Die unsensible Vorgehensweise deutscher Familiengerichte
Drohen statt vermitteln
Die unsensible Vorgehensweise deutscher Familiengerichte
Autoren : Katrin Pцtzsch, Stefan Meining
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Bernd Schnardthorst aus Niedersachsen wьnscht sich nichts sehnlicher als seinen behinderten Sohn, der unter Betreuung steht, endlich wieder zu sehen. Seit ьber vier Jahren kдmpft der geschiedene Geschдftsmann um sein Kind. Nicht einmal Briefe darf er ihm schreiben. Wir begleiten ihn zum Gericht, wo er mal wieder einen neuen Antrag auf Besuchsrecht einreichen will.
Bernd Schnardthorst: Ьber vier Jahre lang Briefe geschrieben und Antrдge geschrieben, man hцrt von den Gerichten nur man solle keine Antrдge stellen, sie werden nicht beschienen.
Bernd Schnardthorst reicht beim Familiengericht einen Antrag nach dem anderen ein, eine Dienstaufsichtsbeschwerde folgt der nдchsten. Oft nicht gerade sehr freundlich formuliert. Auf Antrag der gegnerischen Anwдltin leitet das Amtsgericht Buxtehude ein Entmьndigungsverfahren gegen den Ingenieur ein.
Bernd Schnardthorst: Das Verfahren lдuft so, man hat mir mitgeteilt in einem trockenen Dreizeiler, dass also die Anwдltin meiner Frau dieses Verfahren angeregt hдtte und ich musste mich dann einer psychiatrischen Begutachtung im Elbeklinikum in Stade stellen, das habe ich gemacht, sonst hдtte das Gericht ohne mich entschieden.
Ein Interview lehnt das zustдndige Amtsgericht ab. Schriftlich wird report MЬNCHEN jedoch bestдtigt: der zustдndige Amtsrichter hat einen internen Vermerk ьber Herrn Schnardthorst angefertigt. Darin spricht der zustдndige Richter Zitat von Querulantentum und dies kцnne einen Krankheitswert aufweisen.
Ein Mitglied des Rechtsausschusses im Bundestag warnt:
Mechthild Dyckmans, Bundestagsabgeordnete, FDP: Familiengerichtsverfahren sind oft mit ganz groЯen Emotionen betroffen. Und da darf der Richter nicht seine eigenen Emotionen reinbringen. Ich weiЯ aus meiner Erfahrung, dass Querulanten unangenehm sind. Aber nicht jeder Querulant ist, weil er Querulant ist, prozessunfдhig. Und auch ein Querulant hat seinen Anspruch auf ein ordnungsgemдЯes rechtstaatliches Verfahren.
Der Hamburger Rechtsprofessor Sonnen bemьht sich im Fall Schnardthorst um eine auЯergerichtliche Einigung. Fьr ihn ist das Vorgehen des Buxtehuder Amtsgerichtes schlichtweg unverstдndlich.
Prof. Bernd-Rьdeger Sonnen, Universitдt Hamburg: Wenn es in einem Sorgerechtsstreit hoch hergeht auf beiden Seiten. Dann kann man nicht sagen, hier ist jemand, der wirklich kдmpft Querulant und deswegen mьssen wir ihn unter Betreuung stellen, das ist voll daneben wьrden wir heute sagen.
Schnardthorst muss sich einer psychiatrischen Untersuchung unterziehen. Der Gutachter erklдrt: Schnardthorst sei selbstverstдndlich geistig normal. Eine rechtliche Betreuung sei derzeit entbehrlich.
Der Kampf ums Kind: er geht in die nдchste Runde.
Bernd Schnardthorst: Ja mein Junge hat damals sehr gerne mit mir zusammen Schiffe gebaut und er ist dafьr sehr begabt.
Bernd Schnardthorst ist kein Einzelfall. Seit sechs Jahren streitet Karin Kelly um ein Umgangsrecht mit ihrem Enkel.
Karin Kelly: Hier stehen die ganzen Geschenke seit letztem Jahr. Von zwei Geburtstagen, von Ostern, von Weihnachten.
Knapp 10.000 Euro Gerichts- und Anwaltskosten hat Karin Kelly bislang bezahlt, ohne ihren Enkel auch nur einmal in die Arme nehmen zu dьrfen. Dabei hat der Bub jahrelang in diesem Zimmer in ihrem Haus gelebt. Als 2007 weitere Zahlungen anstehen, weigert sie sich zu zahlen. Lieber gehe sie ins Gefдngnis:
Karin Kelly: Ich werde weiter kдmpfen, erst recht jetzt, weil die Mьrbemachung immer weiter geht und ich lass mich nicht mьrbe machen, das sag ich immer wieder.
Mehrmals kommt der Gerichtsvollzieher, um das Geld einzutreiben. Jedes Mal weist ihm Karin Kelly die Tьr. Doch dann, im Dezember letzten Jahres wird den Kellys von dritter Seite ein Protokoll sowie ein Beschluss des Amtsgerichtes Rockenhausen zugespielt. Danach hat das Gericht Zitat: Zweifel an der Verfahrensfдhigkeit der Schuldnerin. Im Klartext: Auch hier stellt ein Gericht die Zurechnungsfдhigkeit in Frage.
Karin Kelly: Dass jetzt meine Verfahrensfдhigkeit in Frage gestellt ist und ein Richter so etwas beschlieЯt, der mich nicht kennt, und ohne Anhцrung.
Der Gerichtsvollzieher hдlt sogar, Zitat: eine Ьberprьfung, ob vormundschaftsgerichtliche MaЯnahmen angebracht sind, fьr sinnvoll. Karin Kelly droht im schlimmsten Fall ein Entmьndigungsverfahren.
Rudolf Kelly: Es war ein riesig groЯer Schock, ich habe es dann auch weitergeleitet und hab es dann meiner Frau gegeben und die hat es auch dann gelesen und die war dann auch genauso schockiert wie ich auch.
Im Amtsgericht Rockenhausen wiegelt man ab. Noch sei ja nichts passiert. Im Ьbrigen sei alles juristisch korrekt gelaufen.
Thomas Edinger, Direktor Amtsgericht Rockenhausen: Sicher in dem Fall ist das vцllig unglьcklich, dass Frau Kelly dann auf diesem Weg davon erfahren hat. Wobei und noch mal, das ist das ganz Wichtige, fьr Sie hat das zunдchst keine Auswirkungen, keine negativen Auswirkungen. Und insofern ja, sicher ist das natьrlich unglьcklich, aber es war vom Verfahren her nicht zu beanstanden.
Mit anderen Worten: Frau Kelly droht nach wie vor ein Entmьndigungverfahren. Fьr den Familienrichter Jьrgen Rudolph ist der Fall Kelly ein Musterbeispiel, wie es nicht ablaufen sollte. Der Experte weiЯ um die weit reichenden Konsequenzen solcher Beschlьsse.
Jьrgen Rudolph, Familienrichter: Dass ihr jetzt obendrein noch attestiert wird, dass sie nicht verfahrensfдhig also mit anderen Worten nicht zurechnungsfдhig sei, dass habe ich im ersten Moment als unrealistisch empfunden und als Satire und im zweiten Moment habe ich gedacht, hier passiert ja doch was ganz realistisches und hier ist eine ganz groЯe Gefahr, die in so einem System entstehen kann und wenn hier nicht sofort interveniert wird und niemand intervenieren wьrde, kцnnte es tatsдchlich sein, dass Frau Kelly eines Tages fьr unzurechnungsfдhig erklдrt wird und ihr mцglicherweise auch noch eine Betreuung angediehen wird.
report MЬNCHEN hakt beim Bundesjustizministerium nach, aber die Justizministerin Zypries sieht keinen Handlungsbedarf. Menschen mit Entmьndigung zu drohen ist also weiterhin mцglich. Geistig vцllig gesunden Menschen, die einfach nur um ihr Recht kдmpfen, droht damit weiterhin die Gefahr fьr unzurechnungsfдhig erklдrt zu werden.
https://www.br-online.de/daserste/report/archiv/2008/00444/