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Für die Familie - Bellatrix Malfoy

Für die Familie - Bellatrix Malfoy

In Strömen lief Bellatrix der Schweiß über den Rücken. Ihre langen blonden Haare klebten unangenehm in Nacken und im Gesicht und nur selten erhielt Bellatrix die Gelegenheit, sich mit einer Hand über die Stirn zu wischen. Ihre Augen waren angstgeweitet und sie umklammerte krampfhaft ihren Zauberstab. Noch nie hatte Bellatrix solche Panik verspürt, noch nie war sie so knapp davor gewesen, schreiend wegzulaufen. Aber Bellatrix lief nicht weg. Der eiserne Wille ihres Vaters hielt sie genau an dem Platz, der ihr zugewiesen worden war, sein alles durchdringender Blick ruhte auf ihr und Bellatrix wusste ganz genau: Würde sie jetzt aufgeben, würde sie jetzt ihren Zauberstab fallen lassen und sich in seine Arme flüchten, hätte sie bei ihm für immer verspielt. Denn Bellatrix wusste schon jetzt, gerade einmal acht Jahre alt, dass ihr Vater keine Schwächen duldete und nur schwer Fehler verzieh. Bellatrix wollte ihn um nichts in der Welt enttäuschen; selbst wenn sie dafür alle Pein der Welt erdulden müsste.
Aber Bellatrix musste ja gar nicht alle Pein der Welt erdulden – sie sollte lediglich gegen einen einfachen Irrwicht bestehen. Doch dieser Irrwicht erschien Bellatrix im Moment größer, schrecklicher und riesiger zu sein als alle Pein der Welt. Es war das erste Mal für sie, dass sie mit einem derartigen Zauberwesen konfrontiert werden würde. Und das nach einem ohnehin schon anstrengenden Tag – seit dem Aufstehen hatte Draco Cedric und sie hart rangenommen. Sie hatten etwas für ihre körperliche Fitness getan, Zauberflüche auswendig gelernt und fliegen geübt. Und nun noch der Irrwicht.
Cedric hatte es gut – er hatte schon ins Bad gehen dürfen, um sich zu duschen und umzuziehen; offenbar wollte Draco Bellatrix ganz alleine gegen den Irrwicht antreten lassen.

Bellas Augenmuskeln zuckten unkontrolliert als sie mit verbissenem Gesichtsausdruck auf die Kiste starrte, in der der Irrwicht gefangen war. In ihrem Kopf arbeitete es fieberhaft. Sie wusste alles über Irrwichte – theoretisch. Sie nahmen die größten Ängste ihres Gegenübers an, um ihn so mit Schrecken zu lähmen, zu quälen, zu peinigen.
Doch was war Bellas größte Angst?
Tausend Gedanken schossen Bella durch den Kopf.
Ihre tote Mutter, ihr toter Bruder, ihr toter Vater. Ihre Familie, vom Ministerium zerrissen, weil ihr Dad den Dunklen Lord unterstützte. Sie, Bellatrix, in der Obhut einer Muggelfamilie.
Was war schon ihre größte Angst? Bellatrix wusste es nicht. Es gab so viel, vor dem man sich fürchten konnte. Denn trotz ihrer Jugend war Bella schon intelligent genug, um zu ahnen, dass nicht alle Menschen ihrer Familie wohlgesonnen waren. Dass ihre Eltern viele ernst zu nehmende Feinde hatten.
Bellas Atem ging flacher als ihr Vater sie ansah und nickte.
„Jetzt, Bellatrix!“ Diese letzte, kurze, leise und präzise gesprochene Anweisung gab Bellatrix den Mut, den Zauberstab fester in die Hand zu nehmen und ihn auf die dunkle Kiste zu richten. Mit einem Schnippen seines Zauberstabs öffnete Draco die Kiste.
Ein seltsames, gestaltloses Wesen schwebte aus der Kiste und kam direkt auf Bellatrix zu. Vor ihren weit aufgerissenen Augen wurde es zu einer gähnenden Leere, einem schwarzen Nichts, das alles um sich herum aufzusaugen schien. Licht, Materie, alles verschwand in diesem absoluten [I]Nichts[/I], das weniger als Dunkelheit war.
So etwas hatte Bellatrix noch nie gesehen. Ihre Augen wurden noch etwas größer. Sie zitterte wie Espenlaub. Was zum Teufel war dieses schwarze Nichts? Es saugte alles auf! Mit jeder Sekunde wurde es größer, breitete sich weiter im Raum aus und verschluckte alles um sich herum. Vor Schreck gelähmt blieb Bella wie angewurzelt stehen und starrte die Erscheinung an.
Sie begriff nicht, was dieses Nichts darstellen sollte. Doch sie wusste, dass dies ihre größte Angst war. Ein Schauer jagte über ihren Rücken. Was sollte sie nur tun?!
Bellatrix war sich der Anwesenheit ihres Vaters sehr wohl bewusst. Sie spürte seinen bohrenden Blick auf ihrem Rücken, doch sie konnte sich nicht bewegen. Sie wusste ganz genau, dass sie nur [I]Riddikulus[/I] rufen musste – und ihre Angst ins Lächerliche ziehen musste. Doch wie zog man etwas ins Lächerliche, vor dem es einem mehr graute als man es sich in seinen schlimmsten Alpträumen vorgestellt hatte.
Bellatrix hatte mit allem gerechnet. Aber nicht mit diesem körperlosen Etwas, das immer näher auf sie zukam und sie zu verschlingen drohte.

Denn dieses Nichts war Bellatrix’ übermächtige, tief verborgene größte Angst: Ein Nichts zu sein, nichts wert, nicht anerkannt, nicht überlegen, ja, nicht einmal existent. Angst davor, eine Enttäuschung zu sein – natürlich für ihren Vater, aber auch für sich selbst, für die Zaubererwelt, für die Familie Malfoy. Ein Nichts zu sein in späteren Jahren. Nichts zu hinterlassen als einen schwarzen Fleck, der niemandem etwas sagte und an den man sich nicht mehr erinnerte, weil er zu unwichtig war um daran zu denken. Im Leben ein uninteressantes Nichts zu sein, das nichts erreichte und nichts zu schaffen. Angst vor dem Versagen, Angst vor der Einsamkeit, in der der Einzelne verloren war.

Doch Bellatrix ahnte nicht, was dieses Schwarz für sie bedeutete. Sie sah es nur und Panik übermannte sie. Entsetzt wich die Achtjährige zurück vor dem namenlosen Grauen, das immer weiter auf sie zurückte.
„Bellatrix!“ Die scharfe Stimme ihres Vaters brachte Bellatrix wieder zur Besinnung. Er stand hinter ihr. Er würde nicht dulden, dass sie aufgab und versagte.
Alle Muskeln in ihrem kleinen, schmächtigen Körper waren angespannt. Zitternd erhob Bellatrix den Zauberstabarm.
„Riddikulus!“, würgte sie hervor. Aber in ihrem Kopf war kein Bild von einer lächerlichen schwarzen Leere. In ihrem Kopf nahm diese bedrohliche schwarze Leere überhand und bemächtigte sich ihrer. Ihr Zauberspruch hatte absolut keine Auswirkung.
„Riddikulus!“, Bellas Stimme wurde etwas lauter, doch keineswegs überzeugter.
Immer näher kam das schwarze Nichts. Nur nicht zurückweichen! Nur nicht in Dracos Arme laufen und ihm zeigen, wie hilflos, panisch und verzweifelt sie war.
„Riddikulus!“ Bellas Stimme steigerte sich zu einem Kreischen. Nichts geschah – außer dass das Nichts näher auf sie zukam. Die Panik brach aus ihr heraus wie bei einem überschwappenden Wasserglas. Klappernd fiel ihr Zauberstab zu Boden und Bellatrix stolperte über die eigenen Füße als sie aufschreiend zurückwich. Sie fiel zu Boden und bedeckte ihr Gesicht mit den Armen. Das Schwarz war über ihr! Es legte sich über sie wie ein dunkler Mantel und verschlang sie!
Panisch rutschte Bellatrix auf dem Boden noch rückwärts. Nur weg von diesem Schatten, weg, weg, weg!
„Dad!“ Bellas Stimme kreischte in höchster Verzweiflung. Solche Angst hatte sie noch nie verspürt. Sie hatte das Gefühl, bersten zu müssen vor Angst, zu sterben vor Angst. Diese Leere! Sie war direkt über ihr! Es strich schon über ihre Beine, ihre Hüfte, ihren Oberkörper! Es kroch zu ihren Augen, ihrem Kopf!
„DAD!“
Noch nie hatte Bellatrix ihren Vater so um Hilfe angefleht. Noch nie war ihre Stimme so voller Panik gewesen. Noch nie hatte sie vergessen, dass sie nicht versagen wollte. Noch nie war ihr das nackte Leben wichtiger gewesen als der Stolz ihres Vaters auf ihre Fähigkeiten.

„Riddikulus!“ Dracos Stimme war gelassen und ruhig. Mit einem leisen Knall und ein paar Rauchwölkchen löste die übermächtige schwarze Leere sich auf. Das Nichts verschwand und der Raum trat wieder zutage.
Keuchend blieb Bellatrix auf dem Boden liegen. Nur langsam lösten ihre verkrampften Arme sich von ihrem Kopf, den sie immer noch schützend umklammert gehalten hatte – als ob es etwas genützt hätte. Ihr Herz raste. Die Panik war immer noch da. Ihr Mund war noch zum Schrei geöffnet.
Draco schien das nicht zu bemerken. Als wäre er gar nicht am Geschehen beteiligt, steckte er seinen Zauberstab wieder weg, schloss die Kiste und ging neben Bellatrix vorbei zur Tür. Kein Blick traf Bellatrix, die bebend vor Angst auf dem Boden lag und offenbar unfähig war, aufzustehen.

„Wir essen in einer halben Stunde, Bellatrix, sei bis dahin bitte fertig umgezogen.“, kalt und knapp waren seine Worte bevor er das Zimmer verließ und die Tür ins Schloss fallen ließ. Bellatrix blieb immer noch auf dem harten Fußboden liegen. Nur langsam entspannten sich ihre verkrampften Muskeln. Auch der Klammergriff, der ihr Herz und ihre Seele zerquetschte, löste sich nur langsam.
Das leise Ticken einer Uhr war zu hören.
Zusammengerollt wie ein Igel lag Bellatrix auf dem Boden. Kurz schloss sie die Augen, doch als sie spürte, wie eine Träne sich über ihre Wange schlich, riss sie die Lider schnell wieder auf. Nein, nicht weinen! Nicht zum Versagen auch noch heulen! Sie war nicht stark genug gewesen, ihrer Angst ins Auge zu blicken, da konnte sie sich nicht auch noch erlauben, Schwäche zu zeigen, wenn die Gefahr längst vorüber war.
Hastig wischte Bellatrix die Träne weg, dann rappelte sie sich mühsam auf. Jeder Knochen in ihrem Körper schmerzte. Doch noch mehr schmerzte das Wissen, versagt zu haben.
Draco war einfach so aus dem Raum gegangen und hatte sie liegen lassen. Und sie hatte es nicht anders verdient.

Mit hängendem Kopf trottete Bellatrix aus dem Übungsraum. Apathisch ging sie den langen dunklen Flur entlang, der nur von ein paar Kerzen erleuchtet wurde.
Sie fühlte sich so schrecklich wie noch nie in ihrem Leben.
Hatte Bellatrix wirklich gedacht, diese krankhafte Angst vor dem schwarzen Etwas wäre schlimm gewesen? Tatsächlich? Nun, ihre jetzige Gefühlssituation war wesentlich schlimmer. Noch nie hatte eine Übungsstunde mit Draco so schmählich für Bellatrix geendet. Noch nie hatte Draco seine Tochter einfach allein gelassen. Denn noch nie hatte Bellatrix so sehr versagt wie heute. Wieso hatte sie es nicht geschafft, den Irrwicht zu besiegen? Immer und immer wieder hatte Draco Bellatrix bis zum Äußersten getrieben, sie an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gehen lassen, doch immer hatte Bellatrix die Probe bestanden. Immer hatte sie sich selbst überwunden und Draco hatte sie angelächelt. Warum heute nicht?!
Der Schmerz über das eigene Versagen pochte in jeder Faser ihres Seins. Es drückte gegen ihren Brustkorb, zerquetschte sie nahezu und es war viel mehr als körperlicher Schmerz. Es brach ihr das Herz, vor ihrem inneren Auge Dracos Gesicht zu sehen, das kalt und unbeteiligt vor ihr schwebte bis es sie mit einem letzten verächtlichen Blick allein in ihrer Angst, in ihrer Pein zurück ließ.
Aber diesen Schmerz hatte Bellatrix verdient. Wenn sie zu schwach war, seine Anforderungen zu erfüllen, so hatte sie es auch nicht verdient, von ihm angesehen zu werden.

Keine Sekunde lang kam Bellatrix der Gedanke, dass ihr Tag zu hart gewesen wäre, dass ihr Vater ihr früher hätte helfen können, dass seine Anforderungen vielleicht zu hoch gewesen waren. Nein. Draco machte immer alles richtig und wenn Bellatrix versagte – nun, dann hatte sie sich nicht genug angestrengt. Dann hatte sie nicht das getan, was er erwartet hatte.
Hatte sie ihm nicht gut genug zugehört, als Draco ihr alles über Irrwichte erzählt hatte? Denn er hatte alles erzählt! Er hatte ihr alles ganz genau erklärt! Wieso nur hatte sie den Irrwicht nicht besiegen können?
Nein, sie hatte ihn nicht besiegen können. Schon allein bei dem Gedanken an das namenlose Grauen, dem Bellatrix gegenüber gestanden hatte, jagten ihr eiskalte Schauer den Rücken hinunter und Bellatrix musste sich zwingen, weiter Fuß vor Fuß in dem halbdunklen Flur zu setzen.

Eine zweite Träne rann Bellatrix bleiche Wange hinunter. Wiederum wischte sie sie ungeduldig weg. Sie durfte nicht weinen! Sie hatte gar nicht verdient, zu weinen! Und sie hatte auch keinen Grund dafür. Sie hatte versagt. Das war lediglich ein Grund, es das nächste Mal besser zu machen – viel besser. Auch wenn Bellatrix sich nicht vorstellen konnte, nochmals so viel Mut zusammenkratzen zu können, um überhaupt an einen Irrwicht zu denken. Doch Draco würde es erneut verlangen. Und sie durfte ihn nicht noch einmal enttäuschen! Nicht noch einmal!

Gerade als Bellatrix die Tür zu ihrem Zimmer öffnen wollte, kam eine große, schlanke Gestalt in den Flur. Mit langen, selbstsicheren Schritten kam Pansy auf ihre Tochter zu. Sie war schon in ein elegantes Abendkleid gekleidet, so wie immer zum Abendessen. Ihre strohblonden Haare waren zu einem leichten Knoten aufgesteckt und Pansy sah so strahlend schön aus wie keine andere Frau die Bellatrix kannte. Sanft lächelte sie Bellatrix an und ohne zu zögern warf das Mädchen sich in die starken Arme ihrer Mutter.
Zärtlich streichelten weiche, langgliedrige Hände über Bellas verschwitztes Haar. Pansy war es völlig gleichgültig, dass Bellatrix staubig und voller Schweiß war. Sie drückte ihre Tochter einfach an ihr dunkelblaues Kleid und hielt sie fest.
Mit geschlossenen Augen lehnte Bellatrix sich an ihre Mutter. Nicht weinen.
Für einen Moment war alles still, dann drückte Pansy Bellatrix wieder ein Stück von sich weg.
„Beeil dich, Bellatrix, wir essen in ein paar Minuten. Geh schnell duschen, die Hauselfen haben dir schon ein Kleid herausgelegt.“
Stumm nickte Bellatrix und huschte in ihr Zimmer.
Pansy stand wieder allein auf dem Flur. Sie seufzte leise bevor sie sich umdrehte und den Weg zum Esszimmer einschlug.

Eine Viertelstunde später saßen alle vier Familienmitglieder an der großen Esstafel. Zwei Hauselfen brachten auf einem großen Silbertablett das Abendessen hinein. Während sie zuerst Draco, dann Pansy, Cedric und zum Schluss Bellatrix bedienten, senkte sich das Schweigen schwer über die Runde.
Blinzelnd starrte Bellatrix auf ihren Porzellanteller, zu ängstlich um den Blick zu heben und möglicherweise Draco anzusehen. Doch Draco kümmerte sich gar nicht um Bellatrix. Seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein Pansy, mit der er ein leichtes Gespräch über ein kürzlich gesehenes Theaterstück begann.
Krampfhaft bemühte Bellatrix, sich möglichst unauffällig zu verhalten. Stumm aß sie ein paar Happen von dem exquisiten Lebergericht, das die Hauselfen zubereitet hatten, doch es wollte sich kein rechter Appetit einstellen. Zumeist stocherte Bellatrix nur auf ihrem Teller herum.

Das ganze Abendessen über wagte Bellatrix nicht, den Kopf zu heben. Niemand beachtete sie. Nur Cedrics Blick lag des öfteren besorgt auf seiner kleinen Schwester, die heute kein Wort bei Tisch sagte, anstatt wie sonst, die Unterhaltung an sich zu reißen und Draco alles Mögliche über ihren Schulalltag mit dem öden Hauslehrer zu erzählen.
Er wusste, dass irgendetwas zwischen Bellatrix und ihrem geliebten Vater vorgefallen sein musste, während er schon weggeschickt worden war. Doch da weder Draco noch Bellatrix Anstalten machten, das Gespräch auf die heutigen Übungsstunden zu lenken und Draco außergewöhnlicherweise keinen Blick für seinen Augenstern übrig zu haben schien, verkniff Cedric sich jede Frage.
Nach dem Nachtisch bekamen die Kinder schließlich die Erlaubnis, aufzustehen.
Bellatrix war erleichtert. Endlich konnte sie sich in ihrem Zimmer verkriechen! Steifbeinig verließ sie das Esszimmer. Bevor Cedric sie einholen und irgendwelche Bemerkungen oder Fragen loswerden konnte, stürmte Bellatrix über den Flur und verschwand in ihrem Zimmer.
Dort lehnte sie sich an die Zimmertür und schloss die Augen. Er sprach nicht mehr mit ihr! Er nahm keine Notiz mehr von ihr!
Warum nur, warum nur hatte sie so schmählich versagt?! Oh, sie hatte seine Verachtung verdient, ja, sie hatte seine Nichtbeachtung verdient, aber es tat so weh! Es tat so schrecklich weh! Und nichts konnte diesen Schmerz lindern. Keine mitleidigen Blicke ihres Bruders, keine warmen, liebevollen Umarmungen ihrer Mutter. Denn das alles zählte nicht. Es zählte lediglich Dracos Aufmerksamkeit, sein Stolz, seine Zuneigung. Hatte sie diese jetzt verspielt?
Am liebsten wäre Bellatrix wieder ins Esszimmer gestürmt und wäre Draco um den Hals gefallen.

[I]Ich werde dich nie wieder so enttäuschen, Dad, bestimmt! Es tut mir so schrecklich Leid, es wird nie wieder vorkommen! Nie wieder, ich versprechs dir, Dad! Ich habe alles falsch gemacht, ich weiß, ich hätte dir besser zuhören sollen! Bitte, Dad, bitte entschuldige, Dad, ich werde mich nie wieder so schlecht benehmen, aber bitte verzeih mir![/I]

Das und noch mehr wollte sie ihm sagen, ihr Gesicht an seines drücken und ihn um Vergebung anflehen. Aber sie traute sich nicht. Denn es würde nichts bringen. Draco verzieh nicht so leicht und es brachte schon gar nichts, ihn anzubetteln. Es würde ihm nur zeigen, dass Bellatrix wirklich schwach und einfältig war. Zu nichts nütze.
Wieder stiegen heiße Tränen in Bellatrix auf, doch erneut kämpfte sie sie nieder. Angestrengt riss das Mädchen die blauen Augen auf und stieß sich von der Zimmertür ab.
Langsam begann sie sich auszukleiden. Ihr kuscheliger Schlafanzug tröstete sie zwar auch nicht, aber vielleicht war es ganz gut, einzuschlafen, um so schnell wie möglich diesem schrecklichen Tag zu entfliehen.
Als Bellatrix im Bad ihre Zähne putzte und ihr bleiches Gesicht im Spiegel erblickte, schrak sie zurück. Ihre Augen wirkten klein und glanzlos, die Wangen waren eingefallen und ihr Gesicht hatte eine beinahe graue Färbung angenommen.
[I]Kein Wunder verachtet er dich, du hässliche Idiotin![/I], dachte Bellatrix, [I]Du enttäuschst ihn, du schaffst es nicht, ihn anzusehen, du bist zu schwach, seine Achtung zu erringen und zu schwach, seine Verachtung zu ertragen![/I]
Kraftlos ließ Bellatrix die Zahnbürste sinken und spuckte die Zahnpasta ins Waschbecken.
So schnell wie möglich beendete sie ihre Abendtoilette und huschte in ihr mittlerweile abgedunkeltes Zimmer.

Ihre Bettdecke war schon von Hauselfen mit Wärmflaschen auf angenehme Temperaturen gebracht worden und trostsuchend kuschelte Bellatrix sich an ihre Bettdecke. Leer, ausgehöhlt und ausgebrannt fühlte sie sich und starrte in die Dunkelheit. Warum nur war sie zurückgewichen, anstatt dem Irrwicht den Garaus zu machen, so wie ihr Vater es verlangt hatte? Warum nur hatte sie klein beigegeben, obwohl sie genau wusste, dass es falsch gewesen war? Warum nur hatte sie sich nicht mehr unter Kontrolle gehabt als dieses Zauberwesen, das so leicht zu besiegen war, auf sie zugekommen war? Warum nur hatte sie ihren Vater so enttäuschen müssen? Warum nur konnte sie jetzt nicht lachend bei ihm sitzen und mit ihm reden, anstatt hier im Dunklen wach zu liegen und gegen die Tränen anzukämpfen?
Schwer atmend rang bellatrix mit sich selbst. So versagt hatte sie noch nie. Die Last dieses Wissens war schwerer als alles andere zu ertragen – bis auf das Gefühl, mit diesem Versagen vor allem ihren Vater enttäuscht zu haben. Seine Meinung war ihr wichtiger als alles andere auf der Welt. Zu wissen, dass er mit ihr nicht zufrieden war, war für Bellatrix die schmerzhafteste Erfahrung in ihrem kurzen Leben.

Wie lange Bellatrix so in ihrem Bett gelegen war und in die Dunkelheit gestarrt hatte, immer ihre eigene Schwäche vor Augen habend, wusste sie nicht. Doch irgendwann öffnete sich plötzlich ihre Zimmertür. Ein schmaler Lichtstrahl fiel ins Zimmer und eine Gestalt schob sich in den Raum.
Zuerst dachte Bellatrix es sei Cedric oder Mama, doch als sie die schweren Schritte hörte und schemenhaft die Größe der Gestalt ausmachen konnte, wusste sie, dass es ihr Vater war.
Bellatrix wusste nicht, ob sie aufspringen und ihm entgegenlaufen sollte, vor lauter Glück, dass er nochmals zu ihr kam oder ob sie still liegen bleiben sollte. Vielleicht dachte er ja, sie schliefe fest und wollte nur noch einmal nach ihr sehen?
Schneller als Bellatrix diese Frage entscheiden konnte, stand Draco an ihrem Bett. Langsam ging er vor ihrem Bett auf die Knie und beugte sich zu ihrem blonden Kopf herunter. Seine Augen, die genau so blau waren wie ihre, sahen in ihre weit aufgerissenen Augen und hielten ihren Blick fest. Schon oft hatte Draco so Bellas Blick gefangen genommen, als wolle er sie mit Röntgenstrahlen durchbohren, doch diesmal lag nichts dergleichen in seinen Augen. Sein Gesicht war so ernst und undurchdringlich wie immer, doch Bellatrix sah Wärme in seinem Blick.
So hatte er sie noch nie angesehen. Seine strengen Augen, die sonst so durchdringend in die Welt sahen, waren beinahe weich. Voller Zuneigung und Tiefe. Bellatrix konnte es kaum glauben, dass Draco sie so ansah. Seine Liebe war ihr so wichtig. Vermutlich wichtiger als ihr eigenes Leben, auch wenn Bellatrix an so etwas nicht dachte. Doch nur selten zeigte Draco sich so wie jetzt. Er war doch immer der harte, strenge Vater, der viel forderte und dafür nicht viel zurückgab. Doch Bellatrix hatte gelernt, mit wenig auszukommen. Ein Lächeln, ein zufriedenes Nicken, mehr brauchte sie gar nicht. Ein Blick von ihm genügte, um sie in den Himmel hinauf zu heben. Ein Wort genügte, um sie ins Paradies zu versetzen. Eine schlichte Geste rief Verzückung hervor.
Und jetzt, nachdem sie so dermaßen versagt hatte, sah er sie so an!
In stummer Ehrfurcht sah Bella ihren Vater an. Sie wagte nicht, sich zu bewegen, um nicht den Bann zu brechen.
Ganz langsam legte Draco eine Hand auf Bellas Wange und fuhr mit seinem Daumen ihren Wangenknochen nach.

Als er zu sprechen begann, war seine Stimme leise und scharf.
„Morgen wirst du erneut gegen den Irrwicht kämpfen.“
Beinahe hätte Bellatrix aufgeschrieen. Nein! Sie konnte nicht noch einmal diese schwarze Leere ertragen, die näher und näher kam, die alles verschlang, die [I]sie[/I] verschlang!
Doch ihr Schrei wurde von seinem Blick zurückgedrängt. Nein, er hatte sie wirklich noch nie so angesehen.
Draco wollte, dass Bellatrix den Irrwicht besiegte. Er glaubte an sie – für ihn bestand kein Zweifel mehr an ihrem Gelingen. Er war da und deswegen würde sie erneut gegen den Irrwicht antreten und siegen.
Bellatrix nickte. Sie würde alles tun, was er von ihr verlangte. Und weil er wollte, dass sie es schaffte, würde sie es auch schaffen.
Bellatrix nickte. Ein kurzes Lächeln huschte über Dracos Züge, das sein strenges Gesicht für einen winzigen Augenblick weich erscheinen ließ und das Bellatrix beinahe dazu brachte, ebenfalls zu lächeln.
Doch der Augenblick verflog schnell und Draco richtete sich leichtfüßig wieder auf. Seine warme große Hand rutschte von Bellatrix’ Wange. Sein großer Schatten fiel über Bellatrix’ Bett.

Bevor Draco sich zum Gehen wandte verharrte er noch für eine Sekunde vor dem Bett seiner Tochter.
„Versage nicht ein zweites Mal.“
Obwohl seine Stimme kein deut anders klang als vorhin spürte Bellatrix doch den Hauch einer Drohung in ihr. Wenn sie ein zweites Mal versagte… Draco würde ein zweites Versagen nicht so schnell verzeihen wie dieses erste. Und genau diese unausgesprochene Drohung schnürte Bellatrix die Kehle ab.
„Nein.“, presste sie hervor. Sie [I]durfte[/I] einfach nicht versagen, egal, wie furchteinflößend diese Leere war! Sie würde nicht versagen! Sie würde es schaffen – für ihren Vater. Sie konnte ihn nicht noch einmal enttäuschen.

Draco nickte kurz und ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum.
Und plötzlich fühlte Bellatrix sich wie befreit. Sie hatte eine zweite Chance erhalten! Eine Möglichkeit, ihren Fehler auszubügeln! Diese Gnade, die ihr erwiesen wurde, würde sie nicht oft im Leben bekommen. Fehler waren nun einmal unverzeihlich, das hatte Draco ihr schon früh beigebracht. Aber sie würde keine Fehler mehr begehen, denn Draco hatte es nicht verdient, eine fehlerbehaftete Tochter zu haben. Er hatte eine makellose, stolze Tochter verdient und Bellatrix schwor sich, ein solch makelloses Wesen zu werden – für ihn.
Mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen schlummerte Bellatrix endlich ein. Der Irrwicht hatte für heute seinen Schrecken verloren.