfolgender Parlamente und Regierungen, die unseren Mitbürgern großen Schmerz, Leid und Schaden zufügten“, so Rudd.

„Erstmals Teil dieser Nation“

„Wir entschuldigen uns speziell für das Herausreißen von Kindern aus Familien und Gemeinden der Aborigines und der Torres-Strait-Islanders – und für die Erniedrigung und Herabsetzung, die einem stolzen Volk zugefügt wurde.“ Man wolle eine Zukunft schaffen, an der alle Australier, ohne Rücksicht auf ihre Herkunft, als gleichberechtigte Partner teilnehmen könnten.

Die Zeremonie wurde im ganzen Land live übertragen, in vielen Städten hatten sich Zehntausende versammelt, um die Entschuldigung zu feiern. Viele brachen in Tränen aus. „Mein Herz fühlt sich an, als ob es gleich aus meiner Brust springt“, meinte in Sydney die Aboriginal-Politikerin Linda Burney. „Die eingeborene Gemeinschaft fühlt sich jetzt zum ersten Mal als Teil dieser Nation Australien“, so Mark Bin Bakar, ein Ältester der „Gestohlenen Generationen“.

1997-99 hatten sich bereits die Parlamente der Bundesstaaten und Territorien entschuldigt, Tasmanien schuf einen Entschädigungsfonds für Mitglieder der Stolen Generations. 2007 hatte ein Gericht einem als Kind den Eltern weggenommen Aborigine umgerechnet rund 320.000 Euro zugesprochen.

Keine Entschädigungen

Rudd ist freilich gegen allgemeine Entschädigungen, so wie sein konservativer Vorgänger John Howard: Der lehnte auch Entschuldigungen ab, da er fürchtete, dass sich darauf Ersatzansprüche gründen ließen.

Die offizielle Entschuldigung kommt indes nicht bei allen Australiern gut an: „Wieso das? Es war ja nicht meine Generation, die Aborigines ,gestohlen‘ hat“, meinte eine Bewohnerin der Outback-Stadt Bourke. Und: „Es gibt wohl kein Land, das nicht unter ähnlichen Umständen besiedelt wurde.“
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